Sonntag, 17. August 2014

Carson McCullers / Spiegelbild im goldnen Auge (1)

Die etwas andere Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das ist das zweite Buch, das die Autorin in der Reihenfolge geschrieben hat. Das Herz ist ein einsamer Jäger ist ihr Debüt-Roman gewesen. Von dem Buch Spiegelbild im goldnen Auge zeigten sich die damaligen Literaturkritiker ein wenig enttäuscht. Sie hatten durch den Erfolg des ersten Buches mehr erwartet. Ich kann mich dem nicht anschließen. Mir hat dieses, sowie alle anderen McCullers - Bücher mehr als gefallen. Ihre Handlungen, auch wenn die Bücher nicht so umfangreich sind, haben jede Menge Tiefe. Doch bei vielen anderen stieß dieses Buch auf Widerstand, denn auch hier treten skurrile Figuren auf, die man schwer begreifen kann. Und das mag nicht jeder. Im Folgenden ein Zitat eines Kritikers namens Mr Cumming, entnommen aus dem Anhang, geschrieben von Tennessee Williams: 
Ich habe einige solcher Bücher gelesen wie dieses hier, und ich finde sie ekelhaft und verrückt. Und ich begreife nicht, weshalb jemand den Wunsch haben sollte, über derartig krankhafte und pervertierte und groteske Kreaturen zu schreiben und zu versuchen, sie als Musterbeispiele für das Menschengeschlecht auszugeben! (177)
Vielleicht gefallen mir die McCullers-Bücher gerade aus diesem Grund, weil die Autorin es schafft, das Tiefste aus einer Menschenseele hochzukehren. Deshalb fühle ich mich von ihren Büchern so angezogen.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Ein Militärcamp in einem trostlosen, verlassenen Südstaatennest, zwei Paare, die in ihrer monotonen Existenz gefangen sind und deren zwischenmenschliche Verstrickungen unausgesprochen bleiben. Jeden Abend sitzen der Major und seine kränkliche Frau beim Kartenspiel mit Hauptmann Penderton und dessen Frau Leonora, heimlich beobachtet vom Gefreiten Williams, der von der flamboyanten Frau Penderton magisch angezogen ist.
Interessant fand ich die Figur Private Williams, der auch auf dem Militärcamp tätig ist. Private Williams ist nicht sein richtiger Name. Er kennt seinen Namen selber nicht, da er mit Initialen groß geworden ist, wie z.B. J. W. . Als er vom Militär eingezogen wurde, glaubte man, es mit einem geistig Behinderten zu tun zu haben, jemand, der seinen Namen nicht schreiben konnte. Man gab ihm dann schließlich den Namen Private Williams und seit dem nennt er sich so.

Das muss man sich mal so richtig im Geiste vorstellen; ein Mensch, der mit Initialen groß wird. Was für eine Identität erwirbt so eine Person, die ohne Namen aufwächst?

Private Williams wuchs bei seinem Vater auf einer Farm auf, und der Vater erzählte dem Jungen noch ganz andere merkwürdige Geschichten, wie z. B. dass Frauen gefährliche Kreaturen seien. Sie würden Krankheiten übertragen. Er solle sich von den Frauen fern halten, denn bei der kleinsten Berührung könne er sich bei ihnen anstecken. Der Junge wuchs demnach auf, ohne jemals mit einer Frau in irgendeiner Weise in Kontakt getreten zu sein.

Man erfährt nicht, was mit der eigenen Mutter ist, mit der Frau seines Vaters. Dabei vermutet man, dass er von einer oder von mehreren Frauen Enttäuschungen hat hinnehmen müssen und so überträgt der Vater seine schlechten Erfahrungen auf den Jungen. Auch erfährt man nicht, ob diese schlechten Erfahrungen selbstverschuldet waren oder nicht. Das Buch verführt zu Spekulationen. 

