Mittwoch, 31. Oktober 2012

Philippe Pozzo Di Borgo / Ziemlich beste Freunde (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Nun ja, das Buch habe ich nun durch aber so richtig gefallen hat es mir nicht. Vom literarischen Anspruch her gehört es meiner Meinung nach nicht zur höheren Literatur. Was das Menschenschicksal betrifft, so kann man es bedauern, und dies nicht nur für den Rollstuhlfahrer, der einen schweren Unfall erlitt, sondern auch für seine Frau, die fast zeitgleich an Blutkrebs erkrankte und sie nach fünfzehn Jahren ihrer Krankheit erlag. 

Trotzdem kann ich das Buch weiter empfehlen, denn dass ich so hohe literarische Ansprüche habe, soll nicht die Schuld des Autors sein. Aber ob ich den Erweiterungsband, erzählt aus der Sicht des Pflegers, noch lesen möchte, das muss ich mir noch überlegen. 

 Der Pfleger ist kein richtiger Pfleger, sondern jemand, der dem behinderten Menschen Philippe Pozzo etwas aushilft. Er ist ein Schwarzer, der in Algerien beheimatet ist, aber in Paris lebt. Die Rede ist von Abdel Sellou. Abdel hatte sich wie viele andere auf die Stellenanzeige beworben, und er hatte die Stelle auch bekommen, obwohl er über keinerlei Kenntnisse aus der Pflege verfügte, er aber seinen Charme hat spielen lassen, was für den kranken Patienten, sein zukünftiger Chef, ausschlaggebend war, obwohl es kulturelle Unterschiede gab, die Abdel deutlich zu zeigen gibt. Doch dazu später mehr. 

Philippe Pozzo, Gleitschirmflieger, ist mit seinem Fluggerät unglücklich gestürzt, dass er davon querschnittsgelähmt wurde und es kommen eine Reihe von Problemen auf ihn zu, mit denen er fertig werden musste. Er konnte sich nicht mehr um seine krebskranke Frau kümmern. Auch die beiden adoptierten Kinder mussten untergebracht werden, wenn die Mutter Beatrice wieder Schübe hatte... . Sowohl Philippe, als auch seine Frau unterstützten sich gegenseitig so gut es ging. Wenn man so etwas liest, diese vielen Schicksale in einer einzigen Familie, so nimmt man irgendwie vieles im Leben nicht mehr so ernst... . Auch Philippe musste lernen, über sich zu stehen und Humor zu entwickeln, wenn er psychisch überleben wollte, bis er Abdel kennenlernte:
Abdel ist der erste, der sich auf meine Anzeige beim Arbeitsamt hin vorstellte. Es sind 90 Bewerber, darunter ein einziger Franzose; ich gehe nach dem Ausschlussprinzip vor, und am Ende bleiben nur noch Abdel und der Franzose übrig. Jeder bekommt eine Woche Probezeit. Ich spüre bei Abdel eine Persönlichkeit, eine situative Intelligenz und etwas fast Mütterliches. Außerdem kann er gut kochen, auch wenn er hinterher nie aufräumt.Der Franzose macht den Fehler, mir zu sagen, wenn man einen Moslem in sein Haus lasse, könne man auch gleich dem Teufel die Tür öffnen. Daraufhin stelle ich Abdel unverzüglich ein.
Abdel ist eine recht ungewöhnliche Persönlichkeit mit vielen Widersprüchen. Aber es gelang ihm, auf die Bedürfnisse Philipps einzugehen. Und er brachte ihm eine große Portion Humor entgegen:
Er ist unerträglich, eitel, stolz, brutal, unzuverlässig, menschlich. Ohne ihn wäre ich zugrunde gegangen. Abdel hat mich pausenlos gepflegt, wie ein Säugling. Er hat auf jedes noch so kleine Zeichen von mir geachtet, während jeder einzelnen meiner Ohnmacht war er zur Stelle, er hat mich befreit, wenn ich gefangen war, beschützt, wenn ich wach war. Er hat mich zum Lachen gebracht, wenn ich nicht mehr konnte. Er ist mein Schutzteufel.
Philippe empfand große Schuldgefühle, auch gegenüber seiner Frau und seinen beiden Adoptivkindern, klagte sich an, dass er Gleitschirm geflogen sei, was seine Krise noch weiter verstärkte, und ihm öfter fast der Lebenswille versagte. 
Schuldgefühle stellten sich ein. Sie sind unnütz und lassen einen doch nie mehr los. Hätte ich diesen Tag des 23. Juni vermeiden können, dann hätte Beatrice nicht soviel Kraft lassen, die Kinder hätten nicht diesen Schock erleben müssen, meine Tochter wäre nicht so zerrissen und mein Sohn nicht so verstört. Sie mussten sich derart anstrengen, damit ich nicht aufgebe! Es war zu viel für ihr Alter, es ging über ihre Kräfte. Für mich begann an diesem 23. Juni meine Gegenwart.
Ich habe diese Familie sehr bewundert, der Zusammenhalt und die Liebe, die hier zum Tragen kam.

Philippe Pozzo musste lernen, seine alten Werte aufzugeben und neue zu gewinnen:
Jenseits der Worte, jenseits der Stille entdeckt man die eigene Menschlichkeit.
Der Körper, den man bisher vergöttert hat, verblasst allmählich zu Gunsten eines erneuerten Geistes, einer vertieften Spiritualität. Eine Kehrtwendung des Herzens.
Auf dem Grunde seines Herzens, in der Innerlichkeit, im eigenen Mysterium entdeckt man den anderen.
Der glatte, geschniegelte Privilegierte, der ich einmal war und der heute gekreuzigt auf seinem Bett liegt, malt sich ein Miteinander zwischen einer aufrecht stehenden und einer liegenden Menschheit aus. Das universelle Kreuz als Ausgangspunkt einer neuen Welt.
Schade, dass einem solche Erkenntnisse meistens erst in der Not kommen. 

Zwischen Philippe und Abdel gibt es oft kulturelle Meinungsverschiedenheiten, speziell was der Umgang mit Frauen betrifft, worüber ich über folgende Textstelle schmunzeln musste:
"Abdel, Frauen muss man respektieren ".
" Respektieren? Sagen wir mal so, es ist nicht an uns, sie zu respektieren, sondern an ihnen, sich Respekt zu verschaffen."
"(…)Abdel, Frauen sichern das Überleben der Menschheit."
Sympathisch fand ich allerdings, dass Philippe Abdel nicht verurteilt hatte, sondern er durchaus in der Lage war, ihm auch seine positiven Seiten abzugewinnen, und ihn als Mensch akzeptierte. 

Ich komme nun zum Abschluss meiner Aufzeichnungen, habe die für mich schönen Textstellen herausgeschrieben, und so beende 
ich nun meine Buchbesprechung mit einem Gebet, das Philippe gelernt hatte zu beten, das ein so ziemlich bekanntes und in der Gesellschaft der westlichen Welt sogar ein weit verbreitetes Gebet ist:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
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 „Musik ist eine Weltsprache“
            (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2012: 78
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 29. Oktober 2012

Philippe Pozzo Di Borgo / Ziemlich beste Freunde



  • Gebundene Ausgabe
  • Verlag: Hanser Berlin; Auflage: 15 (16. März 2012)
  • 350 Seiten, 14,90 €
  • ISBN-10: 3446240446


Klappentext

Der bewegende Roman von Philippe Pozzo di Borgo, Ziemlich beste Freunde, handelt von zwei Männern, die unterschiedlicher kaum sein könnten: dem nach einem Fallschirmsprung querschnittsgelähmten Geschäftsführer der Firma Champagnes Pommery, Philippe Pozzo di Borgo, und dem Ex-Sträfling Abdel Yasmin Sellou.
Sellou bewirbt sich bei Pozzo di Borgo als Intensivpfleger, um eine Unterschrift für das Sozialamt zu bekommen – und wird engagiert. Die lebensfrohe, mitleidslose Art des Ex-Sträflings gefällt dem Querschnittsgelähmten, der durch seinen Pfleger neue Lebensfreude gewinnt. Die beiden gehen zusammen durch dick und dünn – und erleben lustige wie auch dramatische Ereignisse. Eine Geschichte, die als kitschig bezeichnet werden könnte, wenn sie nicht das Leben selbst geschrieben hätte.

Das Buch steht schon lange auf meiner Liste, habe es aber immer wieder aufgeschoben, doch jetzt, heute habe ich es mir feste vorgenommen. Empfohlen wurde mir das Buch von einer Literaturfreundin B. Q.
Wer ist Philippe Pozzo Di Borno? Ich konnte nirgends ein Autorenportrait ausfindig machen, weder im Klappentext noch online. Ich gehe mal davon aus, dass der Autor keine weiteren Bücher verfassen, und es bei diesem einen Roman bleiben wird... .

Es gibt noch eine Erweiterung zu diesem Buch und zwar aus der Sicht des Pflegers geschrieben. Auch dieser Band liegt nun endlich auf meiner momentanen SuB-Liste.


