Verlag: Aufbau Tb 2011
Seitenzahl: 383
9,99 €
ISBN-10: 3746627893
In der Familie Fallada gibt es so viele rührende Szenen, und möchte
gerade mit einer beginnen. Hans befindet sich mit seiner Familie im
Sommerurlaub an der See. Als die Kinder draußen in der Natur spielten,
geriet Hans in eine ganz entsetzlichen Lage. Mit seinen Geschwistern
spielte er mit Steinen und ein Stein davon war mehr ein runder Felsen,
den Hans durch die Gegend drehte und dabei seine drei Finger der rechten
Hand sich unter dem Fels zerquetschte. Er schrie ganz entsetzlich, doch
die Geschwister rannten völlig hysterisch und aus purer Hilflosigkeit
eher kopflos davon, statt dem Bruder zu helfen, was später durch den
Vater ein Nachspiel hatte, ich aber darauf nicht eingehen werde.
Der Vater hörte den Schrei und kam schließlich angerannt, und erlöste
seinen Sohn von der schweren Qual. Nun möchte ich den dazu folgenden
Dialog zwischen Vater und Sohn gerne festhalten:
"Es tut verdammt weh, Vater", sagte ich. „Aber ich will nicht mehr
weinen." Und mit plötzlichem Schrecken: "die Finger werden doch nicht
abgenommen werden?"
"Nein, bestimmt nicht!" sagte Vater beruhigend. "Freilich, diese drei
Nägel, die jetzt ganz blau - schwarz aussehen, wirst du erst einmal
verlieren. Aber ich denke doch, sie werden wieder nachwachsen. Aber, wie
ist denn das?" plauderte er fort und zog mich dabei unmerklich gegen
das Haus, "es ist ja die rechte Hand, die du dir verletzt hast, Hans!
Das ist aber schlimm für dich, da wirst du gar keine Schularbeiten
während dieser Ferien machen können! Das ist ja furchtbar traurig für
dich!"
Wieder schielte ich nach Vater. Ich sah die Fältchen um seine Augen, und
nun brach ich trotz aller Schmerzen doch in ein Lachen aus. " Ja, ich
bin schrecklich traurig, Vater", sagte ich lachend. "Ich wollte
eigentlich jeden Tag mindestens drei Stunden arbeiten?" :Lachen:
"Daraus wird nun freilich nichts", sagte Vater. "Nun, ich hoffe, du wirst auch das wie ein Mann tragen."
Ich finde diese Textstelle so erheiternd und man merkt regelrecht, wie
sehr der Vater seinen Sohn des Schmerzes wegen bemitleidet und er ihn
mit den ausbleibenden Schularbeiten aufzubauen und aufzuziehen versucht,
um damit seinen Schmerz ein wenig zu lindern.
Natürlich wollte Hans keine drei Stunden am Tag lernen und das wussten sowohl Vater als auch Sohn.
Eine weitere schöne Familienszene spielt sich zur Vorweihnachtszeit und
zu Weihnachten ab. Die Kinder wünschen sich wie jedes Jahr einen schönen
Weihnachtsbaum, keinen kleinen, sondern einer, der bis zur Decke hoch
reichte. Fast tagtäglich begibt sich der Vater auf die Suche nach einem
schönen aber billigen Weihnachtsbaum. Die Kinder sind enttäuscht, als er
allabendlich ohne den Baum wieder zurückkehrte. Er tröstete sie mit
immer neuen Geschichten. Wie gesagt, der Vater hatte großen Respekt vor
Geld, und wollte keineswegs verschwenderisch sein. Doch die Gesichter
der Kinder wurden immer trauriger. Man schrieb schon den
vierundzwanzigste Dezember und immer noch kein Baum in Sicht. Nun
begannen die Weihnachtsvorbereitungen und die Kinder wurden zum Spielen
raus geschickt und durften nicht vor 18:00 Uhr zu Hause eintrudeln. In
anderen Häusern sahen sie durch die Fenster die Weihnachtsbäume schon
brennen und die Kinder waren traurig, dass sie dieses Jahr Weihnachten
ohne einen Weihnachtsbaum feiern mussten. Als sie nach Hause kamen,
klang aus dem Bescherungszimmer hinter der verschlossenen Tür eine raue
Stimme: "Seid ihr auch alle artig?"
Wir brüllten begeistert:" Ja!" Es folgten noch weitere Fragen, bis es hinter der Tür wieder still wurde.
Aber ein Geruch von brennenden Kerzen und Tannennadeln hat sich doch
auf dem Flur verbreitet. Unsere Aufregung kann nun nicht mehr höher
steigen. Ich tanze auf einem Bein wie ein Irrwisch umher, Ede sieht
bleich vor Aufregung aus. Plötzlich geht er, fast finster vor
Entschlossenheit, auf die Haushälterin Christa zu, nimmt ihre Hand und
küsst sie!
