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Dienstag, 1. Dezember 2020

Charles Dickens / Weihanchtsgeschichten und Erzählungen

 Lesen mit Anne 

Anne und ich stimmen uns mit Dickens in die Advents- und Weihnachtszeit ein. Wir lesen jedes Wochenende eine Erzählung. Ich habe alle ins Deutsche übersetze Dickens-Bücher gelesen. Aber die Erzählungen habe ich nicht alle durch. Es war Anne, die den Vorschlag gemacht hat, sie uns vorzunehmen und habe zugestimmt und freue mich darauf, sie mit ihr zu lesen.

Wir beginnen mit den Weihnachtserzählungen aus dem roten Band. Anne besitzt die Ausgaben eines anderen Verlages, die sie vielleicht auf ihrem Blog vorstellt. Ich habe sie dazu noch nicht befragt. 

Klappentext  

Der vorliegende Band enthält eine Auswahl der schönsten Weihnachtserzählungen und Weihnachtsmärchen von Charles Dickens.

Weihnachtslied ,Die Silvesterglocken, Das Heimchen am Herd, Der Kampf des Lebens, Doktor Marigold, Mrs. Lirripers Fremdenpension, Die Geschichte des Schuljungen, Die Geschichte des armen Verwandten. Mit den Illustrationen der Erstausgaben.

Autor*inporträt

Für viele Leser ist der Name Charles Dickens verbunden mit dessen „Lieblingskind“ „David Copperfield“ (1849-50). Geboren wurde Dickens 1812 als Sohn eines Marinezahlmeisters in Landport bei Portsmouth. Nach zunächst glücklicher Kindheit musste er schon früh Geld verdienen, weil sein Vater zwei Jahre im Schuldgefängnis saß. Der junge Charles arbeitete in einer Schuhwichsfabrik, war Schreiber in einer Anwaltskanzlei und Journalist. Mit Zeitungsgründungen und durch das Schreiben von Romanen und Geschichten wurde er schnell erfolgreich und berühmt. Die Leser mochten seine anfangs humorvollen, später eher düsteren Romane, die das Leben in der englischen Mittel- und Unterschicht kritisch beschrieben. Dickens war verheiratet und hatte 10 Kinder. Er starb 1870 nach einem Schlaganfall.

Unsere ersten Leseeindrücke

Zum ersten Advent haben wir uns schon die erste längere Erzählung Weihnachtslied vorgenommen. Wir kannten sie beide, lesen sie dennoch. Manches an der Sprache finde ich ein wenig verkitscht, aber dennoch habe ich meine Freude daran. Nach Beendigung dieser Erzählung werde ich ein paar Zeilen in diesem Thread mit dem Unterpunkt Ein paar Gedanken zu den jeweiligen Erzählungen schreiben, ohne in die Tiefe gehen zu wollen.  

Dickens war mein Vorbild

Ich liebe Dickens sehr, weil er meine Kindheit geprägt hat. Viele meiner Mitmenschen bezeichnen mich heute als sehr empathisch. Dies, glaube ich, habe ich ausschließlich ihm zu verdanken, da ich meine Kindheit in einer recht kühlen Welt zugebracht hatte, wo es mir an warmen Vorbildern gefehlt hat. In der Schule gab es eine Lehrerin, die uns zu lehren versucht hatte, dass man Bettlern kein Geld geben dürfe, da sie Armut nur vortäuschen würden. Zu Hause ähnliches Bild Menschen gegenüber, die in der Gesellschaft als Versager gelten.

Meine Mutter erzählte mir, dass sie mir, als ich zehn Jahre alt war, eine kleine Tüte mit gesparten Münzen geschenkt hatte. Ich sollte raus gegangen sein, und hätte die Tüte einem Obdachlosen überreicht, worüber sie ziemlich erbost war. Schade, dass ich mich an diese Szene gar nicht erinnern kann. Nur mein Vater fand meine weiche Art toll.

Tränen sind mir gekullert, wenn ich  Dickens gelesen habe, und auch die Verfilmungen hatten mich innerlich tief berührt. 

Buchdaten

·      Gebundene Ausgabe : 624 Seiten

·      ISBN-10 : 3868202358

·      Abmessungen : 13.4 x 5 x 19.3 cm

·      Herausgeber : Nikol (1. August 2018)

·      Sprache: Deutsch

__________________________________

Ein paar Gedanken zu den Erzählungen.

