Mittwoch, 26. August 2015

Anne C. Voorhoeve / Einundzwanzigster Juli (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch ist sehr gut geschrieben. Im Anhang ist zu entnehmen, dass die Autorin, Jahrgang 1963, mit dem Nationalsozialismus persönlich nichts zu tun hat. Sie hat sich als Historikerin dieser Thematik genähert. Es gibt noch andere Jugendbücher von ihr, die dieses Thema behandeln.
Der Name Graf Stauffenberg und das Datum des 20. Juli 1944 haben in der deutschen Geschichte inzwischen ihren festen Platz. Der >>Epilog<< ist weniger bekannt. Die Rache des Regimes nicht nur an Hunderten beteiligten Mitwissern, sondern auch an deren Angehörigen. Die Sippenhaft betraf das zehn Tage alte Baby, das der Familie Hansen entrissen wurde, ebenso wie das 84-jährige Familienoberhaupt der Stauffenbergs. Für zahlreiche Familien des Widerstandes bedeutete der missglückte Anschlag auf den >>Führer<< eine lange Odyssee durch Gefängnis und Konzentrationslager. 
Die Autorin hat m. E. recht gut recherchiert. Das Buch ist sehr authentisch und empathisch geschrieben. Ein historischer Roman, in dem lediglich die Namen und die Orte der Figuren fiktiv gewählt sind, diese aber angelehnt an den Namen der Familienmitglieder Stauffenbergs und deren Herkunft sind.
(Es wird z. B.) auf Wunsch der Beteiligten (…) der Name Stauffenberg nicht genannt, um das fiktive Element deutlich zu machen, das jeder Dramatisierung anhaftet, selbst wenn sich diese entlang tatsächlicher Ereignisse bewegt und die handelnden Personen möglichst authentisch zu schildern versucht. Heute berichtet Otto-Philipp Graf Stauffenberg, der damals 17-jährige Neffe des Attentäters, als Zeitzeuge in Schulen und Bildungsstädten vom >>20. Juli und seinen Folgen<< und sein Vortrag über das Persönliche war es, der den Anstoß zu diesem Roman gab. 
Hitler durfte nicht sterben, zumindest nicht vor seiner Zeit. Es waren mehrere Attentate geplant, die allesamt gescheitert sind.

Diese Menschen, die mehr oder weniger an dem Attentat beteiligt waren, und sie an einer Hinrichtung knapp vorbeigekommen sind, wurden noch etliche Jahre nach Kriegsende von vielen Deutschen diskriminiert. Sie galten alle als Vaterlandsverräter. Das zeigt, wie wenig diese Menschen aus dieser grauenhaften Politik gelernt haben.
Ein Aufstand des Gewissens, dessen Würdigung etliche Jahre auf sich warten ließ: Noch Jahrzehnte nach Kriegsende galten Attentäter des 20. Juli vielen Deutschen als Verräter, während ihr Mut und ihre Opferbereitschaft heutzutage selbstverständlich als Beweis dafür herangezogen werden, dass es damals auch >>gute Deutsche<< gegeben habe.
Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs kamen mehr Menschen ums Leben als an allen vorausgegangen Kriegsjahren zusammen. Ein geglückter Anschlag auf Hitler wäre also keinesfalls zu spät gekommen. 
Die ersten Anschläge auf Hitler waren schon in der Zeit von 1933-1938 geplant, und sie alle gescheitert sind.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Am 20. Juli 1944 ändert sich Philippas Leben schlagartig. Ihr Onkel ist einer der Hitler-Attentäter und Philippa wird mit ihrer Familie in Sippenhaft genommen. Himmler will sie ausrotten "bis zum letzten Glied". 21. Juli 1944. Nichts ist mehr, wie es war. Auf Schloss Lautlitz in Württemberg hört Fritzi, dass auf den "geliebten Führer" ein Attentat verübt wurde. Die 14-Jährige ist fassungslos, als sie erfährt, dass ihre Familie an der Verschwörung beteiligt war. Hitlers Staatspolizei schlägt sofort zurück, will sie "ausrotten bis ins letzte Glied". Alle vom Kleinkind bis zur Großmutter werden in Sippenhaft genommen. Doch trotz Angst, Ungewissheit und Todesgefahr beginnt Fritzi zu erkennen, worauf die Verschwörer gehofft hatten: Es gibt ein Danach.
Einige Familienmitglieder, die in Sippenhaft genommen wurden, hatten wirklich Glück, dass der Krieg auf dem Weg zum Tod durch den Einmarsch der Alliierten rechtzeitig beendet wurde, noch bevor die Familie vollständig >>ausgerottet<< werden konnte. Man kann von Glück sagen, dass sich die Gestapo hierin recht viel Zeit mit dem Morden gelassen hat, auch wenn dies nicht für alle gilt. Einige wurden gleich nach dem Attentat hingerichtet, wie z. B. Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg.

