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Samstag, 18. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (7)



Siebte und letzte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

(Seite 1100 - 1235)

Ich habe es nun geschafft, dieses Mammutwerk bis zum Ende durchgehalten zu haben. Ich bin eher Bücher gewöhnt von einem Seitenumfang bis maximal achthundert Seiten, der Durchschnitt liegt aber bei dreihundert bis sechshundert Seiten. Bei den dickeren Büchern ist es manchmal recht ungewiss, ob man auch wirklich diese Ausdauer hat. Es gibt Bücher, die fangen recht spannend an, und zur Mitte hin stellt sich´s anders heraus. Ich breche ungern ein Buch ab, deshalb hebe ich mir die wirklich dicken Bücher immer für meine Urlaubszeit auf. Nun befinden sich noch zwei weitere Bücher, die über tausend Seiten dick sind, in meinem Regal. Eines davon lese ich in meinem nächsten Urlaub, der im Dezember sein wird. 

Fallada gehört ja nun nicht zu den AutorInnen, die viel schreiben, ohne am Schluss wirklich etwas gesagt zu haben.

Für dieses Buch habe ich zehn Tage gebraucht... . 

Nun komme ich zu meiner letzten Buchbesprechung. 

Aus meiner Sicht ist es Wolfgang Pagel, der für mich der wirkliche Held des Romans ist. Womit ich gar nicht gerechnet habe, da er schließlich Wolfgang heißt, und in dem Buch erfährt der Name abgekürzt Wolf eine gewisse Entwertung, auf das ich nun zu sprechen komme. Hi, hoffentlich fühlen sich nun alle Wolfgangs auf dieser Welt nicht auf den Schlips getreten :D. Brauchen sie nicht, da nicht jeder Wolf mit seinem Rudel zieht, seine Opfer sucht und diese zerreißt ... . Wobei der Wolf in dem Buch nicht das Bild eines echten Wolfes entspricht, denn der echte Wolf tötet nur, um zu fressen, und nicht der Todeslust wegen. Nein, es gibt auch andere Wölfe, jemand wie Wolfgang Pagel... , der sich aus dem Rudel schleicht und aufhört, Opfer zu verschlingen, obwohl er satt ist... . 

Nun, da ich mich doch schon mittendrin befinde, was die Begriffsdefinition Wolf betrifft, denn schließlich heißt ja der Roman Wolf unter Wölfen und ich mich bisher noch gar nicht über den Titel ausgelassen habe, hole ich das jetzt nach. Dafür trage ich jetzt auch umso dicker auf :D und unterstreiche das Obengesagte nochmals mit einem Zitat, als es um einen Diener des Hauses Prackwitz geht, der ´sich als hinterhältig und gefährlich erwies, da er sich an die junge Violet heranmachte und sie kriminalistisch behandelte. Aber der Diner ist ja nur einer von vielen, die gut in diese Zeit (1923) reinpassten:

Das ist ein Scheusal, ein Wolf, der mordet, nicht um zu fressen, sondern um zu morden! (…) Vorbei die holde Lüge, die uns so gut schmeckt, vorübergewählt die zärtliche Gestalt der Liebe - Mensch gegen Mensch, Wolf unter Wölfen, musst du dich entscheiden, wenn du dich vor dir selbst behaupten willst-!

Eine jener Figur in dem Buch ist sich ihrer Verbrechen bewusst, sie sich aber so wohl fühlt, dass sie keinerlei Bereitschaft aufbringen möchte dies zu verhindern. Die Rede ist von Negermeier, eine Romanfigur, über die ich mich noch gar nicht ausgelassen habe. Das ist auch gar nicht so wichtig, denn dieser Negermeyer ist auch nur ein Symbol und steht stellvertretend für einen bestimmten Schlag von Mensch. Der Erzähler gibt seine Eindrücke zu diesem Menschen wieder und zitiert ihn:

Aber in seiner Brust scheint nur noch Platz zu sein für diese elende Unruhe, ein weiches, verdammtes Gefühl -: oh, so schwach, (...)! Nein, ich schwöre, ich will mich nicht bessern, ich will mich nicht ändern! Ich war gerade so richtig, wie ich war, mit Zähnen zum Beißen, Wolf unter Wölfen-! 

Wolfgang Pagel fand ich eigentlich die interessanteste Figur in dem Buch, aber da ich nicht so viel verraten möchte, drücke ich mich nur oberflächlich aus. Er hat viel durchgemacht und ist auch einer von den wenigen, der durch diese schwere politische Zeit so geprägt war, aber sein Wesen trotzdem positiv verändert wurde. Nicht so wie bei den anderen, bei denen die Charakterschwächen sich eher durch die schweren Zeiten noch verstärkt haben. Wobei ich Wolfgang Pagel niemals als wirklich fies oder bösartig empfunden habe. Von Anfang an nicht, er hatte eher einen weichen Kern, deshalb passte der Name Wolf nicht wirklich zu Ihm. Er ist ein junger Mensch gewesen, der selbst erst mal Lebenserfahrungen sammeln musste, um sein wahres Wesen zu festigen. Auf den letzten zweihundert Seiten liest sich der Roman wie ein Krimi, in dem Wolfgang Pagel keine untergeordnete Rolle mehr spielt. Er tritt aus dem Hintergrund wieder hervor, als eine wichtige Hauptfigur. Aber es hat ihm auch viel Kraft gekostet, die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg als Mensch und nicht als Wolf zu überstehen:

Entmutigt setzte er sich auf einen Strohballen, plötzlich völlig, grenzenlos entmutigt. Es ist oft so, dass ein Mensch viele harte Dinge eine lange Zeit hindurch mutig erträgt, plötzlich wirft ihn dann eine Kleinigkeit um. Pagel hatte mit unveränderter Freundlichkeit viel Schweres in den letzten Wochen ertragen, aber der Gedanke, dass er vom Morgengrauen bis in die Nacht hinein herumlief, tätig war und dass doch Nachlässigkeit, Liederlichkeit, Faulheit zunahmen, der Gedanke, dass fünfzehn Schaufeln, Spaten und Forken in dieser Nacht Rost ansetzen würden, warf ihn um.

Was die Inflation betrifft, so nahmen die Zahlen horrible Formen an, kaum vorzustellen, dass die Menschen plötzlich alle Millionäre wurden und dennoch waren die Millionäre bitterarm. Ziemlich grotesk. Die Menschen konnten mit dem Geld nichts anfangen, und auf ihren Arbeitsstätten bevorzugten sie ihren Arbeitslohn umgewandelt in Naturalien, damit sie wenigstens etwas zu Essen hatten. Doch auch dies erwies sich als schwierig, da die Lebensmittel knapp waren und nicht für alle ausreichten.  Der Dollar stieg immer mehr, nahm astronomische Zahlen an:

Die Zahlen wachsen - das Elend wächst auch. (…) Jetzt sollen bald die Billionenscheine kommen-tausend Milliarden - höher geht's dann nicht mehr!

Höher geht's dann nicht mehr, das ist die Hoffnung vieler Menschen gewesen, doch Pagel ist da ganz anderer Meinung:

"Es gibt nämlich, weiß ich noch von der Schule her, Billiarden, und Trillionen und Quadrillionen und… ."

Zum Ende des Romans hin waren die Verläufe recht angenehm, d.h. der Roman endet optimistisch aber keinesfalls kitschig. Es bestätigt meinen Eindruck, den ich von Fallada habe, dass er sehr gut die Missstände seiner Zeit aufzudecken in der Lage war, aber er tat es, ohne seinen Glauben an den Menschen zu verlieren.

