Mittwoch, 29. April 2015

Lilly Lindner / Da vorne wartet die Zeit

Klappentext
Die Menschen in der Stadt am Waldrand. Sie leben miteinander, sie leben nebeneinander her, sie sind allein, sie sterben - und doch hängen sie und ihre Schicksale alle zusammen: Der Kriminalpolizist, der einer grausamen Entführungsserie auf der Spur ist, das Mädchen aus gutem Hause mit dem unsagbaren Geheimnis, der weise Forscher der Zeit und die Mutter, die ihre kleine Tochter verliert. Sie alle leben in der Stadt am Waldrand, und sie alle sind mit dem Tod konfrontiert. Und mit der Zeit, die sich in der Unendlichkeit verliert. Ein geschickt konstruierter, sprachgewaltiger Roman - von Spiegel-Bestsellerautorin Lilly Lindner.


Autorenporträt
Lilly Lindner wurde 1985 in Berlin geboren. Bereits mit fünfzehn begann sie autobiographische Texte und Romane zu schreiben. Viel Zeit verbringt sie heute mit der Arbeit mit Kindern.
Dieses Buch habe ich am Montag begonnen und bin fast durch damit. Den Schreibstil finde ich nach wie vor interessant, verglichen mit einem anderen Werk der Autorin ...

In dieser Lektüre befinden sich mehrere Abschnitte /Kapitel, in denen verschiedene Lebensgeschichten beschrieben werden. Sie lesen sich wie Kurzgeschichten und bauen nicht aufeinander auf. Manchmal liest sich eine Geschichte wie ein Märchen. Leider geht es hier viel um den Tod. Mir ist schon bewusst, dass der Tod zum Leben gehört, aber das scheint mir hier ein wenig geballt zu sein. Ist nicht mein Geschmack. Die Autorin schreibt selbst:
So viel Tod.
In so kurzer Zeit.
So viele Lebensgeschichten.
Auf so wenig Seiten.
 Das Buch Bevor ich falle hatte mir wesentlich besser gefallen.

Ich werde mir eine Lebensgeschichte herauspicken, und morgen Abend darüber meine Buchbesprechung schreiben.




Dienstag, 28. April 2015

Urs Richle / Das taube Herz (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Am Ende, nach dem Epilog, musste ich unbedingt wieder den Prolog lesen. Mit dem Hintergrund, der mir nun zur Verfügung steht, konnte ich mich besser in die Beschreibung, auf den Vorspann der Geschichte, einlassen und prospektivisch verstehen.

Wer nicht zu viel wissen möchte, der sollte diese Buchbesprechung überspringen.

Zwei Figuren in dem Buch fand ich bemerkenswert. Es sind der ungelernte Uhrmacher Jean-Louis Sovery und seine außergewöhnliche Geliebte Ana de La Tour.

Die Geschichte spielt sich Mitte des 17. Jahrhunderts ab. Die Spielorte finden in der Schweiz, in Österreich und in Frankreich statt.

Aus dem Anhang ist zu entnehmen, dass dieser historische Roman fiktiv ist, lediglich ein paar wenige historische Figuren existierten tatsächlich. Aber die beiden ProtagonistInnen Jean-Louis und Ana zählen nicht dazu.

Obwohl das historische Datum weit über das Mittelalter hinaus geht, sind die Themen auch hier besetzt mit Quacksalbern, Scharlatanen und Dämonenbeschwörern …

Die Kindheit von Jean-Louis war alles andere als geglückt und man kann nicht sagen, dass der Vater das Beste für ihn wollte. Sein Vater ist von Beruf Uhrmacher und Tischler. Jean-Louis zeigte als Kind recht früh dieselbe Begabung wie die seines Vaters. Er interessierte sich für die Mechanik, konstruierte selbst ein paar Uhrwerke. Minutiös hielt er alle seine technischen Gedanken schriftlich fest, doch sein Vater lehnte ihn vehement ab, verkannte sein Talent. Er sei keineswegs geeignet, Uhrmacher zu werden. Stattdessen schickte er den Sohn auf ein klösterliches Internat, in dem er eine wissenschaftliche und theologische Ausbildung erwerben sollte, um später Pfarrer zu werden.
Seine Hände seien zu nichts anderem fähig, als zum Umblättern hauchdünner, eng bedruckter Buchseiten. Dieser Kopf sei zu wirr, als dass er sich mit den einfachen, weltlichen Dingen der Konstruktion eines Uhrengehäuses befassen könne. Immer müsse er alles infrage stellen, immer müsse er die Dinge weiterdenken, als sie in Wirklichkeit reichten, immer gerate alles aus dem Lot, was sein von Hirngespinsten und an Wahn grenzenden Fantastereien geplagter Sohn anpacke.
Doch auch hier im Kloster gingen die Pläne nicht auf. Nach dem Abitur wird der Junge von seiner   Bildungseinrichtung wieder nach Hause geschickt mit der Perspektive, einen technischen,wissenschaftlichen Beruf zu ergreifen, da er für eine religiöse Ausbildung nicht taugen würde.

