Samstag, 31. August 2013

Thomas Hardy / Die Woodlanders (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist ein gesellschaftskritischer Liebesroman gewesen, den ich mit Spannung verfolgt habe. Hat mich ein wenig an Die Buddenbrooks erinnert, in der Beziehung zwischen Toni Buddenbrook und dem Medizinstudenten, den sie auf Travemünde kennenlernt. Der Vater Buddenbrook war gegen diese Verbindung, da der Medizinstudent nicht in seine Kreise passte. Toni wurde zu der Heirat eines wohlhabenderen jungen Mannes angehalten. Mit väterlicher Liebe sprach der Vater stark auf Tonis Gewissen ein und sie dadurch manipulierte, als sie schließlich die Heirat zu dem Mann, den sie nicht liebte, zustimmte, um es ihrem Vater recht zu machen. 

Nicht anders auch in diesem Buch. Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:

Als die junge Grace Melbury nach der Schulausbildung heimkehrt aufs Land, ist sie für ihre einstige Liebe, den einfachen Waldarbeiter Giles Winterborne, eine Nummer zu groß. Zudem fühlt sich Grace zu dem feinen Dr. Edred Fitzpiers hingezogen – darin nach Kräften von ihrem Vater unterstützt. Giles beginnt um sie zu kämpfen. Thomas Hardys Roman von 1887, vielgerühmt in seiner englischen Heimat, ist für die deutschen Leser noch zu entdecken. Er schildert eine scheinbar wohlgeordnete kleine Welt, die zwischen leidenschaftlichem Begehren und sozialen Schranken in Aufruhr gerät.

Wobei ich nicht alles, was im Klappentext steht, unterschreiben könnte... . Grace Melbury fühlt sich nicht wirklich zu Dr. Edred Fitzpiers hingezogen. Sie liebt eigentlich seit ihrer Jugend Giles Winterborn, wird aber von ihrem Vater beeinflusst, lieber den Doktor zu heiraten. Grace lässt sich beeinflussen und zeigt wenig Widerstand, auf ihre Jugendliebe zu verzichten, nur damit sie in bessere Kreise gerät. Mr. Melbury liebt seine Tochter über alles, erst recht, nach dem er seine erste Frau, die Mutter von Grace, durch einen Todesfall schon recht früh verloren hatte. 

Als Grace die höhere Mädchenschule beendet, geht sie wieder aufs Land zurück und hofft, sich mit Giles zu verloben. Das war auch das Anliegen ihres Vaters, bis schließlich ein vornehmer Herr, Arzt von Beruf, sich beruflich auf Little Hintock niederlässt. Graces Vater ist von der Vornehmheit des Mannes so völlig angetan, und versucht nun seine Tochter die Verlobung mit Giles auszureden, als er schließlich zu Graces Stiefmutter spricht: 
Ich weiß, Grace wird nach und nach wieder auf unsere Ebene herabsinken und unsere Manieren und Redeweise annehmen und eine schläfrige Zufriedenheit fühlen, Giles Frau zu sein. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sich ein so hoffnungsvolles Mädchengeschöpf, wie es nur je gelebt hat, auf diese alte Ebene herabzerren soll - wo sie eine Zierde für jeden Palast wäre und ich mir so viel Mühe gegeben habe, sie emporzuheben. Stell dir vor, wenn ihre weißen Hände jeden Tag älter werden und ihre Zunge beim Reden ihren hübschen binnenländlichen Schnörkel verliert und ihr hüpfender Gang zu dem üblichen Hintocker Schlurf- und Torkelschritt wird! (98)
Grace geht nicht in die Offensive, und beugt sich den Wünschen ihres Vaters, lässt sich verlocken, eine vornehme Dame zu werden, einmal durch die Schulbildung, die sie erfahren hat und ein weiteres Mal durch die Heirat mit einem Gentleman, der auf einer höheren Leiter der Gesellschaftsordnung steht. 

Die erste Enttäuschung, die der Vater erfährt, als er zusammen mit seiner Tochter im Wald im Spaziergang unterwegs ist und sie einen Jäger treffen, der ein wenig grob zu Grace sich verhält, als sie in den Wald hineinruft und nicht mit gebührendem Respekt behandelt wurde. Daraufhin der empörende Vater, als er sich wieder alleine mit seine Tochter befindet:
"Er hätte nicht so zu dir sprechen dürfen!" sagte der alte Mann im Ton eines ins Herz getroffenen Mannes, wenngleich es nicht an dem auf ihn selbst angewendeten Attribut lag. "Und das hätte er auch nicht getan, wenn er ein Gentleman wäre. So redet man nicht mit einer Frau, die einigermaßen auf sich hält. Du bist so belesen und kultiviert - wie konnte er von dir erwarten, dass du Hussa schreist wie ein Bauerntrampel! Hat es mich nicht fast hundert im Jahr gekostet, dich aus dem allem herauszuheben, und der Nachbarschaft ein Beispiel zu zeigen, was eine Frau werden kann? Grace, soll ich dir das Geheimnis verraten? Es lag daran, dass ich bei dir war. Wäre statt meiner ein Gutsbesitzer oder Pfarrer im schwarzen Rock mit dir gegangen, hätte er nicht so gesprochen. (104)
Es kommt noch dicker. Mr. Melbury verlangt von seiner Tochter, wenn sie den Gentleman zum Manne genommen habe, dass sie ruhig auf der Straße ihren eigenen Vater verleugnen solle, um ihre Herkunft nicht zu verraten. Der Vater ist zwar wohlhabend, aber von Beruf ist er "nur" ein Holzhändler:
"Wir sind genauso lange in Hintock" erwiderte Grace zu ihrem Vater, "wie die in Oackbury waren; so ist es doch? Du sagst, unser Name taucht ständig in alten Dokumenten auf."
" O ja - als Freisassen, Lehnbesitzer und dergleichen. Aber denke doch, wie viel besser das hier für dich ist. Du lebst dann ein vornehmes, studierliches Leben, wie es für dich jetzt ganz natürlich geworden ist; und wenn der Doktor hier auch bloß eine kleine Praxis hat, sobald er richtig in Übung ist, zieht er bestimmt in eine elegante Stadt und hält eine flotte Kutsche, und du lernst eine ganze Menge Damen von bester Gesellschaft kennen. Wenn du mir dann einmal begegnen solltest, Grace, kannst du ruhig an mir vorbeifahren und wegsehen. Ich würde da nicht erwarten, dass du mit mir spricht, und es auch gar nicht wollen - es sei denn, es wäre zufällig eine einsame versteckte Stelle, wo es dich nicht herabwürdigen würde. Halte bloß nicht Menschen wie Nachbar Giles für deinesgleichen."(194)
Grace stimmt der Vermählung mit dem Doktor schließlich zu und Giles findet sich damit ab. Auch er geht nicht in die Offensive. Ich bin nicht der Meinung, Giles habe um seine Grace gekämpft, doch was hätte ein Kampf bewirkt, wo Graces Vater alle Fäden in der Hand hält? 
Und nun ist es auch der vornehme Arzt und Gentleman, der von Grace erwartet, ihre Herkunft in seinen Kreisen zu vertuschen.
"Nun möchte ich dich gern behutsam, so behutsam wie möglich, darauf hinweisen, wie wenig ratsam es wäre, so viel Aufsehen zu erregen, wenn wir Hintock verlassen und ich mich in die Praxis einkaufe, die ich zu kaufen vorhabe, in Budmouth - knapp 20 Meilen von hier. Verzeih mir, wenn ich sage, dass es viel besser ist, wenn niemand dort genau weiß, wo du her kommst, und auch nichts von deinen Eltern. Deine Schönheit und Bildung und Lebensart trägt dich überall, wenn dich nicht solche rückgreifende Kritik behindert." (200) 
Wie der Roman weitergeht und wie er enden wird, möchte ich nicht weiter verraten. Wer den Roman von Thomas Mann Die Buddenbrooks kennt, kann vielleicht ahnen, wie der von Thomas Hardy in den Abläufen sich weiter entwickeln könnte, wenn auch der Schluss ein ganz anderer ist. . 

