Mittwoch, 31. Dezember 2014

Ursula Priess / Mitte der Welt (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch hatte erst ganz gut angefangen, aber dann hat es mich nicht mehr so gereizt. Denn ich werde hier mit Klischees und Vorurteilen den TürkInnen gegenüber konfrontiert, die ich eh schon alle kenne. Aber wahrscheinlich ist das eher eine Taktik, um zu zeigen, wie Menschen anderen Menschen gegenüber begegnen.

Folgendes Zitat fand ich sehr schön:
Die Menschen mit ihren Gesichtern - ich schaue sie in mich hinein, ich weide sie ab, ich verschlinge sie. Fresse ich ihnen die Seele aus dem Leib?
Ach nein! Ganz im Gegenteil! 
Die Protagonistin hat keinen Namen. Das Buch ist auch keine Erzählung, kein Roman oder dergleichen. Es ist eine Anhäufung von Beobachtungen zu Menschen, die auf Istanbuler Straßen wandeln. Bekannte und unbekannte Gesichter. Diese Beoabachtungen werden von einer Frau beschrieben. Auch wenn ich denke, dass diese Frau die Autorin selber ist, passe ich mich dem Klappentext an, und bezeichne die Beobachterin auch als Eine Frau, die aus Europa kommt, um in der Türkei zu leben. Zurückgelassen hat sie ihre Heimat, aber mitgenommen hat sie das Weltbild, das westlich geprägte Weltbild, das sie nun auf diese Menschen, TürkInnen, bewusst / unbewusst überträgt.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Eine Frau ist in Istanbul auf der Suche nach der Mitte der Welt. Was sie findet, sind Geschichten von Künstlern und Schriftstellern, von Gemüsehändlern und Antiquitätenverkäufern, von einem Gefängnisarzt, der Ulysses liest. Und vom Geliebten, der die Geliebte Granatapfelblüte nennt – und zum Ende hin fragt: Wirst du später einmal, wenn du über Istanbul schreibst, auch über uns und unsere Liebe schreiben? Und auch von jener Übersetzerin, die weiß: Wer über andere schreibt, sagt am meisten über sich selbst!
Man merkt sehr deutlich, dass die Frau in dem Buch mit ihrem westlich geprägten Weltbild an das Thema Türkei und ihre Menschen herangeht. In dem Buch gibt es nur kopftuchtragende Türkinnen. Sie spricht nicht von Türkinnen, die ohne Kopftücher leben. Das gefällt mir gar nicht, weil diese Wahrnehmung recht verzerrt ist. Tatsache ist, dass viele Türkinnen sehr wohl auch ohne das Kopftuch leben. Erstrecht in Istanbul. Istanbul ist eine Weltstadt und die türkischen Menschen dort sich nicht so sehr von unserer westlichen Lebensweise unterscheiden. Und überhaupt, warum stören wir uns daran? Weshalb müssen immer wieder Debatten über das Kopftuch gehalten werden? Man sieht vor lauter Kopftuch den Menschen nicht mehr.

Auf irgendeiner Seite wollte diese Frau mit einer anderen Frau über das Kopftuch sprechen, aber die Gesprächspartnerin winkte ab, ist nicht darauf eingegangen, was ich für gut halte.

Mir war das Buch erst zu wenig differenziert. Oftmals auch sehr klischeehaft. Türkische Machomänner, reihum. Ein Beispiel an Ismet:
Dass Ismet, der schöne Ismet, der alle paar Wochen eine andere Frau hat, im Bett oder im Kopf oder was weiß ich wo, dass er Angst haben sollte, kann ich kaum glauben.74
Dem Buch sind noch weitere Beispiele zu entnehmen:
Wer über andere schreibt, sagt am meisten über sich selbst! 
Das ist auch ein sehr schönes Zitat und trifft den Nagel auf den Kopf. Was sagt das Weltbild über mich aus, das ich zu anderen habe? Warum sehe ich die Menschen so, wie ich sie sehe? Und warum darf das Anderssein nicht sein? Selbst in der westlichen Welt sind nicht alle Menschen gleich und sie sehen auch nicht alle gleich aus, z.B. sind nicht alle blond und groß, auch wenn einige AutorInnen uns das so schmackhaft machen wollen.

Warum bringt diese Frau solche Beispiele? Was will sie uns damit beweisen? Steht dieser Ismet stellvertretend für alle türkischen Männer? Wenn nein, dann ist dieses Beispiel mehr als banal, denn was kümmern mich Ismet und seine Frauen im Bett? Es kann aber auch sein, dass diese Frau die vielen Vorurteile, die in Europa zu der Türkei herrschen, widerspiegeln möchte.

Machomänner. Vergessen wir, wie viele Männer im Westen Seitensprünge begehen? Still und heimlich. Darüber gibt es sogar Statistiken.

Ein anderer Türke, ein Schriftsteller, der sich danach sehnt, fleißiger zu arbeiten. Aber er genießt auch gerne das Leben. Das Leben genießen steht bei ihm im Vordergrund. Was will die Beobachterin mit diesem Beispiel beweisen? Zu wenig Ehrgeiz? Zu wenig wissenschaftliches Denken? Alles Lebemänner diese Südländer?

Ich muss an Orhan Pamuk denken, ein türkischer Schriftsteller, der so sehr darunter leidet, dass der Ruf der Türken im Westen wegen des Vorwurfs, Türken würden an ihren Traditionen festhalten und den Fortschritt dadurch behindern, angegriffen ist.

Diese Frau stellt sich aber auch den Vorurteilen, ist bemüht, sich von dem westlichen Weltbild zu distanzieren, wenn es ihr auch noch wenig gelingt.

Ihre Freundin Ingrid sieht das ähnlich wie ich:
Ingrid mag mir nicht sagen, dass mein Blick, meine Art des Schauens und Fragens, mein Staunen und Wundern, mein Lachen und Weinen über Istanbul doch immer noch sehr von außen ist, von Europa her. 44 
Genau das nehme ich an ihren Gedanken ebenso wahr. Ich empfehle dieser Frau Bücher von Orhan Pamuk zu lesen und auch das Buch von Ayse Kulin, Der schmale Pfad, über das ich vor ein paar Tagen geschrieben habe.

Die Frau ist erstaunt über die TürkInnen, die über politische Probleme öffentlich zu sprechen wagen. Politische Meinungsfreiheit? Pressefreiheit? Eine Entwicklung? Das kannte sie bisher noch nicht. Ist das neu? Eigentlich nicht, wenn man die Bücher von den Landsleuten liest. 

Nun spricht diese Frau mit ihrer Freundin Ingrid über einen kleinen Artikel aus einer deutschsprachigen Tageszeitung:
Ingrid: "Nun endlich wird auch hierzulande die Gewalt öffentlich diskutiert, in allen Medien und sehr kontrovers. Heutzutage ist es möglich! Das ist doch wunderbar! Frag deine Freunde in Deutschland, woher sie ihr Türkei-Bild nehmen. Frag sie, ob sie es aus den deutschen Medien kritiklos übernehmen und ob es nicht einseitig ist, dieses Bild, das niemals Gutes zulässt - als ob es Gutes nicht auch gäbe, überall, auch in der Türkei."
Ingrid hat natürlich recht. Es ist auch eine Frage der Perspektive. 44 
Auf Seite einundfünfzig ist ein kleiner deutschsprachiger Zeitungsartikel zu entnehmen:
„… auch der gewaltsame Tod des Journalisten U. Mumcu wird vermutlich, wie viele andere politische Morde in der Türkei, nie aufgeklärt werden, weil die Täter und ihre Hintermänner im Halbschatten zwischen Unterwelt und Sicherheitskräften gedeckt bleiben …“. Empörend, falls es so ist!Aber auch, dass fast nur so berichtet wird. 51
Ein paar Seiten später zeichnet sich eine Wende ab, die mir sehr gut gefallen hat, und schließe mit dem Zitat, da das Zitat alles enthält, was ich noch hätte schreiben können:
Längst weiß ich, dass hier in dieser Stadt die Mitte der Welt ist - wo sonst! Aber den Stein, der sie markiert, sah ich bis heute nicht. Bis vor Kurzem wusste ich nicht einmal, dass die Mitte der Welt in Stein gehauen existiert. Nicht verwunderlich, hörte es, so schief wie die Welt heute hängt, dass niemand in Europa von ihrer Mitte weiß. Dort können sie sich nichts anderes vorstellen, als dass die Welt so sei, wie sie sie sehen. Weil sie nichts anderes kennen; nur ihre kleine, einseitige eindeutige Welt, deren Mitte sie selbst sind. Mehr wissen sie nicht.
Der Autorin ist es somit gelungen, sollten dies ihre Absichten gewesen sein, die vielen Vorurteile und Klischees widergespiegelt darzustellen, die wir aus dem Westen haben und auf andere Nichtwestler projizieren.

