Dienstag, 10. September 2013

Orhan Pamuk / Schnee (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich geschafft und bin so langsam Pamuk-müde. Obwohl es recht interessant geschrieben ist, aber zwischen drin war es ein wenig zäh. Habe schon bessere ausländische Bücher gelesen.

Das Buch gibt mir stark zu denken. Hier geht es wieder um die Türkei, die zerrissen ist zwischen Tradition und Moderne, zwischen Orient und Okzident. Modern, wie in der westlichen Welt säkular, traditionell, wie man dies oft aus der Presse her zu den islamistischen Ländern  liest, oftmals auch arg fundamentalistisch geprägt. Auf den ersten Seiten des Buches ist ein so schönes Gedicht abgedruckt, das genau die Problematik der Türkei ausdrückt. Ein Land voller Widersprüche... . Ein Land, dem das nötige Selbstbewusstsein fehlt, sich zu der eigenen Kultur zu bekennen. Und was Kultur ist, sieht man in dieser Lektüre, die recht vielseitig ist.





Im Folgenden das Gedicht:
Unsere Aufmerksamkeit gilt gilt den gefährlichen Rändern der Dinge 
Dem ehrlichen Dieb, dem zärtlichen Mörder, 
Dem abergläubischen Atheisten.
(Vom Autor Robert Browning zitiert, Fettdruck durch mich hervorgehoben)
Dieses Gedicht ist für mich recht ausdrucksstark. Später wurde mir deutlich, was die Ursachen dieser Widersprüche sein könnten...

Der Protagonist in dem Roman ist ein Dichter, nennt sich abgekürzt Ka und bekommt von der Istanbuler Zeitung einen journalistischen Auftrag zugesprochen, mit der Fragestellung, weshalb sich in der türkischen Stadt Kars so viele junge Mädchen das Leben nehmen? Eigentlich lebt Ka in Frankfurt Main im Exil, reist für eine unbestimmte Zeit wieder in die Türkei. Ka wird nicht mehr als Türke angesehen und wird von einigen Landsleuten als Vaterlandsverräter  geschimpft, der sich ganz der westlichen Welt verschrien habe. Dem aber ist nicht so... .
Seine journalistische Arbeit begibt ihn in gefährliche Bahnen... .

Mir völlig unerwartet zeigten sich die Suizidabsichten der jungen Mädchen darin, dass sie gezwungen wurden, ihr Haupt zu entblößen, waren nicht bereit, auf ihr Kopftuch zu verzichten, und mussten mit einem disziplinarischen Schulverweis rechnen. Das Kopftuchtragen ist sowohl an Schulen, als auch an den Universitäten verboten. Diese Mädchen fühlten sich in ihrer religiösen Ehre gekränkt, und nahmen sich das Leben.
Mich stimmt die vorgeschriebene Kleiderordnung ein wenig skeptisch, so dass sich mir die Frage stellt; übertreibt der Autor nicht ein wenig? Sich wegen eines Kopftuches das Leben nehmen?  Falls nicht, so versuche ich die Suizidentinnen von einer anderen Seite zu verstehen; es baut sich bei Menschen, in diesem Fall sind es die jungen Mädchen, so etwas wie eine Trotzbewegung auf, und Aggressionen gegen sich selbst entwickeln, aber auch um Leute zu bestrafen, die ihnen diese Ehre nehmen... . Durch den Suizid bezeichnen sich die Mädchen als die eigentlichen Gewinner in dem Kampf um das Kopftuch. Ein wenig absurd, kann mir aber trotzdem diese Art von Sieg gut vorstellen, wie er gemeint ist.

Ka zeichnet sich als einen Menschen aus, bei dem nicht deutlich wird, zu welchen religiösen und kulturellen Absichten er neigt. Für mich tritt er auf wie ein Fähnchen im Wind... .