Hier mache ich nun Schluss. Das Kapitel mit Violet war recht spannend, auch was der weitere Lebensweg von Petra Ledig betrifft halte ich mich bedeckt, so wie auch was die  Entwicklungen der anderen Persönlichkeiten und der anderen Themen in dem Buch betreffen.

Spannend fand ich zum Schluss auch die Charakterzüge und Entwicklung von Violets Mutter. Der Rittmeister durchlief am Ende den  bestmöglichen Ausgang... .

Wie hat mir das Buch gefallen? Ich fand es sehr interessant, denn anders als in einem Geschichtsbuch habe ich bei Fallda das Gefühl gehabt, in das Buch gestiegen zu sein und mir die  Inflation erfahrbar gemacht zu haben. Das Schöne an einem Buch aber ist, die Gewissheit zu haben, dass die  Zustände bald aufhören werden, spätestens mit der letzten Seite des Buches... . Ich habe zehn Tage lang die Inflation erlebt... . Aber das Buch hat mich nicht sooo gefesselt, wie mich seine anderen Bände gefesselt haben. Manche Szenen hat er nicht wirklich gut herausgearbeitet, und ich erkläre es mir aber dadurch, dass er das Thema in dem Buch sehr umfangreich behandelt hat..., wovor ich allerdings dann doch große Hochachtung habe... . 

Ich gebe dem Buch acht von zehn Punkten. Acht und nicht mehr, aus oben besagten Gründen. Acht und nicht weniger, da es keine schwarz-weiß-Verläufe gab und die Charaktere recht differenziert beschrieben wurden, was die Qualität eines wirklich guten Buches ausmacht. 

Das nächste Buch, das ich mir in ein paar Wochen von Fallada vornehmen werde, ist der Band Der Trinker. Es geht wohl um ein Sanatorium, in dem psychisch kranke Menschen untergebracht sind, und sie es schwer haben, dort wieder herauszukommen. Das Buch beinhaltet autobiografisches Material aus der Zeit von 1944. Hitler lässt hier grüßen, der für menschliche Schwächen alles andere als Toleranz und Verständnis zeigte.  

Fallada war ja selbst alkoholabhängig... . 

Ich bin sicher, dass dieses Buch mich wieder richtig fesseln wird. :-).

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Freitag, 17. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (6)


  Sechste Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

 (Von Seite 950 - 1100)


So langsam neigt sich das Buch dem Ende zu. Habe für morgen noch die letzten 134 Seiten vor mir, dann folgt mein Abschlussbericht.

Ich habe schon öfter mir anhören müssen, dass es noch nie so viele psychisch kranke Menschen geben würde wie zu heutiger Zeit. Ich habe darüber immer schmunzeln müssen, weil ich wusste, dass das Quatsch ist, denn das Leben war zu jeder Zeit auf seine Weise schwierig und herausfordernd.  Fallada bringt das, besonders in diesem Buch, sehr gut zur Geltung. Die meisten auftretenden Figuren sind labil, bis psychisch krank. Er hat das ja auch in seinem Buch begründet, s. Buchbesprechungen weiter unten, das ich nicht wiederholen möchte, es aber einfach auf der Hand liegt, besonders wenn man seine Bücher liest. Man erfährt durch den Autor psychische / psychiatrisch labile Persönlichkeiten, die in keine Geschichtsbücher zu lesen sind. In den Geschichtsbüchern geht es ausschließlich um Fakten und nicht um Menschenschicksale in dieser Form, wie sie im Buch geschildert werden.

Der Rittmeister besuchte aus besonderen Gründen ein Sanatorium und dort wurde er als psychisch krank diagnostiziert, und als jemand, der nur mit einer geringen intellektuellen Begabung gesegnet sei. Er wurde als recht aufbrausend und impulsiv beschrieben. Jemand, der seine Emotionen nicht unter Kontrolle habe, und eine Gefahr für Dritte werden könne.

Der Leutnant, der Liebhaber von Violet, wirkte ein wenig paranoid, starb zum Schluss an einem Suizid, weil er aus meiner Sicht den Druck seiner Vorgesetzten aus dem Militär nicht standhalten konnte.

Violet erfährt die tragische Wahrheit ihres Liebhabers, dass er nie Liebe für sie empfunden habe und er nichts weiter mehr von ihr wissen wolle. Eigentlich ist er wütend auf sie, da sie sich, bezogen auf das versteckte Waffenlager, geschwätzig gezeigt habe. Sie erleidet einen starken Nervenzusammenbruch, der mit Beruhigungsspritzen behandelt wurde. Die Mutter macht sich zum ersten Mal Vorwürfe, zu streng mit ihrem Mädchen umgegangen zu sein und bangt um ihre psychische Gesundheit... . Violet verschwindet, die Mutter bricht zusammen, Rittmeister war vorher schon psychisch auffällig, und nun versucht er nach dem Zusammenbruch seiner Tochter  sich mit Alkohol zu betäuben, aber auch, weil er nun schließlich die Wahrheit ihres Liebhabers erfahren hatte und er einsehen musste, dass er von seiner Tochter belogen wurde... . Eifersüchtig auf Violet, als seine Frau ihm nicht die selbe emotionale Pflege zukommen ließe, was er ihr auch vorwirft und vergisst dabei, dass er ein erwachsener Mann ist, während Violet eine Heranwachsende und die Fürsorge der Eltern dringender benötigt.

Habe ich jemand vergessen, der  nicht psychisch gebrochen ist?  Vielleicht..., evtl. habe ich die Nebenrollen hier im Schriftlichen nicht beachtet... .

Jedenfalls sind diese 150 Seiten recht mühsam zu lesen, da es jede Menge Tragödien gibt. Auch in den Nebenrollen... . 

Unvorstellbar sind für mich nach wie vor die Preise, die von der Inflation diktiert werden, je nachdem wie der Dollar fällt, steigt oder steht, der sich stündlich ändern konnte und mit welchen Summen man es zu tun bekommen hat. Ein Glas Bier kostet in dem Roman zweihundertzweiundvierzig Millionen Mark... .

Nun folgt wieder eine optimistische Einstellung von Fallada, die ein wenig grotesk erscheint zu dem Menschenbild, das er hat aber trotzdem auch einen Wahrheitskern besitzt, auch wenn er dieses Zitat durch seine Romanfigur sprechen lässt

Eigentlich besteht das Leben, genau betrachtet, aus lauter Niederlagen aber der Mensch lebt doch weiter und freut sich am Leben, der Mensch, dieses zäheste, dieses widerstandsfähige aller Geschöpfe… .

Aber es gibt auch eine lustige Textstelle, die zwar ein wenig profan ist, aber trotzdem ganz schön. Die Haushälterin von Prackwitz´ bereitet Wolfgang Pagel Gänseflügel zum Mittagessen zu,  und Pagel mit dem Mahl alles andere als begeistert ist. Auch weil die Haushälterin viel darüber zu klagen hat, dass die Gänse immerzu von Jungen mit Steinen beworfen werden würden, und sie, dadurch, dass die Gänse verletzt wären, gezwungen sei, die Gänse zu schlachten. Aber Pagel interessiert das überhaupt nicht, er möchte kein Gejammere hören, er möchte lieber glücklich sein. Dazu die Reaktion der Hauswirtschafterin:

"Wenn meinen Gänsen darum weiter die Knochen zerschnitten werden sollen, weil Sie glücklich sind, Herr Pagel, (…) dann ist es besser, Sie laufen  unglücklich rum und tun was für die Wirtschaft. Denn dafür sind Sie hier, nicht für Glücklichsein."