Jean-Louis ging doch den Weg eines Uhrmachers, allerdings nicht in der Werkstatt seines Vaters, der ihn nur in der Schreinerei einsetzte. Nein, er war bei einem Meister eingestellt namens Falquet. Er war hier sehr erfolgreich, erfand selber das eine oder andere Uhrwerk. Jean-Louis versuchte seine neuen Erfindungen mit seinen Initialen zu signieren und bekam Stress mit seinem Meister: 
Der Meister zeigte mit seinem alten, schrumpeligen Finger auf die Buchstaben JLS, die mit einem Stichel in die äußere Wand des Federhauses geritzt waren.>>Das ist meine Unterschrift, Maitre<<, gestand Jean-Louis, >>das Uhrwerk stammt von mir.<<
>>Du bist ein Niemand, Sovary, deine Unterschrift gibt es nicht, sie gilt nichts, sie ist nichts Wert, im Gegenteil! Hast du eine Ausbildung? Kannst du irgendein Papier vorweisen? Hast du irgendeine Lizenz, die dich dazu ermächtigt, dich Horloger … nennen zu dürfen? Entferne deine Unterschrift sofort auf allen Uhrwerken, die noch hier in der Werkstatt stehen, und zwar schleunigst! Sie bringt mich in den Verruf der Betrügerei und dich womöglich ins Gefängnis! Kein einziges meiner Meisterstücke verlässt die Werkstatt ohne die Signatur eines anerkannten Uhrmachers, und schon gar nicht mit derjenigen eines Hochstaplers. Du bist Reparateur, mein kleiner Sovary, Mechaniker und Handlanger des Maitre Falquet, nicht mehr und nicht weniger! Noch eine Signatur mit deinem Namen, und ich schicke dich zurück in den jurassischen Wald zu deinem Vater und all den anderen Holzwürmern!<< 
Nun gibt es eine Wende im Leben des Jean-Louis Sovarys. Er wird nach Paris gelockt. Sein Auftrag: Ein repariertes Uhrwerk seinem Auftraggeber persönlich abzuliefern. Der Auftraggeber ist ein französischer  Orgelbauer namens Blaise Montallier, der noch dazu Automatensammler in Paris ist. Diese Reise nach Frankreich wird Sovary zu einem Verhängnis. Als er das Uhrwerk dort übergibt, wird er von Montallier in den Keller gelockt und dort eingesperrt mit der Verpflichtung, für ihn einen Schachautomaten zu konstruieren. Der Aufenthalt in diesen dunklen, fensterlosen und feuchten Gemäuern beläuft sich bis zur Freilassung auf mehrere Monate  …

Hier lernt Sovary seine junge Geliebte Ana de La Tour kennen. Auch eine sehr interessante Persönlichkeit, mit der ihre Eltern trotz großer Mühen nichts anfangen konnten. Ana erinnert mich ein wenig an Kasper Hauser. Dazu später mehr.

Montallier lernte den Wissenschaftler Wolfgang von Kempelen kennen, der einen Schachautomaten konstruiert hatte, der  ihm den Titel Schachtürke gab. Montallier traut diesem Automaten nicht, weshalb er Jean-Louis gekidnappt hat, weil er der gesuchte Mann ist, der über die Fähigkeit verfügt, einen Schachautomaten zu bauen, der später gegen den Österreicher antreten soll …


Foto aus Wikipedia: Schachtürke
Und dennoch hat ein österreichischer Hofbeamter sich nun also getraut, die Öffentlichkeit mit der Konstruktion eines solchen Automaten herauszufordern. Im Beisein ganzer Heerscharen gläubiger und ungläubiger Leute, schaulistiger Gesindel, gieriger Widersacher, eifersüchtiger Uhrmacherkollegen und skeptischer Vertreter von Kirche und Staat spielte der berühmte Türke in Wien, London und also auch in Paris siegessicher Spiel um Spiel gegen seine Gegner, als wäre seine innere Uhrmechanik des Denkens fähig wie ein vernünftiger, ausgewachsener Mensch. Die besten Spieler wurden geholt, Schachmeister und Mathematikprofessoren, Ingenieure und Philosophen, Priester und Juristen. Wetten wurden abgeschlossen, und die Spekulationen loderten lichterloh. Ist schwarze oder weiße Magie im Spiel? Werden die Automaten mit unsichtbaren Fäden bedient? Durch Magnetismus gesteuert? Hat der Erfinder eine neue elektromagnetische Entdeckung gemacht? Sitzt im Innern der Kiste ein Kind? Ein Krüppel? Aber wie kann ein Krüppel oder ein Kind gegen die besten Schachmeister des Landes gewinnen? (…) Hat der Erfinder seine Seele verkauft? In Artikel über Artikel erregte man sich in den Zeitschriften. Brandreden werden vor den groß angekündigten Veranstaltungen gehalten und forderten die Annullierung der Aufführung von Schwindel, Betrug und Gotteslästerung. Demonstrationszüge versuchten, die Veranstaltung zu blockieren, Juristen und Autoren schrieben über das Phänomen des Schach spielenden Automaten und versuchten, die Wahrheit aufzudecken.  
Ich komme nun ein wenig auf Ana de La Tour zu sprechen, die eine total interessante Persönlichkeit darstellt, auch wenn sie gesellschaftlich böse Folgen nach sich zieht. Ana wurde mit großen Schmerzen geboren. Dadurch nahm die Mutter ihr Kind nicht an. Das Kind schrie unaufhörlich. Die quälenden Schreie ähnelten einer starken kindlichen Hysterie, aus der sich das Kind nicht erholen konnte. Der Vater ließ verschiedene Ammen rufen, doch nur eine Amme wurde mit dem Kind fertig. Ana wurde ihr in die Obhut gelegt, nachdem der Vater fast sein ganzes Vermögen in teure Mediziner und Heiler eingesetzt hatte, doch ohne jeglichen Erfolg. Die Amme wurde allerdings kurze Zeit später sehr schwer krank und starb an den Folgen. Ana kam in ein Hospiz …