Sonntag, 28. Oktober 2012

Romeo and Juliet


Das Schneemädchen von Eowyn Ivey


Isabel Allende / Die Stadt der wilden Götter (1)

Die Stadt der wilden Götter - Isabel Allende Buch gebrauchtEine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Nun habe ich das Buch zu Ende gelesen und man hat dem Buch schon angemerkt, dass es ein Jugendbuch ist,  in dem eine künstliche Spannung erzeugt wird, die mehr Jugendlichen reizt. An manchen Stellen ist es aber auch die Sprache, die so salopp gesprochen ist, die ich von Allende so nicht gewohnt bin. Ein zweites Mal würde ich das Buch nicht lesen, habe aber überlegt, welchem Jugendlichen ich dieses Buch herantragen würde? 


Der Roman hat mich ein wenig auch an Mozarts Zauberflöte erinnert, denn auch hier gibt es eine Flöte, die alle Tiere und Naturmenschen mit ihren Tönen verzaubert und friedlich stimmt. Mit Hilfe der Flöte werden die Abenteuer und die damit verbundenen Gefahren des Flötenträgers überwunden....

Die Hauptperson in dem Buch ist der junge Alex Cold, fünfzehn Jahre alt, Flötenspieler, und lebt mit seiner fünfköpfigen Familie in Kalifornien. Seine Mutter ist krebskrank, im Endstadium, und kann sich nicht mehr um ihre Kinder, die sie abgöttisch liebt, kümmern. Der Vater ist Arzt, der beschließt, Alex zu seiner Mutter (Großmutter) Kate nach New York zu schicken, da er die Mutter in ein besseres Krankenhaus für längere Zeit begleiten möchte, das  außerhalb von Kalifornien liegt. 

Alex hadert, er möchte nicht zu seiner Großmutter, er möchte lieber mit seinen beiden Schwestern zur Großmutter mütterlicherseits, was nicht möglich ist, da die Großmutter sich unmöglich noch um drei Kinder kümmern könne... . 

Großmutter Kate ist eine merkwürdige Person, von Beruf ist sie Journalistin. Sie zeigt keinerlei Gefühlsregung ihrem Enkel gegenüber und stellt sich später eher als eine harte Nuss mit einem weichen Kern heraus...

 Mit ihren recht unkonventionellen Erziehungsmethoden fordert sie Alex immerzu heraus und sorgt dadurch für Überraschungen... Z.B.  holt sie Alex nicht wie vereinbart vom Flughafen ab und nach einiger Zeit des Wartens schließt er sich einem jungen Mädchen an, die sich als Junkie herausstellt und sie bringt Alex dazu, Drogen zu rauchen. Alex wollte kein Spielverderber sein, und kiffte mit und macht die Erfahrung, die viele Leute auch gemacht haben, dass in den Drogen nichts Außergewöhnliches festzustellen war:
Die Male, wenn er gekämpft oder etwas getrunken hatte, war er sich überhaupt nicht vorgekommen wie auf einem Flug ins Paradies, was einige seiner Freunde behaupteten, sondern hatte bloß gespürt, wie sich sein Kopf vernebelte und seine Beine wie Watte wurden. Richtig high wurde er davon, an einem Seil an einer Felswand zu hängen, unter sich den Abgrund, und genau zu wissen, wohin er als nächstes den Fuß setzen musste. Nein, mit Gras und solchem Zeug hatte nichts am Hut.
Alex bestieg recht oft mit seinem Vater Berge... .
Gemeinsam mit Kate tritt er eine Expedition an ins Reich des Amazonas. Alex zeigte Widerstände, doch als sie schließlich dort ankamen, wollte er auch nicht mehr zurück. Eine Gruppe von Amerikanern, geführt von einem Anthropologen, der schon viele fragliche Studien zu den Lebensweisen der Indianer veröffentlicht hatte, und weiter das Ziel verfolgte, die Studien fortzusetzen. Seine Studien allerdings bestätigen das abfällige und primitive Bild, das er selbst von den Naturmenschen gemacht hat und so bekommt man gut mit, wie hier wissenschaftliche Studien manipuliert werden. 

Zu den Zeremonien der Indianer gibt der Professor vor, dass sie kämpferisch, kaltblütig, wild und mörderisch seien. Ein Bild, das man von vielen Westernfilmen kennt, die man als Kind sich angeschaut hat. Doch die Ärztin verteidigt die Indianer:

"Sie ist ein Ritus, die Zeremonie, um den eigenen Mut auf die Probe zu stellen. Die Indianer malen ihren Körper, bereiten ihre Waffen vor, singen, Tanzen und dringen (...) in das Dorf eines anderen Stammes ein. Sie bedrohen sich gegenseitig und teilen auch ein paar Hiebe mit Holzprügel aus, aber dabei gibt es selten mehr als einen oder zwei Toten. In unserer Kultur ist es genau umgekehrt: von Zeremonie keine Spur, nur Massenmord…"
Zu den ExpediteurInnen gehört auch eine Ärztin, ganz zum Leidwesen des Anthropologen, die ein ganz anderes Indianerbild besitzt, absolut kein abfälliges und so gibt sie dem Professor oft Widerpart, wenn er sich zu den Indianern minderwertig äußert. Doch Vorsicht, diese Ärztin gibt sich anders als sie wirklich ist...
In dem Amazonadschungel leben auch Bestien und Alex fragt den Athropologen, welche gefährlicher seien, die Bestien oder die Indianer? Die Indianer würden wie Raubtiere leben, zudem noch kannibalisch, da sie andere Menschen fressen würden, sogar Menschen aus dem eigenen Stamm. Sie würden auch morden, um sich Frauen zu beschaffen... 

Kate ist wieder mal witzig, die gerne auf Abenteuer aus ist. Auch vor dem Dschungel und den Indianern habe sie keine Angst, denn sie würde lieber von den Indianern umgebracht werden, als in New York an Altersschwäche sterben.

Nach außen hin verfolgt die Ärztin das Ziel, die Indianer gegen verschiedene Krankheiten zu impfen, mit dem Argument, dass immer mehr Weiße in die Indianerreservate eindringen, und diese mit Krankheiten anstecken. Das Immunsystem der Indianer sei gegen unbekannte Viren zu schwach, der Körper produziere keine ausreichenden Abwehrstoffe... . (Masern, Grippe u. a. m.)

Unter den Expediteuren befindet sich auch die zwölfjährige Nadia zusammen mit ihrem Vater und ein paar Soldaten. Nadia ist ein Dschungelkind, zwölf Jahre alt, die eine tiefe Freundschaft mit Alex eingeht.

In den tiefen Wäldern macht Alex zum ersten Mal die Erfahrung, verschiedene Frauenkörper zu sehen, als sich diese in den Flüssen sich wuschen und badeten, fast nackt, die Kleider von sich geworfen. Folgende Textstelle hat mir außergewöhnlich gut gefallen, als Alex den fast nackten Körper seiner Großmutter mit dem eines Kinderkörpers von Nadia und mit dem einer jungen Frau (die Ärztin), kurvenreich und stramm, verglich. Ich fand das recht sympatisch, dass Alex sich nicht vor dem Körper seiner Großmutter geekelt hat, sondern eine interessante Sichtweise pflegte:

Nun vergleicht er den Körper seiner Großmutter -spindeldürr, voller Knötchen, die Haut zerfurcht-mit den zarten goldenen Kurven der Ärztin, die einen züchtigen schwarzen Badeanzug trug, und mit Nadia, die noch so kindlich unbefangen wirkte. Er stellte fest, wie sich der Körper mit dem Alter verändert, und dachte, dass alle drei, jede auf ihre Weise, schön waren.
Alex und Nadia werden nun von den Nebelmenschen aus der Reisegruppe entführt und nun beginnt das Abenteuer. Besonders Alex wird nun mit Gefahren konfrontiert, die er zuvor nicht kannte. Jaguar ist sein Seelennamen und Adler den von Nadia. Alex entwickelt übersinnliche Fähigkeiten, die Nadia schon längst beherrschte. Sie hatte noch nie eine Schule besucht, beherrscht aber das Dschungelleben und sämtliche Sprachen der Indianer, und bereichert mit ihrem Wissen Alex, der oft an seine Schulkameraden zurückdenkt, die neben Nadia recht langweilig wirkten.

Interessant fand ich auch das Bild, dass Indianerfrauen sogar kleinen Welpen, die keine Mutter mehr hatten, an ihren Brüsten saugen ließen. Ich hatte mal ein Foto dazu gesehen, glaubte eher an einer optischen Täuschung.

Interessant fand ich auch folgende Lebensweise, von der ich schon bei den Arabern gelesen hatte. Es geht um den Umgang mit Tiertötung als Nahrungsquelle.