 So, das war's jetzt erstmal für heute. Ein paar andere Textstellen hebe ich mir für meinen Abschlussbericht auf.

P.S. Der Putsch ist so eingetroffen, wie ich es vermutet habe, verweise aber zu näheren Details auf das Buch, wobei der Putsch nicht wirklich viel Raum bekommen hat. Wird nur kurz berichtet, da viel auf die einzelnen menschlichen Schicksale eingegangen wurde... . 

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Donnerstag, 16. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (5)


 Fünfte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
 (Von Seite 600 - 950)
 
 Ich bin mittlerweile so drin in der Lektüre, und bin mit dem Inhalt und den Literaturfiguren dermaßen vertraut, dass ich gar nicht mehr so den Drang verspüre, weitere Kommentare zu verfassen. Vielleicht liegt das daran, weil das Thema recht umfangreich behandelt wird, und man die weiteren Verläufe eher bis zum Schluss abwarten möchte, denn schließlich behandelt Fallada hierin auch ganz primitive Themen von wichtigen Literaturpersonen, s.u. wie z.B. Familien-, Ehe- und Liebesproblematiken auf drei Genrationen verteilt. Sicher hat die damalige politische Lage auch das Seine beigetragen, wenn Ehepartner kriseln und drohen auseinanderzubrechen... . Aber ansonsten finde ich diese Themen eher zeitlos..., wenn eine Ehefrau recht spät, nach fünfundzwanzig Ehejahren erst merkt, dass sie ihren Mann gar nicht mehr liebt. Sicher bringen die erschwerten Lebensumstände dies verstärkt zur Geltung... Bitter, dass diese politische Lage, insbesondere die Geldentwertung nötig war, um die Eheprobleme zu erkennen. Welche vergeudeten Jahre...

Ab der ca. 750. Seite wechseln die Protagonisten. Wolfgang Pagels und Petra Ledigs Lage hat sich zwar verändert, aber sie treten nur noch im Hintergrund auf. Im Mittelpunkt des Romans stehen dann vielmehr Rittmeister Joachim von Prackwitz, seine Frau Eva und die pubertierende fünfzehnjährige Tochter Violet, die ich oben mit den Familienproblemen meinte.

Rittmeister von Prackwitz ist bei seinem Schwiegervater nicht gern gesehen und es gibt immer Probleme mit der Zahlung der Pacht... . Über weitere weitreichende Details möchte ich mich nicht näher äußern und verweise auf das Buch... .

Violet, die körperlich sehr reif ist, aber seelisch noch ein Kind, und sie bei den Männern gerne ihre sexuellen Reize zeigt, lacht sich einen Leutnant an, mit dem sie es sehr ernst meint, so ernst, dass sie im Geheimen Pläne hegt, mit ihm nach England durchzubrennen und dort heimlich zu heiraten. Ihre Mutter kommt ihr auf die Schliche, versucht aus ihr den Namen ihres Liebhaber herauszupressen, doch als Violet eher Lügengeschichten erfindet, die die Mutter ihr nicht abnimmt, bekommt sie über einen ziemlich langen Zeitraum Stubenarrest... . Es beginnt ein Machtkampf zwischen Mutter und Tochter... .

Violet ist pfiffig, wickelt sogar ihren Vater um den Finger. Der Vater braucht lange, bis er endlich die Listen seiner Tochter durchschaut. Es folgt ein Zitat, das mir sehr gut gefallen hat:

Ein Kind kennt die Fehler seiner Eltern besser als die Eltern die Fehler ihrer Kinder. Ein Kind sieht erbarmungslos scharf, nicht Liebe, nicht Sympathie bestechen sein Auge auf den ersten Entdeckungsreisen in die Neue Welt.

In Berlin ist ein Putsch geplant, zum 1. Oktober 1923, an dem der Rittmeister sich als Putschist zu beteiligen beabsichtigt. Es sollte eine neue Währung her, und die Inflation begraben, um wieder normale Lebensverhältnisse zu schaffen. Der Rittmeister hat sich ein teures Automobil gekauft, weil er vom Reichsheer versprochen bekommen habe, dass er das Geld wieder zurückerstattet bekommen würde. Dieser zeigte wohl ziemlich viel Vertrauen, vielleicht auch eine große Portion Naivität, denn es liest sich aus dem Kontext angedeutet heraus, dass der Putsch wohl scheitern wird und er niemals das Geld für sein Automobil zurückerstattet bekommen würde. Sein Schwiegervater warf ihm vor, er habe dumm gehandelt, da er sich das Geld nicht im Voraus habe geben lassen. ... . Kaum dass sie Geld haben, ihre Pacht zu bezahlen, verschwendet der Rittmeister das Geld für ein Automobil, das, ganz zum Leidwesen seiner Frau, nicht wirklich lebensnotwendig sei. 

Nun bin ich einfach nur gespannt, ob es überhaupt einen Putsch geben-, ob es zu einer Revolution reichen-, und was aus der jungen Violet wird. Und natürlich interessieren mich Wolfgang Pagel und Petra Ledig auch noch, da ich auch sicher bin, dass sie zum Ende hin nochmals in den Mittelpunkt gestellt werden... .
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Dienstag, 14. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (4)


 Vierte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
   (Von der Seite 450 - 600)


Petra Ledig befindet sich noch immer im Frauengefängnis und macht dort Bekanntschaft mit einer älteren Inhaftierten namens Auguste, die sich ein wenig mütterlich der Petra annimmt. Sie stellt Petra viele persönliche Fragen und somit erfährt sie die Gründe ihrer schuldlosen Gefangenschaft und über die Beziehung zu ihrem Freund Wolfgang Pagel, u.a.m. 

Sie steht ihr besonders was die Beziehung zu dem Glücksspieler Wolf betrifft mit großen Ratschlägen bei, und ich bei so viel Weisheit der alten Dame, besonders was das Männerbild betrifft, doch auch arg schmunzeln musste:

Es mag ja sein, (…) dass er ein ganz guter Mann ist, wie du sagst. Er tut was für deine Bildung, sagst du - na schön, soll er das tun, wenn es ihm Spaß macht. Besser wäre es, er täte was für deine Herze und was für deinen Magen, aber da kommt er sich natürlich nicht so klug vor wie bei den Büchern. Ein guter Mann, sagst du. Aber Kindchen, das ist doch kein Mann, das sollte vielleicht mal einer werden! Was im Bett ein Mann is, das is noch lange kein Mann, das glaub´ner alten Frau. Das bildet die jungen Mädchen euch bloß ein! Und wenn du das so weiter machst mit ihm, mit Verwöhnen und immer Paratsein, und Muttern is auch noch im Hintergrund mit`nem hübschen, dicken Geldsack - dann wird doch nie ein Mann daraus, aber aus dir wird ein Misthaufen, Gott verzeih mir meine Worte!"

Auguste hält viel von Petra und hat die Absicht, diese sofort nach der Haftentlassung bei sich als stellvertretende Geschäftsführerin einzustellen. Auguste ist selbständig, führt ein Geschäft verschiedener Kaufobjekte, auch Wäsche, hat einige Angestellte, und sie selbst hat auch Kohle, leidet aber unter einer merkwürdigen Zwangserkrankung. Bei ihr wiederholt eingelieferte Kleidungsstücke, die mit Brillantknöpfen versehen sind, diese näht sie aus den Kleidungsstücken heraus und behält sie, obwohl Auguste sich selbst Brillantknöpfe leisten könnte. Diese Art von Diebstahl hat sie eigentlich gar nicht nötig aber sie sagt selbst, dass sie immer wieder in Versuchung komme und von den Brillantknöpfen nicht ablassen könne. Selbst ihr Verteidiger versucht sie immer wieder zu Raison zu bringen. 

