Dienstag, 24. Februar 2015

Jim Knipfel / Blindfisch

Klappentext
Jim Knipfel leidet an einer unheilbaren Krankheit, die ihm langsam das Augenlicht raubt. Aber er lamentiert nicht - er lacht. Über die überforderten Eltern und Freunde und teilnahmslosen Therapeuten. Das Leben des jungen Mannes aus gutem Hause gerät aus den Fugen - bis er das Schreiben entdeckt. Mit schwarzem Humor und einzigartigem Blick lässt Knipfel die Leser teilhaben: an seinem Leben, seiner Angst und seiner Hoffnung. 

Zum Autor
Jim Knipfel, Jahrgang 1965, ist ein amerikanischer Autor und Journalist und lebt in Brooklyn.

Das Buch habe ich schon zur Hälfte durch. Ein Erfahrungsbericht mit der Augenerkrankgung, mit dem Leben und mit der amerikanischen Gesellschaft, die auch in diesem Buch als sehr versnobt beschrieben wird.








Montag, 23. Februar 2015

Renate Feyl / Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Nachmittag ausgelesen und es hat mir recht gut gefallen. Renate Feyl schreibt über die Protagonistin Caroline von Wolzogen, Schillers Schwägerin, als sei sie selbst diese Person. Das ist ihr sehr gut gelungen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Caroline von Wolzogen, geboren 1763, ist Autorin und Mitglied des Weimarer Intellektuellenkreises. Als sie Friedrich Schiller kennenlernt, ist dieser ein mittelloser Dichter. Sie finden ebenbürtige Gesprächspartner ineinander und kommen sich näher. Trotzdem heiratet Schiller Carolines jüngere Schwester Lotte. Nach seinem frühen Tod schreibt Caroline eine Biografie über ihren Schwager. Was sie in ihrer Biografie aber mit Rücksicht auf Zeitgenossen verschweigen musste, wird in diesem Buch erzählt.
Caroline v. W. ist die Icherzählerin dieses Werkes. Ihr Leben fand ich sehr interessant, nicht nur literarisch recht versiert und kundig, nein, sie konnte auch als eine emanzipierte Frau gut durchs Leben gehen, ebenso im Kreise der Dichter und Denker.

Caroline hatte mit der Wahl ihres ersten Mannes kein gutes Los gezogen, da die Ehe von der Mutter arrangiert wurde. Der Mutter war es wichtig, einen gut betuchten Ehemann für ihre ältere Tochter zu finden. Doch Caroline fühlte sich in der Ehe mit diesem reichen Mann Herrn von Ursus Beulwitz sehr einsam. Ein Mann, der geistig recht arm zu sein schien ...
Sicherlich konnte man keiner Mutter vorwerfen, ihre Töchter gut versorgt zu wissen. Aber was nützte das ganze Geld, wenn man sich darüber hinaus in der Ehe nichts zu sagen hatte. Bis heute konnte ich ihr nicht verzeihen, mir den Ursus aufgebürdet zu haben. Mir war einfach nicht gelungen, ihr klarzumachen, dass reich und geistreich nicht das Mindeste miteinander zu tun hatten und selten in einer Person zu finden waren. Meine Mutter jedoch vergötterte ihren Schwiegersohn. Mich in diese Ehe gepresst zu haben, war auch der Grund, weshalb ich mich ihr gegenüber sehr reserviert verhielt, ja sogar Distanz zu ihr wahrte.
Bis Schiller auftauchte, der Caroline die geistige Langeweile nahm. Schiller galt aber, verglichen mit dem reichen Adel, als recht ärmlich. Caroline machte das nichts, denn in Schiller fand sie eine tiefe seelisch-geistige Verwandtschaft. In der Seele Schillers fühlte sich Caroline zu Hause, ebenso Schiller in der Seele Carolines.

Schiller zeigte auch Interesse für Carolines jüngere Schwester Charlotte. Eine attraktive junge Frau, aber sehr still und introvertiert. Lotte verliebte sich in Schiller, und nun lag es an ihr, ihn der Mutter nahe zu bringen. Nicht mehr lange, so hielt er um Lottes Hand an. Allerdings gibt er ihr in einer Depesche bekannt: 
Caroline ist näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unserer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht, als du meine Lotte - aber ich wünschte nicht um alles, dass dieses anders wäre, dass du anders wärst, als du bist. Was Caroline vor dir voraushat, musst du von mir empfangen - deine Seele muss ich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf musst du sein, deine Blüte muss in den Frühling meiner Liebe fallen. Hätten wir uns später gefunden, so hättest du mir diese schöne Freude weggenommen, die ich für mich aufblühen zu sehen.
Das fand ich ein wunderschönes Zitat, wie sensibel Schiller diese Andersartigkeit zwischen Lotte und Caroline zur Sprache bringt. Ehrlich und authentisch.

Als Lottes Mutter die Heiratsabsichten mit Schiller mitgeteilt wurden, zeigte sie daraufhin folgende Reaktion:
Dieser Herr Schiller mochte ja ein ganz netter, umgänglicher und unterhaltsamer Mensch sein, aber er war doch kein Mann für die Ehe! >>Einen Dichter bewundert man aus der Ferne, aber man heiratet ihn doch nicht. Schließlich ist es bekannt, dass Dichter immer um ihre Existenz zu kämpfen haben und schnell verblühen. Mag sein, dass Herrn Schiller noch ein paar Stücke gelingen, aber von den Gütern der Fantasie lässt sich auf die Dauer nicht leben.<< Nein, er war nicht in der Lage, Charlottes standesgemäßes Leben zu sichern. Sie war an Diener und Personal gewöhnt. Sollte sie ihm nun etwa wie eine Magd hinterher putzen müssen? Das hatte ihre Tochter weder nötig noch verdient. Außerdem kam Herr Schiller aus ganz gewöhnlichen Verhältnissen, und wenn Lotte ihn heiratete, verlor sie den Adel. Das war doch eine Blamage und gab Anlass zu allgemeinem Gelächter! >>Und überhaupt - was für ein tollkühnes Stück, in eine so alte, wenn auch nicht reiche, aber doch eher würdige Familie einheiraten zu wollen - ohne alles, ohne Rang, ohne Vermögen. Mit nichts als ein paar Ideen im Kopf.<< 
Schließlich sei der Geist Schillers, so Caroline, auch eine Form von Adel …

Über gewisse literarische Gedanken hatte ich mich richtig gefreut, als der Literaturkreis sich über die griechische Mythologie Orpheus und Eurydike ausgelassen hatte. Ich liebe dieses Stück ebenso sehr, komponiert von Christoph Willibald Gluck, und ich ein Musikstück dieser Szene selbst auf meiner Flöte gespielt habe. Wunderschöne Melodie. Wunderschöne Sage. Wunderschöne Metaphern.

Ein wenig gibt es auch zu der Freundschaft zwischen Schiller und Goethe zu lesen. Als Goethe Schiller kennenlernte, ignorierte er Schiller völlig. Zu groß waren die Standesunterschiede. Schiller lernte Goethe durch Caroline kennen. Es hat ein wenig Zeit gebraucht, bis Goethe Schiller als einen bedeutenden Dichter anerkennen konnte. Auch zwischen diesen beiden Dichtern bestand eine tiefe geistige Verwandtschaft. Goethe verfiel nach Schillers Tod in einer tiefen Trauer, die er auf seine Weise im Stillen auslebte.

Caroline ließ sich von ihrem Ursus scheiden und heiratete neu, auch einen Literaten, zur Verwunderung der Mutter, die mittlerweile die Ansicht vertrat, dass ihre Töchter geboren wurden, um sich mit Poeten zu vermählen ...

Literarisch verfasste sie den Roman Agnes von Lilien, der in der Öffentlichkeit für Furore sorgte. Sie wurde als weibliche Schriftstellerin anerkannt. Alle drängten, auch Schiller und Goethe, Caroline solle sich nun schnellstens an das nächste Werk heranmachen, aber sie fand keine Ruhe zum Schreiben, da viele familiäre Verpflichtungen auf sie zukamen.

Nach Schillers Tod wollte sie zusammen mit ihrer Schwester und mit Goethe als Nachruf Briefe von Schiller herausbringen, damit der Dichter nicht in Vergessenheit geriet. Doch das Publizieren dieser Briefe zeigte sich als problemhaft; wie konnten die Menschen, die in den Briefen auftauchten, vor der Öffentlichkeit geschützt werden?

Caroline schrieb auch eine Autobiografie mit dem Titel Schillers Leben.

Sie verfasste zusätzlich verschiedene Werke wie z. B. Romane, Erzählungen, und vereinzelt Theaterstücke.

Sehr nachdenklich hat mich auch Schillers Begräbnis gestimmt, der am neunten November 1805 mit knapp sechsundvierzig Jahren verstarb. Er wurde um Mitternacht des zwölften Mai auf dem ältesten Friedhof Weimars in ein Gemeinschaftsgrab bestattet. Zehn Jahre später fand die Ausgrabung statt, um die Gebeine Schillers in der Fürstengruft beizusetzen. Laut einer DNA-Analyse eine recht umstrittene Angelegenheit. Da Schiller mit anderen Toten beigesetzt wurde, war es schier unmöglich, die Gebeine Schillers, vielmehr den Schädel, den Goethe in seinen Händen wegen der Größe zu halten glauben schien, von den Gebeinen anderer Leichen deutlich abzuheben. Ein großer Dichter, ein großer Schädel. Aber das lest selbst.