Der Indianer bittet den Fisch um Erlaubnis und erklärt ihm, dass er ihn töten muss, weil er etwas zu essen braucht; und danach bedankt er sich bei ihm dafür, dass er sein Leben für für ihn gegeben hat, (…). Der Fisch versteht das, weil er vorher selbst andere Fische gefressen hat, und jetzt ist er an der Reihe. So läuft das.
Sowohl der Indianer, als auch das Tier, jagen nur soviel, wie ihr Hunger zulässt. Und beide, sowohl Mensch als auch Tier, leben in freier Natur. Das Tier lässt sein Leben in freier Natur und nicht in Massenzuchtanlagen wie in der westlichen Welt.

Von den Arabern weiß ich, dass sie, wenn sie an Festtagen ein Lamm schlachten, sich bei dem Lamm entschuldigen und bedanken sich gleichzeitig, dass es geopfert wird. 

Die Indianer sehen zwischen Tieren und Menschen keinen Unterschied. Die Tiere werden den Menschen nicht untergeordnet. Beide stehen, Mensch und Tier, auf einer Stufe.
Als eine große Tierschützerin sind mir solche Umgangsformen mit Nutztieren mehr als willkommen.


Zum Schuss sei noch gesagt, dass Isabel Allende eigentlich bekannt dafür ist, ihre Themen gut zu recherchieren, um über Amerika und Lateinamerika zu schreiben. Die Handlungen an sich sind schon fiktiv, aber die Fakten, mit denen die Handlungen ausgeschmückt werden, eigentlich real, mit Ausnahme mancher Wesen hier in diesem Buch, wie z.B. die Nebelmenschen und die Bestien, die als Symbolfigur fungieren.


Ich mache hier nun Schluss, möchte nicht alles verraten. Große Abenteuer, die diese beiden jungen Menschen in der Stadt der wilden Götter eingegangen sind, lasse ich im Buch zurück und gehe nicht darauf ein. Soll sie jeder selber nachlesen und geistig gesehen selbst diese Abenteuer mitmachen.
__________________
Musik ist eine Weltsprache 
(Isabel Allende)

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Donnerstag, 25. Oktober 2012

Isabel Allende / Die Stadt der wilden Götter

  •                                                            





Klappentext

Das erste Jugendbuch der Bestsellerautorin Isabel Allende.
Gibt es im Dschungel des Amazonas wirklich ein riesiges, menschenähnliches Wesen, eine Bestie, die Menschen und Tiere tötet? Das soll eine Expedition herausfinden, der auch der 15jährige Alex aus Kalifornien angehört. Bald entdecken Alex und Nadia, die Tochter des brasilianischen Expeditionsleiters, dass ein teuflischer Plan hinter der ganzen Sache steckt, der die im Amazonas-Dschungel lebenden Indios vernichten soll. (Ab 12 Jahren.) 





Autorenportrait 


Isabel Allende, 1942 in Lima/Peru geboren, arbeitete lange Zeit als Journalistin und verließ Chile nach dem Militärputsch 1973. Seit 1988 lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. An den überwältigenden Erfolg ihres ersten Romans "Das Geisterhaus" konnte sie mit weiteren Bestsellern wie "Eva Luna", "Fortunas Tochter" und "Paula" anknüpfen. Heute gilt Isabel Allende als die erfolgreichste Autorin der Welt.

Von Isabel Allende habe ich schon einige Bücher gelesen, die mir alle gut gefallen haben, wobei das Buch Die Insel unter dem Meer nach meinem Geschmack das schönste Buch von ihr war. 

Nun ist es so, dass ich alle Allende Bücher kaufe, die mir zwischen die Finger kommen, so also auch das obige, das eigentlich ein Jugendbuch ist, womit ich nicht gerechnet habe, da mir Allende als Jugendbuchautorin nicht bekannt war. Gefunden habe ich das Buch bei Oxfam, die das Buch im Regal für erwachsene LeserInnen eingereiht hatten, statt unter den Jugendbüchern. Ich weiß nicht, ob ich das Buch trotzdem gekauft hatte, wenn es mir vorher mitgeteilt worden wäre, aber ich glaube schon. 

Das Buch habe ich gebunden und gut erhalten und gebraucht für 3,50 € bekommen.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Alissa Walser / Am Anfang war die Nacht Musik (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Das Buch habe ich nun durch aber so richtig gefallen hat es mir nicht. Einfach auch deshalb, weil mich das Thema Alternative Heilmethoden nicht wirklich interessiert hat. Ein deutscher Arzt namens Anton Mesmer, der in Wien praktiziert, hat sich mit seiner Methode einen Namen gemacht. Seine Methoden bestehen hauptsächlich aus Magnetismus, aus Geistheilung (Handauflegen und Energieübertragung, innere Blockaden zu lösen) , und auch aus der Hahnemannsche Homöopathie. Dr. Mesmer ist selbst auch Musiker und beherrscht das Spielen mehrere Instrumente, hauptsächlich aber das Glasharmonika. Auch die Musiktöne nutzt der Arzt während seiner Behandlung. Die Stimme eines kranken Menschen ordnet er einer Tonlage zu. 

Es mag sein, dass es Ärzte oder Heiler gibt, die erfolgreich mit diesen Methoden arbeiten,  ich selbst aber bin noch nie an so einen geraten.

Doktor Mesmer hatte der blinden jungen Frau Maria Therese Paradis, die auch Virtuosin im Klavierspiel ist, zu einer Heilung verholfen, allerdings verschlechterte sich ihr Klavierspiel dadurch. Zum Entsetzen ihres Vaters würde die Tochter spielen wie eine blinde Anfängerin. Erst wurde der Doktor von den Eltern des Mädchens groß gefeiert, doch später wurde er als Scharlatan bezeichnet und seine Methoden kamen in Verruf, wurden alles Hexerei und Aberglaube abgetan, so dass die Behandlung durch die Eltern vorzeitig abgebrochen wurde, mit dem Risiko einer Rückfälligkeit. Allerdings bestätigte das Mädchen die Wirksamkeit der Methoden, da sei auch ihr seelisches Gleichgewicht wieder zurückerlangt hatte aber sie konnte sich bei den Eltern nicht durchsetzen, die Behandlung nicht abzubrechen.

Der Vater, ein großer Musikliebhaber, hatte nichts anderes im Sinn, seine musikbegabte Tochter zu einer großen Musikerlaufbahn zu verhelfen, obwohl Maria Therese auch ohne Augenlicht ihre Virtuosität bewies, immerhin musizierte sie oft bei Kaiser und der Kaiserin. 

Später habe ich durch eine Mitleserin in Erfahrung bringen können, dass die beiden Hauptfiguren Anton Mesmer und Maria Therese Paradis es wirklich gegeben hat, ich selbst, trotz meiner Liebe zur Musik, noch nie von dieser Klavierspielerin gehört habe, die aus der Zeit stammt, in der auch Mozart gelebt hat. In Deutschland genießt die Pianistin nicht den selben Ruf wie in Wien. 

Die Eltern von Maria Therese, der Vater ist Hofrat, erwiesen sich mir als recht einfache Leute, die mehr materiell orientiert waren, so dass diese nur an das glaubten, was sie mit ihren Augen auch sehen konnten. Demnach galten für die Eltern blinde Menschen als nicht vollständige, oder als nicht wirklich existente Wesen:
Für die professionelle Laufbahn brauche man Augen. Wer nicht sehen kann, wird auch nicht gesehen. Wer nicht gesehen wird, wird auch nicht gehört. Wer nicht gehört wird, lebt nicht. Sage ihr Vater.

Doktor Anton Mesmer dagegen sah blinde Menschen oftmals als die wahren Sehenden an:
Die Augen seien der Wahrheit kein bisschen näher als die anderen Sinne. Alles Lug und Trug. Alle, auch die Augen, erfinden Geschichten, so gut sie können.

Das Äußern der Gedanken seiner Patientin waren dem Doktor äußerst wichtig, um an die Ur-Gedanken dranzukommen, die aus einem unbewussten Trieb stammen würden. Was wahr und nicht wahr sei, mache er hauptsächlich davon abhängig, was der Mensch im Inneren seines Wesen denkt. Auch die Musik sei ein Teil von Ur-Gedanken, in Affekten ausgedrückt. 
Der Doktor bezeichnet selbst Tiere als die wahren Wesen, die mit Klugheit und Intelligenz ausgestattet seien, allerdings seelischer- geistiger Art, nicht der reine Intellekt, wie den der Menschen:
Tiere haben alle möglichen Gaben und tiefere Sinne. Sie scheinen oft klüger als der Mensch. Das belegen die periodischen Reisen der Fische und Vögel oder die Art, wie sie Gefahr vermeiden, dieselbe erraten.
Auch waren die Eltern stark auf Äußerlichkeiten bedacht, so dass sie die Tochter, die wegen verschiedener anderer ärztlicher operativer Behandlungen keine Haare mehr auf dem Kopf hatte, und sie den kahlen Kopf mit einer mehrstöckigen Perücke bedeckten. Mesmer ist erstaunt über diese Perücke:
Dieses verrückte Erfindungen seien ja gut und schön. Aber manchmal sei das Naheliegende das Dringlichste… Und die Frisur nicht das Unwesentliche am Menschen. Schließlich sitze sie auf dem Kopf. Wo, wie er immer behaupte, der Verstand wohne.
Später, nach fortschreitender Behandlung, lehnte sich das Mädchen gegen das Tragen der Perücke auf, da sie nun selbst zugeben musste, dass sich die Perücke als unschön und als unpraktisch erwies. Als die Eltern sie ohne Perücke empfingen, waren sie schockiert den Anblick ihrer Tochter.

