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Sonntag, 22. Januar 2017

Amos Oz / Judas (1)

Internationaler Literaturpreis 2015

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hat das Buch von Amos Oz sehr gut gefallen. Zwischen den Seiten haften wieder mal jede Menge Blättchen, und ich muss mich noch entscheiden, welche ich bearbeiten möchte. Amos Oz hat nicht nur den Literaturpreis von 2015 verdient, nein, er hätte auch den Friedensnobelpreis bekommen sollen. Der Autor beschreibt in diesem Buch die religiösen und die territorialen Problematiken zwischen Juden und Arabern, die zum sinnlosen Blutvergießen führen. Beide Parteien hätten das Recht auf Grund und Boden, doch beide Parteien lassen von ihrem Glauben nicht ab, ein alleiniges Vorrecht für dieses Land zu haben. Was mir sehr gut gefallen hat, ist, dass der Autor hier nicht die Partei für die Juden oder für die Araber ergreift. Mit Hilfe seiner Figuren setzt er sich mit dieser Thematik in verschiedenen Perspektiven kritisch auseinander. Es gibt Figuren, die Argumente aus der Sicht der Juden anbringen, die im Glauben sind, ihnen stehe der Boden zu für die Bildung eines jüdischen Staates. Verschiedene Bürgerkriege werden im Buch aufgezeigt. 1948 findet der Nahostkrieg statt, in dem Walds Sohn umgekommen ist, und zeigt die Sinnlosigkeit des Krieges auf, der wie alle anderen (Bürger)-Kriege auch, viele Opfer fordert. Dieses sinnlose Blutvergießen und dieses sinnlose Sterben und die Unfähigkeit, sich für die Gleichheit aller Menschen einzusetzen, macht der Autor immer wieder in seinem Buch deutlich. Es gibt Figuren, die sehr wohl diese Sinnlosigkeit einsehen, weshalb sie für die Gründung eines gemeinsamen Staates sind, in dem sowohl Juden als auch Araber brüderlich und freundschaftlich zusammenleben können. Aber das sind eher die Ausnahmen.

Das Buch beinhaltet auch eine interessante Liebesgeschichte zwischen dem jungen Schmuel Asch und der viel älteren Atalja Abrabanel, die unter den Folgen des Bürgerkrieges von 1948 leidet. Atalja gibt sich Schmuel gegenüber sehr geheimnisvoll. Ich persönlich fand Atalja eine sehr interessante Persönlichkeit, die auf mich trotz ihrer kühlen Art sehr sympathisch wirkte. Auch sie äußert ihre persönlichen politischen/religiösen Ansichten, die ich mir unbedingt rausschreiben muss. Die Geschichte in diesem Roman spielt sich im Winter 1959 / 1960 ab. Atalja ist gezeichnet, da sie ihren Mann 1948 im Unabhängigkeitskrieg, im Nahostkonflikt verloren hat. Sie bekundet Schmuel schließlich ihre Trauer, aus der ersichtlich wird, weshalb sie sich Männern gegenüber reserviert gibt.
Jeden Tag sehe ich ihn. Jede Nacht. Jeden Morgen. Ich mache die Augen zu und sehe ihn. Ich mache die Augen auf und sehe ihn. Ich habe weiter hier gelebt, mit den beiden Großvätern, die nie Großväter werden würden, und ich habe beide gepflegt. Was war mir sonst geblieben? Männer zu lieben, das ist unmöglich. Ihr habt schon seit Tausenden von Jahren die Macht über die Welt, und ihr habt sie in ein Ort des Schreckens verwandelt. In ein Schlachthaus. Vielleicht kann man euch wirklich nur benutzen. Manchmal sogar Mitleid mit euch haben und versuchen, euch ein bisschen zu trösten. Wofür? Ich weiß es nicht. Vielleicht wegen eurer Unfähigkeit. (2015, 207)
Schmuels Liebe konnte von Atalja nicht erwidert werden. Je mehr sie sich Schmuel gegenüber abweisend verhält, desto mehr fühlte sich Schmuel zu ihr hingezogen. Bis auf wenige Nachtspaziergänge und Kinobesuche blieb diese Liebe recht einseitig. Was Männer beträfe, so habe Atalja nach dem Tod ihres Mannes keinerlei Wünsche.
Wozu auch? Männer kämen ihr fast immer kindisch vor und trieben in einem ständigen Strom von Erfolgen und Siegen, ohne die sie versauerten oder verwelkten. (98)
Atalja nahm kein Blatt vor dem Mund, wenn es darum geht, Schmuel den Spiegel vorzusetzen. Atalja gelingt es immerzu, hinter die Fassade eines Menschen zu schauen.
Du (…) bist entweder ein begeisterter, lauter Hund, der herumtobt und sich anschmiegt, sogar, wenn du im Sessel sitzt, scheinst du immerfort deinem Schwanz hinterher zu laufen, oder du bist das Gegenteil, du liegst tagelang im Schlafzimmer herum wie eine ungelüftete Zudecke. (Ebd)
Atalja und ihr Schwiegervater Wald waren gegen den Krieg und gegen die Gründung eines israelischen Staates. Jüdische Menschen dieser Art machen sich bei ihren Landsleuten zu Feinden, da sie als die Verbündeten der Araber bezeichnet werden.