Anas Vater war ein äußerst guter Schachspieler und merkte nicht, dass er diese Begabung an seine Tochter weitervererbt hatte. Auch er, ähnlich wie Jean-Louis`Vater, verkannte das Genie in seiner Tochter.
Ein Arzt schenkte der kleinen Ana ein Schachspiel, als sie ihr Interesse daran bekundet hatte. Das Schachbrett schaffte es, die Kleine spielend zu beruhigen.
Ana war allerdings nicht gesellschaftsfähig und lebte in ihrer Welt. Lediglich auf dem Gebiet der Mathematik war sie ein Genie. Sie war in der Lage, große und komplizierte Rechenoperationen innerhalb kürzester Zeit mit dem Kopf zu lösen, um damit wichtige Schachzüge zu konstruieren. Ana wuchs in dunklen Räumen auf, und als das Schachbrett samt der Figuren verloren gingen, ritzte sie sich auf dem Boden unter einem Möbelstück, wo sie saß, ein eigenes Schachbrett, das sie mit schwarzen und weißen Steinen bediente. Ana wurde in der Gesellschaft nicht sozialisiert, hat demnach das Handwerkszeug, das man benötigt, um in einer Gesellschaft überleben zu können, nie erworben. Sie schrie entsetzlich, wenn man sie der Öffentlichkeit aussetzte, oder sie mit neuen Lebenssituationen konfrontierte, entwickelte sie sogar autistische Züge …
Es sprach sich herum, dass Ana im Schachspiel über höchste Geistesgaben verfügte und so entführte man sie aus dem Hospiz, um mit ihr Forschungen zu betreiben aber nicht im wissenschaftlichen Sinn.

Ihr Talent und ihre hysterischen Rufe wurden vom   Kirchenpersonal als vom Teufel besessen gedeutet …

Der begabte Jean-Louis befindet sich inmitten seiner Konstruktionen, einen Schachroboter zu bauen, der den Namen   La Grande Dame erhält.         
Dass man den menschlichen Körper als Maschine begreifen und ihn nach allen Bestandteilen und Funktionsweisen bis in das innerste Detail erforschen und studieren konnte wie ein Apparat, das schien ihm geradezu offensichtlich. Auch dass man den gesamten menschlichen Bewegungsapparat und obendrein logische Abläufe wie diejenigen einer komplizierten Uhr oder gar einer streng kognitiven Schlussfolgerung nachbauen können sollte, war für Jean-Louis nachvollziehbar und überzeugend. Aber wie er aus Eisen, Holz und Baumwollfäden eine Seele bauen sollte, das blieb ihm ein Rätsel. Sollten ihm auch die gesamten Stoffe dieser Erde zur Verfügung stehen, an alchemistische Experimente glaubte er so wenig wie dieser La Mettrie. Und weder die einen noch der andere waren ihm in dieser Stunde eine Hilfe.  
Eigentlich geht es Montallier nur darum, der Öffentlichkeit zu beweisen, dass   Kempelen mit seiner Maschine trickst … Außerdem gönnt er ihm sein Patent nicht:
Daraus ein Mysterium zu machen, wie von Kempelen es in seiner ganzen Arroganz pflegt, könnte seine Entdeckung für nützliche Zwecke gebraucht werden, vielleicht sogar Menschenleben retten. Statt egoistisch die internationale Aufmerksamkeit für seine theatralischen Aufführungen auf sich zu lenken, sollte von Kempelen jede seiner Erfindungen der Wissenschaft zur Verfügung stellen! Und wer spricht überhaupt von einer Erfindung? Wenn von Kempelen ein physikalisches, mathematisches oder chemikalisches Gesetz entdeckt hat, kann er dann darauf Besitzanspruch erheben? Sind die Naturgesetze nicht Allgemeingut, gehören sie nicht uns allen? Stellen Sie sich vor, Newton hätte die Schwerkraft für sich gepachtet? Kann jemand die Gesetze der Optik besitzen? Können mathematische Axiome verheimlicht werden? …  Hat von Kempelen das Recht, seine Entdeckung für sich zu behalten? Die Gesetze der Physik bringen nicht nur die Mechanik weiter, sie nützen auch der Wirtschaft und der Medizin. Ich frage sie also: Darf es sein, dass ein einziger Mann allein aus Ruhm den Fortschritt der gesamten Menschheit aufhalten, ja gar gefährden kann?  
Jean-Louis konstruiert diese neue Maschine mit Anas Hilfe, die sich peu á peu an ihn im dunklen Keller gewöhnt hatte …
Jean-Louis baut die Maschine und Ana gibt die Rechenoperablen weiter. Doch Ana erhält später für den Automaten noch eine andere Funktion, die ich nicht verraten möchte …