Schön fand ich auch die folgende Textstelle, wo der Doktor seiner blinden Patientin einen Globus mitbringt, und er ihren Finger darauf lenkte, und zeigte, wo sie sich befinden:
Sie erkannte die Kugel sofort. Ein Globus! Er ließ ihre Finger auch über Amerika spazieren, wo, wie sie wusste, Indianer lebten. Dann fuhr sie selbst mit dem Finger über die Kugel. Irgendwo musste doch Kap Horn hervorstechen. Sie presste ihren Leib an das Ding. Freute sich, weil sie die ganze Welt umarmte. Warum hatte der Doktor ihr eine Welt mitgebracht?
Der Doktor zog auch einen Therapiehund in die Therapie mit ein, der recht beliebt war und sich gut in die Patienten einbringen konnte. Maria Therese gewann den Hund recht lieb und an einer Textstelle musste ich laut lachen, als sie versuchte, den Hund zu beschreiben:
Ich glaube, Hunde sind schöner als Menschen. Schon allein die Nase. Dem Hund stehen sie. Auf jeden Fall passen sie in sein Gesicht. Besser als Mesmer in Mesmers. Ob er wisse, wovon sie spreche?

Maria Therese wird wieder rückfällig, und die Eltern betrachten dies als ein Beweis der Scharlatanerie, obwohl der Doktor daraufhin gewarnt hatte, als die Eltern die Behandlung vorzeitig beendet hatten. 

Zum Abschuss kurz zusammengefasst; der Mensch könne mit Heilung rechnen, wenn er an das wahre Ich gelangen würde, das tief und unbewusst in einem selbst liegt, und in dem wahren Ich auch die subjektive ureigenste Wahrheit sitzt. 

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 76
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 22. Oktober 2012

Alissa Walser / Am Anfang war die Nacht Musik


  • Taschenbuch: 288 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch (1. April 2012)
  • Miniformat gebunden: 10,00 €
  • ISBN-10: 3492273874

Klappentext

Wien, 1777. Franz Anton Mesmer, der wohl berühmteste Arzt seiner Zeit, soll das Wunderkind Maria Theresia Paradis heilen, eine blinde Pianistin und Sängerin. In ihrer hochmusikalischen Sprache nimmt Alissa Walser uns mit auf eine einzigartige literarische Reise. Ein Roman von bestrickender Schönheit über Krankheit und Gesundheit, über Musik und Wissenschaft, über die fünf Sinne, über Männer und Frauen oder ganz einfach über das Menschsein. 



Autorenportrait im Klappentext

Alissa Walser, geboren 1961, studierte in New York und Wien Malerei. Seit 1987 lebt sie als Übersetzerin und Malerin in Frankfurt am Main. Für ihre Erzählung »Geschenkt« wurden ihr 1992 der Ingeborg-Bachmann-Preis und der Bettina-von-Arnim-Preis verliehen. 1994 erschien ihr Buch »Dies ist nicht meine ganze Geschichte«, im Frühjahr 2000 folgte der Erzählband »Die kleinere Hälfte der Welt«. Als Übersetzerin hat Alissa Walser außerdem die Tagebücher von Sylvia Plath sowie Theaterstücke unter anderem von Joyce Carol Oates, Edward Albee, Marsha Norman und Christopher Hampton ins Deutsche übertragen. 2009 erhielt sie für Ihre Übersetzung der Gedichte Sylvia Plaths den Paul-Scheerbart-Preis. Ihre eigenen Erzählungen wurden in englischer Übersetzung unter anderem in literarischen Zeitungen wie Open City und Grand Street veröffentlicht. Nach ihrem Roman »Am Anfang war die Nacht Musik«, für den sie den Spycher-Literaturpreis-Leuk 2010 erhalten hat, erschien zuletzt ihr Erzählungsband »Immer ich«.

Entdeckt habe ich das Buch in der Bahnhofsbuchhandlung in Frankfurt Main, die super gut sortiert ist. Die Autorin ist mir unbekannt.



Sonntag, 21. Oktober 2012

Hans Fallada / Der Trinker (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Buch hat mich gepackt, wie immer bei Fallada, der zu meinen Favoriten zählt, weil ich seine Menschlichkeit so sehr schätze, die er in seinem Leben (Politik und Gesellschaft) so sehr vermisste. 

Ich habe nicht die Absicht, mich besonders lange über das Buch auszutauschen, weil man es irgendwie selbst gelesen haben sollte. Da ist jede Seite wichtig, von Seite eins bis zur letzten Seite. Ich habe mir ein paar wenige Textstellen markiert, die ich gerne besprechen möchte, aber trotzdem wird es so sein, als würde ich diese Textstellen aus dem Zusammenhang herausreißen. Das ist ja eigentlich bei jedem Buch so, aber bei diesem schmerzt es mich besonders... .


Wie aus dem Klappentext zu entnehmen ist, beginnt der Ich-Erzähler und Protagonist namens Erwin Sommer von seinen Eheproblemen und von der Zeit, in der die Ehe gut funktionierte, zu berichten. Eine negative Veränderung, besetzt durch Streitereien über belanglose Dinge, brachte die Ehe ins Wanken. Seine Frau Magda sucht für die Eheprobleme die alleinige Schuld bei ihrem Mann. Desweiteren stellten sich schlechte Geschäfte ein. Erwin Sommer war selbständig und betrieb ein Landesproduktgeschäft, das durch einen selbstverschuldeten Fehler rote Zahlen schreiben ließ.


Erwin Sommer litt schwer unter diesem Fehler, desweiteren klagte er über ein mangelndes Selbstbewusstsein. Mit seiner Frau über die schlechten Geschäfte zu sprechen wagte er nicht, aus Angst, es könnten schwere Vorwürfe hageln. Er sehnt sich nach Geborgenheit, nach Liebe, nach einem Schutzraum, und so verflüchtigte er sich in den Alkoholgenuss, und verfällt immer mehr dem Alkohol bis es zur Sucht ausartete. Jeder merkt ihm seine Suchterkrankung an, nur er selber nicht. Er bagatellisiert sie eher.


Seine Frau Magda wird von einem Mitarbeiter ihres Mannes, ein Kaufmann,  über die schlechten Geschäfte unterrichtet, und so nimmt Magda das Geschäft in die Hände und bucht später Erfolge ab... . 


Erwin Sommer selbst gerät immer mehr in den Strudel des Alkohols und dadurch in die Kriminalität. Flieht von zu Hause, sucht sich in einem Russenviertel eine Bleibe, wo er selbst auch hinterlistig betrogen und beraubt wird... . Erwin Sommer kommt in den Knast, da er seiner Frau einen Mord angedroht hatte und sie diese zur Anzeige brachte. Erwin dagegen hatte eine Mordswut auf seine Frau, die ihm Ärzte und Psychiater auf den Hals hetzte, die ihn wegen der Alkoholkrankheit in eine Heilanstalt einliefern wollten. Doch Erwin konnte fliehen... . 


Erwin Sommer wird kurze Zeit darauf von der Polizei gefasst und kommt in Untersuchungshaft wegen Mordandrohung an seine Frau. Hier in den Gefängnishallen hört die Menschlichkeit auf... . Hier wird Erwin Sommer nur noch SOMMER gerufen, den HERR verschluckten die Wärter und das medizinische Personal. Erwin gibt sich große Mühe, versucht sich im Knast zu bewähren, damit er wieder rauskommt, damit sie ihn in die Heilanstalt einweisen, die er als das kleinere Übel glaubte, bis ihn ein Gefängnisinsasse eines Besseren belehrte:

"Was geschieht dir nun? Erst kommst du auf sechs Wochen in die Anstalt zur Beobachtung auf deinen Geisteszustand. Denkst du, die Anstalt ist besser als ein Kittchen? Schlechter ist sie! Alles Drum und Dran ist genau wie hier, Fressen und Arbeit und Wachtmeister, aber du bist nicht mehr mit vernünftigen Menschen zusammen, sondern mit lauter Idioten! Und dann gibt der Arzt sein Gutachten ab, und du kriegst den Paragraphen 51, und das Verfahren gegen dich wird eingestellt. Aber du wirst für geisteskrank und gemeingefährlich erklärt und deine dauernde Unterbringung solcher Heilanstalt angeordnet, und da sitzt du, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre, kein Hahn kräht nach dir, und langsam bist du unter all den Idioten auch ein Idiot. Das ist es ja aber wohl auch, was sie von dir wollen. Wie du mir erzählt hast, hat deine Alte viel fürs Geschäft übrig; dann tut sie das Geschäft und alles, was dir gehört. Du bist dann bloß noch ein armer entmündigter Trottel, und wenn sie dir zu Weihnachten ein Stück Kuchen und eine Rolle Priem schickt, so ist das schon viel…"

Erwin Sommer bekommt es mit der Angst zu tun und bemüht sich nun nicht mehr um Positivpunkte. Er will im Knast bleiben, doch es gelingt ihm nicht, und wird in die Pflege- und Heilanstalt eingewiesen. Was sein Gefängsniskamerad über diese Einrichtung erzählte, stellte sich später als Wahrheit heraus. Von 56 Insassen gibt es keine sechs, die wieder in die Freiheit entlassen werden sollten. 