Mein Fazit: Ich kannte bisher wenig von Schillers Schwägerin. Ich fühle mich nun mit diesem Buch mehr als bereichert. Caroline v. Wolzogen war mir sehr sympathisch. Mit ihrer Intelligenz schaffte sie es, sich von gesellschaftlichen Normen und Pflichten zu lösen. Für die damalige Zeit war sie sehr mutig. Wie und in welcher Form, könnt ihr dazu noch mehr im Buch selbst nachlesen. Es ist nicht die Scheidung alleine …

Und wie weit die Recherchen zu den von Wolzogenschwestern mit der Realität übereinstimmen, kann ich leider nicht beurteilen. 

Renate Frey erhält von mir zu dem Band trotzdem zehn von zehn Punkten.
_________
Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)

Gelesene Bücher 2015: 09
Gelesene Bücher 2014: 88
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Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Dienstag, 17. Februar 2015

Renate Feyl / Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit

Klappentext
Caroline von Wolzogen, geboren 1763, ist Autorin und Mitglied des Weimarer Intellektuellenkreises. Als sie Friedrich Schiller kennenlernt ist dieser ein mittelloser Dichter. Sie finden ebenbürtige Gesprächspartner ineinander und kommen sich näher. Trotzdem heiratet Schiller Carolines jüngere Schwester Lotte. Nach seinem frühen Tod schreibt Caroline eine Biografie über ihren Schwager. Was sie in ihrer Biografie aber mit Rücksicht auf Zeitgenossen verschweigen musste, wird in diesem Buch erzählt.


Autorenporträt
Renate Feyl wurde 1944 in Prag geboren. Nach dem Studium der Philosophie begann sie, sich mit Essays und Romanen einen Namen zu machen. Bekannt wurde sie durch ihr 1981 in der DDR, 1983 in der BRD erschienenes Buch »Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft«. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Spezialgebiet sind biografische Romane über bedeutende historische Persönlichkeiten, so »Aussicht auf bleibende Helle«, »Die profanen Stunden des Glücks« und »Idylle mit Professor«.
Wieder einmal ein gut erhaltenes und preiswertes gebundenes Buch aus dem Bücher-Oxfam.

Mich hat der Klappentext angesprochen, weshalb ich es mir angeschafft habe. Das Buch wird derzeit als Taschenbuch von dem Diana-Verlag angepriesen.
Nach dem ich nun ein paar Seiten gelesen habe, gefällt es mir recht gut. Mal schauen, wie es sich weiterentwickeln wird.


Montag, 16. Februar 2015

Maarten ´t Hart / Das Paradies liegt hinter mir (1)

 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Habe die Autobiografie soeben beendet und sie hat mir recht gut gefallen.

Viele für mich interessante Zitate habe ich mir angestrichen, und werde schauen, ob ich sie alle hier einbauen kann. Bevor der Autor über seine Kindheit spricht, erfährt man über die große Anzahl seiner Namensvettern Maarten `t Hart. Erfreut ist er darüber nicht, denn dieser Maarten ´t Hart wäre lieber eine Persönlichkeit, die anderen nicht gleicht, und wenn es auch nur der Name ist. Doch eine Persönlichkeit wie keine andere ist er trotzdem allemal geworden …

Gleich auf der ersten Seite bin ich auf ein sehr schönes Zitat gestoßen, in dem vom Autor Friedrich Nietzsche zitiert wird:
Man muss also gewissen Menschen ihr Alleinsein gönnen und nicht so albern sein, wie es häufig geschieht, sie deswegen zu bedauern.
Dieses Zitat spricht mir aus der Seele, was mein Leben betrifft, und so wurde ich neugierig, was dieses Zitat mit dem Autor selbst zu tun hat.
Maarten ´t Hart ist ein Mensch, der keinesfalls mit der Masse schwimmt. Er ist gern mit sich alleine, um zu lesen und um seinen Gedanken nachzugehen. Er lehnt alles ab, was mit Gesellschaften zu tun hat, wie z.B. Vereine, Studentenvereinigungen und anderes mehr. Auf der Seite 226 erhält man die Antwort, die zu Nietzsches Zitat passt:
Während der Infotage an der Universität hörte ich die Worte >>Persönlichkeitsbildung<< und >>Vereinsamung<< immer wieder. Wer nicht bei einer Studentenvereinigung mitmache, vereinsame hoffnungslos, erklärte mir ein Vorsitzender nach dem anderen. Nun, hoffnungslos zu vereinsamen schien mir so ziemlich das Angenehmste zu sein, was einem Menschen widerfahren konnte. Vor allem, wenn man bedachte, was man in der Vereinigung so zu tun hoffte, und dieser hoffnungslosen Vereinsamung zu entgehen. (…). Tief im Herzen wusste ich ganz genau, dass es die seltsam hartnäckige Neigung der Menschen, sich in Gruppen zu organisieren und zusammenzutun, einzig und allein gab, weil alle Angst vor dem Alleinsein hatten. Niemand will der Tatsache ins Auge sehen, dass die menschliche Seele unheilbar einsam ist, und nur deshalb klumpt man zusammen, hockt beieinander, versucht, jede Gelegenheit zu ergreifen, um - in welchem Zusammenhang auch immer - beim Genuss von Speis und Trank miteinander zu schwätzen, zu plaudern und zu albern. Ich hatte jedoch entdeckt, dass die besten Stunden meines Lebens die gewesen waren, in denen ich ganz allein die Maaskant entlangspazierte; ich wusste, dass man, wenn man die schlichte Tatsache unserer unheilbaren Einsamkeit einfach akzeptierte, daraus eine göttliche Kraft zur Zufriedenheit entwickeln konnte.
Die Autobiografie behandelt die Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter. Auf den ersten Seiten lernt man den kleinen, vierjährigen Maarten ´t Hart kennen, der für den Kindergarten angemeldet war und der darauf bestand, am ersten Tag nicht von der Mutter dorthin begleitet zu werden. Der kleine Maarten schaffte es tatsächlich, sich alleine auf den Weg zu machen und ist dort heil angekommen. Natürlich blieb die Mutter unauffällig im Hintergrund.

Als Nächstes erzählt der Autor über seine frühen Schuljahre, gerade die ersten beiden Jahre wären nicht gerade freundlich verlaufen.

Er hatte eine biestische Lehrerin, die versuchte, Maarten körperlich und geistig zu züchtigen. Er musste sich des Öfteren aus nichtigen Gründen sinnlose Gewalttaten über sich ergehen lassen. Maarten wendet sich an den Vater, der sich für seinen Jungen einzusetzen wusste, was mich sehr berührt hatte:
Wenn du meinen Sohn noch ein einziges Mal mit dem Lineal schlägst, dann verprügele ich dich mit diesem Stemmeisen.
Im darauffolgenden Grundschulljahr wurde seine Lehrerin von einem Lehrer abgelöst, der einen sehr guten Draht zu dem Musterschüler Maarten hatte.
Auch Maarten entwickelte eine gewisse Zuneigung zu dem Lehrer, indem er sich in ihn verliebte:
Ich liebte ihn, wie ich noch nie zuvor jemanden geliebt hatte. Augenblicklich lernte ich auch ein mir damals noch rätselhaftes Phänomen kennen: dass ich nämlich meine Liebe zu ihm nur äußern konnte, indem ich ihn quälte. Dass wahre Liebe gehässig ist und zum Quälen neigt, wurde mir erst viel später bewusst. (…) Aber ich versuchte sehr wohl, ihm das Leben so sauer wie möglich zu machen, obwohl ich genau wusste, dass er mich ebenso mochte wie ich ihn. Vom ersten Tag an nahm er mich vor meinen rachsüchtigen Klassenkameraden in Schutz.  
Ich erfuhr ein ähnliches Ereignis. Auch ich verliebte mich in der fünften Klasse in meine Klassenlehrerin, die es noch in den folgenden Schuljahren noch blieb, und der ich das Leben zu dieser Zeit recht schwer machte und erst später im Studium wurde mir bewusst, weshalb ich das tat und warum ich für diese Lehrerin eine tiefe Zuneigung empfand. Ich wollte nicht, dass sie die Gründe erfuhr, weshalb ich sie äußerlich so ablehnte. So ziemlich erstaunt bin ich von Maarten gewesen, als er von dieser Liebe berichtete. Ich dachte, dass nur mir so etwas passieren konnte. Nun bin ich doch sehr erleichtert zu lesen, dass ausgerechnet Maarten, eine sehr intelligente Persönlichkeit, ebenso von diesem Erlebnis ergriffen wurde und sogar in der Lage war, diese in seiner Autobiografie mitzuteilen. Doch nichts Peinliches? Manchmal wünschte ich mir allerdings, dass meine damalige Lehrerin den Grund erfahren würde, weshalb ich ihr das Leben im Unterricht so schwer machte.

Maarten kommt aus einem ärmlichen Elternhaus. Sein Vater war Totengräber von Beruf. Die Verwandten waren Bauern und Handwerker. Maarten war der einzige in seiner Klasse, der ein Gymnasium besuchte. In dieser Schule waren die Schüler recht gut betucht. Als Maarten sich mit einem Klassenkameraden angefreundet hatte, lud er diesen zu sich nach Hause ein. Der Klassenkamerad war ziemlich schockiert über die ärmliche Wohneinrichtung und über die einfache Lebensweise der ´t Harts.

Voller Abscheu äußerte er Maarten seine Frage:
„Hier wohnst du doch nicht etwa?“ Nach diesem ersten Besuch wollte er nichts mehr von mir wissen. Meinen Klassenkameraden erzählte er, ich sei ein Habenichts. Ich war verletzt und wagte es nie wieder, Freunde mit nach Hause zu nehmen. 
Maarten war ein Büchernarr. Jede freie Minute brachte er mit dem Lesen zu. Selten, dass er auf Menschen trifft, die seine Zuneigung zu Büchern mit ihm zu teilen vermochten. Nicht einmal unter den StudentInnen traf er Gleichgesinnte. Die StudentInnen seiner Zeit waren eher mit dem lustigen Studentenleben beschäftigt, das aus Feiern bestand und weniger mit dem Studium selbst.  Es klingt recht merkwürdig, wie die Professoren die Leistungen ihrer StudentInnen zensierten. Die Prüfungen erwiesen sich alles andere als seriös.