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten.
_________
Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Montag, 29. Dezember 2014

Ursula Priess / Mitte der Welt

Klappentext
Eine Frau ist in Istanbul auf der Suche nach der Mitte der Welt. Was sie findet, sind Geschichten von Künstlern und Schriftstellern, von Gemüsehändlern und Antiquitätenverkäufern, von einem Gefängnisarzt, der Ulysses liest. Und vom Geliebten, der die Geliebte Granatapfelblüte nennt – und zum Ende hin fragt: Wirst du später einmal, wenn du über Istanbul schreibst, auch über uns und unsere Liebe schreiben? Und auch von jener Übersetzerin, die weiß: Wer über andere schreibt, sagt am meisten über sich selbst!

Autorenporträt
Ursula Priess, geboren 1943 in Zürich, Studium der Literaturwissenschaft. 1966 Wegzug aus der Schweiz, Ausbildung und Arbeit als Heilpädagogin in Schweden, Schottland, Süd- und Norddeutschland. Mitgründerin verschiedener Initiativen (u.a. heilpädagogische Schule in Kiel, sozial-therapeutische Lebens- & Werkgemeinschaft in Lahore/Pakistan). Mutter von vier Kindern. Mehrere Reisen in Europa, Indien und Pakistan, und in die Türkei, wo sie sich längere Zeit niederließ. Heute lebt sie in Norddeutschland und in Berlin.
Nun geht es weiter mit dem Thema Türkei, allerdings diesmal aus der Sicht einer Schweizerin. Ursula Priess ist zudem noch die Tochter von Max Frisch, von dem ich ein paar Werke gelesen habe, allerdings noch nichts von der Tochter.

Habe gestern Abend ein paar Seiten verköstigt, und es schmeckte nach mehr.

Das gebundene Buch habe habe ich im Bücher-Oxfam in gutem Zustand und sehr preisgünstig, 3,50 €, erhalten.



Sonntag, 28. Dezember 2014

Ayse Kulin / Der schmale Pfad (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch fand ich sehr interessant. Es behandelt den türkisch-kurdischen Konflikt innerhalb der Türkei. Ein wenig weiß man ja durch die Presse, dass die Kurden von den Türken verfolgt und sie in ihren Menschenrechten eingeschränkt werden. Die Kurden müssen ihre Herkunftssprache verleugnen und werden einem Assimilationsprozess ausgesetzt; sie werden türkisiert. Das heißt, ihre eigenen kulturellen Werte müssen denen der türkischen weichen. Unterdrückung der Minderheiten wird der Türkei vorgeworfen, weshalb ihr die Mitgliedschaft in die Europäische Union verweigert wird.

Der Autorin gelingt es, die politischen und sozialen Missstände dieser beiden Völkergruppen darzustellen und ihr nichts wichtiger ist, literarisch und politisch nach Lösungen dieser Probleme zwischen den Kurden und den Türken ihres Landes zu suchen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein: 
Die Journalistin Nevra Tuna steckt in einer privaten und beruflichen Krise. Ihre ganze Hoffnung setzt sie auf ein Interview mit der inhaftierten kurdischen Politikerin Zeliha Bora, das ihre Karriere retten soll. Doch zwischen den beiden Frauen, deren Lebensverhältnisse unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen nur Vorurteile und Vorwürfe. Kurz bevor das Gespräch zu scheitern droht, entdecken sie: In ihrer Kindheit waren die beiden engste Freundinnen, nun versuchen sie, die vergangenen Jahre heraufzubeschwören und ungelöste Rätsel zu lösen. Letzten Endes ist es die wiedergefundene Freundschaft der beiden Frauen, die politische Gräben überbrückt.
Die Art und Weise, wie die Autorin an ihr Thema herangeht, fand ich originell. Zwei Frauen, die sich nach dreißig Jahren wiedersehen. Und das an einem Ort, der eigentlich nicht dafür geeignet ist, ein Wiedersehen zu feiern.

Die Journalistin Nevra Tuna führt ein Leben, das nicht viel anders ist als das Leben der Menschen aus der westlichen Welt. Da wir hier in Deutschland dazu neigen, alle Türken in eine Schublade zu stecken, zeigt dieses Buch, dass auch in der Türkei nicht alle Menschen gleich sind.

Nevra ist keineswegs eine Frau, die man in ihrer Lebensweise als eine klassische Türkin betrachten kann. Sie ist nämlich nicht jemand, die in den Traditionen ihres Landes festzustecken scheint. Auch trägt sie kein Kopftuch. Lediglich für den Besuch in das Gefängnis, der Freundin zuliebe, zieht sie sich die volle Montur über und macht damit folgende Erfahrung:
Was für ein schreckliches Gefühl das ist! Als wäre man in einer Festung eingesperrt. Wie kann sich ein Mensch freiwillig hinter solch einer Bastion aus Stoff einkerkern lassen? Warum lassen meine Religionsgenossinnen sich das so geduldig gefallen? 
Ganz so abfällig sehe ich diese Kleidertracht nicht. Es muss jeder Mensch selbst wissen, wie er sich kleidet, solange man anderen damit nicht schadet. In vielen anderen Ländern leben die Frauen erst durch das Tragen eines Kopftuches ein emanzipiertes Leben, wie z. B. in Ägypten. In bestimmten anderen arabischen Ländern werden Frauen dazu gezwungen ... 

Nevra sucht für ihr journalistiches Projekt ihre damalige alte kurdische Spielkameradin Zeliha im Knast auf, die aus politischen Gründen inhaftiert ist. Die Welten dieser beiden Frauen sind so unterschiedlich, unterschiedlicher können sie gar nicht sein. Während hier Nevra als die moderne Frau auftritt, so wirkt Zeliha als eine Frau, die ihre Sitten und Gebräuche verteidigt. Man darf sie nicht falsch verstehen. Zeliha ist natürlich nicht gegen den Fortschritt. Nur, je mehr sie und ihr Volk von den Türken unterdrückt werden, desto stärker halten diese Menschen an ihren Werten und Traditionen fest.

Was ist bei den Kurden so anders? Aus dem Buch konnten folgende Lebensweisen entnommen werden wie z. B. Polygamie, Kinderreichtum, Reduzierung der Frauen auf Ehe, Mutter und Haushalt etc. .

Es dauert ein wenig, bis die beiden Frauen in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Jede verteidigt die Werte ihres Volkes. Und jede sucht in der anderen die Schuldige. Ein Beispiel aus ihren Streitgesprächen:
„Wir wollten nie ihr sein. Wir wollten wir sein."
„Welchen Unterschied gab es denn zwischen euch und uns? Waren das die zahllosen jungen Menschen wert, die niedergerissen, entvölkerten Dörfer, die ausradierten Familien?"
„Wenn ich das Recht bekomme, in meiner Sprache zu reden und zu schreiben, dann hat es sich gelohnt!"
„Das Recht hättet ihr auch ohne Terror bekommen können. Im Parlament, das ihr vom ersten Tag an für eure Zwecke missbraucht habt, hättet ihr es erstreiten können."
Aber die beiden Frauen fangen sich wieder und kehren in ihre freundschaftliche Gesprächsform zurück, wie sie sie einst aus ihren Kindertagen her kannten.

Als die beiden Mädchen klein waren, hatte es ihnen keine Mühe gekostet, miteinander die unterschiedlichen kulturellen Werte zu leben. Währen das eine Mädchen türkisch sprach, sprach das andere kurdisch ... Die Freundschaft war von gegenseitiger Achtung und Respekt geprägt. Sie lernten beide voneinander. Als Erwachsene scheint das nicht mehr zu gehen. Seltsam. Schade.