Mich hat besonders dieser Bereich interessiert. Glücklicherweise hat sich ja mittlerweile viel geändert. Aber ein Alkoholismus wurde damals mit Diebstahl... gleichgesetzt. Die Menschen wurden entmündigt, und selbst Ärzte hatten starke Vorbehalte gegenüber den Insassen, die immer im Unrecht zurückgelassen wurden. Erwin Sommer bettelt seinen behandelten Klinikarzt an:
"Immer war ich anständig, Herr  Medizinalrat, lassen Sie mich wieder unter anständigen Menschen leben. Geben Sie mir eine Chance…"
Die damalige Einrichtung ist mit der heutigen Forensik zu vergleichen, aber die Inhalte, Konzepte haben sich zu Gunsten der Insassen verbessert. Früher gab es keine Sozialarbeiter und Psychologen, die diese Menschen in Haft / auf Station begleitet hatten.
Viele Insassen glaubten, nach der Strafe in die Freiheit zurückkehren zu können, aber man brachte sie in dieses Krankenhaus mit Strafanstaltscharakter (...). Ihre Zurechnungsfähigkeit war vermindert, es fehlten ihnen die notwendigen Hemmungen, sie waren eine Gefahr für die Gemeinschaft: Die Pforten der >Heil< Anstalt schlossen sich hinter ihnen für immer. Hier gibt es Mörder, Diebe, Sittlichkeitsverbrecher, Urkundenfälscher, religiös Wahnsinnige. Die meisten von ihnen verbüßten erst eine längere oder kürzere Strafe ehe sie hierherkamen.

Die Patienten wurden unterernährt und dadurch brachen viele Krankheiten aus. Ich bekam auch als Leserin den Eindruck, dass man diesem Teil der Gesellschaft keine hohe Lebenserwartung gönnte. Viele Patienten erkrankten tatsächlich schwer durch die Mangelernährung. Viele erlagen ihrer Krankheit. Diese Leute wurden nicht mehr wie Menschen behandelt, sondern eher wie unreife Wesen, die entmündigt wurden:



Ich habe auch beobachtet, dass meine Mitkranken, auch die stumpferen, gerne auf dieses >Sie< reagierten. Es gemahnte sie an die Zeit, dass sie noch Menschen waren, wenn niemand ihnen jeden Schritt befahl, jeden Bissen zuteilte, sich am frühen Abend wie kleine Kinder ins Bett schickte. (…) Irgendwelche Gefühle wurden an einem Erkrankten oder Sterbenden nicht verschwendet, und soviel ist richtig, dass unser Oberpfleger ein harter Mann war, der Sentimentalitäten nicht kannte. Die meisten Kranken schienen ihm unnütze Geschöpfe, die doch zu nichts mehr gut waren. Es war schon besser, sie verschwanden von dieser Erde. Und leider hatte er damit nicht einmal  Unrecht.

Erwin Sommer vermisste bei der Anrede das Sie. Als ein Mitpatient ihn Mit Herr Sommer anredete, fühlte er eine Wohltat:

Herr Sommer und >Sie<, das tut mir gut.
Haben wir es auch Falladas Bücher zu verdanken, dass sich hier im Laufe der Zeit auch eine deutliche Wende abzeichnen konnte? (Psychiatrie Ènquete 1970er Jahre).

Zu dem Krankheitsbild eines Alkoholikers möchte ich nicht allzuviel sagen, Fallada kann darüber besser schreiben als ich... . Aber es ist ziemlich differenziert und so ist es vielfach auch in der Realität. Auch Erwin Sommer brauchte lange Zeit, ehe er sich eingestehen konnte, dass er tatsächlich süchtig ist. Seine widrigen Umstände suchte er mehr im Außen als bei sich selbst. Und auch unter seinen Mitpatienten, so waren alle anderen die Kranken, nur er selbst nicht. Völlige Fehleinschätzung, völlige Verzerrung der Selbstwahrnehmung, keinerlei Krankheitseinsicht:



Ich war etwas anderes als die andern Kranken, ich war völlig gesund und hatte alle Aussicht, bald wieder in die Freiheit zu kommen - dieses kleine Wort >Sie< war wie eine letzte Erinnerung an das bürgerliche Leben, in das bald zurückzukehren ich so ersehnte. (…) Schuld-?! Dachte ich. Was habe ich denn Für eine Schuld?! Die bisschen Bedrohung-(...) Für eine Bedrohung kriegt man höchstens ein Vierteljahr! Das ist gar nichts, das kann man überhaupt nicht rechnen! Sie aber machen sie ein Riesensums daraus, sie schleppen mich ins Gefängnis und Heilanstalt, sie neben mir das > Herr< vor meinem Namen Sommer, Wasser geben sie dir als Fraß, und sie veranstalten Verhöre mit mir, als sei ich ein Muttermörder und der letzte der Menschen!
Seine Frau Magda dagegen zeigte auch keinerlei Einsicht, was sie in der Ehe falsch gemacht haben könnte, und schiebt alles in Form einer Tirade auf ihren Mann ab, der sowieso recht labil ist und kaum Selbstwertgefühl besitzt.

Die Gesellschaft, tja auch dort findet Erwin Sommer keinen Halt, auch nicht in seine Alkohol-Göttin aus einer Kneipe, die er regelmäßig besucht, meist wenn er Stütze sucht.


Die Justiz selbst und das Personal der verschiedenen Einrichtungen zeigten sich auch voller Vorbehalte, so nach dem Motto, einmal Täter immer Täter. Einmal Trinker, immer Trinker. 


So, ich mache jetzt hier Schluss. Was den Trinker angeht, so kommen mir keinerlei Gedanken auf, dass Erwin Sommer recht geschieht... , denn so etwas kann wirklich jedem passieren.  

Wegen der Authentizität, die echt gelungen ist, gebe ich dem Buch zehn von zehn Punkten. Auch deshalb zehn, weil die Schilderungen und Personenbeschreibungen recht differenziert dargestellt wurden und es nicht nur einen Täter oder ein Opfer gab. Irgendwie waren sie alle Täter und manche waren beides, Opfer und Täter zugleich:



  1. Erwin Sommer
  2. Magda Sommer
  3. Die Justiz
  4. Die Gesellschaft
  5. Wächter und weiteres Gefängnispersonal
  6. Die Anstalten
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 75
Gelesene Bücher 2011: 86




Freitag, 19. Oktober 2012

Hans Fallada / Der Trinker


  • Taschenbuch: 291 Seiten
  • Verlag: Aufbau Taschenbuch; Auflage: 2 (23. Mai 2011)
  • 9,99 €
  • ISBN-10: 3746627915




Klappentext
Untergang eines KleinbürgersIn gut zwei Wochen, bis zum 21. September 1944, schrieb Fallada seinen persönlichsten Roman nieder. Zu der Zeit lebte er auf richterlichen Beschluss für dreieinhalb Monate in der Strelitzer Landesanstalt. Vorangegangen war ein Streit mit seiner geschiedenen Frau, bei dem Fallada einen ungezielten Schuss aus seinem Terzerol abgab. „Solange ich schreibe, vergesse ich die Gitter vor dem Fenster“, teilte er seiner Mutter in einem Brief mit. Umgeben von kranken Kriminellen, Wärtern und Pflegern, selten ungestört, schrieb Fallada nicht nur den Roman, sondern noch fünf Erzählungen und seine Sicht auf die Nazizeit nieder. Um das Manuskript zu schützen, tarnte er es durch Unleserlichkeit: fertige, eng beschriebene Manuskriptblätter stellte er auf den Kopf und schrieb in den Zwischenräumen zurück. Mitunter wiederholte er den Vorgang, so dass die Seiten wie mit einer Geheimschrift bedeckt erschienen. In monatelanger Entzifferungsarbeit wurde der Roman nach Falladas Tod im Aufbau-Verlag rekonstruiert. In dieser Fassung erschien er als Lizenzausgabe 1950 im Rowohlt-Verlag, 1953 im Aufbau-Verlag.