Der Buchtitel Schnee trägt hier eine symbolische Bedeutung, und steht eigentlich für Unschuld und Reinheit, bis Ka mit dem Schnee eine ganz andere symbolische Erfahrung macht.
Schnee hatte in Ka stets das Gefühl einer Reinheit erweckt, die den Schmutz, den Schlamm und das Dunkel der Stadt bedeckte und dadurch vergessen machte; aber in seiner ersten Nacht in Kars hatte Ka das Gefühl verloren, Schnee sei etwas Unschuldiges. Hier war Schnee eine ermüdende, erschöpfende, erschreckende Angelegenheit. (23)
Ziemlich erschüttert war ich, als ein modern denkender Universitätsdirektor von einem Fundamentalisten erschossen wurde. Die Art, wie er es tat, fand ich erschütternd. Diese Dialoge zwischen Täter und Opfer passten zu dem obigen Gedicht, zu der Beschreibung, bezogen auf den zärtlichen Mörder. Jene Szene fand ich gelungen beschrieben und hatte mich lange noch beschäftigt.

Doch in dem Buch kommt sehr deutlich rüber, wie diese Hassgefühle entstehen zwischen Menschen, die an Traditionen festhalten und den westlich orientierten Türken, den sog. Säkularisten. Ähnlich wie bei den jungen Mädchen fühlen sich die AndersgläubigerInnen abgewertet und als minderentwickelt tituliert. Sie nehmen sehr wohl den Druck, der weltweit auf islamistisch geprägte Länder gerichtet ist, wahr und hegen Rachegefühle.

Ich habe das Buch dadurch ein wenig als ein Appell aufgefasst, jeden Menschen in seinem Denken und Handeln, in seinem Glauben und Nichtglauben zu achten und zu respektieren, solange es andere Meschen in ihrer persönlichen Entwicklung nicht beeinträchtigt.

Aus der Sicht eines Jugendlichen wird dies noch einmal deutlich, was ich oben geschrieben habe:
Vielleicht hat man mit einzelnen Armen Mitleid, aber wenn ein Volk arm ist, glaubt die ganze Welt zunächst, dass dieses Volk dumm und blöd ist, dass es ein faules, dreckiges und ungeschicktes Volk ist. Man lacht es aus, statt es zu bemitleiden. Man findet seine Kultur, seine Sitten und Bräuche lächerlich. Später schämt man sich vielleicht für diese Gedanken, hört auf zu lachen und findet diese Kultur interessant, wenn zugewanderte Arbeiter aus diesem Volk den Boden wischen und die niedrigsten Arbeiten übernehmen, damit sie nicht rebellieren, ja man so tut, als ob sie gleich wären. (524)
Ich fand dieses Zitat schon recht eindeutig. Ich verfolge auch oft in den Medien Diskussionen, die sich recht abfällig zu Kulturkreisen äußern, die anders leben als in der eigenen Kultur.
Das einzige, was man tun kann, um nicht erniedrigt zu werden, ist, zu beweisen, dass man denkt wie sie. Das aber ist unmöglich und außerdem würdelos. (…) Wir können keine Europäer werden!" sagte ein anderer islamistischer Jugendlicher hochmütig. "Die Leute, die sich bemühen, uns ihr Modell aufzuzwingen, werden das am Ende mit Panzer und Gewähren vielleicht schaffen, wenn sie uns nur genug Gewalt antun. Aber unsere Seele können sie nicht ändern. (526 f)
Die Türkei ist aber auch ein Staat, der geographisch geteilt aus zwei Kontinenten besteht. Man kann daraus Ressourcen ziehen, es können Stärken entstehen, oder im negativen Fall kann man an dieser Vielfalt zerbrechen. Ich finde es natürlich, dass die Menschen dort so vielgläubig an Religion und Kultur gebunden sind.

Eine Gesellschaft, die geteilt ist in Türken, Kurden, Aserbaidschain, Säkularisten und Fundamentalisten. Eine große Herausforderung für alle Menschen dieser Welt.

Ich beende hiermit meine Gedanken zu dem Buch. Habe für mich die Botschaft herausgezogen, wie oben schon erwähnt, den Anderen in seinem Anderssein zu achten und zu respektieren, wie man das Eigene achtet und respektiert. Das Buch ist wirklich recht interessant geschrieben und es gibt noch jede Menge andere Blickwinkel, andere lesenswerte Zitate, die ich hier der Länge wegen nicht erwähnt habe.

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Das Leben ist nicht um der Prinzipien willen da,
sondern damit man glücklich wird.
(Orhan Pamuk)

Gelesene Bücher 2013: 56
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


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