Thomas Hardy ist es mit seinem Roman wieder einmal gelungen aufzuzeigen, wie Moral und  gesellschaftliche Zwänge das Schicksal der Menschen bestimmen. ´Die Kälte, die dadurch entsteht, wenn Menschen versuchen, diesen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden, kommt in seinem Werk recht deutlich zur Geltung. 

Ich gebe dem Buch zehn von zehn Punkten. 

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Im Leben kommt man nirgends an, man geht nur!
(Isabel Allende)


Gelesene Bücher 2013: 55
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 26. August 2013

Thomas Hardy / Die Woodlanders

Klappentext

Als die junge Grace Melbury nach der Schulausbildung heimkehrt aufs Land, ist sie für ihre einstige Liebe, den einfachen Waldarbeiter Giles Winterborne, eine Nummer zu groß. Zudem fühlt sich Grace zu dem feinen Dr. Edred Fitzpiers hingezogen – darin nach Kräften von ihrem Vater unterstützt. Giles beginnt um sie zu kämpfen. Thomas Hardys Roman von 1887, vielgerühmt in seiner englischen Heimat, ist für die deutschen Leser noch zu entdecken. Er schildert eine scheinbar wohlgeordnete kleine Welt, die zwischen leidenschaftlichem Begehren und sozialen Schranken in Aufruhr gerät.

Autorenportrait aus Wikipedia
Der Sohn eines Baumeisters ging nach der Architektenlehre nach London. 1867 kehrte er nach Dorset zurück und begann, neben seiner Arbeit als Kirchenrestaurator zu schreiben. 1871 erschien der erste seiner berühmten „Wessex“−Romane, die alle in seiner heimatlichen Umgebung angesiedelt sind. 1878-1881 lebte er wieder in London, ab 1883 wieder in Dorchester. Hardy hinterließ ein umfangreiches Werk, darunter 14 Romane, viele Kurzgeschichten mit sehr unterschiedlichem Umfang und fast 1.000 Gedichte. Die Veröffentlichung von Jude the Obscure verursachte einen Skandal, nach dem er sich entschloss, keine Romane mehr zu schreiben. Nach 1895 schrieb er nur noch Gedichte.Hardys Geburtshaus „Hardy’s Cottage“ in Higher Bockhampton, in dem er bis zum 35. Lebensjahr gewohnt hat und das spätere Wohnhaus „Max Gate“ in Dorchester sind im Besitz des National Trust.Das Spektrum der Werke Hardys reicht von der realistischen und detailreichen Schilderung des Landlebens bis hin zur Darstellung des Unerwarteten, Außergewöhnlichen, Verdächtigen, vom Tragischen bis zum Humorvollen. Dabei versucht er Sentimentalitäten zu vermeiden. Oft bedient er sich des Tons der mündlichen Erzählung, beispielsweise in A Tradition of Eighteen Hundred and Four (in Wessex Tales).

Von Thomas Hardy habe ich Herzen im Aufruhr gelesen, das mir sehr gut gefallen hat. Bin nun auf das folgende Buch gespannt.



Sonntag, 25. August 2013

Isabel Allende / Fortunas Tochter (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir ganz gut gefallen, auch wenn dieser Band nicht zu den besten zählt, die ich bisher von der Autorin gelesen habe.
Aber was typisch für Allendes Bücher ist, sind immer die politischen Hintergründe. Sie behandelt eine englische Familiengeschichte, die sich Mitte des 19. Jahrhundert abspielt. Familie Sommers, bestehend aus drei Geschwistern, die von England nach Chile eingewandert sind, um dort ein neues Leben zu beginnen.

Zur Erinnerung im Folgenden noch ein mal der der Klappentext:
Fortunas Tochter erzählt die bewegte Geschichte der Eliza Sommers, einer lebenshungrigen jungen Frau, die zwischen zwei Kulturen lebt und einen abenteuerlichen Weg geht. Als chilenisches Findelkind in der Obhut einer englischen Familie aufgewachsen, bricht sie, kaum 17jährig, aus ihrer wohlbehüteten Welt aus und stürzt sich auf der Suche nach ihrem Geliebten in die Wirren des kalifornischen Goldrauschs.


Wobei ich warnen möchte: Es trägt sich nicht alles so zu wie im Klappentext geschrieben steht, möchte aber nichts vorwegnehmen, da ich Überraschungen in Büchern überaus liebe und gehe davon aus, dass es andere LeserInnen auch tun.

Den Buchtitel fand ich ein wenig verwirrend, konnte wenig damit anfangen, lässt viele Interpretationen zu, war mir nicht ganz schlüssig.

Das Ausgangsthema habe ich mit großem Interesse verfolgt, als das Leben des Findelkindes Eliza Sommers´ erzählt wird, und die Erzählung mit einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte endet, jedoch nicht so, wie das Buch einen erst erwarten lässt. Wobei das Buch keine Erzählung im herkömmlichen Sinne ist... Eigentlich lese ich keine Liebesromane, wobei das vorliegende Buch auch kein typischer Liebesroman ist. Es geht hier viel um Menschenrechte, Rassismus und um Mädchenhandel Chinas und Kaliforniens. Allendes Figuren kämpfen auch hier um politische Rechte, Freiheit und um Gleichberechtigung der Geschlechter und der vielen unterschiedlichen Menschen anderer Hautfarben. Typisch sind auch transzendente Erlebnisse in Form von Geistersehen und Wahrträume... .

Eigentlich hatte ich gedacht, Eliza begibt sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter, um ihre Identität zu finden, da sie von den Erwachsenen von Kind auf unterschiedliche und widersprüchliche Geschichten über ihre Herkunft erzählt bekommen hat. Etwas wird dem Kind aber tatsächlich verschwiegen. Ein tiefes Geheimnis, das nicht mal in der Familie Sommers allen bekannt ist.

Im Alter von sechzehn Jahren verliebt Eliza sich in einen sehr armen chilenischen Jungen namens Joaquín Andieta, mit dem sie hinter dem Rücken ihrer Adoptivmutter Miss Rose ein starkes Liebesleben führt, das Mutter Rose strikt abgelehnt, da ein Chilene partout nicht erwünscht ist. Sie hegte mit Eliza ganz andere Heiratspläne... .Joaquín Andieta verlässt Eilza und seine Mutter, um als Goldgräber nach Kalifornien zu reisen, um sich und seine Mutter aus der Armut zu holen. Eliza, siebzehnjährig, begibt sich von Chile nach Kalifornien, um ihren Geliebten zu suchen, ohne irgendwelche Anhaltspunkte, wo sich ihr Geliebter aufhält. Eine absurde Weltreise, die ich mir so schlecht ausmalen konnte. Diese unreife Aktion kam mir vor wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Auch in diesem Buch haben Frauen einen schlechten Stand, für die damalige Zeit wohl normal. Es gibt kein Land, in dem alle Menschen gleich behandelt wurden, das macht uns Allende immer wieder bewusst. Indios, Chilene, Mädchen / Frauen, Arme, Bauern, Schwarze... jeder verhält sich gegen irgendwen seines Gegenübers rassistisch. In Chile und China nicht anders als in Kalifornien, in dem der Rassismus auf der einen Seite noch stärker grassierte, auf der anderen Seite zählte Kalifornien zu einem Bundesstaat der unbegrenzten Möglichkeiten, und man dort, wenn man über gute Begabungen verfügte, die man einbringen konnte, besser lebte als im Herkunftsland, wie z.B. China, wo arme Familien ihre Mädchen zum Verkauf anboten... . Es hatte aber den Preis, sich der anderen Kultur zu unterwerfen, sich zu assimilieren, wenn man von den Nordamerikanern nicht verstoßen werden wollte... .