Für Maarten waren die Bücher auch aus dem Grund wichtig, weil sie ihm Lebenserfahrungen boten. Für einen anderen waren Bücher der belletristischen Sorte nur Gefühlsduseleien:
„Lebenserfahrung?", warf der andere ein. "Ach Mann, diese ganze Gefühlsduselei, das soll Lebenserfahrung sein? Nein, wenn du Lebenserfahrung willst, dann fahre zehn Jahre zur See."
„Wenn du meinst", sagte ich, "aber immerhin lernt man aus den Büchern, wie man mit Sprache umgeht, und man kann den guten Stil genießen."
"Den guten Stil?", sagte er, "ich habe gerade Vestdijik gelesen, und ich sage dir, der kann gar nicht schreiben, er versucht, alles so kompliziert wie möglich zu sagen, er hasst die Einfachheit und Klarheit schlichter Sprache. Guter Stil? Düsterer Stil, gediegener Stil, gekünstelter Stil willst du wohl sagen." 
So wie Marteen sich hier beschreibt, muss er ein Multitalent, ein Genie gewesen sein, nicht nur, was das Lesen an Büchern betraf, s. unten. Er war in der Lage, in seiner Freizeit geistig bis zu fünf Bücher am Tag zu verzehren:

Seine Mutter äußert sich recht besorgt über den Rückzug mit den Büchern:
"Du kannst doch nicht immer lesen", meinte sie, und da war ich durchaus ihrer Meinung.Wenn ich im Sommer an einem ganz normalen Ferientag morgens um sechs aufstand, hatte ich um neun bereits ein erstes Buch aus, um zwölf das zweite, um drei das dritte und noch vor dem Abendessen das fünfte. Für nach der Mahlzeit hatte ich mir da noch ein ordentlich dickes Buch mit rund vierhundert Seiten aufbewahrt, und das reichte so gerade bis zur Schlafenszeit. Aber fünf Bücher am Tag, davon wird man mit der Zeit doch ziemlich rammdösig. 
Fünf Bücher am Tag? Ich muss gestehen, das fällt mir schwer, zu glauben. Ich lese in drei Stunden ca. siebzig Seiten, da schafft Maarten ein ganzes Buch. Schwer vorstellbar. Ich könnte so viel auf einen Schlag geistig gar nicht wirklich verarbeiten.

Man erfährt auch ein wenig über Maartens Sicht zur Schriftstellerei. Maarten bezeichnet den Schriftsteller als jemand, der, verglichen zu anderen Berufen, am wenigsten beschäftigt ist. Auch diese Sichtweise stimmt mich kritisch:
Ein Schriftsteller ist jemand, der nur selten schreibt. Ich denke, es gibt keinen anderen Beruf, der einen am Tag so wenig beschäftigt ist. (…) Der merkwürdigste Aspekt des Schreibens ist, dass die Außenwelt alles tut, um den Schreibprozess zu unterbrechen. Nie ruft jemand an oder schickt einen Brief und teilt mit, er wünsche sich nichts mehr, als dass man weiter schreibe. Nein, man möchte etwas anderes als das Schreiben selbst: eine Lesung, ein Interview, eine Ausstellungseröffnung, eine Signierstunde, ausführliche Antworten auf Fragen wie >>haben Sie Mozart persönlich gekannt?<< oder >>Warum haben Sie das Buch Schwärmen für einen Regenbrachvogel geschrieben?<< Man könnte diese Dinge zur literarischen Arbeit zählen, würde man davon nicht immer wieder derart aus der Konzentration gerissen, dass eben diese literarische Arbeit behindert wird. 
Maarten schreibt über seine Erlebnisse mit eigenen Texten. Nur nach wenigen Zeilen bricht er das Schreiben ab, legt das Blatt in die Schublade, und lässt es für einen gewissen Zeitraum darin, damit der Stoff noch weiter in seinem Geiste reifen konnte. Kann man aber diese Art des Schreibens auf alle AutorInnen schließen? Es gibt durchaus Schriftsteller, die sehr wohl mit dem Schreiben über viele Stunden am Tag beschäftigt sind.

Ich komme nun so langsam zum Ende, habe mir viel über das Lesen … rausgeschrieben. Natürlich gibt es in der Autobiografie noch vieles Andere, wie z.B. die Glaubenssuche, damit verbunden das kritische Hinterfragen der verschiedenen Konfessionen der Christen und der Bibel. Politische Gedanken zum Nationalsozialismus bekommt man zu lesen.
Auch zu seinen Erfahrungen an der Universität im Fachbereich Biologie und Verhaltensforschung waren recht interessant, sowie seine starke Liebe zur Musik, weshalb ich t´Hart als Multitalent bezeichne. ´t Hart promovierte später, als er schließlich seine Karriere als Schriftsteller begann. Das alles und mehr lest selbst.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. 
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Die Welt ist eine Metapher
(H. Murakami)

Gelesene Bücher 2015: 08
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Donnerstag, 12. Februar 2015

Maarten ´t Hart / Das Paradies liegt hinter mir

Klappentext
Zum 70. Geburtstag – die Autobiografie einer kuriosen Kindheit und JugendSeine Nichteinmaligkeit ist ihm früh bewusst geworden. Nicht weniger als sechs Namensvettern fanden sich allein im engsten Familienkreis, und gleich um die Ecke seines Elternhauses lebte ein Milchkannenlieferant, der ebenfalls Maarten 't Hart hieß. Ausgestattet mit einem dementsprechend schwach ausgeprägten Selbstbewusstsein wuchs Maarten 't Hart, der Schriftsteller, in einer Familie aus Handwerkern, Bauern und Totengräbern auf. Allen Hindernissen zum Trotz setzte sich sein Bildungshunger durch und ermöglichte ihm einen Schulabschluss, ein Studium und eine Karriere als Romancier, die ihm zu Weltruhm verhalf. In seiner erstmals auf Deutsch vorliegenden Autobiografie erzählt er auf charmante, höchst selbstironische Weise von seinen Anfängen als Metzgereigehilfe, als Verhaltensforscher, als Journalist und Autor sowie von seiner alles überstrahlenden Leidenschaft für die Musik.


Autorenporträt
Maarten ’t Hart, geboren 1944 in Maassluis bei Rotterdam als Sohn eines Totengräbers, studierte Verhaltensbiologie, bevor er sich 1987 als freier Schriftsteller in Warmond bei Leiden niederließ. Nach seinen Jugenderinnerungen »Ein Schwarm Regenbrachvögel« erschien 1997 auf Deutsch sein Roman »Das Wüten der ganzen Welt«, der zu einem überragenden Erfolg wurde und viele Auszeichnungen erhielt. Seine zahlreichen Romane und Erzählungen machen ihn zu einem der meistgelesenen europäischen Gegenwartsautoren.
Von Maarten `t Hart habe ich gelesen:

1. Das Wüten der ganzen Welt
2. Unter dem Deich

In meinem Bücherschrank warten noch jede Menge ungelesene Bücher des Autors, die ich alle in mehreren Abständen mir noch vornehmen werde, da der Autor zu meinen Favoriten zählt.





Mittwoch, 11. Februar 2015

Haruki Murakami / Kafka am Strand (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich nun geschafft. Starker Tobak, kann ich nur sagen. Nichts für schwache Nerven.
Der Inhalt scheint mir an einigen Stellen arg übertrieben dargestellt, trotzdem hat mich das Buch gefesselt, sodass ich mit dem Lesen nicht aufhören konnte.

Ich kann garantieren: Dieser Stoff, den der Autor hier behandelt, vergisst man nicht so schnell. Sehr speziell.

 Die Welt ist lange nicht nur schwarz oder weiß. In dem Buch gab es auch viel über europäische Komponisten zu lesen, über japanische Dichter, über verschiedene Bibliotheken und ein Mix zwischen realer und surrealer Welt, in denen sich die ProtagonistInnen bewegten. Das mag ich sehr.

Allerdings bin ich von dem Lesen so gesättigt, dass ich keine Lust habe, mich nun noch schriftlich damit zu befassen.

Manche Szenen, die darin auftauchen, hätte ich lieber nicht gelesen, weil sie einfach nur pervers waren. Katzen bekommen von einem Katzenjäger bei lebendigem Leib den Bauch aufgeschlitzt, die Innereien wurden rausgenommen und das Herz landete aus dem Katzenkörper roh in den Mund des Täters, der lutschend das Herz verspeiste. Nur die Katzenkörper wurden betäubt, sodass der Geist der Katzen hellwach war und mussten auf diese Art und Weise wahnsinnige Schmerzen bei vollem Bewusstsein über sich ergehen lassen. Danach wurden den Katzen die Köpfe vom Körper abgetrennt und im Kühlschrank in Reih und Glied aufbewahrt.

Dieser Katzenjäger befand sich auf der Suche nach einer Person, die in der Lage wäre, ihn auch zu töten. Er findet die Person auch, allerdings ist dieser Mensch namens Nakata kein wirklicher Mörder. Er ist jemand ganz Sensibles, der über die Katzensprache verfügt. Nakata ermordete den Katzenjäger schließlich erst, als er vor seinen Augen mehrere Katzenkörper aufgeschlitzt hatte. Nakata hielt den Druck nicht mehr aus, und tötete den Jäger durch mehrere Messerstiche. Mit dem Mord rettet Nakata das Katzenleben vieler anderer Katzen, die noch betäubt im Körbchen lagen ... Ich war froh über diese Mordtat … Wer ist dieser Katzenjäger? Was hat er mit dem Jüngling Kafka Tamura zu tun? Ich war überrascht zu lesen, dass er mit Kafka verbunden ist. Möchte aber nicht zu viel verraten.

