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Montag, 26. Juni 2017

Lars Vasa Johansson / Anton hat kein Glück (1)

Lesen mit Tina

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich bin durch mit dem Buch. Ich habe dafür gerade mal zwei Tage benötigt. Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht mit einem Märchen. Ein richtiger fiktiver Roman, der alles beinhaltet. Realitäten gemixt mit Fiktionen, die mich an verschiedene Märchen erinnern lassen und ein Mix aus Magischem Realismus. Außerdem ist der Schreibstil recht flüssig, sodass man es sehr leicht hat, in dieses Märchen reinzukommen.

Mir hat das Buch insgesamt recht gut gefallen, nur hätte ich mit dieser Art von Themenbearbeitung nicht gerechnet. Ich bin eben keine wirkliche Fantasieleserin, wobei ich bei bestimmten Autor*innen eine Ausnahme mache, wie z.B. bei Haruki Murakami. Aber bitte, dieses Buch nicht mit Murakamis Büchern vergleichen. Beide Autoren sind verschieden und nicht miteinander zu vergleichen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Ein Anruf seiner Eltern und eine E-Mail vom Elektrodiscounter sind die einzigen Glückwünsche, die Anton zu seinem 45. Geburtstag erhält. Aber der grummelige Berufszauberer mag Menschen sowieso nicht besonders. Seit Jahren tingelt er mäßig erfolgreich mit seinen Auftritten von Altersheim zu Einkaufszentrum. An und für sich würde ihn all das gar nicht stören. Wäre da nicht sein Erzfeind Sebastian, der mit seiner spektakulären Zaubershow in ganz Schweden Erfolge feiert. Ausgerechnet mit Charlotta an seiner Seite, Antons Ex-Freundin. Früher waren Anton und Sebastian befreundet und haben gemeinsam gezaubert, nun sieht Anton überall die riesigen Plakate, die Sebastians und Charlottas Tournee ankündigen und auf denen groß in silbernen Buchstaben "Together in Magic Forever" steht. Es liegt auf der Hand: Für Anton läuft es nicht gut. Im Grunde läuft es überhaupt nicht. Aber niemand ist besser darin als er, sich das Leben schönzureden. Bis er sich eines Nachts im Wald verirrt und ein seltsames Mädchen trifft. Danach scheint Anton plötzlich vom Pech verfolgt zu werden. Als ernsthafter Zauberer glaubt Anton natürlich nicht an Magie. Aber langsam dämmert ihm, dass er etwas an seinem Leben ändern muss…Ein Zauberer, der nicht an Magie glaubt, erlebt das größte Abenteuer seines Lebens - schräg, komisch, herzerwärmend!

Um nicht zu viel vorwegzunehmen, halte ich mich kurz in dieser Buchbesprechung. Es sind sehr viele Abenteuer von Seiten des Protagonisten namens Anton zu bestehen, der sich scheinbar vom Pech verfolgt sieht. Eine Figur, wie man sie so oft im Alltag findet. Realtitätstreu, Alltagsprobleme, mit denen man versucht, bestmöglich mit der Vernunft fertigzuwerden, vor allem wenn es um seelische und emotionale Konflikte geht...  Anton wird plötzlich mit surrealen Situationen konfrontiert, an denen kaum ein Mensch, der wie Anton gestrickt ist, glauben kann, bis dieser Mensch dazu gezwungen wird, sich mit dieser anderen Realität auseinderzusetzen und sich ihr zu beugen. Realität und Fiktion habe ich als zwei Parallelwelten wahrgenommen und empfunden.

Anton, der aus einem wohlbehütetes Elternhaus stammt, scheint ein sehr einsamer Geselle zu sein. An seinem 45. Geburtstag gibt es außer seinen Eltern und dem Elektrodiscounter niemanden, der an ihn denkt, um ihm zu gratulieren. Anton ist von Kind auf eher ein Einzelgänger, der lieber alleine in seinem Zimmer gehockt hat, Fachbücher gelesen und mit seinem Zauberkasten Zaubertricks eingeübt hat, bis er eine Freundschaft mit seinem Klassenkameraden Sebastian eingeht. Seine erste richtige Freundschaft, obwohl Sebastian von seinem Naturell her eher das genaue Gegenteil von Anton ist. Aber sie entwickeln die Zauberei als ein gemeinsames Hobby, mit dem sie bald ihr Taschengeld aufbessern können. Aus dem Hobby sollte Profession werden. Doch die Wege der beiden trennen sich wieder, obwohl sich beide beruflich als Zauberer betätigen, aber mit unterschiedlichem Erfolg. Anton verlässt sein Mädchen Charlotte, um mehr Zeit für seine Zauberei zu haben. Charlotte tut sich mit Sebastian zusammen …