Am besten hat mir die Beziehung zwischen Eliza und dem chinesischen Arzt und Matrose Tao Chien gefallen. Wie sich die beiden begegneten und wie sie zueinander finden, fand ich gut beschrieben.

Ich mache nun hier Schluss und verweise Weiteres auf das Buch... .
Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten.
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Im Leben kommt man nirgends an, man geht nur!
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 54
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 19. August 2013

Isabel Allende / Fortunas Tochter

Klappentext

Fortunas Tochter erzählt die bewegte Geschichte der Eliza Sommers, einer lebenshungrigen jungen Frau, die zwischen zwei Kulturen lebt und einen abenteuerlichen Weg geht. Als chilenisches Findelkind in der Obhut einer englischen Familie aufgewachsen, bricht sie, kaum 17jährig, aus ihrer wohlbehüteten Welt aus und stürzt sich auf der Suche nach ihrem Geliebten in die Wirren des kalifornischen Goldrauschs.

Autorenportrait

Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. 


Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.

Von der Autorin habe ich eine ganze Reihe von Büchern gelesen:

Das Geisterhaus
Das Portrait aus Sepia
Die Insel unter dem Meer
Die Stadt der wilden Götter
Mayas Tagebuch

Mir haben alle Bände gut gefallen, der beste Band allerdings war mir Die Insel unter dem Meer. Isabel Allende ist mit ihren 71 Jahren nicht mehr jung, aber ich ich hoffe, dass sie noch viele, viele Jahre leben wird, damit sie noch viel Zeit bekommt, weitere Bücher zu schreiben.


Sonntag, 18. August 2013

Khaled Husseini / Tausend strahlende Sonnen (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Wieder ein männlicher Schriftsteller, der sich mit dem Schicksal der Frauen seines Heimatlandes befasst. Es ist ihm gelungen...
Das Buch ist super gut geschrieben. Ich mag ausländische AutorInnen, die über ihr Land schreiben, mehr als wenn deutsche AutorInnen über andere Länder schreiben, da die meisten sich recht einseitig, klischeehaft und stereotypisch sich auslassen. In diesem Buch erlebe ich Afghanistan recht differenziert. Auf jeden Fall bin ich dem Autor dankbar für dieses Buch, da es mir hilft, Vorurteile abzulegen und mehr Mitgefühl für die dortigen Menschen zu entwickeln, die man keineswegs alle als rückständig bezeichnen kann. Ich habe das Buch als eines der besten ausländischen Bücher, die ich bisher gelesen habe, erlebt. Ich werde mir von dem Autor noch weitere Bücher besorgen.

Das Buch hat mich so tief bewegt, dass ich gar nicht weiß, ob ich darüber überhaupt schreiben möchte. Man muss das Buch selbst gelesen haben, jede Zeile, jede Seite. Oftmals haben mich Szenen stocken lassen, mich aufblicken lassen, weil ich nicht weiter lesen konnte, so sehr hatte es mich beschäftigt.


Es ist nicht so, dass alle Menschen, die aus einem islamischen Land kommen, rückständig sind. Man kann auch mit einem Glauben modern sein. In dem Buch gibt es so viele unterschiedliche Menschen, wie sie in jedem anderen Land auch zu finden sind. Am häufigsten findet man eher die einfachen Menschen, die sklavisch an Traditionen festhalten, doch auch hier kann man überhaupt nicht pauschalisieren.

Zur Erinnerung hier noch einmal der Klappentext:
Die unehelich geborene Mariam wird mit fünfzehn ins ferne Kabul geschickt, wo sie mit dem dreißig Jahre älteren Witwer Rashid verheiratet wird. Zwanzig Jahre später erlebt Leila, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ein ähnliches Schicksal. Auch ihr bleibt keine Wahl: Nachdem ihre Familie bei einem Bombenangriff getötet wurde und sie erfährt, dass auch ihr Jugendfreund Tarik, den sie seit gemeinsamen Kindertagen liebt, angeblich ums Leben gekommen ist, wird sie Rashids Zweitfrau. In dem bis dahin kinderlos gebliebenen Haushalt bringt Leila nacheinander eine Tochter und einen Sohn zur Welt.Während der Taliban-Herrschaft machen Bombardierungen, Hunger und physische Gewalt das Leben der Familie zur Qual. Die Not lässt die an sich so unterschiedlichen Frauen zu engen Freundinnen werden und ihre Stärke schließlich ins Übermenschliche wachsen.
Die politische Lage, s. Klappentext, fand ich recht gut dargestellt und hat mich zum Nachdenken bewegt. Interessant, wie Mudschahiddins nicht nur das Leben der Frauen diktierten, sondern auch das der Männer. Wie so oft in einer Regierung, die sich gegen die Menschenrechte richtet, war auch hier Kultur nicht erlaubt und viele Kulturschätze wurden zerstört, wie z.B. Bücherverbrennung, Museen demoliert und geschlossen, TV- und Kinoverbot... Afghanistan galt als eines der reichsten kulturellen Länder der Welt. Es galt als ein Land der Dichter und Denker, und es war reich durch verschiedene Künste und der Architektur... .

Dem Menschen wurden Kleiderverordnungen aufgezwängt, sowohl Männern als auch Frauen... In der Öffentlichkeit war sogar das Lachen verboten. Was muss das doch für ein verbitterter Gott sein, der es nicht erlaubt, dass Menschen glücklich leben?

Die Richter fand ich interessant, indem sie sich Gott vorstellten und glaubten, im Namen Gottes Urteile aussprechen zu können. Frauen sind hier die größten Verlierer, s. Buch, da sie als geistig minderwertige Wesen bezeichnet wurden, obwohl viele Frauen in der Wissenschaft tätig waren. Die Richter hatten sich auf wissenschaftliche Studien der westlichen Welt berufen...
 Mädchen machen sich allein durch die Geburt schon schuldig. Nicht Neues, das weiß man alles, was man aber nicht immer weiß, ist, dass es in diesen Ländern viele Menschen gibt, die mit dem System nicht konform gehen... .  Es gibt viele Menschen, die sich gegen so ein System auflehnen und damit ihr Leben gefährden.

Viele Frauen tragen die Burka, nicht, weil sie von dem Glauben überzeugt sind, sondern um sich zu schützen, wenn sie aus dem Haus gehen.. Einigen mir bekannten Fällen gelang sogar durch die Verschleierung die Flucht... .

Im Anhang findet man sogar ein Interview mit dem Autor. Desweiteren sind dem Buch noch Arbeitsmaterialien für Lesekreise beigefügt.