Erst im Austausch der beiden Frauen erkennt Nevra, dass ihr Leben anders verlaufen ist, anders als das ihrer Freundin Zehira. Nevras Leben wurde z.B. nicht von politischer Gewalt geprägt:
Es gibt in meinem Herzen einen Stich vor Scham, weil mir, während ich Zeliha zuhöre, bewusst wird, wie viel Glück ich im Vergleich zu ihr hatte. Ich habe kein Recht, mich zu beklagen! Ich bin ein Stadtkind, das keine Ahnung davon hat, was es heißt, eine Nebenfrau zu haben, das nie verhaftet worden ist, keine Folter erlebt hat, nie das Leid der Blutrache erfahren hat und das sich nur quält, wenn es solchen entsetzlichen Geschichten lauscht. Auch wenn ich noch so viel höre und dabei immer trauriger werde, bohre und bohre ich bei meiner Freundin dennoch immer weiter nach, als würden wir uns durch das Leid, das wir durchmachten, immer ähnlicher werden. 
Zelihas Familie steht unter einem schweren Trauma, als sie von einer politischen Organisation, die mich an die Mafia erinnert hat, existenziell erpresst wird. Sie musste an die Organisation eine Million Lösegelder aufbringen und auszahlen. Als die Familie das Geld eingelöst hatte, wurde sie verraten und denunziert. Der junge Mann dieser Familie namens Gengiz, der das Geld an einen Vertreter jener Organisation ausgezahlt hatte, wurde ungerechterweise als Terrorverdächtigter festgenommen und im Knast körperlich schwer misshandelt. Wäre nicht der Vater von Nevra gewesen, der als Landrat die Entlassung dieses jungen Mannes erwirken konnte. Doch es war schon zu spät. Der junge Gengiz war nach fünfmonatiger Haft vor allem psychisch gesehen schwer geschädigt, und zwar so geschädigt, dass er Nevras Vater die Freilassung nicht danken konnte und ihm stattdessen seine Intervention schimpfend vorwarf. Er wollte im Gefängnis bleiben und sterben. Die Soldaten machten aus ihm eine Bestie, sie raubten ihm die Menschenwürde. Die Zustände im Knast waren entsetzlich. Eine kleine Zelle geteilt mit vielen anderen Inhaftierten. Keine Betten, sondern Pritschen ohne Matratzen. Die Verpflegung war mehr als ärmlich. Die Justiz ist korrupt. Die Foltermethoden vernichtend. 

Diese Szenen haben mich tief getroffen. Was habe ich doch für ein Glück, als Europäerin geboren worden zu sein. Europa, es ist wohl wahr, dass auch wir hier unsere Sorgen haben, aber solche wie die oben erwähneten sind längst überholt. Bei uns in Europa gibt es innerhalb der EU keine Polygamie mehr. Die Menschen im Knast sitzen in einer geräumigen Zelle. Die Verpflegung ist mehr als gut. Auch werden die Inhaftierten nicht gefoltert. Frauen haben hierzulande das Recht, berufstätig zu sein. Sie können Familien gründen, sie können es aber auch sein lassen und für den Nachwuchs besteht eine Schulpflicht für alle Kinder unabhängig ihrer Herkunft ...  Das haben wir wohl unseren VorreiterInnen zu verdanken. Man kann nur hoffen, dass es in unserem geeinten Europa sozial und politisch keine Rückentwicklung geben wird. 

Erst am Ende der Gesprächszeit, die acht Stunden andauerte, wird Nevra klar, wo das Problem der beiden Völker liegt und stellt sich zu Recht folgende Frage:
Warum sind unsere Völker nicht in der Lage, sich zu ändern? Warum können sie die Sache nicht aus einem anderen Blickwinkel betrachten? Ach, wie sehr ähneln wir uns doch in unserem Trotz, unserem Starrsinn, in unserer Art und Weise, unsere Wut zum Ausdruck zu bringen, und in unserem Wahn, immer recht haben zu müssen. 
Sie beklagt die Defizite ihres Staates:
X-mal habe ich in meinen Artikeln geschrieben, dass uns das nicht passiert wäre, wenn der Staat in der Lage gewesen wäre, alle kurdischen Mitbürger im Lesen und Schreiben unterrichten zu lassen, wenn er ihm die Möglichkeit eingeräumt hätte, in der eigenen Sprache zu unterrichten, zu singen, Bücher zu verfassen und Fernsehsender einzurichten; vor allem, wenn es nicht diese wahnwitzige Tükisierung der Namen gegeben hätte. 
Nein, auch Zeliha sehnt sich danach, als Frau frei  leben zu können. Aber Freiheit unter den Bedingungen ihres Volkes und nicht durch Anpassung an das türkische.
Schließlich ist es Zahiras Großvater gewesen, der die Sichtweise pflegte, dass nur durch die unterschiedlichen Religionen das viele Blut unter den Menschen fließen würde ... Die Menschen würden ohne ihre Religion freier leben. 

Beide Frauen hatten eigentlich dasselbe Ziel. Navira ist es einfach nur wichtig, die politischen und sozialen Probleme ohne Gewalt lösen zu wollen, stattdessen im Miteinander, in einem Dialog tretend Probleme aufzdecken, um sie zu überwinden.

Eigentlich dürfte die Lösung, aus meiner Sicht, gar nicht so schwer sein. Das Leben des Gegenübers respektieren und achten, auch wenn das eigene Leben ein anderes ist. So, wie die beiden kleinen Mädchen es schon in ihrer Kinderzeit praktiziert hatten. Mehr braucht man eigentlich nicht.

Wer mehr über den Inhalt des Buches erfahen möchte, so verweise ich auf das Buch  …

Mir hat es sehr gut gefallen und es erhält von mir neun von zehn Punkten. Häufig haben sich die beiden Frauen über ihre Tränen unterhalten, das fand ich überflüssig und ein wenig schwulstig.

_________
Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 87
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Freitag, 26. Dezember 2014

Ayse Kulin / Der schmale Pfad

Klappentext
Die Journalistin Nevra Tuna steckt in einer privaten und beruflichen Krise. Ihre ganze Hoffnung setzt sie auf ein Interview mit der inhaftierten kurdischen Politikerin Zelha Bora, das ihre Karriere retten soll. Doch zwischen den beiden Frauen, deren Lebensverhältnisse unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen nur Vorurteile und Vorwürfe. Kurz bevor das Gespräch zu scheitern droht, entdecken sie: In ihrer Kindheit waren die beiden engste Freundinnen, nun versuchen sie, die vergangenen Jahre heraufzubeschwören und ungelöste Rätsel zu lösen. Letzten Endes ist es die wiedergefundene Freundschaft der beiden Frauen, die politische Gräben überbrückt.

Autorenporträt
Ayse Kulin, geboren 1941 in Istanbul, studierte Literaturwissenschaften. Während des ersten Militärputsches am 27. Mai 1960 war sie eine aktive Sozialdemokratin. In den Achtzigerjahren arbeitete sie als Redakteurin und Reporterin für diverse türkische Zeitungen und Zeitschriften. Einige Male wurde sie als »Autorin des Jahres« ausgezeichnet, viele ihrer Erzählungen und Romane wurden verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Seit 2007 ist sie ehrenamtliche UNICEF-Botschafterin.
Die Autorin ist mir fremd, das Thema hochinteressant. Habe gestern Abend damit begonnen und freue mich auf Weiterlesen. Das Thema aber ist mir nicht neu.





Donnerstag, 25. Dezember 2014

Abraham Verghese / Rückkehr nach Missing (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch hat mir eigentlich recht gut gefallen. Allerdings liest es sich an vielen Stellen wie ein medizinisches Buch. Viel zu ausführlich, könnte locker gerafft werden. Der Autor ist von Beruf selbst Arzt und mutet den LeserInnen sein medizinisches Wissen zu. Was gehen mich die detaillierten Praktiken im Operationssaal an? Der Autor hat wohl noch nichts von Schweigepflicht gehört? Hihihi ...