Man bekommt es mit zwei Geschichten zu tun. Einmal wird das Leben von Antons Kindheit erzählt und im Wechsel dazu liest man über sein Leben in der Gegenwart. Oftmals sind die Szenen recht skurril, über die ich herzhaft lachen musste.

Bevor Anton diese fiktive Welt betritt, erleidet er ein paar Katastrophen, die aber irgendwie schicksalshaft gesteuert waren. Erst trauert er an seinem Geburtstag und verfällt in Selbstmitleid, weil niemand an ihn gedacht hat, dann verliert er als Zauberer seine Aufträge, schließlich wird er als nächstes an der Tankstelle des Stehlens bezichtigt, und kurz darauf ersäuft sein Wagen in einem Fluss …

Bis Anton am Waldrand mit einem kleinen Kind konfrontiert wird, das ihn bittet, ihm zu helfen, sieben verschiedene Blumen zu pflücken. Ist klar, dass Anton dafür keine Zeit hat, da er damit beschäftigt ist, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Als er das Kind abgewiesen hat, wird er von einem Fluch behaftet. Später stellte sich heraus, dass das Kind kein gewöhnliches Kind ist, sondern eher eine Waldfee, die belohnt oder auch bestraft, je nach dem, was sich ein Mensch, genannt Straßenläufer, verdient hat. Es gibt die Waldbewohner, und es gibt die Straßenläufer …

Anton hatte drei Prüfungen zu bestehen, um von diesem Fluch wider loszukommen und bei Nichtbestehen der Prüfung wird er für immer und ewig in einer Perle verzaubert sein. Diese Perle ist an der Haarspange der Waldfee befestigt.

Anton lernt ein älteres Ehepaar kennen, das im Wald wohnt, Gunnar und Greta, die recht merkwürdige Dinge tun, die aber Anton helfen, sich in dieser ominösen Märchenwelt zu orientieren. Anton kann es nicht fassen. Er glaubt weder an Waldfeen, noch an Hexen namens Miststück, noch an andere übersinnliche Dinge …

Wie es weitergeht, und ob Anton es schafft, sich in dieser Märchenwelt zu orientieren, um seine Prüfungen zu bestehen, ist Weiteres dem Buch zu entnehmen.


Mein Fazit?

Hätte ich von Anfang an gewusst, dass dies ein Fantasyroman ist, ich hätte mir das Buch nicht angeschafft. Wenn ich bedenke, dass ich von dem Cover so sehr angelockt wurde, und ich den Klappentext eher oberflächlich behandelt habe, habe ich doch einen guten Riecher gehabt. Ich dachte erst, dass Anton in einer Midlifecrisis steckt und dadurch sein Leben auf den Kopf stellt, um wieder rauszukommen.
Nein, die Thematik ging in eine ganz andere Richtung, die mir aber trotzdem gut gefallen hat. Welch eine Wesenveränderung… Manchmal muss sich der Mensch mit seinen eigenen Schatten befassen, um diese in Licht zu verwandeln. Je mehr der Mensch gegen sein Schicksal hadert, desto schwerer verlaufen seine Lebensprüfungen.

Und ich habe Heißhunger auf einen Himbeer- und/oder einen Erdbeerbiskuit bekommen, und ich jetzt schauen muss, wo ich den Biskuit kaufen kann, der so lecker ist wie in diesem Zauberbuch.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkten.