Ich mache hier nun Schluss und gebe dem Buch zehn von zehn Punkten.
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Man kann selbst dann anderen Menschen etwas schenken, wenn man nichts zu verschenken hat.
(Walter Zweig an seine Tochter)

Gelesene Bücher 2013: 53
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Mittwoch, 14. August 2013

Khaled Husseini / Tausend strahlende Sonnen

Klappentext

Die unehelich geborene Mariam wird mit fünfzehn ins ferne Kabul geschickt, wo sie mit dem dreißig Jahre älteren Witwer Rashid verheiratet wird. Zwanzig Jahre später erlebt Leila, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ein ähnliches Schicksal. Auch ihr bleibt keine Wahl: Nachdem ihre Familie bei einem Bombenangriff getötet wurde und sie erfährt, dass auch ihr Jugendfreund Tarik, den sie seit gemeinsamen Kindertagen liebt, angeblich ums Leben gekommen ist, wird sie Rashids Zweitfrau. In dem bis dahin kinderlos gebliebenen Haushalt bringt Leila nacheinander eine Tochter und einen Sohn zur Welt.
Während der Taliban-Herrschaft machen Bombardierungen, Hunger und physische Gewalt das Leben der Familie zur Qual. Die Not lässt die an sich so unterschiedlichen Frauen zu engen Freundinnen werden und ihre Stärke schließlich ins Übermenschliche wachsen.




Khaled Hosseini gelingt es wie beim Drachenläufer auf unvergleichliche Weise, seine Figuren so lebendig und authentisch werden zu lassen, dass der Leser sie lange nicht vergisst.

Autorenportrait

Khaled Hosseini wurde 1965 in Kabul, Afghanistan, geboren. Er ist das älteste von fünf Kindern eines Diplomaten und einer Lehrerin. 1976 zog seine Familie nach Paris, wo sein Vater eine Stelle in der Botschaft Afghanistans übernahm. 1980 sollte ihn der diplomatische Dienst wieder nach Afghanistan zurückführen. Doch zu diesem Zeitpunkt befand sich das Land, nach einem blutigen kommunistischen Staatsstreich, im Krieg mit den sowjetischen Invasoren. Khaled Hosseini und seine Familie erhielten 1980 politisches Asyl in den Vereinigten Staaten und zogen nach San Jose in Kalifornien. Nach Abschluss der San Diego Universität lebt Kahled Hosseini heute als Arzt in Nordkalifornien. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. 

Sein erster Roman Drachenläufer erschien in 40 Sprachen mit einer Weltauflage von 12 Millionen Exemplaren und wurde 2007 mit großem Erfolg von Marc Forster verfilmt.

Gelesen habe ich von dem Autor noch nichts, ist mir aber durch ein Kinofilm Der Drachenläufer bekannt. Auf das hiesige Buch bin ich neugierig.

Dienstag, 13. August 2013

Stefanie Zweig / Nirgendwo war Heimat (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe das Buch nun durch und bin ganz angetan davon. Das Buch besitzt so viel Seele, dass ich nur staunen kann. Das Kind Stefanie Regina Zweig hat mich von ihrer Persönlichkeit her stark an Anne Frank erinnert... . Das Buch hat mich tief bewegt. So viel Liebe, so viel Intelligenz, so viel Achtung sich und anderen Menschen und Kulturen gegenüber, so viel Mut, so viel Fantasie und so viel Menschlichkeit, zusammengefasst so viel innerer Reichtum war in der ganzen Familie Zweig zu finden, trotz der vielen existentiellen Umstände und der traumatischen Erlebnisse, die ihnen der Nationalsozialismus bescherte. Doch besonders die kleine Regina war eine Besonderheit an Kind... .

In dem Buch sind alle Korrespondenzen festgehalten, die die Familie Zweig während ihres Exils in Afrika durchlaufen sind. Zur Erinnerung hier noch einmal der Klappentext:




»Ich bin fest entschlossen zu vergessen, wer ich war, was ich gelernt habe und was ich kann«, schreibt Walter Zweig am 3. Januar 1938 seiner Frau Jettel. »Ich verspreche Dir, ich werde keine Chance ungenutzt lassen, um Fuß zu fassen in einem Land, von dem ich im Augenblick nur weiß, dass die Menschen dort schwarz sind.« Als Jettel diesen Brief liest, ist sie in Breslau und in Todesangst, ihr Mann unterwegs nach Mombasa. Im letztmöglichen Moment gelingt es ihm, seine Frau und seine fünfjährige Tochter Steffi nach Kenia zu holen. Stefanie Zweig hat die Menschen, die Farben, die Düfte und Tiere, die ihre Kindheit zu einem Erlebnis machten, nie vergessen können, aber auch nicht die Härte, Hoffnungslosigkeit und Not, die das Leben ihrer Eltern belasteten. Die Großeltern und Tanten, die nicht rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten, hat sie nie wiedergesehen. Tortz aller Verfolgung kehrt Walter Zweig 1947 in das Land zurück, das er immer noch als Heimat empfindet. Er wird in Frankfurt am Main zum Richter berufen und ein Jahr später Rechtsanwalt. Es ist die Zeit von Trümmern, Hunger und Not, aber auch von Hilfsbereitschaft, Hoffnung und Träumen. Steffi ist nach einem Jahr in Frankfurt so unterernährt, dass sie in die die Schweiz geschickt wird. Ihre Gasteltern, deren Kunstsinn und Bilder bestimmen ihr Leben ebenso wie in ihrer Kindheit die Farm am Fuße des Mount Kenya. Ihrem Vater hat sie, der Liebe wegen, nie gestanden, dass ihr Herz in Afrika geblieben ist. In einem bewegenden Epilog schildert Stefanie Zweig die Zeit von 1948 bis heute. Sie erzählt mit Humor, Distanz und Leidenschaft von Liebe und Schmerz, vom Journalismus, der für sie berufliche Erfüllung wurde, von späten Erfolgen und frühen Erkenntnissen, von den Rosen und Dornen des Lebens.
Flüchtlinge wurden in Afrika als Refugees bezeichnet. Die noch dreiköpfige Familie Zweig waren somit keine Deutschen mehr, sondern Refugees.

In Kenia hat die Familie versucht, sich als Farmer eine neue existentielle Grundlage zu schaffen. Für einen Juristen, der es gewohnt ist mit dem Kopf zu arbeiten, kein leichtes Unterfangen. Aber immer mit der zurückgelassenen Familie wie Eltern und Geschwister im Herzen.
Unser Deutschland ist tot. Es hat unsere Liebe mit Füßen getreten. Ich reiße es mir jeden Tag aufs Neue aus dem Herzen. Nur unser Schlesierland will nicht weichen. Wilhelm Kohler würde hier Karriere machen. Mechaniker nennen sich Ingenieure und finden schnell Arbeit. Wenn ich jedoch behaupten würde, ich sei zu Hause Justizminister gewesen, würde mich das auch keinen Schritt weiter bringen. Dafür habe ich meinen Boy Owuor beigebracht, "ich hab´ mein Herz in Heidelberg verloren" zu singen. Wenn einer so viel Mühe mit jedem Wort hat wie er, dauert das genau viereinhalb Minuten und eignet sich wunderbar als Eieruhr." :). (94) Brief von Walter Zweig an seine Frau Jettel.
Humor haben die Zweigs nicht verloren, hat ihr Überleben auf einem anderen Kontinent mit möglich gemacht, wie man noch im folgenden Zitat nachlesen kann. Es geht um Jettel, Walter Zweigs Frau, die sich auf der Farm erst ordentlich eingewöhnen musste. Keine Abendveranstaltungen, keine Abendkleider mehr, sondern das Leben total auf das Einfachste reduziert, so beschreibt ihr Mann Walter brieflich an seine FreundInnen Ruth und Heini die Problematik seiner Frau:
Liebe Ruth! Lieber Heini! Habt Ihr nicht Lust, uns wieder mal zu besuchen? Es wäre ein Euphemismus zu behaupten, dass Jettel die Decke auf den Kopf fällt, denn bekanntlich hat mein Arbeitgeber mir das Holz für die Zimmerdecken in unserer Villa verweigert. Also haben wir nur ein Dach, und durch das regnet es, sobald die erste Wolke pinkelt. (186)
Die kleine Steffi Zweig, erst acht Jahre alt, geht auf ein englisches Internat, da es weit und breit in der Hausnähe keine andere Schule gibt und lernt mit den schweren schulischen Bedingungen umzugehen. Judenkinder wurden zwar toleriert, waren aber nicht wirklich willkommen. Die Engländer bezeichnenden die Juden als Anhänger Hilters. Welch eine bittere Ironie. Denn wegen Hitler mussten die Refugees ihr Land verlassen, wenn sie überleben wollten. Stefanie schafft es trotzdem, sich dort zu sozialisieren und wird Klassenbeste. Regelmäßig schreibt sie nach Hause an die Eltern und umgedreht die Eltern an das Kind. Steffi ist von ihrer neuen Lehrerin ganz angetan:
Wir haben eine neue Klassenlehrerin. Sie heißt Miss Blandford fort und ist sehr schön. Sie mag Kinder (auch Juden). Leider ist die schon dreißig und wird also bald sterben. (164)
Wie man sehen kann, ist Alter doch sehr relativ... .

