Freitag, 4. Oktober 2013

Nina Sankovitch / Tolstoi und der lila Sessel (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe das Buch nun durch und habe es mit ziemlich gemischten Gefühlen beendet. Einige Gedanken in dem Buch fand ich recht interessant, andere wirkten auf mich ein wenig zu einfach, ein wenig zu naiv, wie z.B.:

Bücher sind bessere Freunde als Menschen, denn sie reden nur, wenn wir wollen, und schweigen, wenn wir anderes vorhaben. Sie geben immer und fordern nie.

Sorry, aber Bücher sind keine Menschen. Sie sind zwar von Menschen geschrieben, dennoch sind sie keine Menschen. Sie können schlecht rebellieren, wenn ihnen an den LeserInnen etwas nicht behagt... . Und irgendwie findet man diesen Spruch fast überall, bin dem langsam ein wenig überdrüssig geworden.

Mal schauen, was ich noch aus dem Buch herausholen werde:





Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:
Mehr als 2,5 cm dick darf es nicht sein. Aber das ist auch daseinzige Ausschlusskriterium. Ob Krimi, Kochbuch, Klassiker– oder der aktuelle Topseller: Nina Sankovitch, Tochter polnischer US-Einwanderer, ist mit Büchern aufgewachsen. Und entdeckt nun, nach dem Tod ihrer geliebten Schwester, die Literatur ein zweites Mal für sich: als Trost- und Kraftspenderin. Zwischen Wäschebergen, Kindergeschrei und Supermarkt nimmt Nina sich Auszeiten - und entlockt jedem Buch ein anderes Geheimnis. Die Eleganz des Igels, Twilight oder Englische Liebschaften, Toni Morrison, Julian Barnes oder Leo Tolstoi – Lesen bedeutet pures Lebensglück: und einmal am Tag den Moment, bei dem man ganz bei sich ist.
Ich habe das Buch bei mir als eine Selbsterfahrungsliteratur verbucht. Darin geht es hauptsächlich um das Leben der Autorin Nina Sankovitch und deren Familienangehörigen und wie sie es schafft, eine Brücke zu bauen zwischen ihrem Leben im Außen und dem Leben aus den Büchern.

Dadurch, dass die Autorin die letzten Jahre kaum zum Lesen kam und im ständigen Alltagsstress stand, beschloss sie sich eine Auszeit zu nehmen und diese mit dem Lesen von Büchern zu füllen. Sie koordinierte alles Familiäre zu mehr Selbständigkeit, damit ihr das lückenlose Lesen für ein Jahr wirklich auch gelingen konnte.

Sie zitiert den Literaturkritiker Cyril Connoly:
>>Solange das Leben besteht, sind Worte lebendig, wird Literatur zum Ausweg - nicht aus dem, sondern ins Leben<<.  Ich wollte in Büchern versinken und als ganzer Mensch wieder auftauchen. (32)
Nina S. liest nicht nur die Bücher, nein, sie hält sich auch einen Literaturblog und schreibt darin ihre Buchbesprechungen zu jedem gelesenen Buch. Auch diese literarische Form von Aktivität wurde in ihrem Zeitbudget mit eingeplant.

Sie schafft in einer Stunde 70 Seiten zu lesen. Ich schaffe gerade mal 30 Seiten pro Stunde, je nach Text und Buchart. In der Woche schaffe ich ein bis zwei Bücher. Ziemlich mickrig, verglichen mit dem gelesenen Bücherberg der Autorin. In etwa vier Stunden hat sie ein Buch ausgelesen, das einen Umfang von etwa 300 Seiten hat. Das ist für mich ein absoluter Lesemarathon.

