Montag, 8. Juni 2015

Malala Yousafzai / Ich bin Malala (1)

Lesen mit Anne ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch ist recht eindrucksvoll und inhaltsreich geschrieben. Auch steckt es voller Weisheit:

Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern.

Es gibt wohl zwei verschiedene Buchausgaben. Einmal die Jugendbuchausgabe und einmal die Ausgabe für Erwachsene aus dem Droemer Verlag. Diese beiden unterschiedlichen Bände waren mir mit meinem oberflächlichen Blick erst gar nicht aufgefallen, bis ich auf Annes Buch gestoßen bin, das im Fischerverlag als KJB (Kinder- und Jugendbuch) erschienen ist. Mich wunderte erst, weshalb Anne so viel früher mit dem Lesen fertig war als ich, sodass ich, neugierig wie ich war, beide Inhaltsverzeichnisse miteinander vergleichen musste und ich dadurch festgestellt habe, dass meine Ausgabe über einige Seiten mehr verfügte und in der Jugendbuchausgabe einige Kapitel fehlten. Und sehr wahrscheinlich war der Schreibstil in der Jugendbuchausgabe noch kindgerecht angepasst. Im Nachhinein leuchtet mir das ein, denn viele Begebenheiten, die in meinem Buch beschrieben worden sind, sind alles andere als jungendtauglich. Ich empfehle diesen Band erst ab sechzehn Jahren, wobei man es dem Buch anmerkt, dass Malala nicht alleine an dem Buch gearbeitet hat. Sicher waren noch mehrere Erwachsene am Werk.

Viele Szenen stimmten mich recht nachdenklich, einige erwiesen sich mir als starker Tobak, tatsächlich nicht für Kinder geeignet. Andererseits erleben Kinder in vielen Ländern Kriege, und niemand fragt, ob Kriege jugendtauglich sind.

Beim Frühstück legte ich meinen Brüdern nahe, fortan von Frieden zu sprechen statt vom Krieg. Wie immer hörten sie nicht auf mich und spielten weiter Krieg. Khushal hatte einen Spielzeughubschrauber und Atal eine Pistole aus Pappe, der eine rief >>Feuer!<< Und der andere >>Stellung beziehen!<<

Ich konnte nicht über die Seiten rasen. Ich konnte nur langsam lesen und langsam verdauen.

Viele Zettelchen liegen wieder zwischen den Seiten
 und ich leider nicht alle bearbeiten kann. Das gäbe ein zweites Buch J.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:

Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft,
am 9. Oktober 2012 wird die junge Pakistanerin Malala Yousafzai auf ihrem Schulweg überfallen und niedergeschossen. Die Fünfzehnjährige hatte sich den Taliban widersetzt, die Mädchen verbieten, zur Schule zu gehen. Wie durch ein Wunder kommt Malala mit dem Leben davon. Als im Herbst 2013 ihr Buch "Ich bin Malala" erscheint, ist die Resonanz enorm: Weltweit wird über ihr Schicksal berichtet. Im Juli 2013 hält sie eine beeindruckende Rede vor den Vereinten Nationen. Barack Obama empfängt sie im Weißen Haus, und im Dezember erhält sie den Sacharow-Preis für geistige Freiheit, verliehen vom Europäischen Parlament. Malala Yousafzai lebt heute mit ihrer Familie in England, wo sie wieder zur Schule geht. 

Erstaunlich, wie wichtig für Malala die Schule ist. Sehr reif für ihr Alter. Während man ihr von den Taliban in Pakistan den Schulbesuch verweigerte, wurde sie von ihren Brüdern beneidet, die auch lieber zu Hause bleiben würden. Vielen SchülerInnen ist gar nicht bewusst, wie gut sie es haben, noch dazu kostenlos die Schule besuchen zu dürfen ...

Auch mir war es in dem Alter nicht bewusst, eher selbstverständlich, 
da bei uns die Schulpflicht zählt.

Vieles, was die junge Autorin schreibt, kennt man ja schon aus der Presse. Aber lesen und es selbst erfahren sind weltweite Unterschiede. Außerdem differenziert die Presse oftmals nicht. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Menschen, die in solchen repressiven Ländern aufwachsen und dort leben, Achtung verdient haben. Die einen riskieren ihr Leben, wenn sie sich gegen das gesellschaftliche und politische System auflehnen, andere passen sich an, weil sie nicht den Mut und die Kraft haben, sich gegen das System aufzulehnen und dann gibt es wiederum andere, die für das System stimmen und sie Mitmenschen, die es nicht tun, brutalst aus der Gemeinschaft verstoßen. Die Letztgenannten verdienen natürlich keine Achtung, sondern eine hohe Gefängnisstrafe, deren mörderische Taten oftmals straflos begangen werden.