Nakata selbst zählt neben dem fünfzehnjährigen Kafka Tamura auch zu den wichtigen ProtagonistInnen dieses Buches. Eine sehr interessante Persönlichkeit.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Der 15-jährige Kafka Tamura reißt von zu Hause aus und flüchtet vor einer düsteren Prophezeiung seines Vaters auf die Insel Shikoku. Seine abenteuerliche Reise führt ihn in eine fremde Stadt, wo er der faszinierenden Bibliotheksleiterin Saeki begegnet und ihr verfällt. Er macht die Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen alten Mann, der mit Katzen sprechen kann, und gleitet ab in eine fremde, seltsame Welt. Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? Wo endet diese Reise voller rätselhafter Begegnungen und labyrinthischer Wege?
Eigentlich lernt Kafka gar nicht Nakata kennen. Trotzdem haben sie indirekt miteinander zu tun.

Nakata verfügt über außergewöhnliche Gaben, der in Notsituationen mit dem Aufspannen seines Regenschirmes Fische und Blutegel vom Himmel fallen lassen kann ...

Nakata ist naiv wie ein Kind, wirkt geistig zurückgeblieben aber durch seine Intuition ist er ein gütiger und weiser Mensch. Er verfügt über Wissen, welches intelligente Menschen oftmals nicht haben ...

Nakata bezieht eine Behindertenrente. Er ist ein Kriegskind gewesen und Opfer von Gasbomben, die von den Amerikanern in Japan abgeworfen wurden. Nakata war der beste Schüler seiner Klasse, und durch das Einatmen des Gases hat er sein Erinnerungsvermögen verloren. Er befand sich mit seiner Klasse im Wald auf Pilzesuche, und als die Gasbomben gefallen waren, fielen sechzehn Kinder in Ohnmacht. Fünfzehn davon sind nach einer bestimmten Zeit wieder aufgewacht, nur Nakata nicht. Er wurde ins Militärkrankenhaus gebracht, und als er wieder bei Bewusstsein war, war Nakata nicht mehr derselbe. Er erlitt auf Dauer einen Gedächtnisverlust und in der Schule war er auch nicht mehr der Beste, sondern der Schlechteste. Nakata konnte keine Bücher mehr lesen und hält sich selber für dumm. Sein Freund Hoshima kann zwar lesen, aber er liest keine Bücher. Hoshima wundert sich, denn es würde doch immer die Falschen treffen.

Was ist Kafka Tamura für ein Mensch? Jemand, der im Alter von vier Jahren von seiner Mutter und der älteren Schwester verlassen wurde. Er blieb mit seinem Vater allein, doch der Vater hatte sich nie richtig um seinen Sohn gekümmert. Die Erziehung und die Versorgung hat er einer Dienstmagd überlassen. Unbewusst begibt Kafka sich auf die Suche. Er reißt von zu Hause aus. Was ist das für eine Suche? Das weiß er selbst noch nicht.
Sein Begleiter ist eine Krähe, die ihm hilft und Tipps gibt. Kafka bedeutet auf Tschechisch Krähe. Und Krähe bedeutet Kafka. Der Junge Tamura hat sich selbst den Namen Kafka gegeben. Mit dem Ausreißen begibt er sich in ein Abenteuer. Er kommt mit Menschen zusammen, die ihn alle ein Stückchen näher zu sich selbst führen.

Andere Menschen, wie zum Beispiel Nakata und Hoshima fungieren und agieren parallel im Hintergrund, ohne dass Kafka davon weiß. Sie alle sind mit Kafka verbunden. Real und irreal. Die Welt ist voller Symbole und Metaphern.

Was der Titel des Buches bedeutet, möchte ich nicht verraten. Lest am besten das ganze Buch selbst. Es wird nicht langweilig, nur weil die Welten hier ein wenig bizarr sind.

Dieses Werk liest sich tatsächlich wie ein Märchen für Erwachsene.

Mein Fazit: Ich freue mich schon auf die anderen Bände von Murakami.

Das Buch erhält von mir acht von zehn Punkten.

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Die Welt ist eine Metapher
(H. Murakami)

Gelesene Bücher 2015: 07
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Donnerstag, 5. Februar 2015

Haruki Murakami / Kafka am Strand

Klappentext
Der 15-jährige Kafka Tamura reißt von zu Hause aus und flüchtet vor einer düsteren Prophezeiung seines Vaters auf die Insel Shikoku. Seine abenteuerliche Reise führt ihn in eine fremde Stadt, wo er der faszinierenden Bibliotheksleiterin Saeki begegnet und ihr verfällt. Er macht die Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen alten Mann, der mit Katzen sprechen kann, und gleitet ab in eine fremde, seltsame Welt. Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? Wo endet diese Reise voller rätselhafter Begegnungen und labyrinthischer Wege?


Autorenporträt
Haruki Murakami, geboren 1949 in Kyoto, studierte Theaterwissenschaften und Drehbuchschreiben in Tokio. 1974 gründete er den Jazzclub „Peter Cat“, den er bis 1982 leitete. In den 80er Jahren war Murakami dauerhaft in Europa ansässig (u. a. in Frankreich, Italien und Griechenland), 1991 ging er in die USA, ehe er 1995 nach Japan zurückkehrte. Murakami ist der international gefeierte und mit den höchsten japanischen Literaturpreisen ausgezeichnete Autor zahlreicher Romane und Erzählungen. Sein Roman "Gefährliche Geliebte" entzweite das Literarische Quartett, mit "Mister Aufziehvogel" schrieb er das Kultbuch seiner Generation. Ferner hat er die Werke von Raymond Chandler, John Irving, Truman Capote und Raymond Carver ins Japanische übersetzt.
Murakami ist mir vertraut, habe einige Bände von ihm gelesen und habe vor, mir noch einge seiner Bücher anzuschaffen. Habe vor, daraus ein Murakami-Leseprojekt zu machen, nachdem ich nun mit Isabel Allende beendet habe.

Folgende Bücher habe ich von Murakami gelesen:

BD 1 IQ84                                                                        
BD 2 IQ84                                                                        
BD 3 IQ84  
Südlich der Grenze, westlich der Sonne 

Der vorliegende Band ist ein wenig schräg, halte aber mit meiner Meinung noch hinterm Berg. Habe fast zweihundert Seiten schon durch ...



Dienstag, 3. Februar 2015

Randy Susan Meyers / Heute und in Ewigkeit (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist, als habe eine Sozialarbeiterin dieses Werk geschrieben. Lediglich an bestimmten Begriffen habe ich mich gestört gefühlt, Begriffe wie z. B. Penner … angelehnt an der Gossensprache und zählt nicht zum professionellen Wortschatz einer Sozialarbeiterin oder Ärztin. Ich selbst würde nie einen Obdachlosen, Wohnsitzlosen als Penner bezeichnen. Aber wahrscheinlich ist das der Jargon der Übersetzerin. Wer weiß.

Die Autorin habe, lt. Klappentext, aus ihrer eigenen Berufspraxis geschrieben.

Der vorliegende Roman ist ein Debüt und er erzählt im Wechsel aus zwei Perspektiven zwischen den beiden Protagonistinnen Lulu und Merry Zacharia. Die eine ist Ärztin geworden, die andere Sozialarbeiterin/Bewährungshelferin.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Lulu ist zehn, als ihr Vater vor ihren Augen die Mutter ersticht. Jetzt gibt es nur noch sie und ihre Schwester Merry — und niemanden, der sie tröstet. Scheinbar unzertrennlich meistern die beiden in den Folgejahren alle Schwierigkeiten. Doch ihre Geschwisterliebe wird auf eine harte Probe gestellt. Denn während die eine ihren Vater verleugnet, sucht die andere nach Wegen der Versöhnung …
Lulu und Merry Zacharia sind zwei Geschwisterkinder, die aus nicht einfachen Verhältnissen kommen. Der Vater, Alkoholiker, später Mörder, und die Mutter war ebenso sehr mit sich selbst beschäftigt, während die Bedürfnisse der Kinder oftmals zu kurz kamen. Lulu war ein lesebegieriges Kind und wünschte sich zu Geburtstagen und Weihnachten Bücher, bekam aber immer nur Puppen geschenkt ... Das Schicksal, das dieser Familie in den 1970er Jahren ereilt, ist sehr ergreifend. Starker Tobak für die kleinen Mädchen. Aber Realität pur. Das Schicksal holt sich seine Opfer, ohne Rücksicht auf ihr Alter …
Der geschiedene Vater, der die Mutter seiner Kinder mit einem Messerstich tötet, kommt für mehr als dreißig Jahre in den Knast. Die beiden Mädchen tragen das Erbe ihres Vaters, die Mordtat überträgt die Gesellschaft auf die Kinder. In der Schule erfahren sie Diskriminierungen höchsten Grades, auch die Verwandtschaft mütterlicherseits distanziert sich von den Kindern. Auf der Trauerfeier wird viel genuschelt, was die sensible Lulu, gerade mal zehn Jahre alt, mitbekommt:
Ich wünschte, ich hätte den Mut, hinüberzugehen und eine von ihnen am Ärmel zu zupfen. Entschuldigen Sie bitte. Reden Sie über mich? Joes Tochter? Es ist nicht ansteckend, das wissen Sie doch. Ach ja und ich hatte nur Einsen in meinem letzten Zeugnis, danke der Nachfrage. Es gibt übrigens kein Mörder -Gen. Ich weiß das. Ich habe Biologie in der Schule.
Lulu trägt eine große Schuld auf ihren Schultern, da sie, vom Vater überredet, ihn in die Wohnung reingelassen hat, obwohl die Mutter ihm striktes Hausverbot ausgesprochen hatte. Zwischen den Eltern kam es zum dramatischen Eklat, der zum Mord der Mutter führte.