Jean-Louis wundert sich über den Sinn dieser Schachroboter immer mehr und stellt sich philosophische Fragen:
Wie sollte es überhaupt möglich sein, dass ein Automat gegen einen anderen Automaten Schach spielte? War das nicht ein Ding der Unmöglichkeit? Wie sollten die von Natur aus toten Materialien, in einer bestimmten Weise komponiert und zusammengebaut, sich plötzlich verhalten wie zwei Menschen an einem Spielbrett? War denn alles, was den Menschen ausmacht, durch Maschinen darstellbar? War es möglich, einer Maschine menschliche Verhaltensformen abzugewinnen? Und wenn dem so sein sollte, was bedeutet das für den Menschen selbst? Ist er denn tatsächlich nichts anderes als eine Maschine, gebaut aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut? Reicht es, diesen Mechanismus bis in die feinsten Fasern nachzubilden, um einen Menschen zu kreieren? 
Man hatte tatsächlich versucht, den Maschinen menschliche Substanzen einzubauen. Deshalb der Titel Das taube Herz, weil es letztendlich doch nicht gelingen konnte, aus Maschinen lebende Menschen zu machen. Kempelens Maschine wurde z.B. auch mit Knochenmehl konstruiert, das von menschlichen Gebeinen stammt.

Nachdem die La Grande Dame fertig war, konnten nun beide Roboter gegeneinander antreten …

Wie es weitergeht, welches Schicksal den ProtagonistInnen Jean-Louis Sovery und Ana de La Tour ereilt, das möchte ich nicht verraten.
Es geht bis zum Schluss spannend weiter …

Da ich gar nichts von diesen Schachmaschinen wusste, freue ich mich nun sehr, dahingehend informiert worden zu sein. Hatte bis dato noch nie etwas von einem Schachtürken gehört.

Das Buch ist zudem spannend geschrieben und auch den literarischen Ausdruck fand ich gelungen. Ebenso die Figuren wurden recht glaubhaft in ihrem Auftreten dargestellt.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

Im Folgenden noch ein Artikel zu dem Schachtürken aus der Online-Zeitung Welt-Bildung:

____________
Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R. Moehringer)

Gelesene Bücher 2015: 19
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Mittwoch, 22. April 2015

Urs Richle / Das taube Herz


Klappentext
Die tragische Geschichte eines Schweizer Uhrmachergenies, dessen Automat am französischen Hof den berühmten Schachautomaten des Baron von Kempelen besiegt – eine Parabel über den Traum des Menschen, die Schöpfung zu vervollkommnen. Jean-Louis Sovary ist ein Kind des 18. Jahrhunderts und als Sohn des Schweizer Jura von klein auf fasziniert von Uhren und ihrer Mechanik. In einem dubiosen Atelier in der Nähe von Genf kann er seine Begabung ausleben und wird zum Fälscher der besten Uhrwerke seiner Zeit. Dies bleibt auch dem französischen Orgelbauer und Automatensammler Montallier nicht verborgen, der ihn nach Paris lockt. Hier soll er im Geheimen einen raffinierten Automaten bauen, mit dem Montallier den berühmten Schachtürken des Baron von Kempelen besiegen will. Doch das geht nicht ohne ein geniales menschliches Gehirn, das Montallier in dem Mädchen Ana gefunden hat. Und Jean-Louis macht die Erfahrung, dass selbst die ideale Kombination von Maschine und Hirn unvollständig ist – ohne ein empfindendes Herz. 

Autorenporträt
Urs Richle, geboren 1965 im Toggenburg, lebt mit seiner Familie in Genf. 
Er ist diplomierter Medieningenieur und veröffentlichte eine Reihe von Romanen, die in mehrere Sprachen übersetzt und mit Preisen ausgezeichnet wurden. Neben dem Schreiben arbeitet Urs Richle in Forschungsprojekten an der Universität Genf und als Dozent am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel.
Ich kenne diesen Autor noch nicht und weiß nicht, ob ich tatsächlich mit der Thematik klar komme. Mal schauen, ob mich der Autor überzeugen wird.



Dienstag, 21. April 2015

David Nicholls / Zwei an einem Tag (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe das Buch durch aber ich weiß genau, dass ich den Inhalt recht schnell wieder vergessen werde.

Interessant fand ich, dass mir die meisten LiteratInnen, die in dem Buch vorgestellt werden, bekannt waren. Sogar ausländische.

Das Buch hat mir nicht besonders gut gefallen. Vielleicht hat das an dem Protagonisten Dexter gelegen. Ein Macho schlechthin … und der trotz seiner vielen Kontakte ein sehr einsamer Mensch ist, der seine Mitmenschen benutzt, die ihm seine Einsamkeit vertreiben sollten.

Ich war froh, als ich mit dem Buch durch war. Gestern hatte ich es schließlich geschafft.

Es ist eine reine Lovestory.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein.
15. Juli 1988. Am Tag ihrer Examensfeier lernen sich Emma und Dexter kennen. Sie verbringen die Nacht miteinander, aber am nächsten Tag trennen sich ihre Wege. Obwohl die beiden unterschiedlicher nicht sein können, können sie einander nicht vergessen. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege an jenem magischen Tag, dem 15. Juli. Es vergehen 20 Jahre, bis die zwei endlich erkennen, wonach sie immer gesucht haben. 
Ich hatte den Eindruck, dass Dex zu Em gefunden hat, als es mit allen anderen Frauenbeziehungen nicht geklappt hat.