Christa wird rosarot und reißt ihm die Hand fort. Die anderen brechen in ein verblüfftes Lachen aus.
"Warum hast du das denn bloß gemacht, Ede?“ ruft Mutter verwundert.
"Nur so!" Antwortete er ohne alle Verlegenheit. "Irgendetwas muss man
doch tun, und mir war grade so! Man wird ja verrückt vor lauter warten!"
Mir hat diese Szene sehr gut gefallen, und ich hier einen Vater
vorfinde, den sich wohl viele Kinder wünschen. Eine größere Freude hat
der Vater seinen Kindern mit dem Baum gar nicht machen können, und damit
so viel Liebe verbreitet, selbst bei dem kleinen Ede, der Christas Hand
küsst. Und die Geschenke waren noch nicht mal ausgepackt... .
Jawohl, es ist doch wieder ein Weihnachtsbaum geworden, wie er sein
soll, vom Fußboden bis zur Decke. Vater hat uns also doch wieder
reingelegt, denn diesen Baum hat er bestimmt nicht erst in den letzten
Stunden gekauft! Wo er ihn doch wohl nur so lange versteckt haben mag?!
Im nächsten Jahr falle ich aber bestimmt nicht wieder darauf rein!
Aber dem Vater gelang es jedes Jahr, seine Kinder in eine große Spannung
zu versetzen. Er war sehr fantasievoll und es fielen ihm immer tolle
Ideen und Geschichten ein. Schön fand ich auch, dass die Kinder ihre
Geschenke erst erraten mussten, indem der Vater zu jedem Geschenk eine
Rätselfrage stelle.
Die Kinder wurden zu ihrem Wohle immer sehr gefordert, und die Fantasie
angeregt, das war den Eltern sehr wichtig. Es gab also vor der
Bescherung noch ein Vorspiel... . Man stellt sich vor, wie sehr die
Beziehung unterhalb der Familienmitglieder in Liebe wuchs.
Es ist wieder Urlaubszeit und diesmal befindet sich Hans allein mit
seiner Mutter auf einer kurzen Reise, die zu Hans´Großmutter führte, die
Mutter seiner Mutter. Es war aber alles andere als ein Erholungsurlaub.
Die Großmutter besaß solche antiquierten Vorstellungen, die recht eigen
waren und sie damit nicht nur Hans, sondern auch seine Mutter
überforderte... .
Auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung lernte Hans ein sechsjähriges
Mädchen kennen, mit dem er auf einem Spielplatz rannte und die Kleine
durch eigenes Verschulden von der Wippe fiel und damit ihr rosa
Kleidchen beschmutzte. Heulend rannte sie zu ihrer Familie und ließ
dabei Hans zurück. Natürlich war Hans nun der Schuldige, der Böse und
dies nicht nur in den Augen des Mädchens, sondern auch in den Augen der
Erwachsenen. Hans kehrte nicht zu der Gesellschaft zurück, sondern hielt
sich aber in deren Nähe auf. Hans´ Mutter ging auf ihn zu und verlangte
von ihm, sich sowohl bei dem Mädchen, als auch bei dessen Angehörigen
zu entschuldigen, zumindest aus Liebe zur Mutter.
Auf dem Rückweg kämpften Jungenstolz und Liebe zur Mutter in mir.
Schließlich aber siegt die Liebe, trotzdem es mich hart ankam, meinen
Stolz so vor einer ganzen Kaffeetafel zu demütigen. Unser Erscheinen wie
meine ungeschickte Entschuldigung bei der Mutter des Mädchens wurden
mit frostigem Schweigen aufgenommen. Großmutter schnüffelte kummervoll
und sagte, auf Zustimmung hoffend: "Er ist doch ein lieber Junge!"
Aber niemand stimmte zu. (...)
"Und entschuldige dich doch bei dem Mädchen, Hans!“ sagte Mutter.
Ich gab dem kleinen verdreckten, rosenroten Äffchen die Pfote und sagte
mein Verschen. Während ich dies tat, streckte mir der Fratz
triumphierend die Zunge heraus. Die anderen konnten es nicht sehen, weil
ich vor ihr stand. Ich war völlig davon überzeugt, dass alle Weiber
minderwertige Geschöpfe seien, irgend einer Beachtung durch richtige
Jungens nicht wert. (Mutter war natürlich ausgenommen. Aber Mutter war auch kein Weib. Mutter war Mutter!) :-) :-) :-)
Ich komme nun wieder auf die Familienbräuche zurück, da Fallada dem ein
ganzes Kapitel gewidmet hat. Ich beschränke mich aber auf den Gebrauch
von Büchern. Die Familie besitzt knapp fünftausend Bücher, davon
dreitausend der Vater, tausend die Tochter Elisabeth, achthundert der
Sohn Eduard und der Rest verteilte sich auf die anderen beiden Kinder.