In dem Buch geht es aber nicht nur um Bücher, sondern, wie schon gesagt, auch um die Familie und deren Leben. Nina S.  wuchs in einer Familie auf, in der die Eltern große Vorbilder im Lesen waren, und die Kinder dadurch mit Literatur aufgewachsen sind. Bücher erwiesen sich für die Kinder als wichtige Lebensbegleiter. Die Autorin fand oft in Büchern ihre Lösungen auf Problemen, denn:
Das Glück besteht darin, dass wir am Leben sind. (94)
Sie erwähnt recht oft ihre ältere Schwester Anne-Marie, die mit vierzig an einem Eierstockkrebs erkrankte und sie daran starb. Es bestand ein starker Bund zwischen den Schwestern.
Dieses eine Jahr lang tauche ich ab, ich bleibe 20.000 Meilen unter der Oberfläche, und mein normales, mit Terminen vollgestopftes, kontrolliertes Leben muss warten. Das habe ich Anne - Marie zu verdanken. Ich bin unter Wasser und schwimme zusammen mit den Autoren all der Bücher, die ich lese, ich atme Sauerstoff aus Ihren Worten. Die Lebensgeschichten in den Romanen hauchen mir neues Leben ein. Und sie zeigen mir, wie ich Anne - Marie am Leben erhalten kann. In mir. (108)
Nina trauert recht lange um ihre verstorbene Schwester. Die Schwester war ihr in vielem ein Vorbild. Sie hadert mit sich und dem Leben, dass Anne - Marie so früh aus dem Leben scheiden musste, während Nina weiter leben darf:
Vergeben bedeutet, zu erkennen, dass das Leben nicht fair ist, und es zu akzeptieren: >Ich vergebe dir, Leben, für die beschissenen Karten, die du meiner Schwester ausgeteilt hast.< Das konnte ich aber nicht. Ich akzeptierte, dass ich am Leben war und Anne - Marie nicht. Ich akzeptierte, dass ein fairer Handel weder angeboten noch gefordert werden konnte. Aber Vergebung? Davor scheute ich zurück. (109)
Anne - Marie soll eine Frau gewesen sein, die ihr Leben ganz nach ihrer Vorstellung ausgerichtet hatte. Auch das imponierte Nina S.:
Ich verstehe nicht, warum die Leute gedankenlos durchs Leben hetzen: >Warum haben die Leute so viel Angst vor dem Denken? Warum lassen sie sich keine Zeit zur Reflexion?< Ruhe ist doch nichts Schlimmes, Leere, Schwindel oder Unglück auch nicht. Denn daraus entstehen neue Gedanken. Und deshalb lese ich gern.
Von Schopenhauer gibt es einen Spruch, der heißt; Der Mensch ist das, was er isst.

Nina S., die Schopenhauer zwar nicht zitiert, mich aber mit dem folgenden Zitat an ihn erinnern lässt, wandelt diesen Spruch ein wenig um und überträgt ihn auf die Bücher, die die Menschen lesen, á la, zeige mir was du liest und ich sage dir, wer du bist...,  ich aber selbst noch nicht so recht weiß, was ich davon halten soll:
Wir sind, was wir gern lesen, und wenn wir zugeben, dass wir ein Buch lieben, geben wir auch etwas von uns selbst preis, sei es die Sehnsucht nach Liebe, die Suche nach Abenteuer oder die geheime Faszination für das Böse.(124)
Auf der Seite 167 ist eine Textstelle zu entnehmen, die mir recht gut gefallen hat. Es geht um die geistige Erfahrung, die man über das Lesen erwirbt:
Bücher verhindern jenes Vergessen, (…). Mithilfe von Büchern eignen wir uns andere Erfahrungen an und lernen neue Lektionen.
Diesen Gedanken kann ich gut nachvollziehen, dass man über den Geist ebenso relevante Erfahrungen zu machen in der Lage ist, wie die Erfahrungen, die man durch das praktische Leben erwirbt.

Und nun mein Fazit zu dem Buch:

Ehrlich gesagt, fällt es mir schwer vorzustellen, geistig ein Jahr lang jeden Tag ein Buch zu vertilgen. Diese machen zusammen 365 Bücher. Erst recht nicht in einem Umfang von etwa dreihundert bis vierhundert Seiten. In Einzelfällen hat die Autorin auch schon fünfhundert Seiten geschafft.

Während mir dieses Lesetempo eher Stress und Unwohlsein verursachen würde, stellen sich dagegen bei der Autorin Gefühle der Lust und der Entspannung ein. Demnach genießt sie diese stringende Leseart, mich würde sie eher erstarren.

Unter dem Buchtitel Tolstoi und der lila Sessel habe ich mir etwas viel Tiefgründigeres vorgestellt, siehe Lektüre... .

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Darf ich Ihnen sagen, warum es mir gut zu sein scheint, wenn man sich an das Leid erinnert, das uns widerfahren ist? Damit wir es vergeben können.
(Von N. Sankovitch Ch. Dickens zitiert).

Gelesene Bücher 2013: 61
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


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