Interessant fand ich auch die Figur Wald, ein älterer Mann, der mittlerweile pflegebedürftig ist. Schmuel bricht aufgrund verschiedener ungünstiger Umstände seine Zelte ab, folgt einer Annonce, die zu Wald und Atalja führt. Atalja ist Walds Schwiegertochter. Schmuels Aufgabe ist es, mit Wald Diskussionen zu führen. Kritische Diskussionen. Eigentlich sollte Schmuel Asch Wald immerzu widersprechen, damit Wald sich nicht langweilen würde. Auch hier findet man interessante Argumente.
Wenn wir die Welt nur einen Tag lang von allen Religionen und allen Revolutionen befreien könnten – von allen, ohne Ausnahme -, dann würde es weniger Kriege auf der Welt geben, das verspreche ich Ihnen. Immanuel Kant hat geschrieben: >Aus so krummem Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.<
Wir sollten nicht versuchen, ihn zu schleifen und zu hobeln, damit wir nicht bis zum Hals im Blut stehen. (77f)
Im Buch wird zudem Jesus aus der Sicht der Juden behandelt. Jesus sei aus Fleisch und Blut gemacht, sei ein Mensch wie jeder andere auch. Kein Prophet, wie ihn die Christen feiern. Auch hier werden verschiedene Perspektiven behandelt.


Mein Fazit?

Man bekommt es hier mit recht vielen Sichtweisen zu tun, sodass man als Leserin nicht in eine Ecke gedrängt wird, nein, man wird gefordert, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Aber nicht nur die vielen tollen Gedanken haben mir gut gefallen, auch den Schreibstil finde ich sehr bemerkenswert, den ich als recht fantasievoll erlebt habe, siehe auch obiges Zitat. Schmuel, eine rastende Figur, die schwer zur Ruhe kommt, weil sie sich von ihren Schicksalsschlägen getrieben fühlt, beschreibt sich Atalja gegenüber als einen Menschen, der sich selbst hinterherrennen würde. Dieses Bild hat mir so gut gefallen.
Des Weiteren ist hier das Wissen mit Weisheit gepaart ...

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus


Zehn von zehn Punkten. 


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Suhrkamp - Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken.

Gebunden: 22,00 € 
Erschienen: 07.03.2015
Suhrkamp 332 Seiten
ISBN
3518424793 
Auch als eBook erhältlich

DIeses Buch ist am 11.04.2016 auch als Taschenbuch erschienen.

Und hier geht es auf die Verlagsseite vom Suhrkamp / Insel.

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Gelesene Bücher 2017: 03
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
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Sonntag, 10. Juli 2016

Joao Ricardo Pedro / Wohin der Wind uns weht (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist ein Familienbuch, aus dem drei Generationen hervorgehen. Es ist die Geschichte der Familie Mendes; es ist ein historisches Buch, das die politischen Umbrüche Portugals bis zum Militärputsch vom April 1974 behandelt.

Die Geschichte spielt in einem abgelegenen Dorf im Gardunha- Gebirge in Zentralportugal.