Das Buch war viel zu umfangreich. Zwischendrin hatte es mich auch oft gelangweilt. Der Schreibstil zeigte mir zu wenig Tiefe. Habe wenige literarische Höhepunkte finden können. Wenig Weisheit … Zu viele Oberflächlichkeiten. Die Figuren waren mir nicht authentisch genug …

Es gibt noch die Buchverfilmung, die ich mir ansehen könnte, habe mich aber dann doch dagegen entschieden.

Dieses Buch wird sicher kein Klassiker werden.

________________
Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R. Moehringer)

Gelesene Bücher 2015: 18
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Donnerstag, 16. April 2015

David Nicholls / Zwei an einem Tag

Klappentext
15. Juli 1988. Am Tag ihrer Examensfeier lernen sich Emma und Dexter kennen. Sie verbringen die Nacht miteinander, aber am nächsten Tag trennen sich ihre Wege. Obwohl die beiden unterschiedlicher nicht sein könnten, können sie einander nicht vergessen. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege an jenem magischen Tag, dem 15. Juli. Es vergehen 20 Jahre, bis die zwei endlich erkennen, wonach sie immer gesucht haben.



Autorenporträt
David Nicholls, geboren 1966, war Schauspieler, bevor er Drehbuchautor von britischen Erfolgsserien wie Cold Feet, I Saw You und Rescue Me wurde. Bisher erschienen bei Kein & Aber Keine weiteren Fragen (Starter for Ten), Ewig Zweiter (The Understudy) und der internationale Bestseller Zwei an einem Tag (One Day). David Nicholls lebt als Drehbuchautor und Autor in London.
Meine ersten hundert Seiten habe ich schon durch, und bin noch immer ungehalten. Mal schauen, wie sich dies weiterentwickeln wird.


Dienstag, 14. April 2015

J. R. Moehringer / Tender Bar (1)

Lesen mit Anne …

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich am Samstagabend ausgelesen und es hat mir recht gut gefallen. Zwischendrin gab es mal eine kleine Durststrecke, aber ansonsten war das Buch recht interessant und fantasievoll geschrieben.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:

Eine Bar ist vielleicht nicht der beste Ort für ein Kind, aber bei Weitem nicht der schlechteste. Vor allem das »Dickens« nicht, mit seinen warmherzigen und skurrilen Figuren: Smelly, der Koch, Bob der Cop mit seiner dunklen Vergangenheit oder Cager, der Vietnam-Veteran. Für den kleinen JR, der alleine mit seiner Mutter wohnt, sie alle sind bessere Väter, als seiner es jemals war. JR wird erwachsen, und erfüllt sich seinen Traum: Er geht nach Yale. Die Bar wird JR sein Leben lang begleiten. Dort hört er zum ersten Mal Sinatra, sieht Baseballspiele im Fernsehen, und trinkt sein erstes Bier. Und bekommt all das, was er braucht: Mut, Zuversicht und die Gewissheit, dass es nicht immer nur die Guten oder die Bösen gibt, dass Bücher Berge versetzen können und dass man an gebrochenem Herzen nicht stirbt. Ein abwechselnd herzzerreißender und urkomischer Roman über tapfere Kinder, mitfühlende Männer und starke Mütter. Und darüber, dass Träume auch wahr werden können - wenn man für sie kämpft.
Wenn man bedenkt, wie viel Armut es in Amerika gibt und wie wenig sie in den deutschen Medien dargestellt wird, wenn das Land stattdessen hauptsächlich von der glänzendsten Seite gezeigt wird, dann ist es gut, dass es amerikanische AutorInnen gibt, die über ihr Leben dort berichten, das alles andere als glorreich ist.
J. R. Moehringer, Jahrgang 1964, schreibt in seinem Erstlingswerk über sein Leben in Amerika. Aufgewachsen ist er auf    Long Island, eine Insel, die zum Bundesstaat New Yorks gehört, befindet sich demnach auf der Landkarte ganz oben östlich, angrenzend zu Kanada.
Ich habe nämlich oft den Eindruck, je höher man geht, desto kühler wirken die Menschen.

Und auch hier erlebe ich manche AmerikanerInnern vielfach kühl, stark leistungsorientiert und recht aggressiv. Auch der Rassismus kommt hier wieder zum Tragen, wenn auch oberflächlich betrachtet nur geringfügig … Ich belasse es bei diesen Schlagwörtern, sollte ich nicht dazu kommen, diese näher aufzuführen. Jeder aufmerksame Leser dieses Buches wird selbst dahinter kommen, in welchen Zusammenhängen diese gemeint sind ...

Viele Zettelchen kleben wieder zwischen den Seiten, sodass ich schauen muss, welche ich für meinen Blog verwenden werde.

Schon auf den ersten Seiten bin ich über einen Begriff wie z.B. Identitätsdiebstahl gestolpert. Und in der Tat, der Autor befindet sich über viele, viele Jahre auf Identitätssuche, wie sich dies auch auf seine Initialen J. R. schließen lässt, die keine wirklichen Initialen sind. Eigentlich soll der wahre Name John Joseph Moehringer verborgen bleiben. Der Name des Vaters.
Die Suche nach der Identität erweist sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch …

Moehringer kennt seinen Vater kaum, der von der Mutter getrennt lebt, und der sich weigert, Unterhalt für sie und das Kind zu zahlen. Als die Mutter versucht hat, den Unterhalt gerichtlich einzuklagen, drohte der Mann, sein eigenes Kind zu kidnappen … Doch auch ihr Leben wird oft von ihm bedroht …