Die Kinder kommen ins Waisenhaus, die Verwandtschaft mütterlicherseits lehnte es ab, die Kinder bei sich aufzunehmen. Und auch im Heim galten die Mädchen als die Mördermädchen.

Lulu verweigert den Kontakt zu ihrem Vater, während Merry sich trotz dieses Verbrechens zu ihm hingezogen fühlte. Sie war zu klein, fünf Jahre alt, um diese grauenvolle Tat reflektieren zu können, ein Verbrechen, das auch ihr gegenüber verübt wurde. In dem Alkoholrausch wandte der Vater das Messer auch gegen Merry, als sie versuchte, die Mutter zu schützen. Merry hatte Glück, dass sie den Messerstich in ihrer Brust überlebt hatte. Später werden die Mädchen in eine Pflegefamilie namens Cohen weitervermittelt. Die schwere Kindheit der Mädchen stimmte besonders Lulu auch gegenüber der Pflegefamilie misstrauisch. Lulu gab Merry ihr Versprechen, dass sie bis zu ihrem 18. Lebensjahr durchhalten wolle, um aus der Pflegefamilie wieder auszutreten, um für sich und Merry zu sorgen. Eine große Verantwortung, die Lulu auf sich zieht …

Der Pflegevater, Arzt von Beruf, begleitet Merry nach starken Überwindungen ins Gefängnis, um den Vater zu besuchen. Der Vater legt sich mit Cohen an, hält ihn für überheblich, und kommt mit seiner Mitleidstur, die man von vielen Alkoholikern kennt:
Doktor Cohen stützte einen Ellenbogen auf den Tisch und sagte leise: >>Mr. Zachariah, Sie haben keinen Grund, mit mir zu streiten. Meine Frau und ich kümmern uns sehr gern um Lulu und Merry. (…) Meine Frau hat sich im Heim sozusagen in die beiden verliebt. Sie gehören jetzt praktisch zur Familie. Ich bin nicht Ihr Feind. Dennoch werde ich mir von Ihnen keine Beleidigungen gefallen lassen.<< 
 >>Sie halten mich für ein Ungeheuer, Doktor. Vielleicht war ich das auch. (…) Ja, ich glaube, ich war ein Ungeheuer von der schlimmsten Sorte. Aber ich war betrunken und außer mir vor Liebeskummer. Sie meinen, das wäre keine Entschuldigung, aber ich verbüßte meine Schuld.<< Doktor Cohen beugte sich vor und sagte wieder leise: >>Es hat den Anschein, als müssten Ihre Töchter ebenso büßen wie Sie.<< 
Lulu entwickelte sich trotz ihrer Probleme zu einer Musterschülerin, die es zu einem Medizinstudium brachte. Mit ihrer Schwester hatte sie ausgemacht, niemandem mehr von ihrer Herkunft zu erzählen. Ihre Eltern seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen, der sie zu Waisen machte …
Lulu liebte Bücher nach wie vor über alles. Verbringt die meiste freie Zeit in der Bibliothek: 
Am College kannten mich alle nur als das stille Mädchen, das immerzu lernte. Der Rest der Welt hätte meinen können, dass ich in der Bibliothek wohnte, und so wenig, wie ich mit meiner Zimmernachbarin redete, hätte ich ebenso gut unter einem der Tische im Lesesaal schlafen können. Im zweiten Collegejahr hatte ich eine Wohnung gemietet, so klein und von niemandem gewollt, dass ich sie mir leisten konnte, mit ein bisschen Geld von den Cohens und dem, was ich nebenbei im medizinischen Labor verdiente. 
Merry kämpft mit den vielen Erwartungen ihres Vaters. Klammert sich an ihre Liebe, saugt regelrecht an ihr wie ein ausgehungertes Tier: 
Ein Grinsen breitete sich über Dads Gesicht, dasselbe verdammte Lächeln, jedes Mal. Hab mich lieb! Mach mich glücklich! Lass mich eine Stunde lang Vater sein! 
Merrys Leben kommt dabei zu kurz, die Erwartungen ihres Vaters engen sie ein, sie kann sich davon nicht freimachen. Merry ist von Beruf Bewährungshelferin und setzt sich für Gewaltverbrecher ein. Eigentlich nicht wirklich ein Beruf, den sie freiwillig ergriffen hatte, nein, sie verarbeitet mit ihrem Beruf das Leben ihres im Knast sitzenden Vaters.

Zwischen den Geschwistermädchen, mittlerweile sind beide erwachsen geworden, kommt es häufig zum Disput. Lulu hat es geschafft, eine eigene Familie zu gründen, Merry dagegen noch nicht, da sie von ihrem Vater nicht abgenabelt genug ist. Merry erinnert Lulu immer wieder an ihr Versprechen, sie nicht allein zu lassen, da sie ja nur einander haben. Merry mischt sich immer wieder in die privaten Angelegenheiten ihrer Schwester ein. Doch Lulu fühlt sich überfordert. Aus der Ichperspektive Lulus:
Ich schleuderte das Kissen, das ich an mich gedrückt hatte, auf den Boden und stand auf. Mein Arm zitterte, als ich mit ausgestrecktem Finger auf Merry zeigte. >>Ich kümmere mich um meine Tochter. Ich mache hier die Regel. Das ist meine Familie, und wenn's dir nicht passt, wie ich meine Kinder erziehe, dann ist es wohl an der Zeit, dass du gehst. Such dir selber einen Mann. Kriege deine eigenen Kinder. Hör auf, an meinem Leben zu saugen.<<
Merry, angestiftet von ihrem Vater, kann den Boykott ihrer Schwester, dem Vater gegenüber, nicht akzeptieren. Merry besteht darauf, Lulus Kinder aufzuklären, dass der Großvater nicht tot sei, sondern noch am Leben und im Gefängnis sitzen würde. Lulu lehnt nach wie vor vehement ab, bis es zu einem schrecklichen Ereignis kommt, indem Lulus Mädchen von einem Täter in Gefahr gebracht wird. Wiederholung von Schicksalsereignissen? Das lest selbst.

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten.

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Wie du Menschen behandelst, ist wichtiger, als wie du aussiehst.
(R. S. Mayers)

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Montag, 26. Januar 2015

Randy Susan Meyers / Heute und in Ewigkeit

Klappentext
Lulu ist zehn, als ihr Vater vor ihren Augen die Mutter ersticht. Jetzt gibt es nur noch sie und ihre Schwester Merry — und niemanden, der sie tröstet. Scheinbar unzertrennlich meistern die beiden in den Folgejahren alle Schwierigkeiten. Doch ihre Geschwisterliebe wird auf eine harte Probe gestellt. Denn während die eine ihren Vater verleugnet, sucht die andere nach Wegen der Versöhnung …


Autorenporträt
RANDY SUSAN MEYERS wurde in Brooklyn, New York geboren. Schon früh engagierte sie sich für soziale Belange und arbeitete u.a. mit Opfern häuslicher Gewalt und gefährdeten Jugendlichen. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Boston, wo sie Creative Writing am Grub Street Writers' Center unterrichtet. Nach Heute und in Ewigkeit ist Das Band der Wünsche ihr zweiter Roman.
Das Buch habe ich aus dem Restsellerladen Jokers. Die Autorin war mir bisher unbekannt. Habe die ersten hundert Seiten schon gelesen und bin gespannt, wie es weitergehen wird.






Sonntag, 25. Januar 2015

Anita Shreve / Das erste Jahr ihrer Ehe (1)


Eine Buchbesprechung zur o.g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Abend ausgelesen und es hat mir sehr gut gefallen. Das ist nun das zweite Buch, das ich von der Autorin gelesen habe. Beide waren nach meinem Geschmack gut geschrieben, sodass ich Anita Shreve nun auch zu meinen LieblingsautorInnen einreihen werde.

Auch dieser Titel klingt nach einer gewöhnlichen Liebesgeschichte, das ist sie aber nicht. Anita Shreve schreibt keine gewöhnlichen Lovestorys, weshalb ich sie gerne lese.

Die Autorin nimmt zudem ihre LeserInnen mit auf Reisen. Die beiden ProtagonistInnen dieses Romans sind die jungen Eheleute Patrick und Margaret, beide kommen aus Amerika, aus Boston. Patrick ist Arzt, kommt nach Afrika, nach Kenia für ein wissenschaftliches Projekt, indem er in einem Krankenhaus Forschungen über tropische Krankheiten betreibt. Seine Frau Margaret schließt sich dieser Reise an.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Ein Jahr in Kenia: Nur wenige Monate nach ihrer Hochzeit beschließen Margaret und Patrick, sich auf ein großes Abenteuer einzulassen. Sie wollen gemeinsam nach Afrika gehen, um dort als Journalistin und Arzt zu arbeiten. Doch sehr bald erkennt Margaret, wie wenig sie von diesem fremden Kontinent weiß – und wie wenig von ihrem Mann Patrick.
Margaret ist keine Journalistin, sondern Fotografin einer politischen Zeitung. Die Texte zu den Fotos schreibt ein Journalist. Sie begibt sich in Kenia erst auf Arbeitsuche, nachdem sie erkannt hat, wie wenig wertvoll Frauen in Afrika sind. Patrick verdient eigentlich so viel, dass es für beide reicht. Margaret möchte aber nicht weiter von ihrem Mann abhängig sein, und sucht sich daraufhin erst eine Stelle als Fotografin. Margaret hat tatsächlich wenig Ahnung von Afrika und geht ein wenig naiv in diese fremde Kultur rein.

Patrick hat keine Probleme mit der Kultur Kenias, er akzeptiert sie, wie sie ist. Er hat genug inneren Abstand, kann sich davon distanzieren, was ihm die Akzeptanz erleichtert. Vielleicht gelingt ihm das besser, auch, weil er ein Mann ist und Afrika von Männern regiert wird, während Frauen so gut wie keine Rechte haben.