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Äthiopien in den sechziger Jahren: Marion und Shiva Stone, eineiige Zwillingsbrüder, wachsen als Waisenkinder in einem Missionshospital in Addis Abeba auf, der Kaiserstadt Haile Selassies. Ihre Mutter, eine schöne indische Nonne, starb bei ihrer Geburt, ihr Vater, ein britischer Chirurg, verschwand spurlos. Marion und Shiva sind unzertrennlich, und sie verbindet die Faszination für die Medizin, doch als sie zu jungen Männern heranwachsen, treibt die Liebe, ihre Leidenschaft für dieselbe Frau, einen Keil zwischen die beiden. Marion muss aus seinem von politischen Unruhen geschüttelten Heimatland fliehen, kommt nach Amerika und geht in seiner Arbeit in einem New Yorker Krankenhaus auf. Doch dann holt ihn die Vergangenheit ein, und er muss sein Leben ausgerechnet in die Hände der beiden Männer legen, denen er am wenigsten vertraut: seinem Vater, der ihn im Stich gelassen, und seinem Bruder, der ihn betrogen hat. Rückkehr nach Missing erzählt die unvergessliche Geschichte einer großen Liebe: zu den Menschen und zur Medizin. Eine packende Familiensaga über Afrika und Amerika, Ärzte und Patienten, Exil und Heimat.
Die Medizin steht neben den Leben der Figuren thematisch im Vordergrund. Alle Protagonisten sind mit dieser verbunden.

Alles andere fand ich gut. Flüssig geschrieben, literarisch anspruchsvoll, die Handlungen und Charaktere der Figuren fand ich differenziert und auch gut getroffen.

Das Buch verfügt über viele Facetten und ich überlege mir, zu welchem Protagonisten ich ein paar Sätze schreiben möchte.

Mich hat das Schicksal der Nonne Schwester Mary Joseph Praise ziemlich beschäftigt. Davon steht aber schon genug im Klappentext. Das Leben der Zwillinge? Die Liebesbeziehung zwischen Marion, Shiva und dem Mädchen? Viel zu facettenhaft. Ich beginne einfach mal mit meinem ersten Zitat:
Der Feind da drinnen war mehr ein Fremdkörper, ein Krebs als ein Fötus. Zweifellos war das Geschöpf tot. Ja, er würde den Schädel anbohren, seinen Inhalt ausleeren, ihn zerquetschen, wie er einen Blasenstein zerquetschte, und dann würde er den geleerten Kopf, der im Becken festklemmte, herausziehen. Falls nötig, würde er den Halswirbeln mit der Schere, den Rippen mit dem Skalpell beikommen, würde den Teil des Fötus, der den Durchgang versperrte, packen, zerhauen, aufschlitzen und zertrümmern, denn nur wenn er es raus holte, erlöste er auch Mary von ihrem Leiden und brachte die Blutung zum Stillstand. Besser draußen als drinnen, unbedingt. 
Dr. Thomas Stone, der einzige Chirurg der Klinik, wird nun als Geburtshelfer gebraucht, obwohl er nichts von Frauenheilkunde versteht. Aber weil die Gynäkologin gerade nicht im Haus war, wurde er von der Oberin dazu bestimmt, einzuschreiten. Durch zu spätes Einlenken starb nicht nur die Mutter der Zwillinge, sondern auch die Zwillinge wären zusätzlich durch eine falsche Behandlung fast umgekommen. Stone hatte tatsächlich keine Ahnung von Geburtshilfe. Während der Behandlung schleuderte er wutentbrannt die Instrumente durch die Gegend. Schwester Oberin ist völlig entsetzt:
Ein humaner Geburtshelfer hatte diese Instrumente für Mütter in verzweifelter Lage erfunden, nicht für verzweifelte Ärzte. In Stones Händen hatten die Instrumente das Kommando übernommen und erledigten das Denken für ihn. Daraus konnte nichts Gutes werden, das wusste die Schwester Oberin. 
Hema, die Gynäkologin, betritt rechtzeitig den Kreißsaal und rettet die beiden eineiigen Babys Marion und Shiva durch Kaiserschnitt. Stone konnte die Kinder nicht als sein Eigen nennen und rennt schließlich davon, so tief war die Trauer um seine verstorbende Mary. Sein Wegrennen hatte zur Folge, dass er nicht nur seine beiden Kinder verließ, nein, er verließ auch den Kontinent und emigrierte nach Amerika, um sich dort in einer Klinik als Chirurg niederzulassen. Stone war auf seinem Fachgebiet ein guter Arzt, aber ein schlechter Mensch (603). Wie passt das zusammen? Stone sah nur die Organe / Körperteile der Patienten, die er behandelte, aber nie den ganzen Menschen.

Stone bekommt eines Tages ein verzweifeltes Schreiben von einer Mutter, die ihren Sohn verloren hatte. Sie beklagt die Kälte mancher Mediziner. Das Schreiben möchte ich unbedingt hier festhalten:
Dr. Stone, als Leiter der Chirurgie, vielleicht auch selbst als Vater, empfinden Sie es dann nicht als Ihre Pflicht, Ihre Mitarbeiter anzuhalten, dem Patienten Trost zu spenden? Ginge es dem Patienten nicht besser, wenn man seine Sorgen und Ängste etwas milderte? Die letzte bewusste Erinnerung meines Sohnes wird sein, dass man ihn ignoriert hat. Meine letzte Erinnerung ist die an meinen kleinen Jungen, der in panischem Entsetzen mit ansehen musste, wie seine Mutter aus dem Raum geführt wird. Dieses Schreckensbild werde ich bis auf mein Sterbebett mit mir tragen. Dass Menschen sich um seinen Körper gekümmert haben, ist kein Ersatz dafür, dass sie den Menschen, dem dieser Körper gehört, ignoriert haben. 
Gosh und Hema wurden die Ersatzeltern der beiden Jungen. Gosh, auch ein Inder, war Internist und durch das Fernbleiben des Chirurgen Stone musste er nun seinen Platz in der Chirurgie einnehmen. Viel Einsatz und Weiterbildung waren hier gefragt. Gosh machte seine Arbeit gut, zeigte auch psychologisches Verständnis für die Nöte der Menschen. Er tätigte z.B. bei Mister Etien eine Darm-OP und fand die richtigen Worte, als der Patient sich über den neuen Darmausgang verzweifelt zeigte:
Etien, stell dir mal vor, alle Menschen werden mit dem Anus am Bauch geboren und da kämen bei allen die Ausscheidungen heraus. Und dann überleg, wenn dir jemand sagen würde, du wirst operiert und dein Darm damit so verlegt, dass der Ausgang dann hinter dir liegt, zwischen deinen Gesäßbacken, an einer Stelle, wo du ihn nicht siehst, höchstens im Spiegel, und wo du kaum hinkommst und Mühe hast, ihn sauber zu halten.
Interessant fand ich natürlich auch die unterschiedliche Entwicklung der beiden Zwillingsbrüder. Die vielen anderen Figuren, das Leben in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba, das Land, das im späten 19. Jahrhundert von den Italienern kolonialisiert, aber von den Einwohnern wieder zurückerobert wurde, fand ich spannend. Trotzdem wandelt Äthiopien noch immer auf den Spuren Italiens ...
Die politischen Ereignisse über den Kaiser Haile Selassie fand ich ebenso lesenswert.

Dem Anhang ist zu entnehmen, dass das Buch nicht auf wahre Begebenheiten beruht, lediglich die politischen Besonderheiten wurden realitätsnah wiedergegeben.

Das Buch erhält von mir acht von zehn Punkten. Auch, weil viele Schreibfehler enthalten sind.
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Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 86
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Donnerstag, 18. Dezember 2014

Abraham Verghese / Rückkehr nach Missing

Klappentext
Äthiopien in den sechziger Jahren: Marion und Shiva Stone, eineiige Zwillingsbrüder, wachsen als Waisenkinder in einem Missionshospital in Addis Abeba auf, der Kaiserstadt Haile Selassies. Ihre Mutter, eine schöne indische Nonne, starb bei ihrer Geburt, ihr Vater, ein britischer Chirurg, verschwand spurlos. Marion und Shiva sind unzertrennlich, und sie verbindet die Faszination für die Medizin, doch als sie zu jungen Männern heranwachsen, treibt die Liebe ihre Leidenschaft für dieselbe Frau einen Keil zwischen die beiden. Marion muß aus seinem von politischen Unruhen geschüttelten Heimatland fliehen, kommt nach Amerika und geht in seiner Arbeit in einem New Yorker Krankenhaus auf. Doch dann holt ihn die Vergangenheit ein, und er muß sein Leben ausgerechnet in die Hände der beiden Männer legen, denen er am wenigsten vertraut: seinem Vater, der ihn im Stich gelassen, und seinem Bruder, der ihn betrogen hat.Rückkehr nach Missing erzählt die unvergeßliche Geschichte einer großen Liebe: zu den Menschen und zur Medizin. Eine packende Familiensaga über Afrika und Amerika, Ärzte und Patienten, Exil und Heimat.