1. Weihnachtslied
Hat meine Aufmerksamkeit etwas geschwächt, da ich diese Erzählung unter einem anderen Titel kenne. Die Weihnachtsgeschichte, von der ich die Verfilmung wiederholte Male mir angeschaut habe, sodass ich von dieser reichlich gesättigt bin.

Ja, wie man dies von Dickens kennt, der von einer Lebenswelt schreibt, die in schwarz-weiß- Facetten gehaucht ist, dich mich aus diesem Grunde nicht mehr so angezogen hat. Als Kind fand ich diese Schwarz-Weiß-Welt, diese Gut-und-Böse, spannend, weil für Kinder diese zwei Kategorien als hilfreich empfinden, die Welt und die Menschen besser einordnen zu können, wenn ihnen im Alltag diverse Vorbilder fehlen. Aber heute, als eine Erwachsene, erfüllen mich diese Kategorien definitiv nicht mehr. 

Mit Anne hatte ich einen telefonischen Austausch. 
Anne fand mache Textstellen wunderschön formuliert, wo ich ihr nur zustimmen kann. Manche Zeilen wirken ein wenig sentimental, andere wiederum sehr hochwertig. 

Sonntag, 1. November 2020

Oscar Wilde / Das Gespenst von Canterville

 Klappentext  

Das Gespenst von Canterville nimmt seine Pflichten sehr ernst: Schlossbewohnern und Gästen muss zuweilen der Schlaf geraubt werden. Wozu trägt man sonst die schweren Ketten? Die Opfer müssen ja nicht gleich, wie einst Lady Stutfield, den Verstand verlieren. Als der amerikanische Gesandte Mr. Otis das englische Anwesen kauft und mit Frau und Töchtern einzieht, ist der Schlossgeist not amused. Und es kommt noch schlimmer: Der unerschütterliche Materialismus und die Respektlosigkeit der Yankees stürzen ihn in eine veritable Sinnkrise. Was tun, wenn man mit ganzer Kraft und in bewährter Qualität spukt, aber nur Gelächter erntet? Oder, noch schlimmer, von zwei vorlauten Mädchen mit Kissen beworfen wird? Noch nie, kein einziges Mal in seiner dreihundert Jahre langen Karriere, hat man das Gespenst derart beleidigt …

Autor*inporträt

Oscar Wilde, der mit vollem Namen Oscar Fingal O' Flahertie Wills Wilde hieß, wurde am 16. Oktober 1854 in Dublin geboren und ist einer der bedeutendsten irischen Schriftsteller. Als schillernde Lichtgestalt des "L'art pour l'art" wurde er im viktorianischen England u. a. für sein extravagantes Auftreten bewundert. Häufig war der Dandy auch wegen seiner skandalträchtigen Werke im Gespräch, in denen er die Prüderie der damaligen Gesellschaft vorführte. 1890 veröffentlichte Oscar Wilde seinen berühmten Roman "Das Bildnis des Dorian Gray". 1895 wurde der Familienvater wegen Unzucht und Homosexualität zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach Verbüßung dieser Strafe verließ er - verarmt und gebrochen - England und lebte bis zu seinem Tod am 30. November 1900 in Paris.

Buchdaten

·  Originaltitel : The Canterville Ghost

·  Gebundene Ausgabe : 96 Seiten

·  ISBN-13 : 978-3311270034

Eine Halloween-Lektüre

Meine Freundin Anne nahm Halloween zum Anlass, daraus ein Geister und Gespenster Leseprojekt auf Mojoreads zu starten, das am Samstag den 31.10.2020 begonnen hat und am Sonntag, den 01.11.2020 um 22:00 Uhr beendet wird. Dadurch, dass ich nicht so gerne Bücher dieses Genre lese, wollte ich dennoch mitmachen, da ich ein Geisterbuch von Oscar Wilde habe finden können, das mich zum Mitmachen angestoßen hat. Auch, weil ich dadurch unsere Lesebeziehung, Annes und meine, ein wenig festigen wollte. In dem Bücherforum Mojoreads haben sich dazu jede Menge andere Leser*innen angeschlossen. Aber jede*r mit einem anderen Werk.

Meine obige Lektüre habe ich gestern Abend ausgelesen. Aber sie hat mir nicht besonders gut gefallen. Mich hat es überhaupt nicht gegruselt. Ich fand die Erzählung auch nicht spannend. Das Beste davon war für mich der Schluss, der sehr menschlich und liebevoll zwischen den Protagonist*innen gewählt wurde.