Man muss eine fremde Kultur verstehen lernen, um sie akzeptieren zu können, aber nicht gemessen an den Maßstäben der eigenen Kultur. Jede Kultur hat Schwächen und Stärken. Diese herauszufiltern ist eine wahre Kunst. Das können nur wenige. Während viele dort lebende weiße Menschen von oben herab auf die schwarzen Menschen schauen, gibt es doch andere, vereinzelt zwar, aber die gibt es, die versuchen, das Fremdartige wertschätzend zu verstehen. Ein Beispiel aus einem Dialog zwischen Patrick und seinem Kollegen Arthur:
"Aber sie wissen, wer sie sind", hielt Patrick Arthur entgegen. "Sie leben in einer uralten Nomadengesellschaft, die seit Jahrhunderten größtenteils intakt geblieben ist. Sie nehmen die Aufgabe sehr ernst, das Ihre zu beschützen, aber sie sind zufriedene Menschen. Sie sind weder teilnahmslos noch faul oder gelangweilt. Sie haben einen tiefen Glauben an ihre Gottheiten, Rituale und Zeremonien.""Sie haben keine Bildung", rief Arthur."Nicht unsere, das ist wahr. Aber innerhalb ihrer alten Kultur und Lebensweise sind sie gebildet." 
"Aber wir leben im zwanzigsten Jahrhundert und nicht im sechzehnten., verdammt noch mal. Der Mensch muss sich anpassen, auf die Gegebenheiten einstellen, wenn er sich weiterentwickeln will. Im Übrigen hätte ich gerade von Ihnen als Arzt eine andere Haltung erwartet, Patrick." 
Auch Margaret schafft es nicht, fair zu bleiben, steckt alle schwarzen Männer in eine Schublade, indem sie herablassend über sie spricht. Sie hasst alle afrikanischen Männer, während Patrick ihr hilft, eine differenzierte Sichtweise zu entwickeln, um nicht alle schwarzen Männer über einen Kamm zu scheren. Und tatsächlich, nicht alle schwarzen Männer missbrauchen Frauen. Es gibt auch Schwarze, die versuchen, Frauen zu schützen. Schließlich erkennt dies auch Margaret.

Margaret ist aber eine sensible Persönlichkeit, die recht schnell die Probleme der Kenianer begreift, oftmals sogar verursacht durch die weißen Menschen, die die Schwarzen zu ihren Gunsten und für ihre Bequemlichkeiten missbrauchen. Margaret setzt sich für diese schwachen Menschen ein. Sie macht Bekanntschaft mit einer jungen schwarzen Frau, die von schwarzen Männern mehrfach vergewaltigt wurde. Margaret sucht diese Frau in ihrer Hütte auf, in der sich die Frau eingeschlossen hält:
Da die Tür jetzt geschlossen war, zog Margaret die Fensterklappe hoch, um Licht hereinzulassen. Sie wollte die Scherben vom Boden einsammeln. Einen Mülleimer oder so etwas schien es jedoch nicht zu geben, deshalb legte sie sie in einem Häufchen auf das Bord. Woher bekam die Frau ihr Wasser? Wo wusch sie sich? Wo verrichtete sie ihre Notdurft? Margarets Zorn, der bisher den afrikanischen Männern gegolten hatte, richtete sich jetzt gegen die Ausländer, die ihre Bediensteten mit Hungerlöhnen abspeisten. Die wahrscheinlich nie gesehen hatten, wie diese Menschen lebten. 
Da Margaret es in diesem Land als Frau schwerer als Patrick hat, so macht sie eigene Erfahrungen, wie z.B. Frauen dürfen keine Besitztümer anhäufen, weil sie als besitzlos betrachtet werden. Und so bekam Margaret von schwarzen Männern ihren Fotoapparat abgenommen, den sie solange konfisziert hielten, bis ihr Mann Patrick das Objekt wieder abholen kam.

Margaret und Patrick schlossen sich einer Bergklettertruppe an. Leute, die den Mount Kenia bezwingen wollten. Margaret, die sich der Klettertour nur aus Liebe zu ihrem Mann anschloss, wollte eigentlich gar nicht den Berg bezwingen, sondern ihn nur besteigen so weit es geht. Hier kommt das Leistungsdenken von Menschen aus der westlichen Welt sehr gut zur Geltung. Immer auf dem Tripp sein, sich und anderen immer etwas beweisen müssen. Und wer nicht mitkommt, der wird recht schnell als Schwächling abgetan. Das Besteigen dieses Berges brachte Patrick und Margaret zu hohen Herausforderungen, die sogar ihre junge Ehe gefährdeten. Ich möchte nicht allzu viel verraten ...

Was ich schön finde, ist, dass die Autorin von den Problemen Afrikas zu schreiben weiß, wie z.B. hohe Kriminalität, Menschenrechtsverletzungen Frauen und politischen Aktivisten gegenüber, ohne die Menschen dort abzuwerten. Sie schreibt völlig wertneutral und das finde ich sehr gut, denn das zeichnet für mich hohe Literatur aus ... Magaret lernt einen Araber kennen, der über einen großen Verwandtenkreis verfügt. In dieser Familie leben Frauen mit Kopftüchern und andere laufen in Miniröcke ... 

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Eigentlich zwölf von zehn Punkten. ;-) Das Welt- und Menschenbild der Autorin hat mir sehr zugesagt, auch weil sie absolut nicht zu Stereotypen und Vorurteilen neigt. Eine Autorin, die eine bunte Welt in sich trägt. Das findet man besonders auch bei SchriftstellerInnen recht selten. Anita Shreve ist Afrikaerfahren, da sie über mehrere Jahre in Kenia journalistisch tätig war. 
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Man sollte sich an Dinge erinnern, die nie passiert sind.
(Isabel Allende)

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Dienstag, 20. Januar 2015

Anita Shreve / Das erste Jahr ihrer Ehe


Klappentext

Ein Jahr in Kenia: Nur wenige Monate nach ihrer Hochzeit beschließen Margaret und Patrick, sich auf ein großes Abenteuer einzulassen. Sie wollen gemeinsam nach Afrika gehen, um dort als Journalistin und Arzt zu arbeiten. Doch sehr bald erkennt Margaret, wie wenig sie von diesem fremden Kontinent weiß – und wie wenig von ihrem Mann Patrick.


Autorenporträt

Anita Shreve, *1946, verbrachte einige Jahre als Journalistin in Afrika und bereiste weite Teile Kenias, bevor sie in  die USA zurückkehrte und Schriftstellerin wurde. Ihre Romane »Die Frau des Piloten« und das für den  Orange Prize nominierte »Gewicht des Wassers« waren große internationale Erfolge. 

Mit diesem Buch wechsle ich den Kontinent. Ich habe Südamerika, das Land Chile, verlassen und wandle nun auf Wegen Schwarzafrikas. Habe gestern Abend mich ein wenig auf das Buch eingestimmt und es gefällt mir recht gut.
Von der Autorin habe ich Weil sie sich liebten gelesen. Fand ich eine sehr interessante Lektüre. Anita Shreve schreibt keine gewöhnlichen Liebesgeschichten, weshalb ich sie auch lesen kann. Denn eigentlich mag ich ja keine Love-Storys.


Montag, 19. Januar 2015

Isabel Allende / Von Liebe und Schatten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich nun durch und es hat mir recht gut gefallen. Wie aus dem Klappentext zu entnehmen ist, bezieht sich der Inhalt neben der Liebesgeschichte auf die politische Lage Chiles.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Isabel Allendes engagierter Roman ist nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch die Auseinadersetzung mit Chiles jüngster Vergangenheit: "Ich muss einen Kontinent erzählen", sagt die Autorin, "für diejenigen sprechen, die keine Stimme haben." 
Ich habe es gelesen, aber ich werde nicht viel dazu schreiben, außer, dass ich es für wichtig halte, den Inhalt nicht aus seinen Zusammenhängen zu reißen. Das Lesen des Buches hat mir eigentlich schon gereicht. Von der ersten bis zu letzten Seite war das Buch spannend, und das Ende blieb offen. Bin gesättigt.

Der Inhalt geht tief unter die Haut, man wird Zeugin, wie Menschen, unschuldige Menschen von einem diktatorischen System dezimiert und massakriert werden. Aber von welcher Zeit spricht Isabel? Selbst im Klappentext blieben diese politischen Ereignisse ein wenig schwammig; was ist denn die jüngste Vergangenheit? Iabel geht hauptsächlich auf die Gewaltakten ein, die unschuldigen Menschen, Opfern eines politischen  Systems, zugefügt wird.

Ein wenig habe ich schon wichtige Daten vermisst.

Ansonsten war das Buch recht gut, und Isabel ist echt schreibbegabt, und ihre Fabulierfreude erleichtert ihr noch zusätzlich, Bücher wie diese zu schreiben.

Ein paar idealistische Gedanken sind auch in diesem Buch zu finden, wie z.B. dass der Nationalismus eines Landes die Vernunft beleidigen würde. Es müsse ein Staat kreiert werden, in dem Menschen aller Hautfarben, Ethnien und sonst andersartige Menschen gleichberechtigt zusammenleben können, und niemand mehr wegen seiner Herkunft oder Hautfarbe benachteiligt werden muss. 

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten.
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Man sollte sich an Dinge erinnern, die nie passiert sind.
(Isabel Allende)

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Mittwoch, 14. Januar 2015

Isabel Allende / Von Liebe und Schatten

Klappentext
Isabel Allendes engagierter Roman ist nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch die Auseinadersetzung mit Chiles jüngster Vergangenheit: "Ich muß einen Kontinent erzählen", sagt die Autorin, "für diejenigen sprechen, die keine Stimme haben."