Dadurch, dass dies eine Wiederholungstat ist, müsse sie länger im Knast einsitzen und rechnet mit etwa sechs Monaten. Auguste allerdings trägt es mit Humor, obwohl sie vor diesen sechs Monaten richtige Angst hat, die sie aber nicht zeigen möchte, wie sich ein paar Textstellen weiter herauslesen lässt:

Und da sitze ich also und denk: sechs Monate Kittchen sind ja soweit ganz gut, Ruhe brauchst du auch einmal wieder - aber was ist mit dem Geschäft, noch dazu in diesen Zeiten?

Die Art ihres Humors hat mich ein wenig amüsiert.

Petra versucht ihre Straftat zu verstehen, und ertappt sich bei dem Gedanken ob Auguste ihr wirklich die Wahrheit darüber gesagt habe, als sie schließlich die Schwäche mit den Brillantknöpfen mit ihrer Schwäche zu Wolf vergleicht: 

Was für mich der Wolf ist, das sind für Mutter Auguste die Knöpfe. 

Welch ein absurder Vergleich, einen Mann mit Knöpfen  gleichzustellen, was aber nicht heißen soll, dass dieser Vergleich nicht berechtigt ist... .


Und nun verschafft Auguste Petra eine Arbeitsstelle, und sie ihr alle Formalitäten erklärt. Ihre Aufgabe besteht in erster Linie darin, kaufmännische Administration zu bewältigen, da ihre Arbeiter so gut wie gar nicht mit Zahlen umgehen könnten. Aber sie würde kein Gehalt beziehen, um Petra vor Wolf zu schützen. Auguste, die über sehr gute Menschenkenntnisse verfügt, weiß sehr wohl, dass Petra, sobald sie Geld in den Händen hält, dieses ihrem Wolf überbringen würde. Und was mit dem Geld geschieht, das weiß man ja nun. Petra würde wieder Hunger leiden...  Als Gegenleistung für ihre Arbeit dürfe sie  die Wohnung im Hause von Auguste einziehen, und hätte dazu auch Kost und Logis frei. In dem Haus befindet sich eine Köchin, die für sie kochen würde.
Ich finde das ein faires Angebot.

Nun folgt eine lustige Textstelle. Petra wird eingewiesen, wie sich in der Wohnung zu verhalten habe:

Und ich habe mir gedacht, du wohnst in meiner Wohnung und schläfst in meinem Bett, und im Badezimmer wäschst du dich… aber in der Wanne darfst du nicht, da geht die Emaille  von kaputt oder wird streifig, mit der Emaille hier weiß ich allein Bescheid. Das musst du mir in die Hand versprechen, dass du mir die Wanne nicht anrührst !- So schmutzig wirst du ja auch gar nicht, dass du dich baden musst - die Dreckarbeit machen die Männer. :D :D :D

Nun geht es rein in die Spielstube. Es ist mitten in der Nacht. Eine Zeit, in der sich am besten spielen lässt. Hier erfährt man, dass Wolf wohl nicht aus Liebe zum Geld spielt, sondern ausschließlich aus Liebe zum Spiel. Das geht auch aus seinem Charakter gut hervor, da er nie die Absicht hatte, Geld auszugeben, Geld zu stapeln, nein, er hat es nur gebraucht, um zu spielen. Die Summen belaufen sich auf die Millionen und Milliarden, bedingt durch die Inflation. Pagel hat einen ganzen Berg von Geldscheinen gewonnen und kann noch immer nicht mit dem Spielen aufhören. Je größer seine Gewinnerträge sind, desto größer wächst seine Spielleidenschaft. Diese Szene hat mich doch auch innerlich irgendwie berührt. 

Zurück in die Gesellschaft; wie geht der Mensch mit der Wirtschaftskrise, mit der Geldentwertung um? Wie geht er mit der Lebensmittelknappheit um? Wie verkraftet er sie? Je dickfälliger und je trickreicher der damalige Mensch war, so der Erzähler des Romans, desto gelassener überbrückte er diese tristen Zeiten.

Und die Anständigen sind die Doofen. (Denn wer) nicht nimmt, dem wird genommen. Wer nicht beißt, der wird gebissen.

Aber auf der Seite 595 gibt es eine optimistische Textstell, die irgendwie auch zu Fallada passt. Denn Fallada ist keineswegs ein Pessimist, nein, es gelingt ihm zwar sehr gut das Böse im Menschen in seinen Büchern zu reflektieren, aber er sieht auch das Gute in ihm. Und das finde ich immer recht angenehm, denn er selbst sagt, dass in jedem Bösen auch das Gute steckt. Aus einem anderen Buch von ihm habe ich mir ein Zitat gemerkt, das vom Sinn her ungefähr so lautet:  

Wäre die Welt tatsächlich so grausam, dann wäre sie schon längst dem Untergang geweiht.

Und in diesem Buch, auf Seite 595 sagt er: 

Kein Mensch kann sagen, wie er wurde, was er wollte. Aber manchmal bekommen wir einen Zipfel vom Wissen zu erfassen, ein Stück Weg, ach, ein Stücklein nur liegt klar hinter uns… dann werden wir böse mit uns, es ist uns nicht recht, wir schütteln die quälenden Gedanken aus dem Kopf. Wir sind recht so, wie wir sind; und dass wir nichts anderes geworden sind, daran haben wir keine Schuld. Darüber brauchen wir nicht nachzudenken!-

Ich teile zwar nicht alles an dem Zitat, weil ich schon der Meinung bin, dass der Mensch auch an sich arbeiten kann, vor allem wenn er mit seinen Charakterzügen andere Menschen einschränkt, aber vom Sinn her gesehen, hat Fallada recht. Jeder Mensch hat das Recht, so zu sein wie er ist. Denn jeder Mensch hat dafür seine bewussten oder unbewussten Gründe. 

Somit beende ich die heutige Besprechung!

Anmerkung der Autorin: Fettdruck im Text durch mich hervorgehoben.
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Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (3)


 Dritte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Noch einmal Szenen aus dem Gefängnisalltag, diesmal aus dem Frauengefängnis, in dem es keine weiblichen Wärterinnen gibt, sondern nur männliche... . Durch die Inflation leben in einer Zelle, die ursprünglich für zwei Liegen gedacht war, nun sechs Inhaftierte. Die Liegen wurden übereinandergestapelt, und zu Hochbetten gemacht... . Auch Petra Ledig befindet sich noch immer in der Anstalt, und sie hat die Hoffnung aufgegeben, dass Wolf sie dort herausholen wird...  . 

Es gibt viel Gezeter in der paar qm kleinen Zelle. Darunter befindet sich auch eine drogenabhängige kranke Frau, die unter starken Entzugserscheinungen steht und eigentlich in die Klinik müsste... .

Petra ist diejenige, die an der Zellentür pocht und um Hilfe schreit, da die kranke Frau sich nicht nur als selbstgefährdend erweist, sondern auch eine Gefahr für die anderen Frauen darstellt.

Die Wärter verweigern zur Sperrstunde erst den Zutritt in die Zelle, da man ihnen sonst sexuelle Annäherung nachsagen könnte... . Doch Petra lässt nicht locker und erreicht schließlich, dass die Wärter die Zelle betreten, allerdings aus der räumlichen Distanz heraus, und geben vielmehr Anweisungen und Befehle, als dass sie selbst aktiv werden. Der Umgangston war auch recht primitiv und achtungslos den inhaftierten Frauen gegenüber:

"Du alte Vogelscheuche da auf der Matratze, nimm eine Wolldecke! Kannst auch was tun! Du andere auch!"