Autorenporträt
Abraham Verghese wurde als Sohn indischer Eltern in Äthiopien geboren. Er wuchs in der Nähe von Addis Abeba auf und studierte Medizin. Nach seiner Übersiedlung in die USA arbeitete er als Arzt, unter anderem in einer Klinik für Aids-Patienten, zu einer Zeit, in den achtziger Jahren, als noch wenig für sie getan werden konnte. Über diese Erfahrung schrieb er sein erstes Buch, My Own Country. A Doctor's Story, das in den Vereinigten Staaten zum Bestseller wurde. Ein zweites, ebenfalls erfolgreiches Sachbuch folgte: The Tennis Partner. A Story of Friendship and Loss, eine intime Auseinandersetzung mit der Drogensucht eines Freundes und den dunklen Seiten des ärztlichen Berufes. Verghese veröffentlicht regelmäßig Artikel, in denen er die Wichtigkeit und die wunderbare Erfahrung der persönliche Beziehung zwischen Arzt und Patient in einer Welt der hochgerüsteten Maschinenmedizin beschreibt. Seit 2007 ist Abraham Verghese Professor für Theorie und Praxis der Medizin an der Stanford University. Er lebt in Palo Alto, Kalifornien.
Der Autor ist mir fremd und das Buch habe ich gebunden und sehr preisgünstig im Restsellerladen Jokers entdeckt. Habe mich vom Klappentext angesprochen gefühlt. Der Anfang liest sich schon ganz gut. Bin auf Weiteres gespannt.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Tilman Jens / Vatermord (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Ein sehr intellektuelles Buch, das sich wie eine Denkschrift an die Öffentlichkeit geschrieben, liest. 

Was unter dem Vatermord zu verstehen ist, ist eine Folge aus Tilmans Buch Demenz, ein Zitat aus der Tageszeitung Die Welt, denn besser als die Zeitung kann ich es nicht schreiben:
In seinem Buch "Demenz: Abschied von meinem Vater" rechnet Tilman Jens mit seinem kranken Vater ab, indem er die ehemalige intellektuelle Leitfigur der Bundesrepublik vorführt. Das Werk gibt intime, besser verborgen gebliebene Geheimnisse aus dem Leben von Walter Jens preis. (Die Welt 2009)
Tilman gibt 2008 im Feuilleton der FAZ die Krankheit seines Vaters bekannt und tritt damit voll in die Nesseln. 

Sohn Tilman wird vorgeworfen, dadurch, dass er Persönliches und Intimes zu seinem Vater an die Öffentlichkeit brachte, habe er seinen Vater lebendig begraben. 

Der Vater von Tilman namens Walter Jens, von Beruf war er Altphilologe, Literaturhistoriker, Schriftsteller und Übersetzer. Demnach eine Koryphäe in der Literaturszene. Walter Jens erkrankte 2004 an der Demenz. Er starb 2013. 

Tilman versuchte die demenzielle Erkrankung mit Hilfe seines Buches Demenz zu verarbeiten, auch um auf diese Weise mit seinem Vater ins Reine zu kommen.

Zu Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
 An den Pranger gestellt
- Die Debatte geht weiter: Tilman Jens’ Antwort auf die heftige Kritik in den deutschen Feuilletons- Statt einer Unterlassungsklage: ein Plädoyer nicht nur in eigener Sache- Eine Spurensuche in der Antike, auf der Bühne und im wirklichen Leben für sein erfolgreiches Buch »Demenz« hat Tilman Jens heftig Prügel, Häme und wirre Anschuldigungen in den deutschen Feuilletons einstecken müssen. Er habe seinen Vater, Walter Jens, »vorgeführt«, »einen Wehrlosen vom Sockel gestürzt« und »literarischen Vatermord« begangen – so der Vorwurf an den »feigen Filius«, den »missratenen Spross«. Ebenso groß waren aber auch der Zuspruch und das Lob für sein »bewegendes«, »bestechendes«, »gelungenes« Buch.Vatermord ist ein besonders perfides Verbrechen, die wahrheitswidrige Bezichtigung eigentlich ein Straftatbestand. Auf eine Klage vor Gericht hat Tilman Jens dennoch verzichtet – und antwortet stattdessen mit einem Buch. Aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert er das freudianisch bis heute brisante Delikt, das er niemals begangen hat.
Der Klappentext ist recht ausführlich. Ich müsste jetzt nicht noch mehr dazu schreiben. Aber ich habe ein paar Zitate, und ich schaue mal, wie ich sie unterbringen kann.

Ich wusste erst gar nicht, was ich unter Vatermord zu verstehen habe, aber auch, weil ich den prominenten Vater Walter und den Sohn Tilman bis dato nicht mal kannte. Die beiden schienen bisher wie ein Kelch an mir vorbeigegangen zu sein. 

Bis das Buch ausgelesen war, war ich dann schlauer. Vatermord bedeutet einen Mord auf literarischer Ebene. Tilman hatte das Buch Demenz geschrieben, um die Erkrankung und den Umgang mit dem kranken Vater besser verarbeiten zu können. Viel zu persönlich, viel zu intim, meinen viele andere LiteraturwissenschaftlerInnen. Hat Tilman ein Tabu gebrochen? Ja, er hat. Es wäre weniger schlimm, ein Erlebnisroman zu schreiben, ginge es nicht um die Prominenz. Es geht um den Vater und den Sohn. Der Sohn wird hier nicht als Mensch beschrieben, sondern wie ein Titel, der Sohn als Berufung, immer dem mächtigen Vater untergestellt, und dessen Autorität niemals in Frage stellen zu dürfen und aus ihr niemals hinauswachsen zu können. Tilman greift weitere exemplarische Beispiele auf, viele andere bekannte Autoren und Väter, wie z. B. die Mann-Familie und deren Söhne.  

Ich empfehle dieses Buch allen Söhnen, die Schwierigkeiten mit der Autorität ihrer Väter hatten. Viele Söhne wurden von ihren Vätern gezüchtigt, und wer sich nicht gegen den eigenen Vater wehren konnte, weil der Vater zu übermächtig ist, der muss die Aggressionen gegen sich selbst richten. Viele wurden als erwachsene Männer mit ihrem Leben nicht fertig und wählten den Freitod. 

Tilman zeigt uns auch mithilfe der Psychoanalyse, dass es gesund ist, sich gegen den Vater zu widersetzen. 
Wer mit seinem Vater ins Reine kommen will, sollte ihn besser umbringen. Der wird sonst den ersehnten Weg in die Freiheit für immer blockieren. Du brauchst keinen Christus am Kreuz. Töte, was dich getötet hat. Mach kaputt was, was Euch kaputt macht. 
Den Vater zu töten verstehe ich hier als eine Metapher. Den Vater so erlegen, dass er keine Macht mehr über den Sohn hat.
Wer sich dem Kodex der Familienehre widersetzt, der ist vogelfrei. 
Man wirft Tilman ödipale Komplexe vor.

Aber nicht nur Söhne sind betroffen, auch Töchter mit ihren Vätern. Ein Beispiel zu Max Frischs Tochter:
Ursula Priss zum Beispiel, Max Frisch war ihr Vater. Und über den hat sie 2009 ein über weite Strecken wunderbares, leise dezentes Erinnerungsbuch veröffentlicht: Sturz durch alle Spiegel. Sie verschweigt freilich auch nicht ihre Blessuren, die sie davontrug, als der Schriftsteller die Mutter und ihre drei Kinder für eine andere Frau verließ. Und verheimlicht nicht die Enttäuschung, dass der Vater ihre Geschichte in Montauk ungefragt zum Teil seines Werkes gemacht hat. Das aber war's dann auch schon an Kritik. Das Buch der Tochter wurde dennoch, gerade in der Schweiz, als Akt des Umgangs gebrandmarkt. Als Manöver ungehöriger Rache. Als Vatermord eben, wenn auch als kleiner. Frauen, heißt es, töten viel dezenter.
Auch wenn die Psychoanalyse ein wenig dazu beiträgt, den sog. Vatermord in seiner Struktur verständlich aufzuzeigen, fragt sich Tilman dennoch, wo das Problem liege, wenn er über die Demenz des körperlich sterbenden Vaters schreibt. Auch Marcel Reich-Ranicki, ein gute Freund von Walter Jens, verteilte Tilman verbale Hiebe:
Warum so viel Angst? So viel Abwehr? So viel Verleugnung des Todes? Wird die Erinnerung an die Zeit, da mein Vater gesund und in vielem ein anderer war, durch ein Buch beschädigt, das seine letzten Stationen nachzeichnet? Ist die Veröffentlichung einer in vieler Hinsicht exemplarischen Krankenakte tatsächlich Vatermord -und wäre, anders herum, das Verstecken seiner schweren Demenz ein Beweis der Vaterliebe? Worin, bittschön, liegt das Verbrechen?
Ich komme langsam zum Schluss. Es geht hier nicht darum, ein Selbsterfahrungsbuch nicht schreiben zu dürfen. Nein, hier geht es allein um prominente Leute, die, so mächtig ihre gesellschaftliche Stellung auch ist, über sie nicht geschrieben werden darf. Doch auch diese Leute sind verletzbar und in ihrer Existenz angreifbar. Auch sie werden von Krankheiten heimgesucht, das Schicksal schließt diese hohen Herren nicht aus. Auf mich macht es den Eindruck, als dürfen die Mächtigen nicht verletzlich sein, und weil sie es aber doch sind, dann soll wenigstens nicht darüber gesprochen werden.