Über den Radiosender trifft den Zweigs die traurige Nachricht zu dem Suizid von Stefan Zweig, der sich in Brasilien das Leben genommen hat, obwohl er dort als Schriftsteller angesehen und beliebt war. Ein Brief eines guten Freundes an das Ehepaar Zweig:
Ich vermute, ihr habt durch den so informativen Schweizer Sender, der auf eurer Farm ja so besonders klar ist, mitbekommen, dass sich Stefan Zweig in Brasilien mit Schlafmitteln das Leben genommen hat. Seine Frau - es war seine zweite - ebenfalls. Und das, obwohl die Brasilianer ihn so geehrt und gefeiert haben und er in ausgezeichneten finanziellen Verhältnissen lebte. Wenn wir alle unsere Sehnsucht nach der verlorenen Heimat nachgeben würden, in dem wir uns bei Nacht und Nebel aus dem Leben stehlen, hätte Hitler sein Ziel erreicht. Wenigstens zu einem großen Teil. (180)
Das Ehepaar Zweig haben sich ihre Ideale bewahrt, auch in dem fremden Land, in einer völlig anderen Kultur, in der sie zehn Jahre lebte. Sie hat gelernt, über andere nicht zu urteilen, sondern alles und jeden Menschen  von zwei Seiten aus zu betrachten. Die Tochter Stefanie Zweig war mit einem reichen Innenleben gesegnet, und die Eltern besaß, die ihr Ideale vorlebten. Stefanie war kein gewöhnliches Kind, sie wirkte wie ein Kind mit einer erwachsenden Seele... , obwohl ihre Eltern schwere Krisengespräche nicht vor dem Kind besprachen, um es zu schonen, dennoch war das Kind sensibel genug, um die Nöte ihrer Eltern wahrzunehmen, das ihr Denken und Fühlen nachhaltig prägte.
Wer noch einem anderen hilft, Gutes zu tun, tut selbst Gutes.
Aus einem Brief eines Freundes an das Ehepaar Zweig. Mir hat dieser Spruch sehr gut gefallen.

Es existieren noch mehr so schöner Gedanken in den Briefen, beschränke mich aber und verweise auf das Buch, die Briefe selbst zu lesen.

Mir hat besonders gut gefallen, wie die Familie zusammengehalten hat und sie sich alle drei gegenseitig unterstützt haben. Die Unmenschlichkeit in Deutschland hat ihre Menschlichkeit bewahrt, obwohl sie Grund gehabt hätten, Menschenhass zu entwickeln.
Gute Menschen muss man besonders beschützen. Die Bösen sorgen für sich selbst (208)
In keiner Zeit, wie die Zeit einer Diktatur, war das so klar und deutlich zu definieren, was gut und was böse ist.

Hier mache ich nun Schluss und gebe dem Buch aus den oben genannten Gründen zehn von zehn Punkten.

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Man kann selbst dann anderen Menschen etwas schenken, wenn man nichts zu verschenken hat.
(Walter Zweig an seine Tochter)

Gelesene Bücher 2013: 52
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Sonntag, 11. August 2013

Stefanie Zweig / Nirgendwo war Heimat


Klappentext
»Ich bin fest entschlossen zu vergessen, wer ich war, was ich gelernt habe und was ich kann«, schreibt Walter Zweig am 3. Januar 1938 seiner Frau Jettel. »Ich verspreche Dir, ich werde keine Chance ungenutzt lassen, um Fuß zu fassen in einem Land, von dem ich im Augenblick nur weiß, dass die Menschen dort schwarz sind.« Als Jettel diesen Brief liest, ist sie in Breslau und in Todesangst, ihr Mann unterwegs nach Mombasa. Im letztmöglichen Moment gelingt es ihm, seine Frau und seine fünfjährige Tochter Steffi nach Kenia zu holen. Stefanie Zweig hat die Menschen, die Farben, die Düfte und Tiere, die ihre Kindheit zu einem Erlebnis machten, nie vergessen können, aber auch nicht die Härte, Hoffnungslosigkeit und Not, die das Leben ihrer Eltern belasteten. Die Großeltern und Tanten, die nicht rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten, hat sie nie wiedergesehen. Tortz aller Verfolgung kehrt Walter Zweig 1947 in das Land zurück, das er immer noch als Heimat empfindet. Er wird in Frankfurt am Main zum Richter berufen und ein Jahr später Rechtsanwalt. Es ist die Zeit von Trümmern, Hunger und Not, aber auch von Hilfsbereitschaft, Hoffnung und Träumen. Steffi ist nach einem Jahr in Frankfurt so unterernährt, dass sie in die die Schweiz geschickt wird. Ihre Gasteltern, deren Kunstsinn und Bilder bestimmen ihr Leben ebenso wie in ihrer Kindheit die Farm am Fuße des Mount Kenya. Ihrem Vater hat sie, der Liebe wegen, nie gestanden, dass ihr Herz in Afrika geblieben ist. In einem bewegenden Epilog schildert Stefanie Zweig die Zeit von 1948 bis heute. Sie erzählt mit Humor, Distanz und Leidenschaft von Liebe und Schmerz, vom Journalismus, der für sie berufliche Erfüllung wurde, von späten Erfolgen und frühen Erkenntnissen, von den Rosen und Dornen des Lebens.


Autorenportrait
 Stefanie Zweig wurde 1932 in Leobschütz (Oberschlesien) geboren. Im Jahr 1938 zwang die Verfolgung der Nationalsozialisten die jüdische Familie zur Flucht. Sie emigrierte nach Kenia. Dort wurde der Vater, ein Jurist, ein schlecht bezahlter Angestellter auf einer Farm im Hochland. Seine Tochter hat Kenia nie vergessen können und sie ist, wann immer sie konnte, in das Land ihrer Liebe zurückgekehrt. Im Jahre 1947 ging die Familie nach Deutschland zurück. Stefanie Zweig hat dreißig Jahre lang das Feuilleton einer Frankfurter Tageszeitung geleitet. Für ihre Jugendbücher erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Ferner hat sie es ein ganzes Leben lang nicht lassen können, sich mit den Absonderlichkeiten des Alltags zu beschäftigen. Für die in Frankfurt unvergessene Abendpost-Nachtausgabe schrieb sie jahrzehntelang Glossen und Kolumnen, die Frankfurter Neue Presse setzt diese heitere Tradition fort. Dort erscheint jeden Samstag unter dem Titel „Meine Welt“ eine Kolumne von Stefanie Zweig.
Stefanie Zweigs Romane standen wochenlang auf den Bestsellerlisten und erreichten eine Gesamtauflage von über 7 Millionen Exemplaren und wurden in fünfzehn Sprachen übersetzt. „Nirgendwo in Afrika“ wurde von der preisgekrönten Regisseurin Caroline Link fürs Kino verfilmt. Der Film gewann 2002 sowohl den Bayerischen als auch den Deutschen Filmpreis, und bekam 2003 den „Oscar“ für den besten ausländischen Film verliehen.
Mit dem Buch habe ich gestern begonnen zu lesen.