Die junge Fritzi, die Icherzählerin dieser Geschichte, mit richtigem Namen Philippa, ist die Einzige aus der Familie, die den Führer anhimmelt. Zu sehr wurden ihr in der Hitlerjugend diese schwarzen Ideologien aufoktroyiert. Sie kann nicht verstehen, dass ihre Familie Partei für die Juden ergreift.

Im Krieg ist ihr Bruder Fabian gefallen, ohne dass Fritzi realisiert, wie der Tod vonstattenging. Ihre Mutter verhält sich recht kühl der Tochter gegenüber, aus Angst, dass auch Fritzi den Krieg nicht überleben wird. Der Vater ist Offizier der Wehrmacht, der lange von Fritzi und der Mutter vermisst wird.
Mich wollte meine Mutter aus Furcht vor Angriffen oder plötzlich einstürzenden Ruinen am Wegesrand nicht Einkaufen schicken (….)
Fritzi lebte für zwei Jahre in Oschgau, Ostpreußen, und als sie sich wieder bei der Mutter in Berlin befindet, hegt die Mutter weitere Pläne, Fritzi zu ihrem eigenen Schutz wieder wegzugeben:
Mutter ist aufgewühlt. Längst hätte sie mich für Lebensmittel- und Kleidermarken anmelden sollen, aber sie schiebt es vor sich her aus Sorge, die Hitlerjugend stünde sofort vor der Tür und nähme mich zu irgendwelchen gefährlichen Diensten mit. Nach Lautlitz soll ich! Der einzige Grund, weshalb ich noch hier bin, ist ihre noch größere Angst, dass der Zug, mit dem sie mich zu den Verwandten schicken will, unterwegs von Tieffliegern beschossen wird. 
Als sie mit anderen Angehörigen an den politischen Diskussionen teilnimmt, begreift Fritzi nicht, weshalb ihre Familie Partei für die Juden und Partei gegen Hitler ergreift. Sie ahnt nicht mal, dass sie etwas mit dem Attentat zu tun haben könnten.
Was Hitler aus uns gemacht hat, ist eine Schande. Feiglinge, Duckmäuser, Denunzianten. Davon erholen wir uns nicht! Fronarbeit für die Russen werden wir leisten, nur weil niemand aus diesem ganzen goldbehängten Haufen den Mut gefunden hat, einem kleinen Mann eine Kugel in den Kopf zu schießen. (…) 
Fritzis Reaktion: 
Aufgesprungen, um genau zu sein. Aufgesprungen, um zu rufen: Seid still! Lasst den Führer in Ruhe! Wisst ihr denn nicht, dass er Tag und Nacht an nichts anderes denkt, für nichts anderes lebt als das Wohl unseres Volkes? 
Sie sprechen von Lexie, Lexie ist Fritzis Tante, die als Halbjüdin gilt, weil sie mit einem Juden verheiratet ist, und die mit Fritzi von der Mutter erst kürzlich bekannt gemacht wurde. Fritzi wirft der Mutter vor, sie hätte sie informieren sollen, dass Lexie Halbjüdin sei. Nun folgt dazu ein schönes Zitat, das ich unbedingt festhalten möchte:
>>Was spielt das für eine Rolle?<< zürnt Mutter. >>Diesen Quatsch will ich von dir nicht hören, Philippa. Es sei denn, du kannst mir beantworten, welche Hälfte die jüdische ist. Vorne oder hinten? Links oder rechts? Mit oder ohne Haare? 
Nur nebenbei gesagt: Endlich finde ich einen Menschen, der genauso denkt wie ich. Halber Deutscher? Halber Italiener? Halber … ? Was für ein Blödsinn. ;). Wir sind doch Menschen und keine Torten.


Mein Fazit zu dem Buch?

Das Fazit habe ich diesmal gleich an den Anfang gehängt.Vielleicht ein paar letzte Worte noch: Das Buch ist eigentlich als Jugendbuch deklariert, auch wenn es nicht explizit aus dem Klappentext hervorgeht. Erst nach einer Internetrecherche, fündig geworden bei www.perlentaucher.de, konnte dies entnommen werden, wobei der Ravensburger Buchverlag generell ein Jugendbuchverlag ist.Trotzdem hätte ich nichts dagegen, wenn man in einem Satz darauf hinweisen würde. So viele Bücher von Ravensburg besitze ich nun auch wieder nicht. Mehr als zwei sind's sicher nicht.

Ein Autorenporträt hat sich der Verlag auch gespart, dabei finde ich es sehr wichtig, ein wenig etwas über die AutorInnen zu erfahren.

Ich kann dieses Buch jedem jungen Menschen ab 16 Jahren empfehlen. Es gibt leider immer noch sehr viele Erwachsene, die keine Ahnung von Politik und geschweige denn von der Geschichte haben. Ich meine damit nicht die jungen Erwachsenen, sondern die älteren. Habe kürzlich von jemandem gehört, dass Österreich den Zweiten Weltkrieg entfacht haben soll, lol :-).

Die Autorin erhält von mir zehn von zehn Punkten.
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Man kann seine Schuld nicht mildern, wenn man sie eingesteht, 
sondern nur, wenn man anfängt, sich zu bessern.
(Ann Kirchner)

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