Am Ende des Lebens kehrt der sog. Mensch, der sich politisch und gesellschaftlich über seine beruflichen Titel definiert, zum Menschen zurück, denn hier zählen diese Titel nicht mehr. Der Krankheit und dem Tod sind diese Titel gleichgültig, und nehmen keine Rücksicht darauf. Wenn es auf Erden wenig Gerechtigkeit gibt, dann wenigstens hier auf der Ebene von Krankheitsausbrüchen und Tod. 

Zum Abschluss ein letztes Zitat:
Söhne von Dichtern und Denkern enden gern tragisch, die Hanswürste der kulturellen Klatschgesellschaft, die reichlich Stoff liefern für Dramen und schaurige Possen. Dem prominentesten Vertreter dieser Sorte Mensch wurde gar ein Marmor-Monument gesetzt (…). 
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Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

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Dienstag, 16. Dezember 2014

Tilman Jens / Vatermord


Klappentext

 An den Pranger gestellt
- Die Debatte geht weiter: Tilman Jens’ Antwort auf die heftige Kritik in den deutschen Feuilletons- Statt einer Unterlassungsklage: ein Plädoyer nicht nur in eigener Sache- Eine Spurensuche in der Antike, auf der Bühne und im wirklichen LebenFür sein erfolgreiches Buch »Demenz« hat Tilman Jens heftig Prügel, Häme und wirre Anschuldigungen in den deutschen Feuilletons einstecken müssen. Er habe seinen Vater, Walter Jens, »vorgeführt«, »einen Wehrlosen vom Sockel gestürzt« und »literarischen Vatermord« begangen – so der Vorwurf an den »feigen Filius«, den »missratenen Spross«. Ebenso groß waren aber auch der Zuspruch und das Lob für sein »bewegendes«, »bestechendes«, »gelungenes« Buch.Vatermord ist ein besonders perfides Verbrechen, die wahrheitswidrige Bezichtigung eigentlich ein Straftatbestand. Auf eine Klage vor Gericht hat Tilman Jens dennoch verzichtet – und antwortet stattdessen mit einem Buch. Aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert er das freudianisch bis heute brisante Delikt, das er niemals begangen hat.

Autorenporträt
Tilman Jens, geboren 1954, lebt als Journalist in Frankfurt am Main. Buchveröffentlichungen über Uwe Johnson und Mark Twain. Autor u.a. von Goethe und seine Opfer, Demenz, Freiwild und Axel Cäsar Springer. Ein deutsches Feindbild. Zahlreiche Fernsehdokumentationen zu Themen von Kultur, Theologie und Wissenschaft für die ARD und arte. Regelmäßige Mitarbeit bei den Kulturmagazinen der ARD, bei 3sat/Kulturzeit und im arte-Wissenschaftsmagazin X:enius.
Von dem Autor habe ich Demenz gelesen und bin nun auf den vorliegenden Band gespannt.



Montag, 15. Dezember 2014

Isabel Allende / Paula (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe recht lange für das Buch gebraucht. Just eine Woche habe ich daran gelesen. Obwohl Allende recht flüssig schreibt, konnte ich das Werk, das mit autobiografischem Material und Lebensbericht/Selbsterfahrung ausgefüllt ist, nur im Schneckentempo lesen. Viele schwer verdauliche und gehaltvolle Themen erwarten den LeserInnen in diesem Buch wie z. B. die unheilbare und lebensbedrohliche Erkrankung der Tochter Paula. Allende schreibt auch viel über die Politik Chiles aus der Zeit Pinochet und Salvador Allende, der Großvater von ihr. Dazu erfährt man auch vieles zu ihrem ganz persönlichen Leben, s. unten. Das Buch ist sehr lesenswert. Allende hatte wohl, mittlerweile 72 Jahre alt, ein sehr, sehr bewegtes Leben.

Wer sich näher mit ihren Büchern befassen möchte, dem empfehle ich, mit den autobiografischen Bänden, s. unten, zu beginnen:

  1. Mein Leben, meine Geister
  2. Paula
  3. Das Siegel der Tage  
Folgende Romane würde ich im Anschluss zu diesen oberen Büchern lesen, empfohlen von Isabel Allende selbst:

  1. Das Geisterhaus
  2. Liebe und Schatten
  3. Eva Luna
Ich habe erst von den oberen Büchern erfahren, dass diese drei Romane zusammen passen. Da ich das Wissen noch nicht hatte, so habe ich querbeet gelesen.
Die drei Romane beziehen sich viel auf das Leben der Autorin. Es gibt nichts, worüber die Autorin schreibt, was sie nicht selbst auch erlebt hat.

Weiter zu dem Buch Paula. Doch zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein.
»Hör mir zu, Paula, ich werde dir eine Geschichte erzählen, damit du, wenn du erwachst, nicht gar so verloren bist.« Das Unfassbare geschah im Dezember 1991, als lsabel Allendes Tochter Paula plötzlich schwer erkrankte und kurz darauf ins Koma fiel. Eine heimtückische Stoffwechselkrankheit hatte die lebensfrohe junge Frau jäh niedergeworfen, im Herbst 1992 starb sie. Das Schicksal ihrer Tochter wurde für lsabel Allende zur schwersten Prüfung ihres Lebens. Um die Hoffnung nicht zu verlieren, schrieb sie, der Tochter zur Erinnerung und sich selbst zur Tröstung, »das Buch ihres Lebens – in doppelter Hinsicht« (Bayerischer Rundfunk), ihr persönlichstes und intimstes Buch, »eine Hymne auf das Leben« (Stern). 
Es ist tatsächlich ein sehr persönliches und intimes Buch, in dem sie viel über ihre Liebesbeziehungen und ihr Sexualleben schreibt. Diese Themen gehören wie selbstverständlich dazu und werden von ihr nicht ausgeklammert. Ganz schön mutig, der Welt so viel von sich preiszugeben. Aber warum nicht? Die Themen, die Allende hierin behandelt, könnten auf jeden Menschen zutreffen. Es sind sehr menschliche Themen, über die man sich nicht zu genieren braucht.

Allende hat nur durch das Schreiben ihr schweres, schicksalhaftes Leben überwinden können. Eine Tochter zu verlieren, dies erfordert schon sehr viel Lebenskraft:
Dieses Buch rettete mir das Leben. Das Schreiben ist eine tiefgehende Innenschau, es ist eine Reise bis in die größten Winkel des Bewusstseins, es ist eine gemächliche Meditation. Ich schreibe auf Geratewohl in der Stille, und unterwegs entdecke ich Teilchen der Wahrheit, kleine Kristalle, die in die Mulde einer Hand passen und meinen Weg durch diese Welt rechtfertigen. 
Tochter Paula leidet an einer Stoffwechselerkrankung, die in der Medizin als Porphyrie bezeichnet wird. Paula erwacht nicht mehr, liegt seit dem Zusammenbruch im Koma und wird künstlich ernährt. Eine schwere Prüfung für die ganze Familie. Paula, 28 Jahre alt, war mit Ernesto verheiratet und sie lebten beide in Spanien, wo die Krankheit über viele Monate erstmals behandelt wird, bis die Mutter schließlich, auch gegen den Willen der Ärzte, Paula mit dem Flugzeug in die Heimat verfrachtet. 

