Donnerstag, 25. Juli 2013

Hanns Josef Ortheil / Das Kind, das nicht fragte (1)

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Eine überaus kritische Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Dienstag, 23.07.2013, 18:41 Uhr

Das Buch langweilt mich. Ich hatte den Klappentext vor dem Kauf nicht gelesen. Hätte ich machen sollen. Und wieder versucht ein Deutscher ins Ausland zu reisen, mit der Voreingenommenheit, das Land an seinen Maßstäben zu zu messen, das dadurch als rückständig bezeichnet wird, während der Deutsche natürlich als der Weiterentwickelte erscheint, der weiß, was richtig und was falsch ist. Ich verachte solche Bücher. Habe heute dann mal ein paar Leserberichte zu dem Buch gesucht und ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine da, wenn auch die Mehrheit von dem Buch recht angetan ist. Aber ich bin nicht die Mehrheit und möchte auch nie zu der Masse dazugehören. Ich lese ein Buch mit dem Weltbild, das ich in meinem Kopf habe, so wie es andere mit ihrem Weltbild auch tun. Mein Weltbild ist bunt, differenziert zu Land und Leute und nicht so schwarz weiß, á la; hier die Guten, dort die Bösen, hier die Klugen, dort die Dummen.

Hoch zu Ross bereist der Ethnologe und Protagonist des Romans ein Dorf tief unten in Sizilien. Ich weiß immer so ziemlich genau, was und wie der Protagonist zu gewissen Themen sich mental verhalten wird, ich kann die Szenen dort auch sehr gut voraussehen. Man kennt ja schließlich die Klischees, die hier im Lande so herrschen bezogen auf südliche Länder Europas und diese spiegeln sich auch in diesem Buch wieder.
Ziemliche banale Themen, für einen Ethnologen, nach meinem Begriff viel zu banal und alltäglich. Einfach nur trivial. Die Details dazu sind dem Buch zu entnehmen.
Was ich allerdings genieße, ist die Einfachheit des Schreibstils. Hilft mir, ins Lesen wieder reinzukommen, nach dem ich aus stressbedingten Gründen meinen Lesefluss verloren hatte.

Donnerstag, 25.07.2013, 21:21 Uhr
Ich habe selbst während meines Studiums Feldstudien betrieben und habe dabei gelernt, dass man als ForscherIn wertneutral an die Menschen heranzugehen hat. Das ist der Protagonist nach wie vor nicht. Er ist ziemlich überheblich und genießt es von allen auf der Insel umworben zu werden. Perfektes Auftreten, perfekte Arbeit, ein Meister der Einfühlsamkeit, der Menschenkenner a priori. Natürlich sagt er das nicht zu sich selbst, aber er lässt dies durch seine Figuren aussprechen, mit der Ausnahme:
Meine Forschungen in Madlinca werden (...) ein Jahrhundertwerk geben.
Mit dieser Aussage kann man erkennen, wie sehr der Protagonist von sich eingenommen ist. Doch so banal, wie er seine Studien betreibt, wird sein Meisterwerk schnell wieder aussterben.

Er interviewt den Bürgermeister, und zieht in seinem Kopf die Antworten ins Lächerliche, als der Bürgermeister dem Ethnologe seine Gedanken und Ideen zur kulturellen Weiterentwicklung Mandlinca äußerte, die Kultur weiter voranzutreiben, die eine Vorreiterrolle in Sizilien und in Europa habe:
"Sie sind Jurist?" frage ich. 
"Ja, in der Tat", antwortet er und lächelt zum ersten Mal.
"Das klingt alles fantastisch", sage ich (und meine es absolut wörtlich).
"Ja", antwortet er, "es ist ein ehrgeiziges Programm."
"Wie viel Zeit werden Sie brauchen?"
"Wir haben uns einen Zeitraum von fünf Jahren gegeben."
"Das klingt vernünftig und realistisch" und gebe mir Mühe, nicht zu lachen.
Wenn der Ethnologe einen Sizilianer interviewt, dann immer mit Hintergedanken, witzelt über ihn, zieht ihn gedanklich ins Lächerliche.

Ich finde, das ist dem Ethnologen nicht gelungen, Distanz zu wahren und das eigene Urteil über Menschen zurückzustecken. Dass sich auch auf Sizilien diverse gesellschaftliche Veränderungen vollzogen haben, das scheint an dem Autor vorbeigegangen zu sein. Italien ist schon lange kein Land mehr, das als kinderreich bezeichnet werden kann. Es ist das geburtenschwächste Land innerhalb der EU, dann folgt Spanien und erst an dritter Stelle steht Deutschland. Frauen sind lange nicht mehr nur an den Herd, an Kindererziehung und an Kirche gebunden, doch der Autor scheint auch diese Entwicklung verpasst zu haben. Mein Wissen dazu habe ich nicht aus dem Bereich der Belletristik, sondern aus diversen Fachbüchern, in denen verschiedene Studien zu der gesellschaftlichen Entwicklung Italiens nach zu lesen waren. Wer die Quelle zu den verschiedenen Büchern genannt bekommen möchte, kann mir gerne eine eMail schicken. Ich möchte jetzt hier nicht die ganzen Bücher auflisten.