Autorenportrait
RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit "Der junge Goedeschal“. Der vielfach übersetzte Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“ (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938). 
»Alles in meinem Leben endet in einem Buch.«
Mit dem letzten Zitat fühle ich mich in meiner Beobachtung bestätigt, dass alle Falladas Bücher starke autobiografische Züge aufwiesen. Nur bei den Kinderbüchern möchte ich mir kein Urteil erlauben.

Von Fallada habe ich einige Bücher gelesen und viele aber auch noch nicht. Der Aufbau Verlag hat Fallada wieder neu entdeckt, indem er nach und nach immer mehr Fallada - Bücher aufgelegt hat. Einige Bücher hatte ich vor einem Jahr noch nicht bekommen, mittlerweile, wie mir dies aus der Bestellliste im aufbau Verlag deutlich geworden ist, sind sie wieder zu erwerben. Na, dann werde ich meine Fallada-Liste noch weiter ergänzen.


Sándor Márai / Die Glut (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre 

Ich habe das Buch nun durch, und ich habe es als ein wenig langatmig empfunden von den Gedanken des Protagonisten Henrik, der auch zugleich ein Monologist für mich ist. Er stellt Fragen, beantwortet sie sich auch selbst, dazu zählen auch Fragen, die andere Personen betreffen. Beim Lesen dieser Monologe bekam ich das Gefühl, ich besteige einen Berg. Viele Gedankengänge wiederholten sich.

Es sind viele Fragen gewesen, die den Sinn des Lebens betreffen, die Treue einer Freundschaft, über Gut und Böse, Einsamkeit und Fragen über die Wahrheit. Zum Schluss fand ich eine Antwort, was das Wesentliche im Leben ist. Es ist die universelle Liebe, die gelebt werden will.

Zu Beginn des Romans erfährt man viel über die Kindheit des Protagonisten namens Henrik, der aus einer Adelsfamilie stammt und in einem Schloss lebt. Henrik schien mir ein recht sensibles Kind zu sein, das viel Liebe benötigte, und nur seine Amme Nini in der Lage war, sie ihm zu schenken, obwohl man Henriks Eltern nicht als Rabeneltern bezeichnen kann. Im Gegenteil, sie waren sehr um ihr Kind wohlwollend bemüht. Der Vater, z.B. schien mir recht sympathisch, als Henrik später, im Alter von zwölf Jahren, einen Kameraden im Internat kennengelernt, mit dem er eine feste Freundschaft eingeht. Er berichtet seinem Vater von dem Freund Kónrad und der Vater erwiderte ihm:
"Wenn Kónrad dein Freund ist, Henrik, dann ist er auch mein Freund".
Das fand ich sehr schön.

Obwohl zwischen den beiden Knaben ein Standesunterschied besteht, sind diese beiden Jungen die Freundschaft eingegangen. Konrád kommt aus einer ärmeren Schicht. Die Eltern mussten jeden Cent zusammensparen, damit Kónrad eine gute Ausbildung erhält...

Und trotzdem schien mir zwischen den beiden Jungen etwas Unheimliches und Geheimnisvolles zu geben, was sich im Fortlauf des Romans auch bestätigen ließ. Selbst Henrik nahm an der Freundschaft etwas Geheimnisvolles wahr:
Und wären wir keine Freunde gewesen, wäre ich nicht anderntags in deine Wohnung gegangen, in die du mich nie eingeladen hattest, wo du das Geheimnis wahrtest, das Böse, unverständliche Geheimnis, das unsere Freundschaft vergiftete.
Kónrad gab sich nicht ganz der Freundschaft hin, was Henrik ihm später, nach fünfundvierzig Jahren des Wiedersehens, vorwirft. Zum Beispiel gab Kónrad Henrik den Standesunterschied deutlich zu spüren... .

Nach 45 Jahren sucht Henrik Konrad wieder auf und so beginnt hier ein aufklärendes Gespräch für Henrik...Kónrad ist eher der aktive Zuhörer.

Im erwachsenen Alter lernt Henrik Christina kennen, eine Musikerin. Auch Konrad ist musisch begabt. Ebenso Henriks Mutter. Manchmal spielten sie zu dritt und Henrik fühlte sich ausgeschlossen, und beneidete Konrad, dass er ein Musikinstrument beherrschen würde und in Sphären abtauchen könne, die ihm verschlossen bliebe. Auch Henrik verhielt sich ein wenig geheimnisvoll, neidete seinem Freund die Musik.

Und so glaubt Kónrad, nicht zu den Adligen dazuzugehören und schließt sich selber aus, während Henrik sich ausschließt, weil er keinen Zutritt in die Musikwelt fnden kann, und empfindet nur noch Hass für die Musik.

Christina wurde Henriks Frau... . Aber aus dem Monolog geht hervor, dass Kónrad auch in Christina verliebt war, Christina sogar Henrik mit Kónrad betrogen hatte, und Konrad diese Affaire in die Flucht schlug, wanderte aus in den Tropen, weit weg von Christina. Er hatte sich von Henrik nicht mal verabschiedet.

Ob Christina ihn tatsächlich betrogen hatte, wird später nicht wirklich bestätigt, ist aber sehr wahrscheinlich. Kónrad beantwortet die Frage nicht und auch das Tagebuch von Christina, in dem die Wahrheit stehen könnte, und das sie nach ihrem Tode zurückgelassen hatte, blieb verschlossen und wurde dem Feuer übergeben, da auch hier Kónrad keinen Einblick darin wünschte, als Henrik ihn angeboten hatte, das Tagebuch gemeinsam mit ihm zu lesen, um die Wahrheit zu erfahren. Da Kónrad ablehnte, lehnte auch Henrik ab, weshalb das Tagebuch schließlich mit dem Geheimnis im Feuer vernichtet wurde.

Nachdem sein Freund das Land verlassen hatte, zog sich in Henrik die Einsamkeit zurück. Die Freundschaft mit Kónrad erlebte er als etwas Besonderes, die man mit einer Frau nicht eingehen könne.
In meinem Haus gibt es kein Telefon, nur der Verwalter im Büro unten hat eins, und ein Radio hab ich auch nicht, denn ich habe verboten, dass man den dummen, schmutzigen Lärm der Welt in die Zimmer lässt, in denen ich wohne. Mir kann die Wahrheit nichts mehr anhaben. Neue Weltordnung mögen die Lebensform aufheben, in der ich geboren wurde und gelebt habe, aufrührerische, aggressive Kräfte mögen die Freiheit und Leben nehmen. Es ist alles gleichgültig. Wichtig ist, dass ich mit der Welt, die ich erkannt und auf meinem Leben ausgeschlossen habe, nicht feilsche.
Kónrad wird dagegen von Henrik als ein Feigling bezeichnet, der Weltflucht betreibt, und sich nicht den Problemen stellt, und stattdessen wichtige Tugenden, wie z.B. die Freundschaft, aufgibt. Zeigte sich enttäuscht darüber, von dem Freund verlassen geworden zu sein. Er stellt sich auch hier die Frage, was Freundschaft letztendlich sei und  denkt an seinen Vater zurück, der die Freundschaft mit Ehre und Dienst gleichsetzen würde.
Gemeinsame Interessen können zwischenmenschliche Situationen schaffen, die der Freundschaft gleichen. Und auch um der Einsamkeit zu entfliehen, lassen sich die Menschen gern zu Vertraulichkeiten hinreißen, die sie später allerdings bereuen, die ihnen aber eine Zeitlang als Spielarten der Freundschaft erscheinen mögen. Das alles ist natürlich nicht das Wahre. Vielmehr stellt man es sich so vor - mein Vater tat es noch; dass die Freundschaft ein Dienst ist. Wie der Liebende, so erwartet auch der Freund keinen Lohn für seine Gefühle. Er will keine Gegendienste, er sieht den Menschen, den er als Freund erwählt hat, nicht in einem illusorischen Licht, er sieht seine Fehler und akzeptiert ihn mitsamt allen Folgen. Das wäre die Idee. Und hätte es ohne eine solche Idee einen Wert zu leben, Mensch zu sein? Und wenn ein Freund versagt, weil er kein richtiger Freund ist, darf man dann seinen Charakter, seine Schwäche anklagen? Was ist eine Freundschaft wert, in der man den anderen für seine Tugenden, seine Treue, seine Beständigkeit liebt? Was sind die Arten von Liebe wert, die mit Treue rechnen? Ist es nicht unsere Pflicht, den treulosen Freund genauso zu akzeptieren wie den treuen, der sich aufopfert? Ist nicht das der wahre Gehalt einer jeden menschlichen Beziehungen, diese Selbstlosigkeit, die vom anderen nichts, rein gar nichts fordert und erwartet? Umso weniger er erwartet, je mehr er selbst gibt? Und wenn er dem anderen das Vertrauen einer ganzen Jugendzeit schenkt und dann die Opferbereitschaft eines ganzen Mannesalters und am Schluss das höchste, das ein Mensch dem anderen geben kann, nämlich das blinde, bedingungslose, leidenschaftliche Vertrauen, und wenn er dann sehen muss, dass der andere treulos und gemein ist, darf er dann aufbegehren und Rache wollen?
Mir gefällt dieses Zitat recht gut, aber es ist voller Anklage gegen den Freund, weshalb ich es verwunderlich finde, dass Kónrad darauf kaum reagiert, hat doch auch er seine Versionen über sein Leben.
Was die Theorie zur Liebe betrifft, so fokussieren die meisten Menschen ihre Gedanken meist auf die partnerschaftliche Liebe. Ich finde es schön, dass die zwischenmenschliche Liebe in diesem Buch auch ihren Platz bekommen hat.