Die Mutter sitzt am Krankenbett und erzählt ihrer Tochter von ihrem Leben, ein Gemisch aus allen Lebensphasen. Sie erzählt ihr aus ihrer Kindheit, dass sie keinen Vater hatte und der Onkel Pablo in die Familie Allende hineingeheiratet hat. Onkel Pablo verhielt sich den Kindern gegenüber wie ein richtiger Vater. Durch ihn begannen für Isabel die ersten Erlebnisse mit den Büchern:
Im Schlafzimmer meines Onkels standen Regale voller Bücher vom Boden bis zur Decke und in der Mitte eine Einsiedlerlagerstatt, auf der er den größten Teil der Nacht lesend verbrachte. Er hatte mich überzeugt, dass im Dunkeln die Gestalten aus den Büchern die Seiten verlassen und durch das Haus wandern; ich versteckte den Kopf unter dem Bettzeug aus Angst vor dem Teufel in den Spiegeln und vor dieser Menge Gestalten, die durch die Zimmer wandelten und ihre Abenteuer und Leidenschaften neu belebten: Piraten, Kurtisanen, Banditen, Hexen und Jungfrauen. Um halb neun musste ich das Licht löschen und einschlafen, aber Onkel Pablo schenkte mir eine Taschenlampe, um unter der Bettdecke zu lesen; seitdem habe ich eine abartige Neigung zu heimlicher Lektüre.
Isabel ist auch heute im Alter von über siebzig Jahren noch reichlich mit Fantasie ausgestattet. Das ist auch der Grund, weshalb mich ihre Bücher so sehr anziehen.
So wie ich die schönsten Bücher meiner Kinderzeit, versteckt im Keller von Großvaters Haus, verschlungen hatte, so las ich heimlich Tausendundeine Nacht mitten in der Pubertät, als Körper und Geist zu den Geheimnissen des Geschlechts erwachten. Dort im Schrank verlor ich mich in zauberhaften Märchen von Prinzen, die sich auf fliegenden Teppichen fortbewegten, von Geistern, die in Öllampen eingeschlossen waren, von sympathischen Räubern, die sich als alte Frauen verkleidet in den Harem des Sultans einschließen, um unermüdlich mit den Frauen ihre Spiele zu treiben, den verbotenen Frauen mit den Haaren schwarz wie die Nacht, den ausladenden Hüften und den Brüsten wie Äpfel, nach Moschus duftend und sanft und immer zur Lust bereit. Auf diese Seiten hatten die Liebe, das Leben und der Tod spielerischen Charakter; die Beschreibungen von Mahlzeiten, Landschaften, Palästen, Märkten, Gerüchten, Geschmäckern und Stoffen waren von solchem Reichtum, dass für mich die Welt niemals wieder dieselbe wurde. 
Isabel war als junge Frau journalistisch tätig und war bei einer Zeitung angestellt, obwohl sie über kein politikwissenschaftliches Studium verfügte. Sie hatte Glück, aus ihrer Sicht würde sie heute ohne Studium so eine Stelle niemals bekommen. Isabel zeigte Probleme, Berichte objektiv zu schreiben, vor allem in den Anfangsjahren. Sie hielt Interviews, doch nicht jeder stellte sich ihr, es kam auch vor, dass es Leute gab, die Angst vor ihren Interviews hatten. Erste Erfahrungen mit einem Dichter:

Der Dichter:
>>Mit mir ein Interview? Niemals würde ich zulassen, dass man mich einer solchen Folter unterwirft!<< sagte er lachend. >>Sie müssen die schlechteste Journalistin dieses Landes sein. Sie sind außerstande, objektiv zu sein, stellen sich bei allem in den Mittelpunkt, und ich vermute, Sie lügen ziemlich viel, und wenn Sie keine Neuigkeit haben, erfinden Sie eine. Warum setzen Sie sich nicht lieber hin und schreiben Romane? In der Literatur sind diese Mängel echte Tugenden.<<. 
Wie wahr, wie wahr, wobei ich diese Theorie eher relativieren würde. Auch Romane sind nicht immer nur rein fiktiv. Und jede Fiktion trägt außerdem psychoanalytisch gesehen den Wahrheitsgehalt im Bereich des Unbewussten … Doch Schriftstellerin wurde Isabel erst viele Jahre später. Ihr Debütroman Das Geisterhaus brachte sie mit Anfang vierzig heraus. Relativ spät für eine Schriftstellerin. Entdeckt wurde sie in Europa durch eine spanische Literaturagentin, während die Verlage in ihrem Lande das Manuskript gar nicht mal angesehen hätten, so ihren Vermutungen zufolge.

Ihre Erfahrungen mit dem Schreiben ihrer Bücher, bezogen auf die Techniken, nahmen auch nicht gerade übliche Formen an, eher recht außergewöhnliche und stark mit ihrer Seele und meditativ arbeitend verbunden:
Durch eine geheime Zeremonie mache ich Geist und Seele bereit, den ersten Satz in Trance zu empfangen, dadurch öffnet sich eine Tür einen Spaltbreit, und ich kann hindurchspähen und die verschwommenen Umrisse der Geschichte erblicken, die auf mich wartet. In den folgenden Monaten werde ich die Schwelle überschreiten, um diese Räume zu erkunden, und nach und nach werden, wenn ich Glück habe, die Gestalten Leben gewinnen, werden immer deutlicher und wirklicher werden, und die Geschichte wird sich mir offenbaren. Ich weiß nicht, wie ich schreibe und weshalb ich schreibe, meine Bücher werden nicht im Kopf geboren, sie werden im Bauch ausgetragen, es sind launische Geschöpfe, die ihr Eigenleben haben und immer bereit sind, mich zu verraten. Nicht ich entscheide über das Thema, das Thema wählt mich aus, meine Arbeit besteht lediglich darin, ihm genügend Zeit, Einsamkeit und Disziplin zu widmen, damit es sich von allein schreibt. 
Isabel brachte nicht nur zwei Kinder zur Welt, nein, auch ihre Bücher trug sie wie echte Geburten aus, natürlich nur symbolisch gesehen.

Nun habe ich viel über ihr Scheibtalent geschrieben und Paula ausgelassen.

Natürlich habe ich auch Gedanken zu Isabel im Umgang zu ihrer sterbenden Tochter. Da ich nicht zu viel vorwegnehmen möchte, hierin nur ein paar Sätze.

Isabel und ihr Schwiegersohn Ernesto litten enorm unter der tödlichen Erkrankung Paulas. Paula lag über viele, viele Monate im Koma. Sie konnte nicht sterben, weil die Angehörigen sie nicht loslassen konnten. Mit viel Liebe und Pflege konnte der Körper am Leben erhalten bleiben, während das Gehirn nicht mehr reagierte ... Mir fallen dabei die von Elisabeth Kübler-Ross` entworfenen fünf Trauerphasen ein, angelehnt an die fünf Sterbephasen, auf die ich aber nicht näher eingehen möchte, um den Rahmen nicht zu sprengen. Die Trauerphasen helfen, die Angehörigen besser zu verstehen. Wer sich dafür interessiert, so verweise ich auf die Bücher von Kübler-Ross oder auf das Internet …
In der Auseinandersetzung mit dem Leben und Tod Paulas fanden hierbei auch viele transzendente Formen im Bereich der Spiritualität statt, in denen die Seelen miteinander kommuniziert und zu Lösungen gefunden haben. Das war ein schwerer Lernprozess für die Angehörigen, die viel Achtung verdienen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
______
Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

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Montag, 8. Dezember 2014

Isabel Allende / Paula

Klappentext
»Hör mir zu, Paula, ich werde dir eine Geschichte erzählen, damit du, wenn du erwachst, nicht gar so verloren bist.« Das Unfaßbare geschah im Dezember 1991, als lsabel Allendes Tochter Paula plötzlich schwer erkrankte und kurz darauf ins Koma fiel. Eine heimtückische Stoffwechselkrankheit hatte die lebensfrohe junge Frau jäh niedergeworfen, im Herbst 1992 starb sie. Das Schicksal ihrer Tochter wurde für lsabel Allende zur schwersten Prüfung ihres Lebens. Um die Hoffnung nicht zu verlieren, schrieb sie, der Tochter zur Erinnerung und sich selbst zur Tröstung, »das Buch ihres Lebens – in doppelter Hinsicht« (Bayerischer Rundfunk), ihr persönlichstes und intimstes Buch, »eine Hymne auf das Leben« (stern).

