Donnerstag, 3. Dezember 2015

Carla Guelfenbein / Der Rest ist Schweigen (1)

Lesen mit Anne ...

Eine von zwei Buchbesprechungen

Das Buch gefällt mir recht gut, muss aber sagen, dass ich ein wenig gebraucht habe, um mich reinzufinden. Die IcherzählerInnen wechseln nach jedem Kapitel und man benötigt etwas Zeit, bis man weiß, welche Figur nun aus deren Perspektive spricht. Wenn man aber die Figuren so langsam kennengelernt hat, dann fällt der Wechsel von der einen Stimme in die nächste auch nicht mehr so schwer. Manchmal sind die Geschichten auch zeitversetzt. Das ist ebenso ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Die südamerikanische Schriftstellerin, die in England Biologie und Design studiert hat, kann wunderbar schreiben. Man findet einen super tollen kreativen Ausdruck vor, dazu noch sehr lebendig und sprachlich vielseitig. Gefällt mir gut. Damit mich am Ende nicht die vielen schönen Zitate erschlagen werden, schreibe ich jetzt ein paar Zeilen, auch damit sich mir die vielen Buchstaben von meinem geschriebenen Text nicht lösen und vor meinen Augen schwimmen. (Ja, ich sehe sehr schlecht, trotz neuer Sehhilfe, und meine Augen haben sich deutlich verschlechtert.)

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein. Wer ihn noch in Erinnerung hat, der kann den Klappentext gerne überspringen.
Das Wort trifft den kleinen Tommy wie ein Schlag, als er bei einem Familienfest unter dem Tisch hockt und lauscht: Selbstmord. Seine geliebte Mutter hat ihn freiwillig verlassen. Während der zarte Junge sich auf die Suche nach der verschwiegenen Wahrheit macht, ringen sein Vater, der arrivierte Chirurg, und dessen zweite Frau Alma ihrerseits mit all dem Unsagbaren, Ungesagten, an dem sie fast zu ersticken drohen. Wie Planeten mit einem heißen Kern aus Sehnsucht kreisen Tommy, Juan und Alma umeinander und bleiben sich auf ihren Umlaufbahnen doch fern. Erst als das Leben brutal dazwischenfährt, scheint so etwas wie Nähe wieder möglich - doch der Preis ist hoch.Clara Guelfenbein macht ihren Figuren ein Geschenk: sie lässt sie reden, von sich und denen, die sie lieben. In wechselnden Stimmen entfaltet sich so das Drama einer modernen Familie - bestürzend in seiner Unausweichlichkeit, aber auch voller Zärtlichkeit und Hoffnung.
Vielleicht bin ich mit den vielen unterschiedlichen Icherzählern so irritiert gewesen, weil ich nur mit Tommy gerechnet habe, der die Menschen beobachtet und über diese spricht, wobei der Klappentext seine Leserinnen darauf vorbereitet, dass auch andere aus Tommys Familie zu Worte kommen.

Tommy, der sich von seiner Mutter, die noch leben könnte, wäre sie nicht freiwillig aus dem Leben geschieden, verlassen fühlt, wird vielleicht für sein Leben geprägt sein. Obwohl er eine Stiefmutter hat, die ihn liebt wie ihr eigenes Kind, denkt Tommy immer wieder an seine leibliche Mutter. Den Grund des Suizids konnte er noch nicht in Erfahrung bringen.

Würdet ihr lieber leiden oder tot sein? fragt der kleine Tommy seine Stiefmutter Alma und deren Jugendfreund Leo, der bei ihnen auf Besuch ist. Als die beiden unisono mit Leiden geantwortet haben, dachte der Junge an seine Mutter, die sich für den Tod entschieden hatte.

Tommy rechnet aus, wie viele Formen es geben könnte, sich selbst in den Tod zu treiben.

Mit welchen ernsten Gedanken schon kleine Kinder beschäftigt sind. Das Schicksal, das sie dazu treibt.

Leo und Alma lesen sehr gerne, lieber als alles andere auf der Welt. Als Leo von Alma die Frage gestellt bekommt, weshalb das Lesen für ihn so wichtig sei, kommt folgende Antwort:
Wahrscheinlich weil ich beim Lesen in eine Welt hineingehen kann, die neben meiner herläuft. 
Ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Doch Leo liest nicht nur gerne, er schreibt auch recht viel. Alma ist sicher, dass er ein guter Schriftsteller abgeben würde.
Wieso bist du dir da so sicher? fragt Leo ein wenig ungläubig und gleichzeitig hoffnungsvoll.
Weil du gut lügst, war die Antwort.
Eine recht interessante Antwort, über die ich gestolpert bin, da für mich die belletristischen Bücher eine andere Form von Wahrheit in sich tragen. Eine Wahrheit, die zum Beispiel ins Unbewusste führt.

Nachtrag zu Tommys leiblicher Mutter
Habe noch vergessen zu erwähnen, dass auch der Leserin der Grund des Suizids noch verschlossen ist. Man erfährt lediglich, dass Tommys Mutter, namens Soledads, als eine zartbesaitete Persönlichkeit beschrieben wird. Sie hatte Kunstgeschichte studiert und durch die Krankheit ihres Sohnes gab sie ihre Karriere auf. Tommy wurde mit drei Jahren an einer schweren Herzerkrankung operiert und die Mutter verbrachte jede Minute mit ihrem Kind. Eine Wesensänderung nahm Tommys Vater, Juan, allmählich wahr.


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