In dem Monolog wird auch viel von der Wahrheitssuche gesprochen und habe dazu eine Textstelle markiert, die ich auch gerne festhalten möchte:
Die Tatsachen sprechen, wie man zu sagen pflegt; gegen Lebensende schreien die Tatsachen ihre Geständnisse lauter heraus als die Angeklagten auf der Folterbank. Am Ende ist alles geschehen, und das lässt sich nicht missverstehen. Doch zuweilen ist die Tatsachen nur armselige Folgeerscheinung. Man macht sich nicht mit dem schuldig, was man tut, sondern mit der Absicht,  die hinter diesem Tun steckt. (...) Ein Mensch kann  eine Treulosigkeit, eine Gemeinheit, ja auch das Schlimmste, einen Mord, begehen und dabei schuldlos bleiben. Die Handlung ist noch nicht die Wahrheit. Sie ist immer nur eine Folge, und wenn man eines Tages als Richter auftreten und ein Urteil sprechen muss, darf man sich nicht mit den Tatsachen auf dem Polizeirapport begnügen, man muss auch das kennen, was die Juristen das Motiv nennt.
Teilweise ist das Buch ein wenig abstrakt, aber es ist Stoff genug, um den Gedanke im Stillen weiterzudenken. Der Mensch muss Erfahrungen machen, und diese Erfahrungen sind letztendlich wertneutral. Ich denke, dass Henrik mit seiner Philosophie seinen wirklichen Frieden gefunden hat.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 74
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Sándor Márai / Die Glut





Gebunden, Miniformat
224 Seiten
10,00 €
ISBN: 9783492272773


Klappentext
Darauf hat Henrik über vierzig Jahre gewartet: Sein Jugendfreund Konrád kündigt sich an. Nun kann die Frage beantwortet werden, die Henrik seit Jahrzehnten auf dem Herzen brennt: Welche Rolle spielte damals Krisztina, Henriks junge und schöne Frau? Warum verschwand Konrád nachjenem denkwürdigen Jagdausflug Hals über Kopf? 


Autorenportrait
Sándor Márai wurde 1900 in Kaschau (heute Košice, Slowakei) geboren. »Die Schwester«, 1946 verfasst und publiziert, war der letzte Roman, der in seiner Heimat erschien. 1948 verließ Márai Ungarn, exilierte nach Italien und lebte zwischen 1952 und seinem Freitod im Jahre 1989 im amerikanischen San Diego. Zuletzt erschienen auf Deutsch seine Romane »Befreiung« und »Die Schwester«.
Nur ein kurzer Kommentar, eine Buchbesprechung liefere ich im separaten Link nach dem Lesen der Lektüre:

Ich habe nun das Buch bald durch, und kann mich eigentlich mit dem, was im Klappentext steht, nicht wirklich anfreunden. Eigentlich geht es hier um die wahre und unwahre Freundschaft zwischen zwei Jungen, später Männer, doch der Klappentext hat den Fokus auf eine Liebesgeschichte gesetzt. Die gibt es zwar auch, aber sie steht nicht primär im Vordergrund. 





Dienstag, 16. Oktober 2012

Anchee Min / Madame Mao (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Ich habe das Buch soeben beendet und es hat mir ganz gut gefallen. Hauptsächlich auch weil ich von Maos Frau so noch gar nichts wusste. 

Ich habe Mao in der Familie nicht so brutal erlebt wie in der Gesellschaft. Er hatte durchaus warme und väterliche Züge, aber die hatte Hitler ja auch... . Maos Politik wurde viel von Hitlers Politik abgeguckt... . Erstaunlich, dass Politiker dieser Art nicht nur etwas Abschreckendes haben, sondern für manch Andere gelten diese als Vorbild, weil sie selbst mit solchen zerstörerischen inneren Potentialen behaftet sind. 


Das Buch beginnt mit einem Prolog, endet aber nicht mit einem Epilog. 


Der Prolog wird in der Ich-Perspektive von Madame Mao gesprochen, siehe dazu weiter unten im Blog - Post  "Buchvorstellung".


Nach dem Prolog wechseln sich ErzählerIn und Protagonistin ab, um das Leben der Madame Mao darzustellen.

Diesen Schreibstil fand ich nicht uninteressant aber doch gewöhnungsbedürftig, weil man immer wieder springen musste, von der Madame Mao zur Erzählerin und umgekehrt.

Ich nenne sie hauptsächlich Madame Mao, da sie schon so viele Namen gewechselt hat, was in China üblich ist, Identitäten zu wechseln. Vor Mao nannte sie sich Lan Ping.


Auf den ersten einhundertfünfzig Seiten erfährt man ausschließlich über die Kindheit und Jugendzeit der Protagonistin, die alles andere als rosig war. Schon das Leben ihrer Mutter war dermaßen vorbelastet und trist, was sich in ihr Leben quasi fortsetzte. Die Mutter war nicht mehr als eine Konkubine, eine Geliebte des Vaters des Mädchens, der sie verließ und das Kind  ihn nicht einmal kannte. Hätte die Mutter einen Sohn geboren, wäre die Wahrscheinlichkeit größer gewesen, von dem Mann nicht verstoßen zu werden. Und so wurde es schwierig für die Mutter, für sich und für das Kind zu sorgen.


Das Leben einer Frau in China war keineswegs einfach. Viele Männer rächten sich an ihren Frauen, wenn sie ihnen keinen Sohn geboren haben, so auch die Mutter von der Madame Mao. In China gibt es ein Sprichwort, das sich hauptsächlich Frauen zu Herzen nehmen. Frauen sind wie Gras und nur dazu da, damit man auf sie drauf tritt. 


Lan Ping, die 1919 zur Welt kam, war schon als Kind irgendwie etwas Besonderes, indem sie anfing, sich gegen sinnlose Bräuche und Traditionen aufzulehnen. Im Alter von zwei Jahren bereitete ihre Mutter sie vor, ihre kleinen Mädchenfüße in ein für Mädchenfüße vorgesehenes, schmerzehaftes Raster zu stecken, um das Wachstum zu verhindern. Die Kinderfüße waren über mehrere Wochen quasi eingesperrt. Das Mädchen wehrte sich und befreite sich eigenmächtig von der Qual. Die Tortour sollte die Füße klein halten und Symbol dafür sein, dass die zukünftige Frau bereit sei auf ein demutsvolles Laben als Ehefrau, und als Mutter ... .


Lan Ping verlor nach ein paar Jahren den Kontakt zur Mutter, da sie nicht mehr in der Lage war, sich und das Kind zu ernähren. Das Kind wurde den Großeltern übergeben, während die Mutter die Familie verließ.


Als das Kind über die Art und Weise erfährt, wie ihre Mutter ihr Geld verdient, denkt sie recht abfällig von ihr. Erst Jahre später entwickelt sie der Mutter gegenüber Mitgefühl, als sie selbst an der eigenen Haut zu spüren bekommt, wie schwer es Frauen in der chinesischen Gesellschaft haben zu existieren.



Ich weine mitten in einem Akt. Was unterscheidet mich von den Prostituierten auf der Straße.? Solche Gedanken kommen mir dabei. Ich habe meiner Mutter Unrecht getan. Ich dachte immer, ihr Leben sei verpfuscht, weil sie etwas falsch gemacht hat. Jetzt weiß ich, dass eine Frau alles richtig machen kann, und ihr Leben ist trotzdem verpfuscht.

Nach dem etwas aus der Kindheit geschildert wurde, erfahre ich recht viel über ihr Liebesleben. Sie ging vier Ehen ein, die vierte war die mit Mao. Sie war ein Leben lang auf der Suche nach Liebe, nach Wertschätzung und nach Anerkennung:


1930 fühlt sie sich als Pfau unter Hühnern. Ihr Leben ist der Beweis. Manchmal, sagt sie sich, muss man sich in einen Hühnerstall stecken lassen, um Wertschätzung und Anerkennung zu finden.

Ich finde diese Bilder so schön, diese Vergleiche empfinde ich als recht ausdrucksstark. 