Die kranke Frau wurde eher ausgetrickst, indem sie feste in eine Decke eingerollt wurde und man ihr anschließend Salz zum inhalieren gab. Erst glaubte die Frau an die Droge, doch kurze Zeit darauf erkannte sie den Betrug. Wie diese Szene ausgeht, ist offen geblieben.

Die Inflation drückt sich nicht nur in der Geldentwertung aus, sondern auch die Arbeit vieler Menschen verlor ebenso an Wert:

Es laufen (…) jetzt so viele Menschen auf ihre Arbeit. Arbeiten, überhaupt etwas tun ist plötzlich für sie sinnlos geworden. Solange sie einen festen, greifbaren Wert dafür am Ende der Woche, des Monats in die Hand bekamen, hatte auch die ödeste Büroarbeit für sie einen Sinn. Der Marksturz hatte ihnen die Augen geöffnet. Warum leben wir eigentlich? Fragen sie sich plötzlich. Warum tun wir was? Irgendwas? Sie sehen nicht ein, warum sie etwas tun sollen, bloß um ein paar vollkommen wertlose Papierlappen in die Hand zu bekommen. (…) Die Entwertung ist der infamste Betrug am Volke…

Es ist ja nicht so, dass ich das erste Mal über die Folgen einer Inflation lese. Jeder hatte mal Geschichtsunterricht. Aber es macht immer wieder von neuem dermaßen betroffen, als würde man das erste Mal davon hören, sobald das Thema neu auftritt. Eine verschuldete Regierung wird von ihren Schulden befreit, während ein sparsamer arbeitender Mensch in umgekehrter Folge seine Ersparnisse von einen Tag auf den anderen verliert.

Wolf Pagel ist noch immer spielsüchtig. In dem Buch hat man es mit vielen labilen Menschen zu tun. Dazu gehört nicht nur Pagel und die drogenabhängige Frau, und der vom Krieg gezeichnete hochtraumatiserte Baron Bergen, sondern auch Petra Ledig gehört dazu, die nie ein richtiges Elternhaus besaß und stattdessen recht früh für sich selbst sorgen musste. Für solche Mädchen blieb oftmals nur der Weg in die Prostitution. Ein Jahr lang, dann lernte sie Wolf kennen und es wird verständlich, weshalb sie sich so an ihn hängt und bis auf die Hoffnung, von ihm geliebt zu werden, keinerlei Ansprüche an ihn stellt. Sie toleriert sogar seine Spielsucht, mit der Pagel die Existenz der beiden riskiert.

Die Probleme, die sich nach dem Ersten Weltkrieg dem Volk stellten, waren zwar kollektiver Art, und trotzdem entwickelte sich so etwas wie ein Einzelkämpfertum. Viele ehemalige Soldaten sehnten sich nach dem Zusammenhalt zurück, den sie im Krieg unter Kameraden erfahren haben. Deutlich wird dies, als Wolf Pagel zwei ehemalige Kumpanen ihn bei seinen Problemen zur Seite stehen möchten, und ihm Hilfe anboten, die aber eher der Neugier galten, um herauszufinden, wo Pagel sich nachts nur herumtreibt:

"Vielleicht können wir Ihnen raten", fuhr Studmann mit sanfter aber eindringlicher Überredung fort. " Besser wäre noch, wenn wir Ihnen irgendwie tatkräftig helfen könnten, Pagel", sagte er sehr eindringlich. "Als Sie damals auf Tetelmünde vorgingen, fielen Sie mit dem Maschinengewehr hin. Sie haben sich nicht einen Augenblick besonnen, meine Hilfe anzunehmen. Darum soll in Berlin nicht gelten, was in Kurland galt-?"
" Weil", sagte Pagel finster, "wir damals für eine Sache kämpften. Heute kämpft jeder für sich allein-und gegen alle."

Ich finde diese Szene ein wenig makaber, obwohl mir dieses Einzelkämpfertum nicht fremd ist, da auch wir heute davon betroffen sind, wenn auch auf einer völlig anderen Ebene.

Im Folgenden geht es um Literatur, und mich der Umgang mit dieser ein wenig schmunzeln ließ, weil doch Fallada hierbei ein wenig übertrieben hat. Zwei Frauen unterhalten sich über Literatur. Frau von Teschow, eine Baronin, lässt sich von ihrer Freundin Jutta Goethes Gedichte vorlesen. Bei einigen Versen zeigten sie sich recht empört, und ich gar nicht weiß, was daran so anstößig sein soll. Aber wahrscheinlich muss man sich in die damalige Zeit hineinversetzen, denn was für uns heute normal ist, war damals noch verpönt:

Das kleine Füßchen tritt und tritt,
Da denk ich mir das Mädchen,
Das Strumpfband denk ich auch wohl mit,
Ich schenkt´s dem lieben Mädchen…"

Wahrscheinlich drückt der Vers eine sexuelle Annäherung aus. Die Baronin und die Vorlesende zeigen sich Goethe gegenüber entsetzt:

 Und das will ein Staatsminister sein?

Was machen die beiden Damen mit dieser Textstelle in dem Versbuch? Nun, ganz einfach; sie kleben diese Seite einfach mit Kleister zu :) :) :). Und das nicht nur aus Goethes Gedichten, nein, dieselbe Handhabung auch mit den Werken anderer Dichter, die ihre sexuelle Sehnsucht in lyrischer Form verpackten. Und wenn es nur ein Wörtchen ist, wie z.B. Busen-Buschen-Sebusche, alles anstößige Begriffe, die dafür sorgten, dass die beiden lesende Damen die Buchseite zukleisterten.

Auch Schiller wurde verpönt, den man z. B. wegen Kabala und Liebe niemals der Jugend zu lesen geben dürfe... .

So, hier mache ich mit dem dritten Teil schluss!
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Montag, 13. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (2)


Zweite Buchbesprechung zur o. g. Leküre

Ich bin gestern Nacht mit Fallada ins Bett gegangen. Manche Szenen in dem Buch müssen sich erst einmal setzen, weil sie mir einfach zu  absurd erscheinen und es mir an Sprache fehlt, diese auszudrücken :D :D :D. 

Ich musste eine Nacht darüber schlafen, um Worte zu finden... . 

Petra Ledig befindet sich im Hof, angezogen mit einem Sommermantel ihres Freundes, andere Kleider besitzt sie ja nicht mehr, und wartet auf Wolf, der die Absicht hatte, sich mit ihr auf dem Standesamt zu vermählen, so dass er mit hübschen Kleidern, mit Nahrungsmitteln und mit Geld zurückkehren wollte. Doch Wolf lässt auf sich warten... .

Petra ist total ausgehungert und übergibt sich auf dem Hof. Zufälligerweise kommt ein Polizeiinspektor vorbei, der sich auf dem Weg zur Arbeit befindet, und befragt das ärmlich aussehende Mädchen. Er gibt sich zwanzig Minuten mit ihr ab, zu lang, um noch pünktlich seinen Dienst auf dem Revier anzutreten, was ihm äußerst peinlich wäre. 

Nun kommt das Absurde:
Damit er seine Unpünktlichkeit kaschieren kann, nimmt er Petra Ledig einfach fest und stellt sie auf dem Revier mit dem Haftbefehl wegen Erregung des öffentlichen Ärgernisses vor.

Und nun sitzt Petra Ledig für einen längeren Zeitraum unschuldig im Knast, damit der Beamte sein Zuspätkommen als ein dienstlicher Auftrag deklarieren konnte... . 