Elisabeth war eine eifrige Leserin, sie las so viel, dass andere
Pflichten völlig zu kurz kamen, wie zum Beispiel Schule und Familie.
Tausend Bücher für eine Jugendliche, das ist schon enorm. Doch nun folgt
eine Textpassage über den Umgang und Haltung zu und mit den Büchern,
die mir auch recht gut gefallen hat:
Bei uns wurden Bücher nicht nur gesammelt, sondern auch gelesen. Um
sie zu diesem Zweck jederzeit auffinden zu können, mussten sie in Reihen
übersichtlich aufgestellt werden. Schon Doppelreihen waren verpönt, so
sehr auch Platzmangel die Tiefe mancher Regale dazu verlocken mochten.
Das Auge musste alle Schätze stets vor sich haben, es genügte nicht, sie
im Dunkeln hinter einer anderen Bücherreihe vegetierend zu wissen. Auch
Bücher hinter Glas oder gar hinter Schranktüren durften nicht sein, ein
Buch wollte nicht gesucht werden, es musste für die Hand bereitstehen.
All diese Leitsätze der Bücheraufstellung waren vom Vater praktisch
erprobt, er konnte auch sehr fließend darüber sprechen, wie Bücher zu
ordnen seien…
infolge dieser etwas weitläufigen Ausstellung breiteten sich auch bei
uns die Bücher allmählich über die ganze Wohnung aus, es gab in jedem
Zimmer welche, und mein Auge hat sich von Kind auf so daran gewöhnt,
dass mir noch heute ein Zimmer ohne Bücher nicht so sehr nackt wie viel
mehr unbekleidet vorkommt.
Die Familie hielt auch mehrere Bedienstete im Haus, und eine davon
machte sich heimlich an die Bücher heran, die sie aus der Bibliothek
ausleihend entwendet hatte, um sie draußen bei Ihren Freunden und
Bekannten gegen Entgelt auszuleihen. Sie brachte die Bücher immer wieder
zurück, nahm sich dafür wieder andere. Damit sparten diese Leute die
Ausleihgebühr in Bibliotheken, die sie ja nun nicht mehr aufzusuchen
brauchten. Irgendwann fliegt alles mal auf, so auch hier der Bücherraub
auf Raten, als die Familie Verdacht schöpfte, der auf die Bedienstete
fiel und sie geschickt aufgelauert wurde. Natürlich hatte diese Frau
alle Bücher wieder zurückzugeben und sie wurde fristlos entlassen. Dazu
der Vater Fallada:
"Der eine Gedanke aber tröstet mich", sagte Vater nachdenklich. "All
diese Leser haben aus unserer Leihbibliothek nicht ein schlechtes Buch
bekommen. Damit stehen wir hoch über der ganzen Konkurrenz.
Ich komme wieder auf die verbotene Lektüre Karl Mays zurück. Nicht nur
mir, sondern auch Hans ist unverständlich geblieben, weshalb Karl May zu
der verbotenen Literatur gehörte. Auch hierzu möchte ich eine längere
Textstelle wiedergeben:
Übrigens Karl May - es ist mir heute noch unverständlich, warum ein
sanfter, nicht gerne etwas verbietender Vater eine so tiefe Abneigung
gerade gegen diesen Autor hatte. Er war darin unerbittlich. Wir durften
uns nie einen Karl May ausleihen, und als Onkel Albert dem Ede und mir
ein paar Bände Karl May geschenkt hatte, mussten wir sie beim
Familienbuchhändler in schicklichere Lektüre umtauschen.
Vater hat damit nur erreicht, dass meine Liebe zu Karl May immer weiter
unter der Asche schmierte. Als ich dann ein Mann geworden war und ein
bisschen Geld hatte, habe ich mir alle fünfundsechzig Bände Karl May auf
einmal gekauft. Während ich dies schreibe, stehen sie grün golden
aufmarschiert in der Höhe meines rechten Knöchels. Ich habe sie nun alle
gelesen, nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Jetzt bin ich
gesättigt von Karl May, ich werde sie kaum wieder lesen.
Ich kann nur vermuten, woher dieses Verbot rührt, da ich aber meine
Vermutung an keiner Textstelle festmachen kann, und mir dadurch Beweise
fehlen, behalte ich diese für mich.