Die Autorin ist mir durch andere Werke von ihr vertraut.

Gelesen habe ich:

Das Haus in der Rothschildallee                                              
Die Kinder in der Rothschildallee          
Heimkehr in die Rotschildallee                                                
Irgendwo in Deutschland  

Mir haben alle Bücher von ihr gut gefallen.

Das obige Buch, bestehend aus der Korrespondent der Familie Zweig, lese ich auch mit großem Interesse, obwohl sich vieles durch die anderen gelesenen Werke schon wiederholt aber dadurch, dass hier sämtliche Briefe abgedruckt sind, die die Familie Zweig durch ihr Exil in Afrika an Freunden und Familie verfasst hatte, sind die Gefühle, Ängste und die Gedanken der damaligen Menschen noch authentischer geschrieben.. Ein reger Briefwechsel, den ich gerne verfolge.

Mitunter sind den Briefen noch schöne Fotografien der dreiköpfigen Zweig-Familie mit abgedruckt.


Samstag, 10. August 2013

Leo Tolstoi / Die Kreutzersonate



















Klappentext
Auf einer nächtlichen Bahnreise durch das winterliche Russland entspinnt sich zwischen wechselnden Fahrgästen ein Gespräch über Liebe, Ehe, Moral und Gesellschaft. Gegen Ende erzählt der ehemalige Gutsbesitzer Posdnyschew einem Mitreisenden vom tragischen Verlauf seiner Ehe und legt ein erschütterndes Geständnis ab: Zunehmend enttäuscht und von unbegründeter Eifersucht zerfressen hat er seiner Frau das Leben genommen. Meisterhaft setzt Leo Tolstoi die authentische Geschichte in Literatur um und entfaltet subtil das innere Drama seiner Figuren. Zugleich ist dieses bedeutende Alterswerk Ausdruck der eigenen sozialkritischen und moralischen Positionen. 

Autorenportrait
Leo Tolstoi wurde 1828 in Jasnaja Poljana als Sohn eines Grafen und Großgrundbesitzers geboren. 1847 brach er sein Studium ab, um sich um die Verwaltung des elterlichen Gutes zu kümmern. Durch Landreformen versuchte er die Situation der Leibeigenen zu verbessern. Nach Militärdienst und diversen Reisen durch Europa zog er sich schließlich nach Jasnaja Poljana zurück, wo er seine großen Romane schrieb. Tolstois lebenslange Suche nach der geeigneten Lebensform kulminierte 1910 darin, daß er seine Frau verließ, da diese nicht bereit war, sich von den gemeinsamen Besitztümern zu trennen. Er starb kurze Zeit darauf an einer Lungenentzündung.
Von Tolstoi habe ich gelesen:
Der Tod von Iwan Iljitsch
Kindheit und Jugend      
Anna Kararina vor mehr als zwanzig Jahren

Aus meinem Blog musste ich einige Titel russischer Autoren löschen, da ich mir ein Schadprogramm eingefangen hatte.
Aus diesem Grunde habe ich hier auf dieser Seite sowohl die Buchvorstellung als auch die Buchbesprechung stehen. Die separate Buchvorstellung musste ich wieder löschen.


Buchbesprechung

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Ich bewerte sie als eine Erzählung, stand zwar im Buchband nicht dabei, liest sich aber aus dem Kontext heraus. Und nicht nur das. Die Erzählung hatte einen dramatischen Hintergrund. Kann demnach zusätlich auch als Drama durchgehen.

Was typisch für Leo Tolstoi ist, er macht sich viele, viele Gedanken zur Ehe, darüber, ob die Ehe etwas taugt, macht sich jede Menge Gedanken über die Liebe, über das gesellschaftliche Verhalten dazu, s. Klappentext oben.

Ich schreibe mir die wichtigsten Szenen heraus. Im Zug treffen ein paar Fahrgäste zueinander und sie dadurch ins Gespräch kommen. Man nimmt an der Konversation über die Liebe teil. In diesem Abschnitt erlebe ich die Liebe in idealisierter Form. Ein weiblicher Fahrgast ist z.B. der Meinung, dass nur die Liebe die Ehe heiligen würde. Das klingt recht nett, doch man stellt sich automatisch die Frage, was sie unter Liebe versteht?
Die wahre Liebe... Ist diese Liebe zwischen Mann und Frau, dann ist auch die Ehe möglich. 
Die wahre Ehe nur die ist, die von der Liebe geheiligt wird. (13)
Interessant finde ich die These, wenn auch sie nicht ganz neu für mich ist, dass viele Männer sich von Äußerlichkeiten blenden lassen. Kann daraus denn wahre Liebe entstehen, die eher körperorientiert ist und der Mann sich einbildet, dass er die Frau lieben würde?
Merkwürdig, wie vollkommen die Täuschung ist, dass das Schöne und das Gute ist. Eine schöne Frau mag Dummheiten schwatzen, wir lauschen ihr und hören nichts Dummes, hören sogar Gescheites heraus. Sie spricht, sie macht hässliche Dinge, und wir sehen etwas Anmutiges darin. Spricht sie aber weder Dummes noch Hässliches und ist sie schön, gleich bilden wir uns ein, sie sei Wunder wie gescheit und tugendhaft. (27)
Die Frauen spüren jene Erwartungen der Männer und reagieren darauf:
Ihr wollt, wir sollen nur Gegenstand der Sinnlichkeit sein? Gut, wir sind ein Gegenstand der Sinnlichkeit und machen euch zu Sklaven. (35)
Ich finde schon, dass Tolstoi sehr kritisch mit dem eigenen Geschlecht umgeht. Wer kann das schon? Wer schafft es schon, sich ein paar Meter von sich selbst zu entfernen und Gedanken so objektiv zu äußern, als wäre man  davon gar nicht betroffen:
Gehen Sie alle Fabriken durch. Ein ungeheurer Teil von ihnen fertigt unnützen Schmuck, Möbel, Equipagen, Spielereien für die Frauen. Millionen von Menschen, Geschlechter von Sklaven gehen zu Grunde in dieser Galeerenarbeit der Fabriken, nur um die Launen der Weiber zu befriedigen. Wie Fürstinnen auf dem Throne halten die Frauen neun Zehntel des Menschengeschlechts in den Fesseln der Knechtschaft und schwerer Arbeit. Und alles nur, weil man sie erniedrigt hat, weil man ihnen die Gleichberechtigung mit den Männern genommen hat. Und dafür rächen sie sich, indem sie auf unsere Sinnlichkeit einwirken und uns in ihren Nutzen zu fangen suchen. (36)
Ich wusste gar nicht, dass die Frau jemals gleichberechtigt zum Manne stand.