Es hat mir sehr gefallen, dass die junge Virginia Otis, 15 Jahre alt, Mitleid mit einem bösen Geist hatte, der einst seine eigene Gattin ermordet hatte. Der Geist namens Sir Simon musste von seiner bösen Tat erlöst werden, und spukte über fünfhundert Jahre fieberhaft und unglücklich in dem Schloss Canterville herum. Virginias Familie, die aus Amerika nach England kam, kaufte dieses Schloss samt dem Geist. 

>Mylord<, antwortete der Gesandte, >ich will die ganze Einrichtung und den Geist dazu kaufen, Ich komme aus einem modernen Land, wo wir alles haben, was mit Geld zu bezahlen ist.< (2019, 6)

So richtig daran glauben konnte Mr Otis nicht, und machte sich einen Witz daraus. Doch ein immer wiederkehrender Blutfleck auf dem Boden der Bibliothek sorgte stattdessen für Verwunderung ... Nur der jungen Virginia war es möglich, den Geist ausfindig zu machen, sodass zwischen ihnen beiden eine Beziehung entstand. Durch Virginias Anteilnahme dem Geist gegenüber schaffte sie es, den Geist zu erlösen …

Dennoch gibt es ein Geheimnis zwischen Virginia und Sir Simon, das sie nicht einmal ihrem Verlobten offenbarte … Welches das ist, lest selbst.

Hier geht es zu Annes gelesene Geschichte. 

Montag, 24. Dezember 2018

Benedict Wells / Die Wahrheit über das Lügen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Diese zehn Geschichten habe ich gemeinsam mit Tina gelesen und mich mit ihr rege ausgetauscht. Wir hatten fast zu jeder Erzählung dieselben Gedanken und Eindrücke, lediglich mit der siebenten Geschichte war ich schier überfordert, da ich über keinerlei Hintergrund zu Star Wars verfüge. Ich mag keine Science-fiction, weshalb ich mich für diese Filme nie begeistern konnte.

Die Fliege hat uns beiden nicht gefallen, auch wenn sie uns vom Verständnis her zugänglich war. Uns war durchaus bewusst, dass die Fliege eine Metapher darstellen sollte. Sie hat uns aber trotzdem nicht überzeugen können. Zu flach, zu oberflächlich …

Unsere Buchbesprechung beschränken wir auf jeweils zwei Geschichten, die Tina und ich gemeinsam abgesprochen haben. Sie schreibt über Die Wanderung und über Das Franchine. 

Mich haben die beiden Erzählungen Richard und
Die Nacht der Bücher richtig beeindruckt, über die ich schreiben werde. 

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung

Richard
Mich hat diese Geschichte sehr betroffen gestimmt. Es geht um eine ältere Dame, die im Park auf einer Bank sitzt und sich mit einem Herrn unterhält, obwohl dieser Mann mit seinem Handy beschäftigt ist. Sie erzählt ihm, dass sie gerne am Markt Hähnchenbrust beim Händler kauft, weil Richard sie so gerne mögen würde.

Sie berichtet detailfreudig dem fremden Mann, wie Richard auf das Fleisch reagiert, wenn sie nach Hause kommt, und dass sie erst seine, dann ihre Bedürfnisse befriedigen würde. Bei ihrem Gatten, als er noch gelebt hatte, war sie immer die Erste …

Der fremde Mann, als er seine letzte Nachricht in sein Handy getippt hat, steht auf, wünschte ihr einen schönen Tag und ging fort.

Die alte Dame betrachtet in der Ferne ein junges Paar und denkt dabei an ihren eigenen Mann. Das Leben mit ihm spulte sie jeden Tag in ihrem Hirn wie ein Kopfkino ab.
Wenn ihre Erinnerung ein Kino war, dann waren die Jahre mit ihm ein Klassiker, der noch immer jeden Abend lief. Vielleicht war er nicht mehr ganz so spannend, weil sie jeden Satz aus der Handlung mitsprechen konnte, und vielleicht war auch das Bild inzwischen etwas unscharf geworden und die Tonspur verwaschen, aber das machte nichts. Der Film endete, kurz bevor seine Krankheit begann. (2018, 92)