Den Ausgang dieser Szene lasse ich offen, da ich nicht zu viel verraten möchte.

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Sonntag, 12. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (1)

Erste Buchbesprechung der o. g. Lektüre 

Nun habe ich das Wochenende gut genutzt, schon mal 260 Seiten in dem Buch gelesen zu haben, auch wenn ich noch einen riesen Berg vor mir sehe.

Allerdings packt mich das Buch nicht so sehr wie die anderen Werke, die ich von Fallada gelesen habe. Ich werde mit vielen der Figuren nicht wirklich warm und betrachte diese eher mit einer ungewöhnlich großen inneren Distanz, zumal ich nicht auf jede Persönlichkeit eingehen werde. 

Am meisten beschäftigt mich der Protagonist des Romans, namens Wolfgang Pagel, genannt Wolf... . Ein junger Mann von 24 Jahren. Er leidet unter einer Spielsucht, mitten in der Inflation in dem Nachkriegsdeutschland des ersten Weltkriegs, und die Summen, um die es dort geht, dreht sich mir ja schon der Kopf... . Komme später darauf näher zu sprechen... . Bei Fallada ist es schon fast normal, dass in seinen Büchern meist Figuren mit einer "Geisteskrankheit" auftreten. Ich passe mich der Ausdrucksweise des Autors an, selbst wenn meine Ansicht dazu eine andere ist, denn als Geisteskrankheiten nennt er psychische Leiden, was zu der damaligen Zeit Usus war ... .

Ich habe woanders schon geschrieben, dass Menschen, die eine Wirtschaftskrise und die Inflation überlebt haben, Lebenskünstler waren... . Unvorstellbar, dass eine Stange Brot zehntausend Mark kostete. Und die Gehälter wurden sehr unpünktlich ausgezahlt, wenn überhaupt:

Der Staatsgerichtshof verurteilte eine Prinzessin wegen Begünstigung des Hochverrats und Meineid  zu sechs Monaten Gefängnis - aber der Dollar steht auf vierhundertvierzehntausend Mark gegen dreihundertfünfzigtausend am dreiundzwanzigsten Am Ultimo, in einer Woche, gibt es Gehalt - wie wird der Dollar dann stehen? Werden wir uns zu Essen kaufen können? Für vierzehn Tage? Für zehn Tage? Für drei Tage? Werden wir Schuhsohlen kaufen, das Gas bezahlen können, das Fahrgeld-? Schnell, Frau, hier sind noch zehntausend Mark, Kauf was dafür. Was, ist gleichgültig, ein Pfund Mohrrüben, Manschettenknöpfe, die Schallplatte-oder einen Strick, uns aufzuhängen… nur schnell, Lauf, rasch-!

Wolf pflegt eine Beziehung zu einem jungen Mädchen, die Petra Ledig heißt. Doch Wolf kann sich nicht mit dem Namen Petra anfreunden, da ihm der Name zu biblisch sei und ihn an Petrus erinnern lässt und deshalb nennt er seine Freundin einfach Peter. :D Petra lässt ihn gewähren, und überhaupt stellt sie keinerlei Ansprüche an die Beziehung oder an Wolf selbst. Mit dem Nachnamen Ledig kann er sich sehr wohl anfreunden und ist auch der Meinung, dass sie auch so bleiben könne. Daraus geht hervor, dass Wolf sein Mädchen nicht wirklich liebt, was auch an anderen Textstellen bestätigt wird, mir aber noch ein wenig fraglich ist, was er mit dem Mädchen letztendlich will. Wolfgang Pagel stammt aus einer wohlhabenden Familie, die so wohlhabend ist, dass sie auch der Inflation zu strotzen weiß, während viele andere Menschen Hunger leiden müssen, so auch seine Freundin Petra Ledig.

Petra zeigt Wolf gegenüber wenig Selbstbewusstsein, da sie alle Menschen, die wohlhabend sind, als die klügeren und als die besseren Menschen betrachtet:

Es kam ihr immer wie ein Märchen vor, dass sie, eine kleine Verkäuferin, ein uneheliches Kind, das gerade am Versacken gewesen war, in solche Häuser gehen durfte, in denen die gebildeten Menschen saßen, die sicher nie etwas erfahren hatten von all dem Schmutz, den sie so genau hatte kennenlernen müssen. Allein hätte sie sich nie hierher gewagt, obwohl ihr die-Stumm geduldeten - Elendsgestalten an den Wänden bewiesen, dass hier nicht nur Weisheit gesucht wurde, sondern auch Wärme, Licht, Sauberkeit und eben das, was auch eher aus den Büchern aufstieg: feierliche Ruhe.

Petra Ledig fängt nun auch an, sich für Bücher zu interessieren und lässt sich von Wolf gerne erzählen, aus welchem Buch er gelesen hat. Petra möchte von ihm geliebt werden und nicht nur des Körpers wegen, sondern hauptsächlich wegen ihrer Wesensart. Oft ist sie in Gedanken versunken und äußert daraufhin ihrem Freund, dass sie so schrecklich dumm sei:

"Ich lerne und ich lerne auch gar nichts! Ich werde ewig dumm bleiben!"  
Aber auch dann wieder lachte er nicht über solchen Aufruf, sondern ging freundlich ernst darauf ein und meinte, im Grunde sei es natürlich ganz egal, ob man wisse, wie Käse gemacht werden. :D :D :D. Denn so gut wie der Käsemacher lerne man es doch nie wissen. Dummheit sei, wie er glaube, etwas ganz anderes. Wenn man sich nämlich sein Leben nicht einzurichten wisse, wenn man nicht aus seinen Fehlern lerne, wenn man sich immer wieder unnötig über jeden Dreck ärgere und wisse doch ganz genau, in zwei Wochen sei er schon vergessen, wenn man mit seinen Mitmenschen nicht umgehen könne - Ja, all dies, erscheine ihm recht Dummheit. 
Interessant fand ich, als Wolf seine Mutter als Beispiel erwähnt, die recht spießige Lebensansichten pflegt, die hauptsächlich gegen Menschen gerichtet sind, die entgegen ihrer Vernunft in ihr Leben treten:

Ein wahres Musterbeispiel sei seine Mutter, die, soviel sie auch gelesen und erfahren habe und so klug sie auch sei, ihn nun glücklich mit lauter Liebe und Besserwissen und Gängeleien auf dem Haus getrieben habe, und er sei doch wirklich ein geduldiger, umgänglicher Mensch (Sagte er.) Sie, Petra, dumm-? Nun, sie hätten sich noch nicht einmal gestritten, und wenn sie auch oft kein Geld gehabt hätten, schlechte Tage hätten sie darum doch nicht gehabt und grimmige Zornesmienen auch nicht. Dumm-?! Was Peter denn meine? Natürlich genau das, was Wolf auch meinte! Schlechte Tage? Grimmige Miene? Sie hatten die allerherrlichste Zeit von der Welt miteinander gehabt, die schönste Zeit ihres ganzen Lebens-schöner konnte es nun überhaupt nicht mehr werden! Im Grunde war es ihr ja auch ganz egal, ob sie dumm oder ob sie nicht dumm war (klug kam trotz all seiner Erklärung nicht in Frage), solange er sie nur gerne hatte und ernst nahm.

Ein Fünkchen Wahrheitskern steckt wohl in dem oben genannten Zitat, aber nur ein Fünkchen. Petra ist gar nicht fähig, ihren Wolf zu sehen wie er ist. Die Liebe zu ihm führt sie in die Abhängigkeit, so dass sie alles an ihm duldet, sogar die Spielsucht, mit dem Ziel, dass er ja nur bei ihr bleibt. Eigentlich auch eine recht labile Persönlichkeit... .