Telefonischer Austausch mit Tina, 26.06.2017, 17:45 Uhr

Tinas und meine Leseeindrücke konnten sich wieder gut decken. Dadurch, dass das Buch sich als ein Märchen entpuppt hat, hat Tina sich die Frage gestellt, ob dieses Märchen auch Kinder lesen könnten, so verneinten wir beide diese Frage, wobei sich mir diese Frage nicht gestellt hat. Es ist definitiv ein Märchen für Erwachsene. Auch haben wir uns gefragt, wie viel wir von dem Märchen preisgeben dürfen? Ich habe versucht, mich recht bedeckt zu halten, aber es ist gut, wenn Tina in ihrer Besprechungen Dinge aufgreift, die ich weggelassen habe. Irgendwo wird sich die Mitte schon finden.  

Zur Mitte des Buches hin hatten wir beide eine kleine Flaute, es hat sich etwas gezogen, der Autor hätte seine Thematik etwas abkürzen können. Aber wir haben beide wieder die Kurve gekriegt. Das Ende hat uns recht gut gefallen, auch wenn sich alles in Wg ... auflöst und wir uns gefragt haben, wie realistisch das Ende tatsächlich ist? Aber dadurch, dass es ein Märchen ist, passt der Ausgang recht gut. 

Anton, der Protagonist, schien für Tina ein wenig unsympathisch zu sein, ich dagegen konnte mich gut von ihm distanzieren. Er wirkte schon ein wenig arrogant, und hatte große Defizite zwischenmenschlicher Art. Wir bemängelten beide den schlechten Umgang mit alten Menschen. Oder auch wie abfällig er von  psychisch kranken Menschen dachte. In diesem Zauberwald wurde er gezwungen, sich mit seinen eigen Schwächen auseinanderzusetzen ... 

Tina stellte sich zum Autor noch die interessante Frage, woher er seinen Stoff her hat? Sind diese märchenhafte Figuren nicht Teil der schwedischen Mythologie, deren Literatur von Elfen, Feen, Waldtrollen etc. erfüllt ist? Schade, dass der Autor dazu im Anhang den Leser*innen keine Spuren hinterlassen hat. 

So, Weiteres ist aus Tinas Buchbesprechung zu entnehmen, die allerdings erst morgen früh freigeschaltet wird. Ich werde morgen Abend dann erst dazu kommen, Tinas Link hier reinzusetzen. 


Weitere Informationen zu dem Buch

·         Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
·         Verlag: Wunderlich; Auflage: 1 (21. Oktober 2016)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 380520387X

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Rowohlt / Wunderlich. 
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Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist nötig, 
dass alles sich verändert.
(Eintrag aus einem Poesiealbum der Familie Six)

Gelesene Bücher 2017: 26
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Mittwoch, 21. Juni 2017

Ian McEwan / Der Tagträumer (1)



Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Diese Novelle war schnell gelesen und ich möchte darauf achten, inhaltlich nicht zu viel zu verraten.

Mich hat eigentlich das Cover zum Kauf dieses Buches angeregt. Recht surreal diese wunderschöne Abbildung und so dachte ich mir, ich bekomme es hier mit einem kätzischen Thema zu tun. Doch dieser Katzenmensch muss sich seinen Platz mit vielen anderen Themen und Fantastereien teilen …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Die gesamte Familie mittels einer Zaubercreme zum Verschwinden bringen, das wäre doch was, denkt sich Peter Glück — ein wenig aus Langeweile, ein wenig aus Trotz. Oder wie wäre es, einen Tag lang das Leben des Katers der Familie zu führen? Und was wäre erst, wenn Bewegung in die Puppen der Schwester käme und sie ihm ein Bein ausrissen?

Doch bevor es mit diesen recht lebhaften Fantasien losgeht, wird man erstmal in die Familienverhältnisse des stark introvertierten elfjährigen Peter Glück eingeweiht. Man erfährt zudem noch über die Probleme, die Peter mit seiner kleineren Schwester hat. Doch hauptsächlich werden die Probleme beschrieben, die die Erwachsenen mit Peter haben, der gerne zurückgezogen lebt und sich mit seiner Traumwelt befasst:
Und was nun sein Alleinsein anging - das gefiel den Erwachsenen auch nicht sonderlich. Sie können es ja nicht einmal leiden, wenn andere Erwachsene allein sein wollen. Wenn man mitmacht, wissen die Leute, welche Absichten man hat. Man hat genau die gleichen Absichten wie sie auch. Man muss mitmachen, oder man verdirbt allen den Spaß. Peter sah das anders. Mitmachen - das war ja alles schön und gut, in bestimmten Fällen. Aber doch nicht ständig. Wenn die Leute weniger Zeit damit zubrächten, mitzumachen und andere zum Mitmachen zu zwingen, dachte er, wenn sie sich stattdessen jeden Tag eine Zeit lang darauf besinnen würden, wer sie sind oder wer sie sein könnten, ginge es glücklicher zu in der Welt, und es käme vielleicht gar nicht erst zu Kriegen. (1995, 11)