J. W. wird erwachsen, geht zum Militär. Lässt sich als Soldat einschreiben und lernt auf dem Militärcamp die Frau eines Hauptmanns kennen mit dem Namen Leonora. Er ist wie erstarrt, als er eines Abends deren Silhouette aus dem Fensterglas schimmern sieht. Sie war nackt. Private Williams hatte zuvor noch nie eine nackte Frau gesehen, geschweige denn, sie berührt.
Früher, kurz nach seinem Eintritt ins Heer, hatte er sich einmal eine Fleischvergiftung zugezogen und war ins Spital geschickt worden. Beim Gedanken an die böse Krankheit, die man sich bei Frauen holen konnte, zitterte er jedes Mal vor Entsetzen unter seiner Decke, wenn die Krankenschwester ihm nahe kam, und erleidet lieber stundenlang Schmerzen, als dass er sie um Hilfe gebeten hätte.
Private Williams ist für die Versorgung und Pflege eines Pferdes zuständig, dessen Besitzerin Leonora ist. Hier gibt es eine kleine Wandlung, was der Körperkontakt zu dieser Frau betrifft. Immer, wenn er Leonora aufs Pferd half, musste er sie notgedrungen berühren, wie sonst hätte er ihr aufhelfen können?

P. W. liebt das Pferd als wäre es Leonora ...
Seit er jedoch die >Lady< berührt hatte, war diese Furcht verschwunden. Jeden Tag striegelte und  sattelte er ihr Pferd, half ihr in den Sattel und sah sie davon reiten. Frühmorgens war die Luft oft winterlich kalt, und die Frau des Hauptmanns hatte rosige Wangen und war bester Laune. Immer hatte sie ein freundliches oder witziges Wort für Private Williams. Aber er schaute ihr niemals in die Augen und entgegnete auch nichts auf ihre Scherze. (165)
Seitdem schleicht sich der Soldat nachts heimlich ins Haus. Die Haustüre war nie abgeschlossen. Geht hoch zu ihr ins Zimmer und betrachtet sie in Kniestellung als Leonora sich im Tiefschlaf befindet. Er betrachtet sie die ganze Nacht, ohne sie mit den Händen zu berühren, und bei Morgengrauen schleicht er sich wieder hinaus.

Wieder eine recht einsame Natur, dieser Private Williams. Er hatte keine Freunde, und im Camp kannte niemand seinen Namen. Warum ist es der Autorin so wichtig, diese einsamen Menschen immer und immer wieder von Buch zu Buch in Erscheinung treten zu lassen? Aus der Autobiografie wurde mir deutlich, dass sie selbst innerlich ein sehr einsamer Mensch war, obwohl sie erfolgreich war im Leben, obwohl sie viele Kontakte und Freunde hatte. Aber wie fühlt sich das innerlich an? Gehen diese inneren Bedürfnisse mit den äußeren Bedürfnissen konform? Wie man dies an ihren Figuren sieht, fühlt sich das völlig anders an. Deswegen glaube ich, dass alle diese Kreaturen Teile ihres inneren Ichs sind. Jeder Mensch besitzt so seine inneren Dämonen, während die meisten sie nach unten drücken, weil sie nicht sein dürfen, lässt die Autorin diese aufleben.

Wie geht es mit Private Williams aus? Das müsst ihr selbst lesen.

Eigentlich ist er nicht mal die Hauptfigur, trotzdem stimmte sie mich neugierig.

Es gibt noch andere Wesen. Konservative, versnobte, Wesen in Demutshaltung, etc.

Auch in diesem Buch gibt es Spießer, die alles, was im Leben Freude macht, verteufeln. Künstlerische Betätigungen werden z. B. als Kindereien abgetan. Alles, was der Normalität zuwiderläuft, wird als abstoßend empfunden. Und dieses Kleinkarierte, diese gesellschaftliche Enge wird auch hier thematisch bearbeitet.

Wenn man sich diese Kreaturen betrachtet, dann fragt man sich schon, ob es so etwas wie eine Normalität überhaupt gibt? Mir gibt die Autorin das Gefühl, dass jeder Mensch nur mit sich selbst verglichen werden kann, und jeder Mensch mit sich selbst verglichen ein normales Wesen ist.

Das, was der Mensch nach außen hin von sich zeigt, ist nichts anderes als erfüllte Erwartungen, die ihm im Laufe seiner Sozialisation herangetragen wurden. Das innere Ich ist ein völlig anderes Wesen. Und diese Wesen werden innerlich geheim gehalten und eingesperrt. Carson McCullers sperrt sie nicht ein, sie lässt diese inneren Wesen nach außen dringen und leben auf den Buchseiten so wie sie sind hell auf.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten wegen der Authentizität und des gekonnten literarischen Schreibstils.

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 Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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