J. R. fehlte der Einfluss von Männern, da er hauptsächlich von Frauen umgeben ist. Um männliche Vorbilder zu finden, begibt er sich schon im Kindesalter in eine Bar, benannt nach dem Romancier Charles Dickens, in der auch sein Onkel Charlie als Stammkunde verkehrt. 
Eine Lektion, eine Geste, eine Geschichte, eine Philosophie, eine Haltung - ich nahm von jedem Mann in Steves Bar etwas mit. Ich war ein Meister im Identitätsdiebstahl, was damals noch ein harmloses Vergehen war. Ich wurde sarkastisch wie Cager, melodramatisch wie Onkel Charlie, ein Grobian wie Joey D. Ich wollte solide sein wie Bob the Cop, cool wie Colt, und meine Wut rechtfertigte ich, indem ich mir einredete, sie sei auch nicht schlimmer als der selbstgerechte Zorn von Smelly. Irgendwann wandte ich alles, was sich im Dickens gelernt hatte, bei Leuten an, die mir außerhalb der Bar begegneten - bei Freunden, Geliebten, Eltern, Vorgesetzten und sogar Fremden.  
Moehringers Vater ist beim Radio tätig. Sehnsuchtsvoll lauscht der kleine Sohn der väterlichen Stimme aus dem Radiosender.
Mein Vater war ein vielseitig begabter Mann, doch sein wahres Genie lag im Verschwinden. Ohne Vorwarnung änderte er seine Schichten oder wechselte die Sender. Ich konterte, indem ich ein Kofferradio mit hinaus auf die Vortreppen nahm, wo der Empfang besser war. Mit dem Radio auf dem Schoß wackelte ich an der Antenne, drehte langsam den Senderknopf und kam mir verloren vor, bis ich wieder die Stimme fand. 
Traurig, wie sehr sich ein kleiner Junge nach seinem Vater sehnt. Ganz unabhängig davon, wie zerstritten die Eltern untereinander sind.

Die Armut in dieser Familie, die Familie seiner Mutter, ist recht groß, dass die Mutter und deren Geschwister, Ruth und Charlie, es finanziell nicht schafften, von den eigenen Eltern unabhängig zu leben. Immer wieder, besonders die Schwestern, zogen sie zu ihnen zurück, weil das Geld für die Miete nicht ausreichte. Charlie, Single, wagte es erst gar nicht, auszuziehen:
In Opas Haus hat jeder mindestens ein Laster - Trinken, Rauchen, Spielen, Lügen, Fluchen, Faulsein. Mein Laster war die Stimme.
Doch der Großvater hatte auch Humor. Als der Hund voller Flöhe war, und die Kinder den Großvater darüber in Kenntnis setzten, erwiderte er, dass sie das nicht weitersagen sollten, denn sonst wollten andere auch alle einen Floh haben. Darüber musste ich sehr schmunzeln.

Das Haus des Großvaters war recht ärmlich ausgestattet, aber nicht, weil der Patriarch kein Geld besaß, es instand zu setzen, nein, weil er ein alter Geizkragen sei, und dies nicht nur auf materieller Ebene bezogen:
Opa gebe keine Liebe weiter, sagte meine Mutter, als hätte er Angst, sie könnte eines Tages knapp werden. Als sie, Tante Ruth und Onkel Charlie aufwuchsen, hatte er sie alle drei ignoriert und ihnen nie Aufmerksamkeit oder Liebe geschenkt. Sie beschrieb einen Familienausflug am Strand, als sie fünf war. Als sie sah, wie lieb der Vater ihrer Cousine Charlene mit seinen Kindern spielte, bat meine Mutter, Opa im Wasser, sie auf seine Schultern zu setzen. Das machte er auch, trug sie dann aber über die Wellen hinaus, und als sie weit draußen waren und meine Mutter kaum noch den Strand sehen konnte, bekam sie Angst und flehte ihn an, er möge sie absetzen. Da warf er sie ins Wasser. Sie ging unter, landete auf dem Grund, schluckte Salzwasser. Sie kämpfte sich wieder an die Oberfläche, schnaubte nach Luft und sah Opa lachen. Du wolltest doch abgesetzt werden, sagte er zu ihr, ohne ihre Tränen zu beachten. Als meine Mutter alleine aus der Brandung schwankte, hatte sie eine frühreife Eingebung: Ihr Vater war kein guter Mensch. 
Moehringers Mutter war begabt, durfte vom Elternhaus her aber keine höhere Schule besuchen. Ihr Sohn J. R. zeigt Mitleid mit ihr, sodass der Kleine eine hohe Verantwortung auf sich lädt, denn er sieht recht früh, was in der Familie so alles falsch läuft. Die Erwartungen der Mutter, er solle in der Schule sein Bestes geben, damit er später Jura studieren, und gegen den Vater klagen könne, nimmt er auf sich. Ob später was daraus wird, wird sich zeigen. Doch das genügte ihm nicht, denn auch die Großmutter impft ihm ein, er solle gut auf die Mutter achtgeben und für sie sorgen. Hier findet ein Rollentausch statt, indem ein Kind mit der Verantwortung eines Erwachsenen ausgestattet wird. Eigentlich sollte es andersherum sein:
Bei meinem Schwarzweißbild von der Welt reicht es nicht, wenn ich mein Bestes gab. Ich musste perfekt sein. Um für meine Mutter zu sorgen und sie ans College zu schicken, mußte ich sämtliche Fehler eliminieren. Durch Fehler war unsere Zwangslage überhaupt erst entstanden - Oma hatte Opa geheiratet, Opa hatte meiner Mutter das Studium verweigert, meine Mutter hatte meinen Vater geheiratet- und wir mussten weiter für sie zahlen. Ich musste diese Fehler korrigieren, indem ich neue vermied, perfekte Noten erzielte, dann ein perfektes College besuchte, danach Jura studieren und am Ende meinen unperfekten Vater verklagen konnte. Aber wie sollte ich perfekt sein, wenn die Schule immer schwerer wurde, und wenn ich nicht perfekt war, wären Mutter und Oma enttäuscht von mir und ich wäre nicht besser als mein Vater, und dann würde meine Mutter wieder singen und weinen und auf ihren Taschenrechner einhacken, um die Finanzen zu überprüfen - solche Gedanken schwirrten mir auf dem Spielplatz durch den Kopf, wenn ich anderen Kinder beim  Tetherball Spielen zuschaut. 
Demnach wurde Moehringer Junior schon ganz früh im Leben mit belastenden Themen konfrontiert, mit denen er sich herumschlug. Er wuchs mit vielen Problemen heran, oftmals zermürbten ihn die Sorgen seiner Mutter. Doch seine Mutter, ganz anders als die Großmutter, eine recht starke Persönlichkeit, versuchte ihm die Sorgen zu nehmen: 
Ich mache mir keine Sorgen über etwas, das nicht passiert. 
Moehringer zelebriert diesen Gedanken wie ein Mantra seine gesamte Kindheit hindurch.