Petra Ledig wird in dem Mutterhaus ihres Freundes alles andere als geduldet. Wolf sucht den Kontakt zu seiner Mutter nur noch sporadisch auf. Doch in dem Elternhaus wird trotzdem zu jeder Mahlzeit für Wolf miteingedeckt. Den Vater gibt es schon lange nicht mehr, er ist früh verstorben. Doch Wolf ist immer verschuldet. Er verspielt das ganze Geld, sogar die Kleider von Petra werden eingelöst und so bleibt Petra fast nackt in dem Zimmer zurück und wartet auf ihn... . 

In dem Haus seiner Mutter lebt seit zwanzig Jahren auch eine Bedienstete, Minna, die sehr gut die familiären Verhältnisse dort durchschaut. Es folgt nun ein Zitat, das mich hat ein wenig schmunzeln lassen, aus dem Gespräch zwischen Minna und Wolfs Mutter:

"Der junge Herr" meinte Minna, "hat es immer zu leicht gehabt. Er hat keine Ahnung, wie ein armer ein Mensch Geld verdient. Erst haben Sie ihm alles leicht gemacht, gnädige Frau - und jetzt tut es das Mädchen. Manche Männer sind so - das ganze Leben brauchen sie ein Kindermädchen - und es ist komisch, sie finden auch immer eins."

Um an Geld zu kommen, verkauft Wolf ein Gemälde aus der Familie, dass er sich bei der Mutter erpresst hat. Der Kunsthändler, der bekannt ist in Wolfs Familie und er alle Gemälde des Hauses kennt, wundert sich über den Verkauf des wertvollen Kunstobjektes. Doch Wolf hakt ein, dass man ohne Bilder sehr wohl leben könne aber nicht ohne Geld :D. Auch hier, so finde ich, steckt wieder eine große Portion Ironie.

Szenenwechsel:

Wir befinden uns in einer Strafheilanstalt, in der die Häftlinge heftig protestieren, weil sie schlecht versorgt werden. Das Brot ist hart und  ungenießbar. Mehr bekommen sie nicht zu essen. Unangemeldeter Besuch eines Reporters, jemand von der Sozialdemokratischen Pressekonferenz, der die Absicht hat, die Häftlinge darüber zu interviewen, ob sie mit Lebensmitteln ausreichend versorgt werden. Der Direktor versucht sich zu rechtfertigen in der Form, dass die Einrichtung nur mit minderwertigem Mehl beliefert werde, und sie keine andere Möglichkeit habe, Vollwertbrot  herzustellen. Doch der Reporter lässt nicht locker:

Direktor: "Ich kann es nicht ändern, das Brot ist nicht gut - aber was soll ich machen?! Unsere Verpflegungssätze hinken um vier Wochen hinter der Geldentwertung drein. Ich kann kein vollwertiges Mehl kaufen - was soll ich tun?!"
"Anständiges Brot liefern. Schlagen Sie doch Krach im Ministerium. Machen Sie Schulden für die Justizverwaltung, alles gleich - die Leute sind nach Vorschrift ausreichend zu beköstigen."
"Jawohl", sagte der Direktor bitter. "Ich riskiere Kopp und Kragen, damit meine Herren genug zu Essen haben. Und draußen hungert das unbestrafte Volk, was?" 

In dem letzten Satz steckt doch eine große Portion Ironie. Schließlich macht die Inflation ja nicht vor den Kerkertüren halt. Und es ist doch ein wenig makaber, dass es Gesetze gibt, die vorschreiben, dass die Häftlinge ausreichend versorgt werden müssen, während die Menschen draußen Hunger leiden. Ich wage mir kein Urteil zu bilden, weiß selbst nicht, was richtig und falsch ist, aber mir geht es um die Ironie, die ihre Berechtigung hat. Könnte eine Regierung auch für das gesamte Volk einstehen, vor allem für die, die wenig haben, fände ich das noch ein bisschen gerechter. Ich habe Verständnis für die Häftlinge, aber auch Mitleid für das hungernde Volk... .

Interessant finde ich auch die Romanfigur namens Baron von Bergen. Eine stark vom  Krieg gezeichnete traumatisierte Persönlichkeit, der mit dem Paragraphen 51 in einer psychiatrischen Heilanstalt geschlossen untergebracht ist. Baron von Bergen bezeichnet sich selbst als geisteskrank, auf mich macht er ein wenig den Eindruck eines Paranoikers. Er ist aus der Heilanstalt geflohen, geht in ein Hotel, und geißelt ein paar Leute hinter verschlossener Hoteltür und zwingt diese, in Übermaß Kognak zu konsumieren, sonst würde er sie erschießen. 

Wer nicht trinkt wird erschossen. Ich habe den Paragraphen 51, mir passiert nichts. Ich bin der Reichsfreiherr Baron van Bergen. Kein Polizist darf mich anfassen. Ich bin geisteskrank.-Trinkt! (…) Ich konnte das Schießen im Felde nicht vertragen, alle schossen immer nur auf mich. Seitdem schieße ich allein.-Trinkt!"


Interessant fand ich auch die Ansicht vieler zurückgekehrter Soldaten, die sich ein wenig als Helden feiern, auch wenn der Krieg als verloren galt und sie andere Kameraden eher verachten, die "Nie wieder Krieg" rufen. Sie werden als Feiglinge, als Drückeberger und als Verräter beschimpft. Es ist nicht so, dass jeder Mann, der aus dem Krieg zurückgekehrt ist, zu einem Pazifisten wird. Das war bei Remarque so, und auch bei Borchert. Nein, es gibt viele Soldaten, die immer wieder zurück in den Krieg marschieren würden, und sie würden immer wieder von neuem töten, töten, töten... . 
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 58
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Montag, 28. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 7





Ich habe feuchte Augen bekommen, denn ich bin durch mit der Autobiographie und mir ist Fallada und dessen Familie total ans Herz gewachsen. Hans Fallada hat einen großen Platz in meinem Herzen errungen.

Hans Fallada hat genau einen Tag vor mir Geburtstag und ist gerade mal siebzig Jahre und einen Tag vor mir geboren. Aber er selbst wurde leider nur vierundfünfzig Jahre , vielleicht überlebe ich ihn . Wäre er älter geworden, sicher hätte er noch weitere Bücher verfasst. Aber es ist wie es ist. Jeder Todeszeitpunkt ist der richtige. Es gibt keinen falschen, vgl. T. Mann. Der Wille zum Glück.

Zur Erinnerung:

Hans Fallada, ist, wie dies aus dem Klappentext hervorgeht, nur sein Pseudonym, denn ich möchte gerne erinnern, dass er mit richtigem Namen Rudolf Ditzen heißt. Aber für mich bleibt er Hans Fallada, solange auf den Büchern kein anderer Name steht... .

Ich habe heute auf einer anderen Seite gelesen, dass Fallada doch an einer traumatischen Neurose litt, die Krankheitserscheinungen in der vorliegenden Autobiografie allerdings noch keine Rolle spielen. Ich vermute mal, dass sie später im erwachsenem Alter, zum Ausbruch kam, aber wohl in der Kindheit schon latent angelegt war, wie an manchen Textstellen angedeutet wurde.
In seinem Werk "Der Trinker", so glaube ich, lassen sich eigene Erfahrungen ableiten... . Mal sehen.