Die junge Frau möchte Schauspielerin werden und gibt alles, was sie nur geben kann. Sie erhält kurzfristig die Hauptrolle von Ibsen Nora oder Ein Puppenhaus. Sie identifiziert sich mit Nora, spielt dadurch ihre Rolle ausgezeichnet. Sie vergleicht China mit Torvald, sieht jede Menge Parallelen. Torvald, der Ehemann von Nora. Er infantilisiert Nora, liebt sie nicht wie eine Ehefrau, sondern mehr wie eine Tochter. Er verniedlicht sie oft und macht sie von sich abhängig  Nora will sich von dieser Abhängigkeit befreien, und sehnt sich danach, gleichberechtigt als Frau neben ihm zu stehen. Wenn man das Theaterstück kennt, kann man diesen Vergleich Torvald zu China ziemlich gut nachvollziehen, und ich finde, dass der Vergleich tatsächlich gut gewählt ist. 


Bald ist "Nora oder Ein Puppenhaus" Stadtgespräch in Shanghai. Das Stadtgespräch des Jahres 1935. Lan Ping lässt sich von der Woge ihres Ruhms tragen und beginnt sich der Filmindustrie anzunähern. Aber sie ist dort nicht erwünscht. Es ist ein anderer Kreis, eine andere Clique. Sie muss wieder bei Null anfangen. Tagsüber sieht sie sich nach Möglichkeiten beim Film um, abends spielt sie die Nora. Das Publikum wächst, und die Regierung fühlt sich durch die politische Wirkung des Stücks bedroht. Nach vier Wochen wird der Theaterintendant von der Zensurbehörde aufgefordert, die Aufführung zu entpolitisieren. Als er die Truppe zum Protest aufruft, wird das Stück abgesetzt.In einem offenen Brief kritisiert die Truppe das Vorgehen der Regierung. Lang Pings Unterschrift steht an erster Stelle. Mit gleicher Leidenschaft, im gleichen Ton wie auf der Bühne spricht sie im Rundfunk und auf Kundgebung. Sie nennt die Regierung "Torvald".

Später werden diese Vergleiche noch weiter bekräftigt, als Lan Ping  Mao Zedong zu ihrem Mann nimmt. Noch immer war Lan Ping auf der Suche nach Liebe und Anerkennung und sehnte sich nach der Macht ihres Mannes, wollte als politische Frau neben ihm stehen und mitagieren, doch außer väterliche Gefühle konnte er sie nicht zu seiner politischen Partnerin machen. Doch diese väterliche Gefühle reichten ihr vorerst voll und ganz aus, später dagegen fühlte sie sich nicht mehr wirklich befriedigt und als Frau ignoriert. 


Er ist eine Vaterfigur für mich. Er ist alles, was ich mir immer von einem Mann gewünscht habe. Als Vater ist er weise, liebevoll und Respekt einflößend. Als ich ihn fragte, warum er sich entschlossen hat, mich zu heiraten, lautete seine Antwort, dass ich einen Hahn dazu bringen könnte, Eier zu legen. (…) Später, viele Jahre später wird mir klar, dass er lieber mit der Fälschung lebt als mit dem Original. Als junge Frau aber war ich schlicht und begeisterungsfähig. Ich muss nicht alles verstehen diesen Gott, dessen Wesenskern außerhalb meiner Reichweite liegt.

Die Manipulationen an das Volk verstärken sich immer mehr. Wenn ein Gefolterter stirbt und die Wächter nicht haben das erwartete Geständnis herauspressen können, so hieß es, den Geist des Toten zu weiter foltern.
Bei den Lebenden war Maos Ziel, den Geist des Volkes zu tätowieren. Auch hier finde ich die Vergleiche recht ausdrucksstark. 

Eigentlich ist die Philosophie Maos gar nicht so schlecht,  nur wenn sie dogmatisch und diktatorisch wird, ist es kriminell. Der Hintergrund seiner Ideen war nichts anderes, als Bauern und Arbeiter mit den Reichen gleichzustellen und ihnen die gleichen Rechten zugestehen. Sie sollten für ihre harte Knochenarbeit gegenüber den Akademikern auf Lohnebene nicht weiter benachteiligt werden.



Mao startet eine Kampagne mit Hilfe der Medien. Die Kulturrevolution muss ein Seelen-Reinigungsprozess sein (...). Die alte Ordnung muss abgeschafft werden. Ein Arbeiter sollte kostenlos in die Oper gehen können; der kranke Sohn eines Bauern sollte  die gleiche medizinische Behandlung bekommen wie sein Provinzgouverneur; ein Waisenkind sollte die beste Ausbildung erhalten; Alte und Behinderte sollten in den Genuss kostenloser ärztlicher Versorgung kommen.

An an diesen Ideen finde ich nichts Anstößiges auszusetzen. Nur leider hat sich Mao verkalkuliert und Akademikern zu seinen Feinden gemacht. 

Doch sowohl die Bauern, als auch die Arbeiter wurden durch seine Macht immer ärmer und Akademiker hat er versucht auszurotten, wenn sie  in Arbeitslagern nicht umzuerziehen waren. Große Vorurteile herrschte zwischen den Arbeitern, Bauern zu den Akademikern. Die Arbeit der Akademiker wurde nicht als Arbeit verstanden. Diese Vorurteile findet man noch heutzutage auch in europäischen Gefilden. Geistige Arbeit wird auch heute noch von vielen Menschen nicht als Arbeit verstanden. Maos Vater war selbst Bauer und sehr autoritär. Mao besuchte nicht lange die Schule und eignete sich später vieles autodidaktikisch an. Neidisch auf die Bildung der Gebildeten? Neidisch auf deren Löhne und Gehälter? Große Vorbilder fand Mao in Marx und Lenin... . Im Folgenden ein Beispiel, wie Mao zu Büchern steht:



Ich nehme solche Bücherwürmer nicht all zu ernst (…). Was kennen solche Leute schon? Wörterbücher? Was ist ein Wörterbuch anderes als eine Ansammlung von Seiten voller toter Wörter? Können sie Reisschößlinge von Unkraut unterscheiden? Bücherwurm kann jeder werden, aber Koch oder Metzger nicht! Ein Buch hat keine Beine, man kann es jederzeit auf- oder zuklappen. Ein Schwein hat Beine, mit denen es laufen, und eine Stimme, mit der es schreien kann. Der Metzger muss es einfangen und Schlachten. Der Koch muss aus dem stinkenden Fleisch einen leckeren Braten machen. Das sind echt Talent.

Madame Mao bezeichnet den Diktator als ein wissenschaftlicher Analphabet. Auch dieser Vergleich finde ich gut.
Nach ein paar Jahren fühlt sich Lan Ping (Madame Mao) in der Ehe mit Mao nicht mehr ausgefüllt. Sie hungert nach Macht. Sie sehnt sich danach, Chinas stärkste Frau zu sein. Mao verweigert sich noch immer, sie als politisierende Partnerin dem Volk vorzustellen. 


Er liegt mit geschlossenen Augen da. Sie redet weiter. Beschreibt ihre Gefühle - dass sie sich vorkommt wie unter Wasser; ihr Herzschlag bildet Ringe an der Oberfläche. Dass sie nicht weiß, was aus der Liebe geworden ist, für die sie lebt. Sie redet und redet, als müsste sie zusammenbrechen, wenn sie aufhört. Ich bin ein sterbender Same in einer Frucht. Alle sind höflich zu mir, weil ich deine Konkubine bin. Eine Konkubine - keine Revolutionärin, keine Soldatin, nichts dergleichen. Deine Leute haben keinen Respekt vor mir. Ich bin alles, und doch bin ich nichst. Ich bin dir wie ein Hund gefolgt. Mehr habe ich nicht zu bieten. Mein Körper und meine Seele sind dein Rastplatz.

Madame Mao war an sich kein böser Mensch, denn auch sie brachte einige Menschen in die Folterklammer, wenn bestimmte Personen sie als ihre Rivalen sah... Rivalen, die ihr das Glück zerstören hätten können, etwas, was sie nie besaß. Autorität und Anerkennung. Macht. Macht setzte sie mit Liebe gleich. Sie war ein Leben lang auf der Suche nach Liebe, und ist niemals gesättigt worden. Sie hat die Erziehung ihrer Tochter vernachlässigt  weil sie selbst als ein bedürftiges Wesen zu sehr mit sich beschäftigt war. Auch vom Volk wollte sie geliebt werden, da Geliebtsein für sie gleichgesetzt war mit Gefühlen der Anerkennung und der Wertschätzung. Liebe hatte einen hohen Preis, den man nicht selbstlos erhielt, aber sie erhielt die Liebe auch nicht durch Kampf, den sie ein Leben lang führte.


Menschen, die als Kinder nicht mit Liebe genährt wurden, bleiben größtenteils ein Lebenlang suchende Wesen. Viele verlagern ihre Suche nach außen hin, suchen unbewusst einen Mutter- oder Vaterersatz. Die wenigstens gehen nach innen, um sich selbst Mutter oder Vater zu werden, auch um im Inneren eine eigene Quelle der Liebe zu finden. Wer diese Quelle im  Inneren  findet, wird nicht mehr enttäuscht werden, während die Liebe im anderen Menschen gesucht keine Garantie für Beständigkeit ist. Der liebende Mensch im Außen bleibt immer unberechenbar. 
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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