Autorenporträt
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.

Weiter geht es mit dem Isabel Allende Leseprojekt. Ich habe vor, alle Bücher von ihr zu lesen. Bisher habe ich von ihr gelesen:
  1. Amandas Suche 
  2. Das Geisterhaus
  3. Das Portrait aus Sepia
  4. Das Siegel der Tage
  5. Die Insel unter dem Meer
  6. Die Stadt der wilden Götter
  7. Eva Luna
  8. Fortunas Tochter
  9. Inés meines Herzens
  10. Mayas Tagebuch
Folgende drei müssen noch gelesen werden ... (Das Obere habe ich nicht mehr mitgezählt)
  1. Aphrodite
  2. Mein erfundenes Land
  3. Von Liebe und Schatten
Es müssen, so viel ich noch in Erinnerung habe, noch mindestens drei angeschafft werden, dann müsste meine Sammlung vollständig sein. 




Freitag, 5. Dezember 2014

Marcel Proust / Die Gefangene (BD 5)

Klappentext
Marcel, der am Ende von Sodom und Gomorrha beschlossen hat, Albertine zu heiraten, nimmt sie nun zu sich nach Hause und hält sie vor den Augen der Welt versteckt. Sehr bald stellt er jedoch fest, daß mit dieser Gefangennahme die Liebe einer Eifersucht weicht, die ihn zum eigentlichen Gefangenen macht. Anders als Swann erkennt Marcel zwar die Mechanismen dieser Eifersucht, kann sich aber nicht von ihr befreien. Statt dessen werden Sehnsüchte nach anderen Frauen wach, nach neuen Reisen.


Autorenporträt
Marcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren und starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist zu einem Mythos der Moderne geworden.Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem – nur vermeintlich müßigen - Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. „In Swanns Welt“, der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band, „Im Schatten junger Mädchenblüte“, wurde Proust 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der „Suche nach der verlorenen Zeit“ wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.
Folgende Bände von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit habe ich gelesen:
Unterwegs zu Swann (1)
Im Schatten junger Mädchenblüte (2)
Guermantes (3)
Sodom und Gomorrha (4)
Die Flüchtige (6)
BD 6 musste ich vorziehen, da ich sonst Proust aufgeben hätte müssen. Tat mir mit BD 5 schwer, bin einfach nicht in das Geschehen reingekommen. Mit dem sechsten Band hatte ich keine solche Probleme. Da ich vor längerer Zeit beschlossen habe, Proust nur noch zu lesen, wenn ich Urlaub habe und mir mehr Zeit und Konzentration zur Verfügung stehen. Nun ist es wieder so weit. Ich habe Urlaub ... Es ist Proust-time ...

Mal schauen, wie weit ich dieses Mal kommen werde ...


Nachtrag, Sonntag, den 07.12.2014

Ich habe gar keine Zeit mich mit Proust zu befassen. Ich habe tatsächlich einen falschen Augenblick gewählt. Ich habe so viel anderes vor, wie z.B. Literaturfilme mir anschauen, mich erholen und mich mit FreundInnen treffen. Wenn ich mich mit Proust beschäftige, dann muss ich ganz für ihn da sein. Ich kann ihn nicht mit anderen teilen, weder mit Menschen noch mit anderen Hobbys. Er fordert meine ganze Aufmerksamkeit, meine ganze Zeit. Proust zu lesen ist nicht wie Urlaub, Proust zu lesen ist wie Arbeit.

Ich vertage ihn und beginne mit einem anderen Buch, das leichter zu genießen ist. 

Zwei Jahre später, BD 5.

Hier geht es zur Buchbesprechung, Die Gefangene, 20.11.2016. 
        

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Agatha Christi / Das Haus an der Düne (1)

Lesen mit Anne ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe das Buch nun durch. Mir hat es ganz gut gefallen, aber es gibt nicht so viel, was ich zu dem Buch sagen könnte.  Was hat mir denn nun gefallen? Ich finde, Agatha ist es gut gelungen, die Szenen ein wenig zu verwirren, damit man nicht so leicht hinter das Kriminalistische kommt. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, das Opfer namens Nick Buckley ... zu verwechseln. Ich darf ja nicht so viel verraten. Es ist aber auch der Klappentext, der die Leserin ein wenig in eine Richtung weist... 

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Während ihres Urlaubs in dem Küstenstädtchen St. Loo lernen Hercule Poirot und Captain Hastings die junge Nick Buckley kennen, Erbin eines großen alten Hauses mit Seeblick. Auf das Leben des jungen Mädchen werden immer wieder Anschläge ausgeführt, denen sie nur knapp entkommt. Ihre Kusine wird bei einem solchen Mordversuch getötet. Hercule Poirot steht vor einem Rätsel.
Verglichen mit Anne bin ich kein Fan von Agatha Christi, weshalb mir wahrscheinlich nicht so viel zum Schreiben einfällt. Ich lese sie nur, um eine Vorstellung von den Büchern der Autorin zu bekommen.

Auffallend fand ich, dass der Icherzähler Hastin so von Hercule Porot richtig von oben herab behandelt wird, auch wenn er tatsächlich keine bösen Absichten damit hegte, dennoch hatte es Hasting hin und wieder doch wegen seiner Direktheit die Sprache verschlagen ... Da wirkte dieser Hercule Poirot doch ein wenig überheblich ... Natürlich kann er sich auf sein detektivisches Können etwas einbilden, hihihi, aber trotzdem. Mal runter kommen von seinem hohen Ross, :). 

Anne gefallen Buchverfilmungen besser als die Bücher. Nein, die Zeit würde ich mir nicht nehmen, mir noch die Agatha Krimis anzuschauen. Krimis zählen nicht zu meinen favorisierten Genres.

 So, morgen Abend beginne ich mit Marcel Proust. Mir fehlen noch zwei Bände von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, dann habe ich alle sieben Bände geschafft.
______
Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben …
Das Böse findet immer seine Strafe. Nur bleibt sie uns manchmal verborgen..
(Agatha Christi)

Gelesene Bücher 2014: 83
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Montag, 1. Dezember 2014

Agatha Christi / Das Haus an der Düne

Lesen mit Anne ...

Nun ist es wieder soweit. Just zum ersten eines Monats lesen Anne und ich gemeinsam ein Buch. Für den Monat Dezember ist Anne wieder mit dem Aussuchen dran und so entschied sie sich für einen Krimi-Klassiker. Anne ist verglichen zu mir eine echte Krimileserin, wobei sie auch nur die liest, die nicht so blutrünstig sind. Da sind wir ja mit Agatha Christi gut versorgt ...


Klappentext
Während ihres Urlaubs in dem Küstenstädtchen St. Loo lernen Hercule Poirot und Captain Hastings die junge Nick Buckley kennen, Erbin eines großen alten Hauses mit Seeblick. Auf das Leben des jungen Mädchen werden immer wieder Anschläge ausgeführt, denen sie nur knapp entkommt. Ihre Kusine wird bei einem solchen Mordversuch getötet. Hercule Poirot steht vor einem Rätsel.


Autorenporträt
Agatha Christie schuf den modernen britischen Kriminalroman. Sie schrieb 68 Krimis, zahlreiche Kurzgeschichten, zwanzig Theaterstücke, eine Autobiographie, einen Gedichtband und – unter ihrem Pseudonym Mary Westmacott – sechs Romanzen. Sie gilt als die meistgelesene Schriftstellerin überhaupt. Die »Queen of Crime« verband ihre Lebenserfahrungen mit Phantasie, psychologischem Feinsinn, skurrilem Humor und Ironie. 1971 in den Adelsstand erhoben, starb sie im Alter von 85 Jahren am 12. Januar 1976.

Gelesen habe ich von der Autorin:

Der Wachsblumenstrauß
Die Kleptomanin 
Mord im Orientexpress  

Man kann es sich zur Lebensaufgabe machen, die Krimis von Agatha zu lesen. Es sind jede Menge. Ich hatte mal auf einer Literaturseite entnommen, dass sie etwa 160 Kurzgeschichten, 82 Erzählungen und 24 Bände im Hardcover verlegt hat. Ich glaube nicht, dass ich mir ihre Werke zur Lebensaufgabe machen werde. Mal schauen, wie weit ich kommen werde ...