Plötzlich kamen zwei sprechende Mädchen an die Bank und setzten sich zu der alten Dame. Die Dame lauschte etwas an dem Gespräch der beiden Mädchen. Als sie ihre Bluse glattstrich, holte sie ein Foto ihres Richards heraus, der zu dieser Zeit noch ein Welpe war. Sie zeigte die Fotografie den Mädchen und erklärte ihnen, weshalb sie dem Kater den Namen Richard gegeben habe … Die alte Dame erzählt und erzählt und bemerkt gar nicht, dass die Mädchen sich bedrängt fühlten …
Das eine Mädchen stieß das andere an.>>Ja, also, wir müssen dann mal …<<, sagte es schnell. Sie verabschiedeten sich, und kaum, dass sie einige Schritte entfernt waren, prusteten beide los.<< (97)

Damit endet die Erzählung noch nicht, so lasse ich den Ausgang offen.

Als ich die Geschichte anfangs zu lesen begonnen hatte, dachte ich, dass Richard ihr Mann sei. Aber es klärte sich schnell auf, dass mit Richard ihr Kater gemeint war.

Ich fand diese Erzählung dermaßen authentisch, dass sie mich lange noch beschäftigt hat. Jede Figur wirkte real. Der Mann mit dem Handy, die beiden Mädchen, sie alle waren mit ihrem Leben beschäftigt, und hatten keinen Platz, das Leben der alten und sehr vereinsamten Dame für eine Weile in sich einzulassen ... 

Die Nacht der Bücher
Eine Weihnachtsgeschichte

Das war für mich von allen die allerschönste Geschichte. Hier wird Bezug genommen zu Wells Roman Vom Ende der Einsamkeit, die Figur daraus namens Jules, der dieses Märchen verfasst hat Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Der 58-jährige Mister Stanley hatte in einer staatlichen Bibliothek am Heiligabend Nachtwache, obwohl er kein Mensch war, der gerne Bücher liest. Die Bibliothek, eine ziemlich alte, die auf mich einen nostalgischen Eindruck hinterlassen hat, befand sich in Marylborne, ein Vorort von London. Als Mr. Stanley seinen Rundgang macht, und durch die Gänge und Flure zieht, hört er Geräusche, die er nicht einzuordnen wusste. Nach dem Störenfried Ausschau haltend staunte er über die Vielzahl an Büchern, die nicht zu zählen waren.
Die gesamte Bibliothek war nichts als ein gigantischer Bahnhof voller Figuren und Geschichten. (…) Schon eigenartig. Immer an Weihnachten war ihm, als würde es in der Bibliothek spuken, als hörte er seltsame Geräusche, die sofort verschwanden, wenn er die Tür aufmachte. (105)

Er blickte auf die vollgestopften Regale, wo er glaubte, müssten die Geräusche zu lokalisieren sein. Es war aber ganz ruhig. Und so ging Stanley wieder zurück in sein Dienstzimmer.
Lange Zeit blieb es in der großen Halle still. Die Bücher wollten auf Nummer sichergehen. Dieser alte Mister Stanley war ein misstrauischer alter Knochen, da musste man auf der Hut sein. Dann aber konnte man ein leises Rascheln hören. Ganz vorsichtig hatte sich Jules Verne umgedreht. Es war in 80 Tagen um die Welt. (ebd)

Die vielen bekannten Autor*innen kamen ins Gespräch, viele alte und neue Klassiker, und so entstand langsam Leben in den Regalen. Werke von Tolstoi, von Flaubert, Shakespeare, sogar die Buddenbrooks von Thomas Mann regten sich. Sie alle wunderten sich über Mr. Stanley. Carson McCullers hatte Mitleid mit dem Nachtwächter, Dostojewski hielt ihn für einen traurigen Narren, da er jedes Jahr zu Weihnachten Dienst habe, und fragt sich, wieso er das macht? Doch auch unter den Büchern fanden erst mal keine hochtrabenden Gespräche statt, sie führten Small Talk, bis sie sich einigen konnten, eine Weihnachtsgeschichte vorgelesen zu bekommen. Der Name Dickens fiel, doch Dickens konnte sich nicht rühren, da er, wie jedes Jahr zu Weihnachten auch, ausgeliehen wurde.
>>So ein Pech, das ist jetzt schon das dritte Jahr hintereinander!<<Ein hundertfaches Aufstöhnen ging durch die Halle, denn nichts hätte in dieser Nacht die Bücher mehr gefreut, als wenn ihnen Dickens endlich wieder die Geschichte des alten Ebenezer Scrooge erzählt hätte. (108)