In dem Buch von Ortheil hatte der Protagonist bis auf Seite 200 nur zwei Frauen interviewt und das sind Deutsche, die nach Italien eingewandert sind. Mit diesen deutschen Frauen hatte der Ethnologe eine freundschaftliche Beziehung entwickelt und sich auch noch in eine von den beiden Schwestern verliebt. Und dann ist es ganz klar, dass diese zwei Frauen nichts Gutes mit den ItalienerInnen erlebt haben... .
 Italiener gibt es in dem Buch hauptsächlich, Männer, die er interviewen kann, da die Männer das Dorf übervölkern. Und so vermittelt er mir den Einruck, dass die Frauen nur in der Kirche sein können oder sie stehen am Herd. In Wahrheit ist es keineswegs so, dass auf der Piazza nur Männer zu sehen sind. Ich finde dieses Buch mehr schlecht als recht, und da fragt man sich, wer hält an verkrusteten Denkgewohnheiten fest?

Ein Beispiel: seiner banalen Themen:

 Der Ethnologe interviewt die deutsche Hotelbesitzerin namens Maria, die zusammen mit ihrer Schwester Paula als junge Frauen eine Reise in den Süden machte und schon am ersten Tag verliebt sich eine von den beiden in den Sizilianer Lucio und sind dadurch auf der Insel geblieben. Und nun das Interview:
Der Ethnologe: "Damals, als ihr beide, Paula und Du, Lucio kennengelernt habt, sind Dir seine Pullover aufgefallen. Was war so merkwürdig an diesen Pullovern?"
Sind das nicht, ironisch gefragt, intelligente Fragen?

Hat nicht jeder Mensch eine besondere Eigenart und auch ein Recht auf Persönlichkeit??

Er beschreibt diese beiden deutschen Frauen als intelligent und weltoffen, während die SizilianerInnen eher nicht in diese Kategorie passen. Das liest sich aus dem Kontext heraus. Später geht dies ganz direkt aus dem Text hervor. Ich spare mir die Zitate.

Man merkt dem Autor an, dass er nur Laie ist und kein echter Ethnologe.

Ortheil nimmt sich das Recht heraus, Sizilien nicht mit Italien zu vergleichen... . Was für ein Blödsinn.

Jedes Land hat seine Ressourcen, und nicht nur Schwächen.

Ich werde das Buch nun abbrechen, habe mehr als die Hälfte durch, und es hat sich alles bewahrheitet, was ich von Anfang an schon vermutet habe. Kein Gedanke war mir fremd, alles erwies sich mir als voraussehbar. Bin ich jetzt die Menschenkennerin?

Der Ethnologe nennt sich Benjamin Merz, hat noch vier um einige Jahre ältere Brüder, die ihn alle bevormunden. Benjamin, der Kleine, zieht sich als Junge immer mehr in sich selbst zurück, schweigt, redet kaum etwas und lässt äußerlich alles über sich ergehen und flieht aber in seine Innenwelt. Er erleidet dadurch ein Kindheitstrauma, das er selbst als Erwachsener noch nicht überwunden hat. Noch als Erwachsener wird er von seinen Brüdern weiterhin bevormundet, noch immer wird muss er such den Kosenamen "Kleiner" über sich ergehen lassen, und flieht schließlich nach Italien, auf die Insel Sizilien, ein Dorf namens Mandlica und stellt dort entsetzt fest, dass ihn seine Vergangenheit einholt und er immer wieder an Personen gerät, die sich ihm verschließen. Mandlica scheint ein Fantasiename zu sein.
Benjamin ist der einzige von seinen Brüdern, der keine Familie gegründet hat und hat auch so kaum Kontakt zu Frauen. Wenn er von einer Frau oder mehrere Frauen emotional - sexuell überzeugt ist, dann geht er platonische Hochzeiten mit diesen ein.

Ein wenig naiv, muss ich sagen, als er davon spricht, und seine vielen mentalen Frauen als real angibt. Ich halte das ganze Buch für total unreif und wenig überzeugend.

Ich habe den Eindruck gewonnen, Merz projiziert seine Minderwertigkeitskomplexe auf die Sizilianer. Sich hervorheben, andere dadurch erniedrigen, zeigt, was Merz selbst für ein abstruses verstecktes Selbstbild von sich hat.
Dadurch, dass das Buch teilweise als autobiographisch deklariert wurde, sehe ich in Merz den Autor, der wohl noch immer an sein Kindheitstrauma zu beißen hat. 

Das Buch erhält von mir vier von zehn Punkten!

Es gibt keine Zeit, in der nichts geschieht, denn geschähe nichts, gäbe es keine Zeit.
(E. Strittmatter)

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