Manchmal triften die Gedanken darüber, was wahre Liebe ist, stark ins Philosophische. Gedanken darüber, ob es sich lohne, das Menschengeschlecht aufrecht zu erhalten, bzw. es weiter fortleben zu lassen, sind auch oft Inhalt der Gespräche. Stark pessimistische Figuren sehen darin keinen Sinn.
" Warum muss es denn fortleben, das Menschengeschlecht?"
" Wie, warum? Dann wären wir doch nicht."
" Warum müssen wir denn sein?"
" Wie, warum? Nun, damit wir leben."
" Und warum leben? Wenn wir kein Ziel haben, wenn uns das Leben ward um des Lebens willen, so ist kein Grund da zum Leben." (42)
Aus meiner Sicht ist der Mensch da, um Erfahrungen zu machen. Und die Erfahrungen sind es, die zur Weiterentwicklung führen.

Der Protagonist der Erzählung ist der ehemalige Gutsbesitzer Posdynschew, der über ein sehr negatives Weltbild verfügt. Auch emotional scheint er recht unreif zu sein, aber auch dieser bekennt sich später zu seinen Handlung mit seiner Frau. Lernt aus seinen Handlungen... .

Kaum waren sie verheiratet, geriet die Frau in eine Depression, da die Ehe etwas Endgültiges dargestellt. Sich bewusst zu werden, dass man sich auf einen Mann für den Rest des Lebens festgelegt hat, kann einen mürbe machen. Wer kann schon sicher sein, dass dies gelingt? Normen und Gesetze diktieren den Menschen Regeln auf.
Was das Widerwärtigste an der Sache ist, (…) ist, dass man in der Theorie annimmt, die Liebe sei etwas Ideales, Erhabenes; in Wirklichkeit ist die Liebe etwas Gemeines, Schweiniches; von ihr zu reden, an sie zu denken ist eine Gemeinheit und eine Schande. Nicht umsonst hat die Natur es so eingerichtet, dass es gemein und hässlich ist. Weckt die Liebe aber Abscheu und Scham, so muss man sie auch so auffassen. Indessen reden sich die Menschen ein, dass das Hässliche und Unsaubere - schön und erhaben ist. (49)
Dadurch, dass der Mensch zu sehr mit Alltagspflichten behaftet ist, so habe er keine Chance, sich wirklich mit seinem eigenen Ich auseinanderzusetzen.
Wir leben in der Stadt. In der Stadt kann der Mensch hundert Jahre leben und merkt es gar nicht, dass er längst tot und verfault ist. Man hat gar keine Zeit, sich mit seinem Ich auseinanderzusetzenn -immer ist man beschäftigt. Geschäfte, geselliger Verkehr, die Gesundheit, die Künste, die Gesundheit der Kinder, ihre Erziehung. Bald muss man diesen und jenen empfangen, bald diesen und jenen besuchen; bald muss man diese sehen oder diese oder jene hören. (69)
Worauf sich in der Erzählung das Dramatische bezieht, möchte ich nicht verraten. Auf den ersten achtzig Seiten, das Büchelchen hat gerade mal 143 Seiten, wunderte ich mich noch immer über den Titel. Erst später lernt man einen Geiger kennen, der Bekanntschaft mit Posdynschews Frau macht, die selbst auch Musikerin ist, und beide eine musikalische Beziehung zu einander entwickeln, zu der Posdynschew recht eifersüchtig reagiert. Eigentlich hat mir die Erzählung erst ab hier gefallen. Das davor war mir zu intellektuell und über die Liebe zu reden empfinde ich als recht mühsam, da jeder eine andere Vorstellung davon hat. Ich bin sicher, dass es eine Liebe gibt, tief im Inneren, die frei von Zwängen ist, und die bei allen gleich ist. Diese aber kann man mit Worten nicht ausschmücken, man würde sie zerreden, aber man muss sich dort hin entwickeln können, sonst bleibt diese Form von Liebe verschüttet.
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Wir lernen auf Erden eine Menge Menschen kennen, aber am wenigsten uns selber!
(Erwin Strittmatter)

Gelesene Bücher 2013: 51
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 5. August 2013

Erwin Strittmatter / Der Laden II (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre


Ich fühle mich in dem Schreibstil des Autors zu Hause. Strittmatter schreibt einfach toll; fantasievoll, mit Witz und Humor, und er besitzt eine große Beobachtungsgabe.
Die Trilogie des Autors erinnert mich an Marcel Prousts Werke, nur dass Strittmatter eben über seine "Zunft" schreibt, die Zunft der Kleinbürger. Es passiert nicht viel, wer auf Action aus ist, wird sich langweilen, wer Pointen einer Kultur Anfang des 20. Jhrd. sucht, wird sich zufriedenstellen und neugierig sein. Ich gehöre der zweiten Kategorie an... .

Es geht um Esau Matt, der aus der Ich-Perspektive über seine Kindheit schreibt, darin mit eingeschlossen sein umgebendes Umfeld.

Es ist eine Autobiographie und die Eltern von Strittmatter gaben für die Veröffentlichung dieser nur ihr Verständnis, wenn er die autobiographischen Werke anders benennt, z.B. wurde abgemacht, dass der Autor den Literaturfiguren nur fiktiven Namen gibt. Und das tat er dann auch. Ich habe die Eltern als recht positiv und tolerant gegenüber ihren Sohn erlebt, die mir dadurch recht sympathisch wurden.

Was den Humor betrifft, so fand ich ihn getroffen, wie Strittmatter aus der Perspektive eines Kindes die Welt, von der er umgeben ist, zu verstehen versucht. Fast auf jeder Seite gab es etwas, worüber ich schmunzeln oder lachen musste, ohne aber dass die Figuren zu sehr ins Lächerliche gezogen werden. Betrachtet werden die Figuren mit der Logik eines Kindes.

In dem zweiten Band der Trilogie geht es um den größeren Schüler Esau Matt, der von der Grundschule auf die Sekundarstufe I und II wechselt. Bis zum Ende des Buches legt Esau seine Kindheit und Jugend ab.

Esau Matt beobachtet nicht nur die Welt seiner Mitmenschen, nein, sogar auch die der Tiere und geht recht kritisch mit seinen Beobachtungen um:
Ich habe gesehen, wie frisch geschlüpfte Küken nach einem roten Pünktchen auf der Zehenhaut eines Mitkükens pickte, bis dem ein Blutstropfen aus der Zehenhaut trat, und wie dies Küken danach erst recht bedrängt und gehackt wurde, bis er sich in eine Ecke hockte, matt wurde und umkam.Ich begriff nicht, wie das, was sie Rohheit nennen, schon in den Eintagsküken stecken konnte, auf die noch nicht ein Strählchen Sonne gefallen war. Da muss die Rohheit schon im Ei in ihnen gewesen sein oder noch früher, vielleicht schon im Hahnensamen, als er die Henne betrat. (24)
Auch zu den Schlachttieren bildet er sich schon recht früh eine kritische Meinung. Diesbezüglich war er seiner Zeit voraus. Während heute noch viele Menschen Wurst verzehren ohne darüber nachzudenken, geht Eau dazu einen anderen Weg.
In den Grasgarten der Lehnigks bauten die Dorfmaurer ein Schlachthaus, in dem wir als Kinder zusahen, wie Ochsen, Bullen, Kühe, Schweine, Schafe und Ziegen starben. Im Fleischerladen wurde das Fleisch der getöteten Tiere umbenannt: Rindfleisch verwandelte sich zu Rouladen, Schweinefleisch zu Karbonaden und Schinken. Wir Menschen, wir Tieresser, beruhigen unser Gewissen mit diesen Umbenennungen ein wenig. Wurst, zum Beispiel, lässt uns ganz und gar vergessen, dass sie aus Fleisch von getöteten Tieren besteht; Wurst ist eben Wurst."(319)
Esau Matt, so heißt der Protagonist des Romans, verlässt über der Woche sein Elternhaus, und zieht ein paar Ortschaften weiter weg in die Souterrainwohnung seiner Pensionseltern Juro und Mina Baltin, um den neuen Schulweg zu verkürzen. Die Baltins sind FreundInnen seiner Eltern. An den Wochenenden fährt er wieder zurück nach Hause... . Esau Matt lebt sich gut in seiner Gastfamilie ein. In der Schule zählt er zu den Besten in seiner Klasse.
Als ein Lehrer die Schüler befragt, welchen Beruf der Vater praktizieren würde, so lachten diese Esau aus, als er ihnen mitteilte, dass sein Vater Bäcker sei. Der Lehrer war klug und konnte einschreiten, in dem er passende und wertschätzende Worte zu dem Bäckerberuf von sich gab: "Seid nicht affig. Der Mensch muss essen. Gebacken muss werden." (208) Die Schüler hörten auf zu lachen.