Nicht nur die Eltern, sondern auch die Lehrer in der Schule haben Schwierigkeiten, die Stille dieses Kindes nachzuvollziehen:
Das Dumme an einem Tagträumer, der nicht viel redet, ist, dass die Lehrer in der Schule, besonders die, die dich nicht besonders gut kennen, dazu neigen, dich für dumm zu halten. (18)

Ich habe dieselbe Erfahrung in der Grundschule und im Elternhaus gemacht. Ich hatte den Eindruck, der Autor hat über mich geschrieben.

Nach außen ist Peter ein stiller Junge, aber innendrin findet das absolute Leben statt. In seiner Traumwelt verarbeitet er auch die Probleme, die er mit dem Alltag so hat und meistert sie auch recht selbstbewusst. Mal wird er zu einem Kater, dann wieder verwandelt er sich in einen Säugling, etc. und immer mit diversen Hilfsmitteln fiktiver Art. Die Leser*nnen dürfen an vielen verschiedenen Abenteuern des kleinen Tagträumers teilnehmen, wobei der Icherzähler nicht mehr der kleine Peter ist, sondern erzählt werden die vielen Handlungen und Geschichten aus der Sicht des erwachsenen Peter, der in die Retrospektive geht.

Ich verweise Weiteres auf das Buch.


Mein Fazit?

Man findet in dieser kleinen Novelle jede Menge fiktive, kindliche Abenteuer, die zudem mit viel Weisheit und viel Humor verziert sind.

Ich habe mich gefragt, ob diese kindlichen Geschichten nicht auch für junge Leser*innen geeignet wären? Und ich würde sagen, ja. Auch junge Leser*innen ab zehn Jahren könnten diesen Abenteuergeschichten gut folgen. Sie sind kindgerecht, was Inhalt und was Sprache betreffen.

Und für die erwachsenen Leser*innen? Mir ging es ähnlich wie dem erwachsenen Peter. Ich wurde selbst durch diese Novelle auch wieder in meine Kindheit zurückversetzt und habe viele Parallelen zu Peter finden können, wie ich eingangs schon geschrieben habe. 

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

 12 von 12 Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

Taschenbuch, Diogenes 
160 Seiten 
erschienen am 27. September 2000 

978-3-257-23257-8 
€ (D) 10.00 / sFr 13.00* / € (A) 10.30 
* unverb. Preisempfehlung 

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.
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Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist nötig, 
dass alles sich verändert.
(Eintrag aus einem Poesiealbum der Familie Six)

Gelesene Bücher 2017: 25
Gelesene Bücher 2016: 72
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Gelesene Bücher 2014: 88
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Montag, 19. Juni 2017

Geert Mak / Die vielen Leben des Jan Six (1)





Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Boa, was für ein Buch. So viel Recherche, die sich über einen Zeitraum von mehr als acht Jahrhunderten bezieht. Eine langwährende Familiendynastie namens Six, und in der die männlichen Personen immer wieder mit Jan benannt werden. Die Dynastie beginnt 1535 und geht bis ins Jahr 2013. Hinten im Buch ist ein Stammbaum abgebildet, der hilft, die vielen Generationen aus den unterschiedlichsten Epochen auseinanderzuhalten.