Nun existieren aber auch andere Personen außerhalb der Familie. Moehringer fühlt sich gezwungen, sich mit vierzehn Jahren einen Job zu suchen, um der Mutter finanziell ein wenig unter die Arme zu greifen. Da er Bücher liebt, suchte er einen Aushilfsjob in einer schlecht laufenden Buchhandlung. Er lernte zwei Brüder kennen, die für den Laden verantwortlich waren. Aber das waren eher komische Vögel, doch für Moehringer eine große pädagogische Hilfe:
Bill und Bud schienen sich vor Menschen zu fürchten, vor allen Menschen, außer ihnen selbst, und das war mit ein Grund, weshalb sie sich im Lagerraum versteckten. Der andere Grund war ihr permanentes Lesen. Sie lasen pausenlos. Sie hatten alles gelesen, was jemals geschrieben worden war, und sie waren versessen darauf, alles zu lesen, was jeden Monat neu herauskam, und zu diesem Zweck mussten sie sich von der Welt abschotten wie Mönche im Mittelalter. Obwohl beide Mitte dreißig waren, wohnten sie noch bei ihren Müttern, hatten nie geheiratet und strebten offenbar auch nicht an, auszuziehen oder zu heiraten. Abgesehen vom Lesen hatten sie kein Bedürfnis und außerhalb des Ladens keine Interessen, wobei ihr Interesse an mir von Tag zu Tag wuchs. Die Frage nach meiner Mutter, meinem Vater, Onkel Charlie und den Männern; meine Beziehung zum Dickens faszinierte sie. Sie wollten wissen, warum Steve der Bar einen literarischen Namen gegeben hatte, und daraus entwickelte sich ein Gespräch über Bücher allgemein. Bill und Bud kamen schnell dahinter, dass ich Bücher liebte, aber nicht sehr viel über sie wusste. Mittels einer Reihe rascher, bohrender Fragen fanden sie heraus, dass ich nur das Dschungelbuch und die Minutenbiografien gut kannte. Sie waren entsetzt und wütend auf meine Lehrer.  
Bill und Bud erwiesen sich ein wenig wie Pseudolehrer im Bereich der Literatur. Sie gaben dem Jungen viele Tipps zur Jugendliteratur, wie z.B. Bücher von Jack London, von Mark Twain etc. …Moehringer kannte nicht viele AutorInnen, obwohl er im Haus seines Großvaters, im Kellerraum, viele Bücher entdeckte, die er wie geheime Schätze behandelte, doch darunter fand er zu wenige Bücher, die jugendtauglich waren.

Bücher würden sogar helfen, das innere Chaos eines Menschen wieder in Ordnung zu bringen. Psychische Stabilität, die Moehringer fehlte, und bezeichnete sich selbst als einen Neurotiker …

Moehringer schafft den Übergang von der höheren Schule auf die Universität. Bill und Bud empfehlen ihm die Universität in Yale. Eine recht anspruchsvolle Bildungseinrichtung und Moehringer sich nicht sicher ist, ob er dafür gut vorbereitet ist. Er bewirbt sich auf Anraten dieser Brüder trotzdem. Folgende Szene zwischen der Mutter und dem Sohn hat mich tief berührt, auch wenn die Handlung ein wenig trivial klingt:
Meine Mutter gab mir ein Geschenk, das sie im Souvenirladen gekauft hatte, einen Brieföffner mit den Yale-Insignien."Damit kannst du deinen Zulassungsbrief öffnen", sagte sie. 
Es zeigt, wie wichtig es der Mutter ist, den Sohn auf der Yale-Universität zu sehen. Ein Wunsch auf ein Studium, das ihr selbst nicht gegönnt war.