Ein Hin und Her an Stimmen, die aus den Buchseiten fielen, machten sich breit. Es rührte sich Marcel Proust, der sich über den Lärm beschwerte, und er aus den Träumen gerissen wurde und machte sich bei den anderen unbeliebt. >>Halt die Schnauze, Marcel, auf dir liegt eh schon Staub!<< Ruft Hemingway ihm lakonisch zu …
.
Hier mache ich Schluss, um nicht alles zu verraten. Aber ich könnte die ganzen Dialoge zitieren, die so perfekt und so natürlich konstruiert sind. Die ganze Geschichte war total authentisch. Man spürte, dass die Bücher und deren Autor*innen mit demselben Geist beseelt waren, wie man sie aus den Büchern heraus kannte. Besser hätte es ein Walter Moers auch nicht ausdrücken können. Jede Menge bekannte Autor*innen sind hier vertreten, auch Harry Potter, auf den neidvoll geblickt wurde, da er verglichen mit Shakespeare ein Jüngling sei und weltweiten Ruhm genoss, während Shakespeare über eine Schullektüre nicht hinauskommen würde …   

Unbedingt selber lesen.

Cover und Buchtitel
Das Cover gefällt mir sehr, sehr gut, weil es wie ein Kunstgemälde ausschaut. Und es lässt jede Menge Spielraum zu für eigene Interpretationen. Den Buchtitel finde ich auch gelungen, hilft, die Geschichten besser einzuordnen.

Meine Meinung
Benedict Wells kann wirklich supergut schreiben. Lange habe ich mich mit Tina ausgetauscht, und wir finden beide, dass er aber sein Potenzial in Romane stecken sollte.

Die Geschichte mit den sprechenden Büchern fand ich noch besser als die von Walter Moers. Richtig genial. Schade, dass sie so schnell geendet hat.
Die Richard-Geschichte war mir wichtig, sie hier auf meinem Blog vorzustellen, um die Leser*innen mit dieser Thematik ein wenig zu sensibilisieren. Bei 200 bis 300 Besucher*innen pro Tag möchte ich mithelfen, sie ein wenig zu verbreiten.

Mein Fazit
Mit den zehn Kurzgeschichten der letzten zehn Jahre bedient sich Wells verschiedener Genres. Das macht sie so spannend. Klare Leseempfehlung.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkten

Hier geht es zu Tinas Buchbesprechung.

Ein herzliches Dankeschön an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
______________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2018: 58
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Dienstag, 2. Oktober 2018

Erich Hackl / Am Seil (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, trotz ernster Thematik. Man kommt leicht in das Geschehen rein. Ich hätte schon am vergangenen Samstag mit dem Buch durch sein können, da ich aber den ganzen Tag auswärts war, einen düsteren Ort aufgesucht habe, einen Ort, der gut zu diesem Buch gepasst hat. Ich war mit meiner Freundin im Konzentrationslager von Buchenwald bei Weimar. Hierzu gibt es auch einen Blogbeitrag ... Dass dies vom Umfang her ein recht dünn beseitetes Buch ist, werde ich meine Buchbesprechung kurzhalten. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit.

Hier geht es zum Klappentext und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Geschichte, die hier erzählt wird, findet im Nationalsozialismus in Wien statt. Und der Held dieser Geschichte ist Reinhold Duschka. Ein Mann im fortgeschrittenen Alter, der alleine lebt und selbstständig eine Werkstatt hält, in der er sein Gürtlergewerbe, ein Künstlerhandwerk, nachgeht. Sein langjähriges Hobby ist Klettern und so ist Duschka Mitglied im Alpenverein. Während des Zweiten Weltkriegs versteckt Duschka zwei Menschen in seiner Werkstatt, als Hitler in Wien die Juden hat deportieren lassen. Duschka war mit Reginas Vater befreundet und fühlt sich dadurch für Regina und ihrer Tochter verantwortlich. Regina Steinig, die ursprünglich aus Lemberg stammt, ist während des Ersten Weltkriegs mit ihren Geschwistern und den Eltern nach Wien geflüchtet. Mittlerweile ist Regina eine erwachsene Frau, war mit einem Juristen verheiratet, von dem sie ein Kind namens Lucia 1923 auf die Welt gebracht hat. Die Ehe ging in die Brüche, sodass Regina ihr Kind alleine großziehen musste. Regina war von Beruf Doktor der Chemie und ist gezwungen, im Nationalsozialismus ihren Beruf aufzugeben. Auch Lucia musste mit der Schule abbrechen, und so wurde sie von der Mutter ein wenig unterrichtet. Untergetaucht sind beide in Duschkas Werkstatt. Regina wird krank. Einen Arzt rufen geht nicht, das Leben von Regina, Lucia und sogar von Duschka steht auf dem Spiel, vier Jahre lang ... Obwohl Duschka nicht viel Geld hat, wer hat das schon in den Wirren des Krieges, schafft er es trotzdem, seine Schützlinge auch mit Lebensmitteln zu versorgen. Mutter und Tochter machen sich in der Werkstatt nützlich, damit Duschka seine Kunstobjekte schneller verkaufen konnte. 