Ein Geschichtsbuch, das die niederländische und die französische Geschichte behandelt. Immerhin galten die Six einst als von Frankreich vertriebener Adel…
 Aber auch mit dem Nationalsozialismus, der in den Niederlanden eingebrochen ist, waren die Six konfrontiert …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Sie sind die Buddenbrooks der Niederlande: Die Six-Dynastie gehört seit dem Goldenen Zeitalter zu den politisch und kulturell bedeutendsten Familien des Landes. Bestsellerautor Geert Mak folgt den Spuren dieser Familie, die seit mehr als vierhundert Jahren in Amsterdam ansässig ist, und erweckt ihre Geschichte und Geschichten zu neuem Leben. Er erzählt die Biographie der Familie bis heute und entwirft zugleich ein ebenso farbiges wie schillerndes Panorama ihrer unterschiedlichen Epochen.

Jan Six – Mäzen, Aufklärer, Kunstsammler, Amsterdamer Regent und verewigt auf einem der schönsten Porträts, das Rembrandt je schuf – gilt als Begründer der Dynastie und hatte eine ganze Reihe von Nachkommen, von denen der jeweils Erstgeborene seinen Namen trug. Wie er gelangten viele von ihnen in den darauffolgenden Jahrhunderten in Kunst, Politik und Wissenschaft zu Reichtum und Ruhm. Andere Familienmitglieder wiederum verbrachten ihr Leben in Armut und Einsamkeit. Zahlreiche Tagebücher, Briefe, Notizen und Aufzeichnungen, die sich zusammen mit dem Rembrandt-Bildnis bis heute im Besitz der Familie befinden, zeugen davon. »Die vielen Leben des Jan Six« ist die Geschichte einer Familie und ihrer Stadt über viele Generationen hinweg. Es ist eine Geschichte von Ambitionen und Scheitern, von Größe und der ewigen Angst vor dem Niedergang.

Ich kannte die Six bisher gar nicht ... Das Buch hatte mich lediglich wegen der Buddenbrooks gelockt. Ich habe es gelesen und mehrmals die Verfilmung aus den 1970er Jahren gesehen. Dieser Film wurde sehr nah am Buch gedreht, selten, dass mir beides, Buch und Film, gefallen haben. Die Six selber waren mir fremd, und ich  habe noch immer nicht dieselben Empfindungen, die ich für die Buddenbrooks hatte, deshalb werde ich mich hier in der Buchbesprechung recht kurz halten. Was soll ich noch schreiben, was der Autor mit seiner überaus gelungenen Recherche nicht schon geschrieben hat? Ich habe keine Lücke zu füllen, die Recherchen sind topp.

Der vorliegende Band hatte nicht nur jede Menge Buddenbrook‘sches, sondern auch Proust‘sches. Noble und hohe Gesellschaftsformen, Adel und Patrizier, ähneln sich von ihrer Lebensweise alle sehr, ganz gleich, aus welchen Ländern sie stammen. Alle sind geprägt mit dem selben Verhaltenscodex. Aber es gibt auch in dieser Gesellschaftsschicht Außenseiter, die aus diesen vergebenen gesellschaftlichen Normen versucht haben auszubrechen ...

Allerdings ist das vorliegende Buch eher ein Sachbuch, es geht um Personen, die es in der Tat gegeben hat, und die in Amsterdam ansässig waren, während die Boddenbrooks eine fiktive norddeutsche Familiengeschichte ist, die gerade mal vier Generationen umfasst. Die vier Generationen konnte man viel leichter verinnerlichen. Man konnte mit ihnen bangen, man konnte mit ihnen Freude teilen, traurig sein, als die Familie sich in der letzten Generation aufgelöst hat. Familie Buddenbrook erlitt einen folgenschweren Untergang, und die Ursache dazu konnte man sich als Leser*in denken … Die vielen Jan Six dagegen konnte ich schwer verinnerlichen und auseinanderhalten, demnach war mir der Stammbaum auf der hinteren Seite eine große Hilfe. Im Gegensatz zu den Buddenbrooks existieren die Sixe außerdem noch heute …

Dennoch fand ich dieses Geschichtsbuch spannend, die darin vorkommenden Probleme waren mir allzu menschlich. Kindersterblichkeit, Epidemien und andere Probleme rafften auch Angehörige reicher Menschen weg ... Und der Sklavenhandel in den Niederlanden war mir fremd … Auch die Frauen in den Niederlanden lebten, verglichen mit den Frauen anderer europäischer Länder, recht fortschrittlich. Sie waren aktiv in der Politik, Literatur, in der Kunst, etc.