Juro Baltin denkt über Esaus Zukunft nach:
In die Gewerkschaft müsste ich später auch rein, rät Juro. Später, später, immer dieses später! In der Schule sagen sie uns, später werden wir uns über alles freuen, was wir gelernt haben. Weshalb richten sie es nicht so ein, dass wir uns gleich darüber freuen können? (105)
In seinem zarten Kindesalter macht sich Esau auch Gedanken über die Politik. Es gibt nichts, worüber er sich keine Gedanken macht. Er scheint für alles ein gutes Feeling zu haben, eine recht gute Einschätzung der Sachlage aus seiner Umwelt:
Die Regierenden preisen als Fortschritt, was sie tun, und wecken bedenkenlos Bedürfnisse bei den kleinen Leuten, und wenn sie die Bedürfnisse nicht mehr erfüllen können, heißt es, es herrschen ungünstige Zeitverhältnisse. Als ob die Verhältnisse nicht von Menschen, von Stadtvätern und ähnlichen Leuten geschaffen werden. (…) Das Winterhalbjahr ist für die Kleinstädter die Zeit, sich kräftiger zu bilden als im Sommer. Wissen ist Macht, predigen die Studienräte. Aber noch immer gehört die Macht nicht denen, die wissen, sondern denen, die über die Mittel verfügen, den Wissenden ihr Wissen abzukaufen, um Machtinstrumente daraus zu fertigen. (108 / 118)
Esau Matt ist kein gewöhnliches Kind. Schon allein, dass die Mutter einen Laden führt, macht ihn besonders. Einerseits hat das positive Folgen, andererseits auch weniger positive. Damit die Kunden nicht wegbleiben, muss er immer ein tadelloses Verhalten an den Tag legen. Den Laden zu führen, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, ist für die Familie eine hohe Herausforderung. Ich finde, dass die Eltern auch ganz besondere Menschen sind. Auch Esaus Großvater lässt in Esau prägenden Einfluss zurück. In der Schule wird das Nationallied gesungen, doch Esau weigert sich, es mitzusingen:
Am Schluss lässt der Lehrer das Deutschlandlied anstimmen: Deutschland, Deutschland über alles… ich singe nicht mit. Großvater hat mir das Deutschlandlied ausgeredet. Für ihn ist es Patschuli. Wenn die Deitschen über alles sind und überalle hinkriechen, sagt er, wohin sollen wir Wendnschen denn? (119)
Irgendwie ist Esaus Familie mit besonderer Begabung ausgestattet, wenn diese auch mehr auf das alltägliche Leben umgesetzt werden.

Esau bekommt von der Mutter immer wieder aufgetragen, ihre selbst geschriebenen Gedichte auswendig zu lernen. Doch Esau weigert sich mittlerweile:
Ich bin misstrauisch gegen die Gedichte meiner Mutter geworden, weil ich inzwischen viele Gedichte von wirklichen Dichtern hinter mir habe, ganze Gedichtsbücher. Theodor Storm ist mir zum Beispiel verwandter als meine Mutter: es ist so still; die Heide liegt/im warmen mittags Sonnenstrahlen…. (91)
Die Gedichte seiner Mutter behandeln oftmals Küchen und den Haushaltsbereich:
In dem Gedicht meiner Mutter wird erklärt, dass die Fausthandschuhe nicht gegen Kälte, sondern gegen Wärme schützen sollen; es sind Topflappen: dir nicht die Finger zu verbrühen, soll's dieser Handschuhe bemühen… nein, das sag ich nicht auf! (91)
Wieder zurück in die Tierwelt. Das folgende Zitat möchte ich unbedingt festhalten. Esau macht die Bekanntschaft mit einer Schildkröte, die er gefunden hat und wundert sich über die Beschaffung des Schildkrötenpanzers:
Ich bringe die Schildkröte bis zum Wochenende in einer der leeren Duschkabinen des Badekellers unter und füttere sie mit Apfel-und Birnenstücken. Wenn ich nach den Schularbeiten bin, sitze ich bei ihr und stelle mir vor, wie mir zumute sein würde, wenn mir mein Anzug auf dem Buckel festgewachsen wäre. (140)
Esaus Schulleistungen lassen nach, als er in die Pubertät gerät und anfängt sich für Mädchen zu interessieren. Weitere Details dazu sind dem Buch zu entnehmen.
In seine Klasse kommt ein neuer Schüler namens Wullo Kanin, der ein wenig älter als Esau ist, und in der Schule mit dem Stoff nicht zurechtkommt. Esau Matt wird von seinem Klassenlehrer gebeten, Wullo Nachhilfe zu geben. Aus der Nachhilfe wurde nix, da Wullo ganz andere Interessen hegte und Esau auch damit konfrontierte. Mädchen, Kunst, Lust auf freies Leben... . Diese Lebensweise färbte sich auch auf Esau ab, so dass auch seine Schulleistungen dermaßen nachließen, dass seine Versetzung gefährdet war. Wenn auch Wullo Kanins Auftreten für mich nicht wirklich als bewundernswert gilt, so hat mir doch eine Zitat gefallen, das von ihm stammt. Es geht um die kulturellen Errungenschaften verschiedener Länder:
Wullo Kanin ist mir wieder einmal voraus und weiß drauf zu laufen: Er schreibt wortschwällig über die Bedeutung nationaler Heldenlieder. Die Griechen haben ihren Ilias, schreibt er, die Finnen ihre Kalevala, die Nordländer ihre Edda, die Kaukasier ihren Recken im Tigerfell und die Juden das Alte Testament. Jedes Volk will nachweisen, wie zeitig und in welch nachtschwarzer Vorzeit es schon auf den Beinen war, seine Heldentaten zu verüben - und eben, wie wichtig diese Ur Epen den Völkern sind, ihre Daseinsberechtigung und ihr Recht auf Vorherrschaft nachzuweisen. (273)
Dieser Gedanke hat mir recht gut gefallen.

Ich mache hier nun Schluss und gebe dem Buch wegen seiner Differenziertheit an Welt- und Menschenbild zehn von zehn Punkten und freue mich schon auf den dritten Band der Trilogie. Bin neugierig, wie Esau Matt als Erwachsener durch die Welt zieht und wie er sein junges erwachsendes Leben gestalten wird.
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Wir lernen auf Erden eine Menge Menschen kennen, aber am wenigsten uns selber!
(Erwin Strittmatter)

Gelesene Bücher 2013: 50
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86