Das Schreibkonzept
Diese Heldengeschichte wird retrospektivisch von Lucia erzählt, die mittlerweile verheiratet ist und mit Familiennamen Heilmann heißt. Die Erzählung ist auf 117 Seiten verfasst. Die Episoden sind nicht in Kapiteln gepackt, sondern abgetrennt durch Absätze. Der Schreibstil ist dermaßen flüssig, dass man beim Lesen in einen Sog gerät, weil man so schnell nicht damit aufhören kann.
Auf der allerersten Seite ist eine Widmung von Lucia Heilmann an Reinhold Duschka abgedruckt.

Am Seil
Cover und Buchtitel
Cover und Buchtitel finde ich beides gelungen. Auf dem Cover sind die Alpen abgebildet und deutet damit an, wie gefährlich dieses Hobby für Duschka ist. In der Tat machten sich Regina und Lucia Sorgen, wenn er an den Wochenenden in die Alpen zum Bergsteigen ging, denn er könnte beim Bergsteigen abstürzen. Ohne es zu wissen, befand Duschka sich tatsächlich in den Bergen dreimal in Lebensgefahr, aber er hatte immer Glück. Es durfte nichts passieren, denn das Leben von Regina und Lucia war von Duschka abhängig. Den Buchtitel Am Seil fand ich auch passend, denn das Seil, das am Körper richtig angelegt ist, gibt dem Alpinisten Halt und hilft, ihn festzuhalten. Das Seil hat eine symbolische Bedeutung. Nicht richtig fixiert, gefährdet es das Leben des Trägers.

Identifikationsfigur
Keine, denn ich kann niemals wissen, wie ich im Nationalsozialismus gelebt hätte, auf welcher Seite ich mich selber geschlagen hätte. Aber Reinhold Duschka ist mir ein Vorbild, und gute Taten lassen sich zu jeder Zeit vollbringen.

Meine Meinung
Reinhold Duschka ist eine interessante Persönlichkeit gewesen. Er war ein sehr stiller und schweigsamer Genosse. Die wenigsten Menschen wussten, was er für eine Persönlichkeit war. Er sprach nie von sich, nie von seinem Leben, nie von seiner Kindheit. Und niemand fragte, weil sie Achtung vor ihm hatten. Schade, dass er so gar nichts von sich preisgab. Duschka heiratete spät, bekam auch Kinder und Enkelkinder. Und über sein Wagnis sprach er auch nach dem Krieg mit niemandem. Seine Angehörigen erfuhren es aus der Zeitung. Es war Lucia, die sich erinnert und so wurde 2013 am Werkstättenhof für ihn eine Gedenktafel angebracht. Nach seinem Tod, 1993, wurde ein Nachruf verfasst:
Es war für dich selbstverständlich und gar nicht erwähnenswert, daß Du in einer Zeit der Unmenschlichkeit Deinen Anspruch als Mensch gelebt hast. Und dafür möchte ich dir gerade jetzt, wo sich die Geschichte zu wiederholen droht, ganz besonders danken. (2018, 101)

Mein Fazit?
Eine sehr bewegende und mutige Geschichte. Es ist gut, zu wissen, dass es Menschen wie Reinhold Duschka gibt. Das sind für mich die Engel auf Erden. Und sie sind für mich Symbol- und Hoffnungsträger in Zeiten, wo mutige Helden benötigt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass wir uns politisch in einer Zeit befinden, in der europaweit wegen der Flüchtlingsströme wieder rechts gewählt wird und man sich fragt, was der Mensch aus der Geschichte gelernt hat? Ich hoffe, nachdem ich nun auch das KZ im Buchenwald besichtigt habe, dass sich diese Zeiten niemals wiederholen werden. Ich brauche das nicht. Ich brauche keinen Krieg, ich brauche keinen Diktator, ich brauche keine rechten Wähler und ich brauche auch keinen Nationalstolz, stattdessen Solidarität mit allen Menschen der Erde, die für Frieden, Freiheit und Demokratie sind …