Wer sich etwas besser als ich mit den Six auskennt, dem ist unbedingt dieses Sachbuch ans Herz zu legen. Wer gerne über die gesellschaftliche Entwicklung aus den Niederlanden erfahren möchte, kann dieses vorliegende Buch auch wie ein reines Geschichtsbuch betrachten, wie sehr diese Familiendynastie das Land geprägt hat.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Sehr gute Recherchen
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Siedler-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar bedanken.

€ 26,99 [D] inkl. MwSt.
€ 27,80 [A] | CHF 35,90* 

(* empf. VK-Preis) 
Gebundenes Buch mit SchutzumschlagISBN: 978-3-8275-0087-8
Erschienen: 17.10.2016 

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Siedler, Random House München, auf der es noch mehr zu entdecken gibt. 

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Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist nötig, dass alles sich verändert.
(Eintrag aus einem Poesiealbum der Familie Six)

Gelesene Bücher 2017: 24
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Sonntag, 11. Juni 2017

Virginia Baily / Im ersten Licht des Morgens (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat leider nicht ganz meinen Erwartungen entsprochen. Es war mir definitiv zu klischeehaft und oftmals zu unpolitisch (siehe unten), was die äußeren Personenbeschreibungen betrifft, und was die Zuschreibungen des kulturellen Lebens diverser Nationen anbelangt.

Am Anfang war ich von der Geschichte recht angetan gewesen, aber es flachte ziemlich schnell wieder ab. Ich hatte gedacht, ich würde mehr über die italienischen Juden erfahren, mehr über den Faschismus in Italien in differenzierter Form. Die ganze Geschichte aber las sich auf den folgenden Seiten recht zäh und wurde dadurch schnell langweilig.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Chiara Ravello führt nach außen ein erfülltes Leben. Sie arbeitet als Übersetzerin in Rom und umgibt sich mit Freunden, gutem Essen, Theater und Musik. Nur wenige Gegenstände in ihrer Wohnung erinnern an Daniele, den sie aufzog und liebte wie ihren eigenen Sohn. Kaum jemand weiß von dem Schmerz, den sein Verlust für sie bedeutet. Erst als eine junge Frau aus Wales in Rom auftaucht und behauptet, Danieles Tochter zu sein, beginnt Chiaras Fassade zu bröckeln. Marias Ankunft führt Chiara weit zurück in ihre Vergangenheit, ins Kriegsjahr 1943, und weckt in ihr eine lang vergrabene Sehnsucht nach Versöhnung.

Die 16-jährige englische Maria erfährt, dass ihr leiblicher Vater Italiener ist. Sie gerät dadurch in eine Identitätskrise und begibt sich auf Ahnen- und Spurensuche. Sie erfährt, dass der leibliche Vater Daniele Levi heißt und in Rom lebt. In dieser Krise kappt sie den Kontakt zu ihrem Ziehvater und dessen Eltern. Sie bezeichnet sie alle als Ex. Exvater, Exgroßmutter … Sie besteht darauf, nach Italien zu reisen, um ihren Vater zu suchen. Maria nimmt Kontakt mit Chiara auf, von der sie glaubt, sie habe Daniele bei sich beherbergt, ohne zu ahnen, dass Chiara den Jungen aus den Fängen der deutschen SS-Männer in Italien befreit hat. Chiara selbst befindet sich ebenfalls in einer Krise, da sie Daniele wie ihren eigenen Sohn abgöttisch geliebt hat, der aber unauffindbar verschollen ist. Daniele führt ein schweres Leben. Ihn begleitet lebenslang ein schweres Trauma, als er 1943 völlig unvorbereitet und ganz plötzlich von seiner Familie weggerissen wurde. Die Familie Levi wurde von den Nazis aus der Wohnung getrieben und auf einen Laster gekarrt, als Chiara Zeugin dieser grauenvollen Szene wird. Nonverbal und nur mit den Augen kommuniziert sie mit Danieles Mutter, die ihr mit einem Blick zu verstehen gibt, Daniele zu retten. Wie Chiara es schafft, Daniele von dem Karren loszubekommen, lasse ich offen und ist dem Buch zu entnehmen.