Der Roman beginnt mit Duartes Großvater Doktor Augusto Mendes, dessen Freund Policarpos nach Buenos Aires migriert ist und einmal im Jahr, jeweils im August, einen Brief von ihm bekommt. Vierzig Jahre lang … Diese Briefe werden gut aufbewahrt. Policarpos bereist die ganzen Großstädte der Welt:
Viele Jahre waren Policarpos Briefe das Fenster, durch das Duartes Großeltern auf die Welt blickten. Beim Einmarsch der Deutschen in Paris bis zur Befreiung Europas durch die Alliierten. Von Stalins Tod bis zu Eusébios Toren. Vom ersten Menschen auf dem Mond bis zum Ende des britischen Weltreichs. All das erzählte er. Entweder, weil er es beobachtet hatte, in der Nähe oder gar selbst beteiligt gewesen war, wie das eine Mal, als es ihm gelang, einen deutschen Wehrmachtsoffizier mit einer Flasche Portwein betrunken zu machen, wodurch dieser schließlich die Résistance übergeben werden konnten. (46)
Der Großvater und dessen Freund haben zusammen Medizin studiert. Augusto praktiziert bis zu seinem Tod, während der Freund es nur bis zum Abschluss brachte, da er sich vor Blut und den vielen Krankheiten ekelte.

Duarte erbt eines Tages diese Briefe und lüftet daraus so manches Familiengeheimnis, wenn auch manches ungelöst geblieben ist, weil es niemanden mehr aus der Familie gab, dem er hätte Fragen stellen können …

Großvaters Sohn Antonio kommt eines Tages schwerverletzt aus dem Krieg zurück. Duarte ward schon geboren. Sohn und Vater kannten sich noch nicht … Antonio konnte es nicht fassen, einen Sohn zu haben …

Wie Antonio und seine Frau Laura sich kennengelernt haben, wird auch in einer schönen, interessanten Geschichte erzählt … Eine Geschichte von vielen anderen Geschichten, die sich wie kurze Erzählungen lesen lassen.

Manche Lebensgeschichte fand ich recht grausam, auch die von Celestino, der gegen die Diktatur gekämpft hat und nur noch ein Auge hat. Doktor Mendes verarztet diesen spindeldürren Patienten, der ihm ein Glasauge einsetzt. Celestino zeigt sich recht dankbar für das neue Auge, und glaubt nun, wieder gut sehen zu können … 

Das Naturtalent Duarte, der sogar auf einem stummen Klavier zu spielen in der Lage ist, er hört die Töne in seinem Kopf, beschließt eines Tages nicht mehr zu spielen. Eine Protestreaktion …

Sein Großvater fragte Duarte, ob er Musik lieben würde, doch Duarte konnte darauf keine Antwort finden. Die nächste Frage, die Duarte gestellt bekommt, ist, wann er angefangen habe, Klavier zu spielen, und er antwortete, dass nicht er zu spielen angefangen habe, sondern seine Hände …


Mein Fazit?

Am Anfang war ich ein wenig überfordert. Viel zu viele fremde Namen, die man noch gar nicht einordnen konnte. Erst nach und nach bekamen die fremden Namen ein Gesicht, sie wurden mir durch die verschiedenen Lebensgeschichten und deren Handlungsstränge vertraut. Aber einiges blieb im Dunkeln zurück, konnte nicht aufgeklärt werden.

Ich hatte mich bisher kaum mit der Geschichte Portugals auseinandergesetzt. Hin und wieder habe ich etwas über die Nelkenrevolution gelesen, ohne dass es allerdings an Tiefe gewann. Das Buch bringt den LeserInnen dazu, diese Form von Geschichte wieder auszugraben und sich neu damit zu befassen. Ohne diese Nelkenrevolution hätte sich Portugal aus dem diktatorischem Regime nicht lösen können, um in eine Demokratie umgewandelt zu werden. Aber diese Revolution forderte, wie andere Kriegsrevolutionen auch, seine Opfer. Manchmal erscheinen mir einige Episoden recht düster, andere Szenen sehr gewaltreich, aber sehr realitätsnah beschrieben, keineswegs übertrieben …

Da ich nicht zu viel verraten möchte, setze ich hier meinen Punkt und gebe dem Buch zehn von zehn Punkten.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise),
               gut strukturierter Text
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
  

Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Suhrkamp-Bücherverlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken.


D: 10,00 € 
A: 10,30 €
CH: 14,90 sFr

Erschienen: 08.06.2015
suhrkamp taschenbuch 4597, Broschur, 228 Seiten
ISBN: 978-3-518-46597-4
Auch als eBook erhältlich

Und im Folgenden der Link zum Buch:

http://www.suhrkamp.de/buecher/wohin_der_wind_uns_weht-joao_ricardo_pedro_46597.html

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