Ich werde über die Pathologie in der Biografie zu Fallada "Mehr Leben als ein Leben", geschrieben von Jenny Williams, hoffentlich mehr erfahren.

Die Familie zieht nach Leipzig um und Hans das Gymnasium wechseln muss. Für die Eltern stellt sich die Frage, welches Gymnasium das geeignetere wäre. Auf dem einen Gymnasium würde Hans ein halbes Jahr untergestuft werden, in die Obertertia, und würde aber ohne Aufnahmeprüfung an der Schule aufgenommen werden, während er auf dem anderen Gymnasium ein halbes Jahr übergestuft werden würde, käme in die Untersekunda. Der Vater empfiehlt die zweite Alternative, und Hans schließt sich den väterlichen Empfehlungen an, aber es ist sehr viel Schweißarbeit gefordert. Denn Hans muss im Anschluss von vielen Einzelstunden die Aufnahmeprüfung für die Untersekunda bestehen. Der Vater meldet Einzelstunden in der Schule an, so dass Hans keine Zeit mehr bleibt für Hobbys, da er acht Stunden täglich bis zur Prüfung mit Hilfe verschiedener Fachlehrern pauken, pauken, pauken muss, und sich die Paukerei zu Hause fortsetzte.

Nach der Aufnahmeprüfung wartet der Vater vor der Tür auf seinen Sohn, und Hans bemüht sich, eine grimmige Fassade aufzusetzen, doch wer kennt seine Kinder besser als ein Fallada-Vater. Der Vater grinst in die Fassade hinein und ist sich sicher, dass Hans die Prüfung bestanden hat. Tja, Hans Schauspieltalent versagen eben bei solchen Vätern.

Der Vater ist überaus stolz auf seinen Sohn und möchte seinen Eifer belohnen. Er dürfe sich etwas wünschen und er wolle gewiss auch nicht sparen. Hans wünscht sich ein Fahrrad und der Vater ist völlig entsetzt, weil ihm nicht bekannt war, dass Hans Fahrradfahren könne. Sie machen vor einem Fahrradgeschäft Halt:


Nun wohl, mein Sohn, hier ist eine stille Straßen, und so wirst du nun erst einmal eine kleine Prüfung ablegen vor mir und dem Händler. Erst dann wird zum Ankauf geschritten. Du kommst heute aus den Prüfungen nicht heraus , Hans".

Auch hier besteht Hans seine Prüfung und bekommt das beste Rad, das der Händler zu bieten hat.


Das Rad hat einhundertfünfunddreißig Mark gekostet, Vater hat mir etwas Solides, etwas fürs Leben gekauft. Nur die krumm nach unten gebogene Lenkstange hatte er abgelehnt.
"Nein, nein, ich kenne das! Die sitzen so wie Affen auf dem Rade. Ich möchte dich doch nicht in dieser Richtung ermuntern, Hans, ich gebe noch immer nicht die Hoffnung auf, dass du dich mit den Jahren zum Menschen entwickelst. "
Wenn Vater den Sohn neckte, war er immer in allerbester Stimmung.

Diese Szene fand ich einfach auch sehr schön, die Vater-Sohn-Beziehung, die ich unbedingt festhalten wollte, damit sie vielerorts wenigstens auf dem Papier reell bleibt.

Als ich die Szenen mit dem Fahrradkauf gelesen hatte, überkam in mir der der leise Verdacht, ob Fallada mit dem Fahrrad nicht verunglücken werde. Hans Fallada erwies sich in seiner gesamten Kinderzeit als extrem unfallgefährdet, deshalb war mir der Verdacht so nahe, der sich später auch bestätigt hatte.

Hans erlitt einen so bösen Unfall, auf die Details möchte ich nicht eingehen, dass er über einen längeren Zeitraum in der Klinik rehabilitiert und versorgt werden musste und sein Fahrrad ward nie mehr gesehen. Und hier ein kleiner Textauszug aus Falladas Sicht:


Aber, wie schon früher gesagt, ich war damals fast Fatalist, ich nahm auch diesen Unfall hin, wie ich anderes hingenommen hatte. Es war nun einmal so, dass sich ausgesprochenes Pech im Leben hatte, damit musste ich mich eben abfinden. Am Anfang Frühling, Ferien, Untersekunde, neues Rad. Am Ende: Winter, nacharbeiten in der Schule, doch noch Obertertia, das zertrümmerte Rad war verschwunden, und es gab keinerlei Aussicht auf ein neues. Ja, alle Anstrengungen bei Herrn Dr. Dackelmann waren doch umsonst gewesen. Umsonst hatte ich den Verdacht eines Holzkopfes durch übermäßiges Büffeln zu zerstreuen versucht. Umsonst war ich an vielen Winternachmittagen hinterher an Professor Muthesius durch das dunkelnde Schulzimmer gestampft. Umsonst hatte ich die Prüfung >glänzend< bestanden. Ich kam nicht in die Untersekunde, ich wurde in die Obertertiar gesetzt. Ich hatte kein halbes Jahr übersprungen, ich hatte eines verloren!

Szenenwechsel: Hans macht zu Hause eine enttäuschende Entdeckung, als er in der Bibliothek seines Vater ein Buch findet mit dem Titel: Wie erziehe ich unseren Sohn Benjamin - ein Ratgeber für deutsche Eltern.

Hans konnte nicht glauben, dass sich die Eltern solcher Bücher annehmen und schämte sich für seinen Vater bis ins Mark. Fallada geht leider nicht darauf ein, was an dem Buch so skandalös ist, und so bleibt mir einfach wieder mal die Vermutung, mit der ich mich einsam zurückziehen muss. Natürlich geht da auch die Fortpflanzung hervor, und sicher die Erhaltung der Art . ... .

Ich stelle die Hypothese auf, dass der Ratgeber rassistisches Gedankengut hat, und das lässt vermuten, weshalb die Kinder Karl May nicht lesen durften. Nun ja, ich schätze mich als eine recht aufmerksame Leserin ein, ich hätte ja auch die Karl-May -Szene einfach überlesen können. Das habe ich aber nicht gemacht... . Und mich interessiert das nach wie vor brennend.


Das Lesezeichen steckte an einer bestimmten Stelle, und ich las los. Und las. Und dann versteckte ich das Buch scheu an seinem alten Platz, ich schämte mich, dass Vater das gelesen hatte, und ich schämte mich noch mehr, dass ich wusste, Vater hat dies gelesen ...

Hier hat der junge Hans aufgehört, seinen Vater zu idealisieren aber hier beginnt sein Leben als erwachsener Mann ... , und Fallada diese neue Lebensphase als recht schmerzvoll erlebt.

An dieser Stelle mache ich Schluss und ich bleibe weiterhin dran mit einigen Fragen, die mir noch offen geblieben sind. Lücken, die ich gerne noch schließen möchte.

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Ich gebe dem Buch neun von zehn Punkten. Deshalb neun und nicht zehn, weil manche Infos nur angedeutet wurden und ich Vermutungen anstellen musste, die sich bis zum Schluss der Lektüre nicht aufklären ließen.

Neun Punkte und nicht weniger aus dem Grunde, weil Fallada in verschiedene Erzählstränge wechseln konnte, ohne dass die Autobiografie, wie ich schon an anderer Stelle erwähnte, keine Chronologie aufwies, und man trotzdem nicht die Orientierung verliert. Ich fühlte mich als Leserin gut in dem Buch geführt. Das Buch war sehr interessant erzählt und wirkte auf mich recht authentisch. Es hat mich neugierig gemacht, weitere Biografien zu lesen. Ich fange gleich morgen an zu bestellen.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen." (T. Fontane)

SuB:

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 36