Wenn Mädchen verschwanden, dann nicht immer, weil sie verheiratet worden waren. Zum Beispiel die hübsche fünfzehnjährige Seema. Alle wussten, dass sie in einen Lehrer verliebt war. Manchmal kam er vorbei, und sie sah ihn unter ihren langen dunklen Wimpern hervor an, um die alle Mädchen sie beneideten. In unserer Gesellschaft bringt ein Mädchen, das mit einem Mann flirtet, Schande über die Familie. Aber für Männer ist es in Ordnung! Später sagte man uns, Seema habe sich umgebracht. Wir fanden heraus, dass ihre eigene Familie sie vergiftet hatte.

Nach diesem Zitat stellte sich mir die Frage; wie kann das möglich sein, das eigene Kind zu töten, und dass nur, weil die gesellschaftlichen Normen wichtiger sind? Das ist absurd, kann man kaum glauben, aber es ist Realität pur. Es geht hier um das Wohl des Kindes, das unter Schutz gestellt werden sollte …

Die Taliban, die den Koran so auslegen, wie es ihnen passt, schätze ich auch eher so ein, dass sie Frauen verachten, weil sie um ihre Macht fürchten.
Pakistan wird als ein schönes, naturreiches und gesellschaftlich als ein friedliebendes Land beschrieben, wären da nicht die Terroristen, die ihren Ursprung in Afghanistan haben, die mit fundamentalistischer Gewalt Menschen anderer Lebensweisen zu bekehren versuchen. Sie behandeln Frauen, als wäre es schon ein Verbrechen, als Frau geboren zu werden. Sie bedenken nicht, dass  sie ohne die Frauen gar nicht auf der Welt wären ...

Die Taliban sind gegen Bildung, weil sie glauben, ein Kind, das Bücher liest oder Englisch lernt oder sich mit Naturwissenschaften auseinandersetzt, würde verwestlicht werden. Ich hielt dagegen: >>Bildung ist Bildung. Wir sollten alles lernen und dann selbst entscheiden, welchen Weg wir einschlagen wollen.<< Bildung ist weder islamisch noch westlich, Bildung ist menschlich.

Malala und ihre Schulkameradinnen, die tagtäglich auf ihrem Schulweg befürchten mussten, von den Taliban ermordet zu werden, zeigt, wie früh sich diese Kinder mit Zerstörung und mörderischer Gewalt auseinandersetzen mussten. Wie menschliche Ängste sich weltweit relativieren lassen, zeigt nachfolgendes Zitat:

Die geheime Schule ist unser stiller Protest. (…) Wären wir erwischt worden, wären wir ausgepeitscht oder sogar abgeschlachtet worden wie unsere Schulkameradin Shabana. Manche Menschen haben Angst vor Gespenstern, andere vor Spinnen oder Schlangen - wir hatten in jenen Tagen Angst vor unseren Mitmenschen.

Kinder, die in Kriegsländern aufwachsen, nehmen die Kriege in ihren Spielen auf, um den Krieg verarbeiten zu können. Sie werden mit Leichen konfrontiert, mit öffentlicher Hinrichtung, u.v.m.. Diese Bilder prägen den Alltag auch kleiner Menschen:

Eines Tages sah ich meinen kleinen Bruder Atal wie wild in unserem Garten graben.
>>Was tust du da?<<, fragte ich ihn.
>>Ich schaufle ein Grab<<, antwortete er.
Unsere Zeitungen waren voll von Mord und Totschlag, und es war nur natürlich, dass Atal Särge und Gräber im Kopf hatte. Die Kinder spielten nicht mehr Verstecken oder >>Räuber und Gendarm<<, sondern >>Armee gegen Taliban<<. Aus den Zweigen der Bäume bauten sie ihre Raketen, und Stöcke waren ihre Kalaschnikows. Das waren ihre Terrorspiele.

In der westlichen Welt werden viele Kinder vor Gefahren in Übermaß geschützt, während Kindern, die gewalterfahren sind, regelrecht der Schutz fehlt.

Über diese grauenvollen Taten möchte ich mich allerdings nicht weiter auslassen, diese darf sich ruhig jeder selbst mit dem Lesen des Buches aneignen. Und dass Malala Opfer eines terroristischen Anschlags über die Taliban wurde, das ist weltweit bekannt und muss hier nicht nochmal darüber geschrieben werden. Außerdem wird der Anschlag schon im Klappentext erwähnt.