Ich werde mir den Autor merken und möchte mich noch für seine anderen Bücher öffnen.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten
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Die Gebote des Rechts sind folgende;
ehrenhaft leben
niemanden verletzen
jedem das Seine gewähren
(Corpus-Juris Civilis. DXXXIV)

Gelesene Bücher 2018: 42
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
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Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 23. April 2018

Judith Hermann / Alice (1)



Lesen mit Tina

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Als ich die erste von fünf Erzählungen gelesen hatte, war ich motiviert, die anderen vier auch noch zu lesen. Aber irgendwie war ich ein wenig enttäuscht, da die Thematik, Sterben und Tod, eine ernste ist, aber auf mich hat sie ein wenig zu oberflächlich gewirkt.

Die Handlung
Alice ist die Hauptfigur, auch wenn zu jeder neuen Erzählung der Sterbende in den Mittelpunkt gerückt wird. Trotzdem ist für mich Alice die Ausschlaggebende. Alice wirkt von ihrer Art her kühl und reflektiert. Es sind viele Gedanken, an denen man teilhaben kann.

Erzählung Nummer 1) Micha
Micha ist an Krebs erkrankt und befindet sich im Endstadium. Er bekommt zur Schmerzlinderung nur noch Morphium gespritzt. Micha befindet sich im Koma, ist nicht mehr ansprechbar. Die Ärzte haben ihn aufgegeben. Alle warten darauf, dass Micha stirbt. Auch die Familie wartet auf Michas Tod. Das Alter des Sterbenden kann man erraten, aber sicher weiß man es nicht.

Erzählung Nummer 2) Conrad
Conrad und seine Frau Lotte, beide 70 Jahre, leben in Mittelitalien. 
 Conrad und Lotte haben Alice zu sich eingeladen. Alice reist von Berlin zusammen mit einem italienischsprechenden Rumänen nach Italien. Der Rumäne ist der Chauffeur. Als sie das Haus von Lotte und Conrad erreichten, lag Conrad fiebrig im Bett. Das Fieber wollte nicht runtergehen, und so wurde Conrad in die Klinik gefahren. Einen Tag später stirbt er angeblich an einer tropischen Infektion.

Erzählung Nummer 3) Richard
Richard und seine Frau Margaret sprechen offen über den Tod. Auch werden die Bestattungsangelegenheiten geklärt. Hier wird Richards Krankheit nicht beschönigt. Keine euphemistische Betrachtungsweise dem Sterbenden gegenüber.

Erzählung Nummer 4) Malte
Malte begeht einen Suizid, kurz bevor Alice, ca. 45 Jahre, auf die Welt kam. Wäre er noch am Leben, dann wäre Malte ihr Onkel, der Bruder ihres Vaters Christian. Obwohl der Suizid Jahrzehnte zurückliegt, malt sich Alice alles Mögliche aus, wie Malte heute leben würde, wäre er noch am Leben …

Erzählung Nummer 5) Raymond
Raymond ist Alices Mann, der gestorben ist. Hier nimmt man an dem Prozess teil, die Wohnung aufzuräumen, sie von alten Sachen zu entsorgen. Dabei geht es nicht, die Dinge, die Raymond gehört haben, schnellstmöglich aus dem Haus zu schaffen. Hier heißt es Abschied nehmen in einer Form, die man aus dem Alltag nicht kennt.

Zum Scheibkonzept
Jede Geschichte beginnt mit dem Namen des Sterbenden. Es sind immer Männer, die entweder gestorben sind, oder im Sterben liegen. Sterbende Frauen gibt es in diesen Erzählungen nicht. Die Erzählungen haben einen Umfang zwischen dreißig und sechzig Seiten.
 Wer das Inhaltsverzeichnis der einzelnen Erzählung sucht, der wird hinten auf der allerletzten Seite fündig.

Meine Meinung
Ich fand den Schreibstil gut. Eine ruhige Art, die mir gefallen hat. Aber etwas hat mir gefehlt. Die Thematik, die sehr ernst ist, fand ich für meinen Geschmack allerdings mit Ausnahme der letzten Erzählung, wie ich oben schon geschrieben habe, zu oberflächlich. 