Perfektionismus? Leistungsstreben? Schon am Anfang dieses Textes wies ich darauf hin. Moehringer bewarb sich nach seinem erfolgreichen Studium als Volontär bei der Zeitung New York Times. In einem seiner Artikel beging er einen kleinen Schreibfehler, der allerdings übertrieben große Auswirkungen hatte. Er schrieb Kelly statt Kelley. Für dieses Missverständnis war nicht nur Moehringer verantwortlich, aber er alleine musste die Konsequenzen tragen, die in ihm eine ziemlich niedergedrückte Stimmung auslösten. In der Dickensbar sprach er über sein Leid und fand ein wenig Trost bei einem seiner Kumpane. Sein Fehler wäre nur minimal, den man leicht ausradieren könne. Probleme anderer Art dagegen, da helfe kein Radiergummi ... Doch nicht nur in der Zeitung werden perfektionistisches Denken und Handeln erwartet. Auch in seiner Familie, bei seiner Tante Ruth, die diese Haltung in übertriebener Form auf den eigenen Sohn überträgt, wird man damit konfrontiert.

Dazu hat der Autor ein wunderschönes Zitat aufgeführt, der von dem großen Dramaturg William Shakespeare stammt und das ich unbedingt hier festhalten möchte:
Durch Fehler, sagt man, sind die besten Menschen Gebildet, werden meist umso viel besser, Weil sie vorher ein wenig schlimm.
Selbst in der Liebe hatte der junge Moehringer nicht besonders viel Glück und gebraucht auch hier eine schöne Metapher. Er bezeichnet die Liebe als etwas ganz Zerbrechliches, vergleicht sie mit Schnittblumen, indem die Liebe schneller als diese sterben würde. Ein schöner Vergleich, so finde ich.

Am Schluss dieser Autobiografie kommt Moehringer, was die Suche nach seiner männlichen Identität betrifft, zu einer weisen Erkenntnis, die ich mit einem Zitat belegen werde, das diese Buchbesprechung zunächst auch abschließen wird:
Während ich nach vorn gebeugt auf dem zweihundertjährigen Sofa saß und in die grünbraunen Augen meiner Mutter sah, wurde mir klar, dass sie alle Eigenschaften verkörperte, die ich mit Männlichkeit verband: Härte, Ausdauer, Entschlossenheit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, Mut. Vage war ich mir dessen immer bewusst gewesen, doch als ich jetzt zum ersten Mal einen Blick auf die Kriegerin erhaschte, die sich hinter ihrer Ausdrucksmine verbarg, begriff ich es vollständig und konnte es zum ersten Mal in Worte fassen. So lange hatte ich gesucht und mir gewünscht hinter das Geheimnis zu kommen, wie man ein guter Mann wird, dabei hätte ich nur dem Beispiel einer einzigen überaus guten Frau folgen müssen. 
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

Telefonischer Austausch mit Anne:

Auch Anne war von dem Buch recht angetan, wenn auch nach dem zweiten Anlauf, wobei ich mich anfangs auch schwer getan hatte, reinzukommen. Der Prolog wirkte auf mich ein wenig befremdlich ... Unsere Eindrücke waren recht ähnlich. Anne konnte noch ein paar persönliche Vergleiche zu ihrem eigenen Leben ziehen.
Sie erwähnte noch den Fiesling J.R. aus der 1980er US-Serie Dallas und dies sicher nicht schön ist, mit so einem Typen namensverwandt zu sein.



_________
Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R. Moehringer)

Gelesene Bücher 2015: 17
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Mittwoch, 1. April 2015

J. R. Moehringer / Tender Bar

Lesen mit Anne ...

Und wieder ist es soweit. Der erste eines Monats, indem Anne und ich gemeinsam ein Buch lesen. Diesmal war ich dran mit dem Aussuchen eines Buchtitels aus unserem gemeinsamen SuB, s. unten.

Klappentext
Eine Bar ist vielleicht nicht der beste Ort für ein Kind, aber bei weitem nicht der schlechteste. Vor allem das »Dickens« nicht, mit seinen warmherzigen und skurrilen Figuren: Smelly, der Koch, Bob der Cop mit seiner dunklen Vergangenheit oder Cager, der Vietnam-Veteran. Für den kleinen JR, der alleine mit seiner Mutter wohnt, sie alle sind bessere Väter als seiner es jemals war. JR wird erwachsen, und erfüllt sich seinen Traum: er geht nach Yale. Die Bar wird JR sein Leben lang begleiten. Dort hört er zum ersten Mal Sinatra, sieht Baseballspiele im Fernsehen, und trinkt sein erstes Bier. Und bekommt all das, was er braucht: Mut, Zuversicht und die Gewissheit, dass es nicht immer nur die Guten oder die Bösen gibt, dass Bücher Berge versetzen können und dass man an gebrochenem Herzen nicht stirbt.Ein abwechselnd herzzerreißender und urkomischer Roman über tapfere Kinder, mitfühlende Männer und starke Mütter. Und darüber, dass Träume auch wahr werden können - wenn man für sie kämpft.


Autorenporträt
J.R. Moehringer wurde 1964 in New York geboren, er studierte in Yale und war Reporter bei der Los Angeles Times. 2000 gewann er den Pulitzer-Preis.
Das ist das erste Buch, das ich von dem Autor lese, aber in meinem Regal steht noch ein weiterer Buchtitel.

Annes und Mirellas gemeinsamer Sub