Autorenporträt
Isabel Allende, 1942 in Chile geboren, ging nach Pinochets Militärputsch 1973 ins Exil. Die Erinnerungen ihrer Familie, die untrennbar mit der Geschichte ihres Landes verwoben sind, verarbeitete sie in dem Weltbestseller Das Geisterhaus. Allende zählt zu den meistgelesenen Autorinnen weltweit, ihr gesamtes Werk erscheint auf Deutsch im Suhrkamp Verlag.


Folgende Werke habe ich von der Autorin gelesen:

1. Amandas Suche 
2. Das Geisterhaus
3. Das Portrait aus Sepia
4. Das Siegel der Tage
5. Die Insel unter dem Meer
6. Die Stadt der wilden Götter
7. Eva Luna
8. Inés meines Herzens
9. Mayas Tagebuch
10. Mein erfundenes Land
11. Paula

Nun bin ich auf den obigen Band gespannt.


Dienstag, 13. Januar 2015

Daniel Zahno / Die Geliebte des Gelatiere (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch, ein Debütroman, enthält eine Liebesgeschichte und eigentlich mag ich keine Liebesgeschichten aber manchmal muss man mit Liebesgeschichten auch eine Ausnahme machen. Dieses Buch ist eine Ausnahme. Es ist keine Schnulze gewesen und auch keine Geschichte, die auf menschliche Problemen nach schnellen Lösungen schreit …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein: 
Daniel Zahno erzählt die Geschichte eines jungen Venezianers, der auf der Suche ist. Auf der Suche nach der richtigen Arbeit, der richtigen Frau, dem richtigen Leben. Seit frühester Kindheit fasziniert Alvise das Eis. Mit seiner ersten Liebe, Noemi, leckt er Vanille-Eis, als Schüler hilft er in einer Gelateria aus. Später wird er, nach einigem Hin und Her, selbst Gelatiere. Er hat Talent und gewinnt die Coppa d’Oro, eine Art Oscar für den besten seiner Zunft. Und doch ist Alvise nicht glücklich. Nach einer schweren Krise entschließt er sich, nach seiner einstigen großen Liebe zu suchen: der schon seit langer Zeit verschwundenen Noemi. Und er findet sie - in Amerika. Aber lässt sich nach über zwanzig Jahren die alte Vertrautheit wiederherstellen? Lässt sich das Rad der Zeit zurückdrehen?„Die Geliebte des Gelatiere“ ist ein Roman über die Vergänglichkeit, aber auch über die ersten Versuche in der Kunst der Liebe, über die Sehnsucht und das Träumen. Und darüber, dass jedes Leben einen besonderen Zauber hat.

Eigentlich ist ja schon alles im Klappentext, der sehr ausführlich ist, beschrieben, sodass ich nicht vorhabe, noch mehr zu schreiben …
Ich gehe ein wenig auf ein paar Kritikpunkte ein, die mir die Bonuspunkte erleichtern, zu verteilen.

Es geht um einen italienischen Jungen/Mann, der Autor war schon sehr bemüht, Klischees wegzulassen, was ihm aber leider nicht ganz gelungen ist, der Alvise heißt. Alvise ist ein Einzelkind, und in seine Klasse kommt ein amerikanisches Mädchen, das auch Einzelkind ist, und beide werden ein wenig deswegen von ihren italienischen Mitschülern verspottet, und zwar von Kindern, die Alvise, der Protagonist, als Mehrfachkinder bezeichnet. Seine Mutter hatte allerdings zwölf Geschwister. Natürlich kommt man dann leicht in Versuchung, Italien sich wieder als ein kinderreiches Land vorzustellen, und man neigt dazu, den geschwisterlosen Alvise als Ausnahme zu betrachten. Ich möchte nur informieren, dass innerhalb der EU-Länder Italien seit den 1970er Jahren die Geburtenrate stark zurückgegangen ist, sodass Italien seitdem als das geburtsschwächste Land zählt, gefolgt von Spanien, und an dritter Stelle erst folgt Deutschland.

Da nun Polen seit 2004 auch in der EU ist, ist Polen das geburtenschwächste Land, Italien steht an zweiter Stelle, gefolgt von Spanien …

Diese Infos, denke ich, konnte der Autor  in seiner Geschichte nicht einfließen lassen. Ich frage mich immer wieder, weshalb der Mensch/Autor so sehr an Klischees festhalten muss? Einmal abgespeicherte Informationen scheinen bei den meisten Menschen ein Leben lang erhalten zu bleiben. Da hat es ein Computer schon leichter, der vom alten Müll regelmäßig entrümpelt wird. 

Ansonsten fand ich die Geschichte recht gut, manchmal ein wenig zu banal, dass man die Beziehungsprobleme Alvises damit begründet, weil er ein Einzelkind ist. Es gibt viele Menschen mit Beziehungsproblemen, davon sind nicht nur Einzelkinder betroffen …

Aber da ich hierin eine kritische Leserin bin und beruflich außerdem mit vielen Menschen fachlich zu tun habe, beeindrucken mich solche literarischen Statements nicht sonderlich, da sie zu einseitig sind, und deshalb merke ich sie an. Und warum müssen amerikanische und englische ... Figuren immer blond sein? Auch sehr einfarbig. Aus meiner Sicht ist die Welt des Autors teilweise recht unbunt.

Ansonsten hat mir die Geschichte recht gut gefallen. Nur schade, dass der Italiener beruflich wieder mal mit Pizza, Eis und Co dargestellt wurde. Na, wenigstes verfügte Alvise über eine gute Schulausbildung. Auch das ist selten im Film und in der deutschsprachigen Literatur ...

Wer mehr wissen möchte, so verweise ich auf das Buch, das von mir wegen der soeben beschriebenen Kritikpunkte sieben von zehn Punkten erhält.
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Man sollte sich an Dinge erinnern, die nie passiert sind.
(Isabel Allende)

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Sonntag, 11. Januar 2015

Daniel Zahno / Die Geliebte des Gelatiere

 Klappentext
Daniel Zahno erzählt die Geschichte eines jungen Venezianers, der auf der Suche ist. Auf der Suche nach der richtigen Arbeit, der richtigen Frau, dem richtigen Leben.Seit frühester Kindheit fasziniert Alvise das Eis. Mit seiner ersten Liebe, Noemi, leckt er Vanille-Eis, als Schüler hilft er in einer Gelateria aus. Später wird er, nach einigem Hin und Her, selbst Gelatiere. Er hat Talent und gewinnt die Coppa d’Oro, eine Art Oscar für den besten seiner Zunft.Und doch ist Alvise nicht glücklich. Nach einer schweren Krise entschließt er sich, nach seiner einstigen großen Liebe zu suchen: der schon seit langer Zeit verschwundenen Noemi. Und er findet sie - in Amerika. Aber lässt sich nach über zwanzig Jahren die alte Vertrautheit wiederherstellen? Läßt sich das Rad der Zeit zurückdrehen?„Die Geliebte des Gelatiere“ ist ein Roman über die Vergänglichkeit, aber auch über die ersten Versuche in der Kunst der Liebe, über die Sehnsucht und das Träumen. Und darüber, dass jedes Leben einen besonderen Zauber hat.

Autorenporträt
Daniel Zahno wurde 1963 in Basel geboren. Für seinen Erstling „Doktor Turban“ (1996) erhielt er u.a. den Tübinger Poetik-Preis und den Clemens-Brentano-Preis. 2006 publizierte er den poetischen Reigen „Im Hundumdrehen“. Nach Aufenthalten am Ledig House in New York und am Istituto Svizzero in Venedig schrieb er seinen ersten Roman, „Die Geliebte des Gelatiere“. 2010 erschien „Rot wie die Nacht“. Im selben Jahr war Zahno Writer-in-Residence an der New York University. "Alle lieben Alexia" erschien 2011. Anfang August 2013 ist Zahnos neuer Roman, sein viertes Buch bei weissbooks.w, "Manhattan Rose" erschienen. Daniel Zahno lebt in Basel und New York.
Das Buch habe ich aus dem Antiquariat erworben. Gut erhalten, gebunden und preisgünstig.


Freitag, 9. Januar 2015

Gila Lustiger / So sind wir (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch hatte mir anfangs recht gut gefallen, dann später ließ die Konzentration nach. Ich habe schon so viel über den Nationalsozialismus gelesen, dass ich wahrscheinlich so langsam gesättigt bin von dem Thema …. Ich habe das Buch nicht ganz ausgelesen, aber es ist kein schlechtes Buch. Es hat viel Tiefgang und die darin befindlichen Gedanken finde ich sehr gut. Habe viele Zitate gesammelt.

Mal schauen, was sich daraus ergibt. Zur Erinnerung gebe ich nochmals den Klappentext rein:
Der Familienroman über die Geschichte der europäischen Juden.Wie ist ein Leben nach Auschwitz möglich? Die Autorin erzählt in ihrem Familienroman über die Atempausen im Leben. Das Heranwachsen zwischen Deutschland und Israel. Die ideologischen Selbstbetrügereien als alltägliche Zwischenstationen, die aus Opfern Menschen machen. Über das Private und Intime nähert sie sich mit unverkennbar ironischem Blick der europäischen Geschichte. Gila Lustiger bringt virtuos jenen Erzählstrom in Fluss, der die jüdische Prosa auszeichnet.
Gila ist die Hauptdarstellerin dieses Buches, wenn auch der Vater am Anfang in den Vordergrund gestellt wird. Aber es ist Gila, die über ihn erzählt. Sie stellt in ihrem Buch ihre Herkunftsfamilie dar, so wie sie ist, denn kann man ihre Familie wirklich als typisch jüdisch bezeichnen?
Vergangenheitsbewältigung? Ja, das tut der Vater, indem er sich in die Zeitungen flüchtet und jeden Artikel, der ihm wichtig erscheint, ausschneidet und archiviert.
Mein Vater las Zeitung, um sich der Welt zu stellen, doch zeitungslesend entfloh er unserer Kinderwelt. 
Gila könnte nun die Zeitung verachten, die alle Aufmerksamkeit des Vaters erhascht hatte, während die Kinder zu kurz kamen. Nein, Gila hasste die Zeitungen aber nicht, denn mit ihnen verband sie ihren Vater.