Der siebenjährige Junge erleidet ein schweres Trauma, aus dem er sich nicht wirklich erholen konnte. Er ist zu jung, um diese schwere existentielle Situation zu begreifen. In den folgenden Jahren versucht er sein Trauma mit Hilfe von Drogen zu dämmen und entwickelt sich zu einem schwerumgänglichen Menschen, der auf Abwege gerät.

Chiara wird durch Marias Besuch gezwungen, sich der Vergangenheit, die recht unangenehm ist, zu stellen. Maria stellt jede Menge Fragen, die Chiara lästig sind und so versucht sie Maria abzulenken, indem sie sie mit Projekten vollpackt, damit Maria nicht mehr so viel Zeit hat, Fragen zu stellen. Maria spürt zwar, dass irgendwas mit Chiara und Daniele nicht stimmt, sie ahnt aber noch nicht, was sich hinter der Geschichte zwischen ihrem leiblichen Vater, ihrer Mutter und Chiara verbirgt. Sie idealisiert ihren Vater, versucht römische Gene in sich zu finden. Chiara merkt, dass sie Maria, die ein Recht hat, ihren Vater kennenzulernen, nicht mehr lange hinhalten kann.

Wer mehr über diese Geschichte erfahren möchte, so verweise ich unbedingt auf das Buch.


Mein Fazit zu dem Buch?

Man hat es hier mit mehreren Epochen zu tun. Die Zeit im Zweiten Weltkrieg, die Nachkriegszeit und die Zeit der Hippies. Die Abläufe werden im Wechsel erzählt, was mir recht gut gefallen hat. Doch die Zeit der Hippies, die Zeit in den späten 1960er Jahren und Anfang der 1970er kam politisch überhaupt nicht rüber. Auch in Italien gab es die sogenannte Studentenrevolte, auch wenn sie sich von der der deutschen unterschied. Darüber hat die Autorin leider nichts geschrieben, über die Intellektuellen Italiens. Diese Zeit beschreibt die Autorin recht politiklos. Auch diese Details haben mir gefehlt. Stattdessen füllt sie diese Lücken mit klischeehaften und stereotypen Alltagsbeschreibungen.

Die Autorin beschreibt die Menschen so, als wären sie genetisch mit ihren Nationen verbunden. Plötzlich ist Maria zur Hälfte Engländerin und zur Hälfte Italienerin. Halb halb? Wie soll ich mir das vorstellen? Auch wenn diese Vorstellung gesellschaftlich gängig ist, tue ich mir damit sehr schwer, weil diese Betrachtung falsch und naiv ist. Außerdem ist es wissenschaftlich bewiesen, dass die Gene keinerlei Einfluss auf die Herkunft haben, sondern dass die Erziehung diese Aufgabe übernimmt. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier darin, dass er alles erlernen muss. Sprache, soziale- kulturelle und gesellschaftliche Werte werden einem Kind von Beginn der Geburt von seinen Bezugspersonen anerzogen. Das Kind lernt es nicht von sich aus. Was uns genetisch mitgegeben wird, das sind menschliche Beschaffenheiten, wie z.B. Geschmäcker, Talente, Haarfarbe etc., wobei die Haar- und die Hautfarbe hier im Buch auch recht einseitig beschrieben werden. Italiener*innen dunkel und Engländer*innen hell ...  Außerdem haben wir nur vier verschiedene Blutgruppen und diese reichen nicht aus, die vielen Nationalitäten eines Menschen genetisch zuzuorden.

Wegen dieser Kulturunreflektiertheit und wegen der mangelnden politischen Recherchen gebe ich dem Buch acht von zwölf Punkten. Mich hat auch das Interview im Anhang nicht wirklich überzeugt. 

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
0 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte recht herzlich beim Diana - Buchverlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken.

Auf der Verlagsseite ist ein Special abgedruckt. Virginia Baily im Interview zu ihrem Roman »Im ersten Licht des Morgens«

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diana, Verlagsgruppe Random House München.

  • Taschenbuch: 432 Seiten
  • Verlag: Diana Verlag (12. Dezember 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453359135
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Gelesene Bücher 2017: 23
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86