Ungeklärte Fragen
Manche Figuren waren mir unklar, in welcher Beziehung sie zueinanderstanden. Wer z.B. ist der Rumäne gewesen? Und warum hat die Autorin nur Männer sterben lassen? Auch wenn statistisch gesehen viele Männer vor ihren Frauen sterben, trifft diese Reihenfolge nicht auf alle Lebenspartner zu.

Cover und Buchtitel?
Das Cover lässt alle möglichen Interpretationen zu. Drückt aber auch etwas Magisches aus, was gut zu der Thematik passt.

Mein Fazit?
Ich bin durch diese Geschichten nicht schlauer geworden, was der Umgang mit Sterben und Tod betrifft. Ich zitiere die Autorin:
Wenn jemand geht, der dir nahe ist, ändert sich dein ganzes Leben, es ändert sich, ob du willst oder nicht.
Das kam viel zu wenig rüber. Ich weiß, dass in einem trauernden Menschen innerlich mehr passiert, als die Autorin in ihren Geschichten beschrieben hat. Deshalb haben sie mich nicht wirklich befriedigt.
Außerdem war für mich nichts Neues dabei, weil ich selbst jemand bin, die viel über das Sterben und den Tod nachgedacht hat und ich auch in einer Hospizbewegung tätig war. 

Sicher hat die Autorin versucht, mit ihrer Thematik einen Tabubruch zu begehen und will zeigen, dass der Tod zum Leben dazugehört … Aber Nachdenken alleine ist es nicht, es ist der innere Schmerz, der bei einem Verlust entsteht, den die Autorin aus meiner Sicht viel zu nüchtern angegangen ist. Trauerarbeit ist hauptsächlich ein seelischer und ein emotionaler Prozess und nicht nur ein intellektueller.  

Wie bewerte ich ein Buch? 
Auf jeden Fall nicht nur an der Schönheit der Sprache, wenn es um brisante Themen geht wie diese. Mir geht es hier um die Ganzheitlichkeit, wie z.B. Geist, Körper, Seele. Jede Instanz erlebt einen Verlust komplett verschieden.

Tina hat die Erzählungen wesentlich besser bewertet als ich, vgl. hier Tinas BuchbesprechungAls Nichtbetroffene eines Todesfalls würde die Autorin auch von mir die volle Punktzahl erhalten, weil mir die Sprache gut gefallen hat. Aber sich in die Haut eines trauernden Menschen einzufühlen, da reichen gute Gedanken alleine oftmals nicht aus. Viele trauernde Menschen versuchen ihren inneren Schmerz ähnlich wie die Figur Alice mit der Vernunft anzugehen und scheitern daran, weil die Seele und die Gefühle den Schmerz völlig anders erleben als die Vernunft. Oftmals entstehen zwischen diesen Instanzen massive Diskrepanzen.

Damit ich nicht ganz so alleine mit meiner Meinung dastehe, habe ich auf perlentaucher.de eine Rezension gefunden, die sich mit meiner deckt. Besser gesagt, die das ausdrückt, was ich vielleicht nicht so gekonnt habe sagen können. Ich möchte mit meiner Besprechung nämlich keinen polemischen Eindruck hinterlassen. 

Ich zitiere Felicitas Lovenberg, aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 02.05.2009, die mir total aus der Seele spricht:
Obgleich der Tod die Rezensentin aus jeder Zeile des neuen Prosabandes von Judith Hermann anspricht, bleibt er ihr fern. Für Felicitas von Lovenberg liegt das an der Nüchternheit und Lakonie der Sprache, die Hermann ihrer mit dem Tod (von fünf Freunde) beschäftigten Heldin in den Mund legt. Gleich ob diese Sprache einmal dazu taugte, das Lebensgefühl einer Generation zu treffen, hier erscheint sie Lovenberg angestrengt und künstlich; mitnichten führt sie zu mehr Tiefenschärfe oder Steigerung, beklagt sich die Rezensentin. Erst in den beiden letzten Geschichten scheint ihr der Ton entschiedener zu werden, und der Beschäftigung mit dem Tod die vermisste Richtung zu weisen. (https://www.perlentaucher.de/buch/judith-hermann/alice.html)

Meine Bewertung?
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
10 von 12 Punkten
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Es gibt auf der Welt mehr Tote als Lebende.
(Autor unbekannt)

Gelesene Bücher 2018: 18
Gelesene Bücher 2016: 72
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