Malala war eine mutige Jugendliche. Sie war schon mit neun Jahren mit viel Wissen und Weisheit ausgestattet. Viele Erwachsene tragen nicht mal zur Hälfte dieses Wissen, das dieses Kind besitzt. Dank ihres Vaters, der seine Erstgeborene wertschätzend empfangen und erzogen hatte, und in seinem kleinen Mädchen schon von Geburt an einen wunderbaren Menschen sah, den er förderte …
Anders die Mutter. Sie freute sich nicht, als sie das Mädchen geboren hatte. Sie wünschte sich einen Sohn. Die zweite Geburt wurde schließlich ein Junge und die Mutter beabsichtigte, für ihren Sohn eine schöne Wiege bauen zu lassen, doch der Vater war dagegen, da für Malala auch keine schöne Wiege gebaut wurde ...
Um Missverständnissen entgegenzutreten: Malalas Mutter, die weder lesen noch schreiben konnte, war auch mit ihrer Kraft ein herausragender Mensch und sie vieles in der Gesellschaft zu bewegen wusste. Sie liebte ihre Tochter, auch wenn Malala erst ein Junge hätte werden sollen.

Als Malala geboren wurde, gab es kein  Fest, auch, weil die notwendigen
 Mittel dafür nicht aufgebracht werden konnten:

In unserer Tradition wird am siebten Lebenstag eines Kindes in der Familie ein Fest namens Woma gefeiert, (…) zu dem Verwandte, Freunde und Nachbarn das Neugeborene bewundern kommen. Meine Eltern hatten für mich keine solche Feier abgehalten, weil sie sich die Ziege und den Reis zur Verköstigung der Gäste nicht leisten konnten, und mein Großvater wollte nichts beisteuern, weil ich kein Junge war. Als meine Brüder dann auf die Welt kamen und mein Großvater die Feier bezahlen wollte, wies mein Vater ihn zurück, weil er es für mich nicht getan hatte.

Malalas Vater war auch ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Indem er Schulen gründete, sorgte er noch dafür, dass jedes Kind, arm oder reich, Mädchen oder Junge, zur Schule kommen konnte. Leider wurden viele Mädchenschulen in Pakistan von den Terroristen in die Luft gesprengt. Dass Malala den Anschlag überlebt hat, grenzt an ein großes Wunder. Viele Mädchen erlagen den Anschlägen ...

Und nun noch etwas zur Literatur:

Da mich immer neugierig macht, was AutorInnenen für Erfahrungen mit den Büchern anderer AutorInnen machen, gebe ich zum Schluss ein Leseerlebnis Malalas zu Paulo Coelho wieder. Malala zitiert aus Coelhos Buch Der Alchimist:

>>Wenn du etwas ganz fest willst, 
dann wird das Universum darauf hinwirken, dass du es erreichen kannst<<.

Dazu Malala:

Ich glaube, Paulo Coelho ist noch nie
 einem Taliban oder einem unserer unfähigen Politiker begegnet.


Meine Fazits

Auch wenn Anne und ich zwei unterschiedliche Ausgaben hatten, konnten wir uns telefonisch wunderbar austauschen. Es ist nun für mich gut zu wissen, dass es auch eine Jugendbuchausgabe gibt, die man einem jungen Menschen bei Gelegenheit schenken kann, ohne befürchten zu müssen, ihn damit seelisch zu überfordern ...

Spätestens nach diesem Buch müsste jedem klar geworden sein, dass nicht jeder Mensch aus dem islamischen Glauben ein Terrorist und nicht jeder traditionell oder rückständig ist. Es gibt viele verschiedene Gründe, weshalb sich eine muslimische Frau für das Tragen eines Kopftuchs entschieden hat. Viele sogar, um sich in der Männerwelt zu emanzipieren …

Da das Buch 2014 den Friedensnobelpreis erhalten hat, spare ich mir eine Punkteverteilung.

Zum Abschluss fallen mir zu Malalas Buch der Liedermacher Herbert Grönemeyer ein: Kinder an die Macht und das Jugendbuch von Erich Kästner Die Konferenz der Tiere.


Miras und Annes Sub-Liste

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Lange muss der Rohdiamant geschliffen werden, ehe aus ihm ein winziger Brillant wird.
(Malala Yousafzai)

Gelesene Bücher 2015: 30
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




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