Gila hat eigentlich keine Lust, sich mit der Vergangenheit aus der Nazizeit auseinanderzusetzen. Ihr Vater kam mit fünfzehn Jahren ins KZ, aber er hatte es überlebt. Gila ist 1963 geboren, der Nationalsozialismus war längst vorbei, und doch ist es nicht möglich, die religiöse Herkunft ihrer Eltern zu verleugnen. Schon alleine ihr Name Gila verrät, dass sie jüdischer Abstammung ist. Sie sehnte sich als Kind nach einem ganz gewöhnlichen deutschen Vornamen, um ein ganz gewöhnliches deutsches Leben führen zu können. Zu Recht, denn sie war ja Deutsche und ist es noch immer. Aber Gila ahnte nicht, dass auch die deutschen Mädchen mit einem gewöhnlichen deutschen Namen sich auch nach einem gewöhnlichen deutschen Leben sehnten.

Die Vergangenheit ihrer Eltern holt sie ein. Nicht, dass der Vater über den erlittenen Nationalsozialismus spricht, nein, der Vater verarbeitet diese schrecklichen Erlebnisse allein, nach außen spricht er nicht darüber und behandelt diese wie ein Tabu.
In der Konfrontation mit der Herkunft gewinnt Gila folgende Erkenntnis, die auch ich gemacht habe, als ich mich meiner Herkunft stellte, weil auch ich immer wieder in die Schublade einer Südländerin gesteckt wurde, obwohl ich zigmal meine deutsche Identität verteidigt hatte. Heute genieße ich mehr Gelassenheit, lasse andere faseln über den ganzen Quatsch ihrer unreflektierten Blut- und Wurzeltheorie, während ich mich im Stillen weiterhin als Deutsche bezeichne, wobei ich mich in erster Linie als Mensch sehe, und bin in der Lage, mich mit jedem Menschen zu identifizieren, denn die Grundbedürfnisse sind bei allen Menschen gleich. Ich bin mehr als mein italienischer Name, sowie Gila mehr ist als ihr jüdischer Name. Eine Auseinandersetzung wie diese kann nur bereichernd sein. Man entwickelt eine andere Sichtweise von Mensch und Welt, für die ich persönlich mehr als dankbar bin:
In Wahrheit sind Herkunft, Religion, Nationalität nichts. Ein Deckmantel allenfalls, den man sich überstreift oder mit leichtem Druck hat aufzwingen lassen, sowie eine besorgte Mutter einem an der Tür noch schnell einen Schal andreht. In Wahrheit sind die meisten ihrer unmittelbaren Umgebung und Erziehung derart ausgeliefert, dass sie nichts als Herkunft, Religion und Nationalität sind, senden Täuschung und Betrug, in denen sie hausen wie in einem dunklen stinkenden Verließ. Leidenschaftslos muss man sich daher auf das Menschliche reduzieren, ein Skelett auf zweihundertzehn Knochen mit zweihundertzwanzig Liter Muskulatur, drei Komma acht Liter Fettgewebe und vier Komma fünf Liter Blut, das durch ein dreihundert Gramm schweres Herz pumpt.
Ich freue mich immer wieder, wenn ich eigene Gedanken in den Büchern wiederfinden kann ...
Nach dem Krieg kaufte sich Gilas Vater jede Menge Bücher. Die Bücher stellten für ihn Stellvertreter, Substitute dar, wie z.B. Vaterersatz, Lehererersatz, etc.
Was mein Vater nach dem Krieg an Büchern zusammengekauft hat, während er sich eine materielle Existenz aufbaute, war ihm Schule, Vater, Rat, Erziehung und Trost zugleich.
Die Bücher waren so zahlreich, dass er eine eigene Bibliothek hatte gründen können. Er unterwarf sich einem Suchtkauf, der seinen seelischen Schmerz ein wenig betäuben sollte. Interessant fand ich, wie der Vater die Bücher in den Regalen sortiert hatte, wirklich sehr originell, ist aber auch Geschmackssache:
Die Bibliothek meines Vaters, ja, man muss von Bibliothek reden, denn die Bücher nahmen in meiner frühen Kindheit eine Wand ein und später, als sie umzogen, wurde ihnen, zum Entsetzen unserer jugoslawischen Putzfrau, ein ganzes Zimmer überlassen, war nicht adrett und distinguiert, sondern ein unverschämter, in seiner Stillosigkeit geradezu stilvoller Haufen Wunderlichkeiten. Mein Vater hat einen ganz persönlichen Sinn für das Passende. Vielleicht hat er sich auch nie darum geschert, was passte und was nicht, sondern immer nur gierig gelesen, was ihm unter die Finger kam und was er gerade benötigt. So stand neben dem >>Lexikon des Kaufmanns<< Kafkas >>Schloss<< und neben >>Wir schneidern und nähen<< von Emmi Schupp und Christel Tusch Dostojewski >>Spieler<<. 
Ich bin immer sehr neugierig, wie andere Buchsüchtige ihre Bücher sortieren. Interessant, wenn man dabei noch die Namen der Autoren erfährt.

Gila versucht die passiven Reaktionen der Juden im Nationalsozialismus zu verstehen, und stellt sich die Frage, weshalb sich die Juden, die ermordet wurden, nicht gewehrt hatten:
Tagtäglich beweisen sich Israelis, dass sie keine Opfer sind. Israelis sind in dieser Hinsicht mit den Deutschen verwandt. Was sie verbindet, ist Vergessen und Scham und der Wunsch, eine Vergangenheit abzuschütteln, die auf der Haut kleben bleibt. 
Das finde ich eine sehr schöne Metapher, die Vergangenheit, die auf der Haut kleben bleibt.
Den Menschen im Sterben die Menschlichkeit zu nehmen, das ist der schrecklichste und höchste Triumph der Macht. Oh nein, ich will damit gar nicht sagen, dass Juden in die Opferrolle hineingeboren werden und Grausamkeit eine spezifisch deutsche Eigenschaft ist. So ging es in Deutschland zu und wird es überall da zugehen, wo Gewalt zum Ritual der eigenen Herrlichkeit wird. So ging es in Deutschland zu und kann es auch heute noch überall zugehen, wenn man sich seine Größe bescheinigen muss und zur Bescheinigung der eigenen Größe erniedrigende, zerstörerische Macht über andere braucht. Denn Macht ist ein unersättliches Tier. Es fordert fortwährend neue Beute. 
Fair finde ich, dass Gila nicht alle Deutschen als Nazis verurteilt. Das kann nicht jeder. Nur wenige sind dazu in der Lage. Wie schnell neigen viele  Durchschnittsdeutsche hier bestimmte Menschen in Schubladen zu pressen. 

Gila stellt sich die Frage, woher sie ihre Erkenntnisse hat:
Aus Büchern. Alles weiß ich aus Büchern. Und das Leben ist an den Haaren herbeigezerrt. Nicht ganz so, aber fast so. Die Bücher lagern sich ab. Schicht für Schicht Erzählungen, Berichte, Märchen. Kleine und große Wunder. Alles bleibt im Kopf. Und das Leben drängelt sich durch. Die Bücher habe ich gekaut und geschluckt, und ihre Bilder und ihr Geschmack und ihre Musik durchtränkt meinen Alltag. 
Dieses Zitat musste ich unbedingt einbringen, denn es zeigt ja doch, dass Bücher sehr wohl in der Lage sind, mit vielen Fragen, die einem das Leben so stellt, fertigzuwerden. Gewisse Bücher dienen nicht nur zur Unterhaltung.

Gila geht zusammen mit ihrem Freund ins Reisebüro und findet ein Angebot:  >>Abstecher nach Auschwitz. Hin und zurück in einem Tag.<< Gila und ihr Freund wundern sich, wie kann denn Auschwitz an einem einzigen Tag zu bewältigen sein? Die Antwort:
Is nischt geweysen schwer zu sein in Auschwitz? 
Gila vergleicht ihr Leben mit dem Leben der Juden im Nationalsozialismus und ihr kommen ihre Sorgen, Alltagssorgen, recht banal vor. 
Was sind, bitte schön, Alltagssorgen und ein paar Wünsche im Angesicht von Auschwitz? Alltagssorgen und -wünsche sind im Angesicht von Auschwitz eine unverschämte Geschmacklosigkeit. Lächerlich, nicht der rede Wert, unbedeutend wie das eigene Leben. Denkt man an den Tod in Auschwitz, ist Glück der Gipfel des Wahnsinns, die Liebe obszön, die Lebenslust eine Niedertracht. Man gibt sich mit dem Allernotwendigsten ab: Essen und Arbeiten, Arbeiten und Essen und außerdem-Schlafen, Zeugen, Geborenwerden und Sterben. Das ist wie eine Kollektiverstarrung. Ewiger Frost. Eiszeit. Mit Interglazialperioden dazwischen, wenn Körper und Geist an den oberen Schichten auftauen, um zu funktionieren. 
Wer mehr wissen möchte, den verweise ich auf das Buch, sodass ich hoffe, ein bisschen Lust darauf gemacht zu haben.
Mir haben die vielen schönen, wenn auch sehr ernste Gedanken, sehr gut gefallen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
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Man sollte sich an Dinge erinnern, die nie passiert sind.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2015  02
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