Tagebücher von 1939-1945
Lesen mit Anne
Eine
Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch
haben Anne und ich schon vor Tagen ausgelesen, wir sind nur noch nicht dazu
gekommen, eine Rezension zu schreiben.
Mit Anne
habe ich aber schon telefoniert. Es hat uns beiden gut gefallen und wir haben uns
auch über die Rezensionen ausgetauscht, wer was über das Buch schreiben möchte.
Anne schreibt auch etwas Biografisches von Astrid Lindgren, über dies im
Vorwort einiges zu entnehmen gibt.
Ich dagegen
habe die Absicht, viele Zitate herauszuschreiben. Was den Nationalsozialismus
betrifft, wann der Zweite Weltkrieg etc. ausgebrochen ist, das weiß jeder und
muss nicht nochmals hier erwähnt werden. Mir war die Betroffenheit von Astrid Lindgren
ganz wichtig, wie sie diese in Sprache umgesetzt hat. Das hat mich so tief
berührt, dass ich einfach gezwungen bin, meinen Fokus auf diese Zitate zu lenken.
Wir werden,
wenn wir beide unsere Rezensionen zu diesem Buch geschrieben haben, diese noch
miteinander verlinken.
Mit ihrem
Tagebuch schreibt Astrid Lindgren so, wie ich sie liebe. Kritisch, politisch,
differenziert, menschlich.
Ihre
Tagebuchaufzeichnungen sind zudem mit vielen ausgeschnittenen Zeitungsartikeln
versehen.
Schweden
verhielt sich im Zweiten Weltkrieg zusammen mit anderen europäischen Ländern
neutral. Astrid Lindgren nagten Gewissensbisse, weil ihr Land an dem Krieg
nicht beteiligt war.
Ich habe mir
allerdings als Leserin nicht die Frage gestellt, ob es feige war, dass Schweden
an dem Krieg nicht beteiligt war. Nein, ich fand es gut, dass wenigstens ein
paar Länder von dem Krieg und den Folgen verschont geblieben sind.
Durch die Neutralität
hatte Schweden jede Menge Ressourcen,
und so konnte es vor allem dem kleinen Finnland und Norwegen mit materiellen
Gütern unter die Arme greifen. Auch hat die schwedische Bevölkerung schwedische
und norwegische Kriegskinder bei sich aufgenommen, und für sie gesorgt. Später,
zum Ende des Krieges hin, überwindet Astrid Lindgren ihre Selbstzweifel, und
sieht das Gute an der Neutralität:
Denn Schweden wurde außerhalb des Krieges
gebraucht. Wenn man zurückschaut, haben wir durchaus so einiges erreicht,
natürlich nicht, weswegen wir gerade vor Stolz platzen könnten, aber worüber
man sich doch freuen kann. Wir haben Finnland einmalige materielle Hilfe
gegeben. Und Norwegen vielleicht in fast gleich großem Umfang. Wir haben - was
soll ich sagen-100.000 norwegischen und dänischen Flüchtlingen, vielleicht ist
die Zahl etwas zu hoch, ich weiß nicht, Asyl gewährt. Wir haben sie in
speziellen Polizeilagern ausbilden lassen, was nichts Anderes war als eine
regelrechte militärische Ausbildung. Zu guter Letzt haben wir erreicht, dass
das schwedische Rote Kreuz sich der dänischen und norwegischen Internierten in
Deutschland, Juden und anderer, annehmen und sie nach Schweden bringen konnte.
Ich habe einige dieser Briefe von jungen Leuten gelesen, die sie nach ihrer
Ankunft an ihre Angehörigen zu Hause in Norwegen und Dänemark geschrieben
haben, es ist ein einziger Glücksjubel. (…) Einer muss ja neutral sein, sonst
würde es doch keinen Frieden geben - aus Mangel an Friedensvermittlern. (442f)
Deutschland
hat Polen den Krieg erklärt. Polen ist nicht mehr das Land, das es einst mal
war. Es wurden Sperrstunden eingeführt:
Die Deutschen sprechen von ihrer >>harten, aber
gerechten Behandlung<< der Polen - und die kann man sich ja vorstellen.
Was für ein Hass wird entstehen! Die Welt wird am Ende so voller Hass sein,
dass sie allesamt daran ersticken. (47)
Auch wenn
Schweden nicht am Krieg beteiligt war, war die schwedische Bevölkerung dennoch
von Angst erfüllt. Auch die Kinder stellten Fragen, ob der Krieg bis nach
Schweden dringen würde. Ich selbst versuchte mir diese Angst vorzustellen …
Astrid
Lindgren wunderte sich. Die Welt sei zwar kriegserfahren, lerne aber nicht aus
ihren Fehlern:
An der Ostfront stehen sich die größten
Massen der Weltgeschichte gegenüber. Es ist gruselig, überhaupt daran zu
denken. (…) Ich habe hier in Furusund einiges über Geschichte gelesen, und das
ist eigentlich eine unheimlich beklemmende Lektüre-Krieg und Krieg und wieder Krieg und das ständige Leiden der
Menschheit. Niemals lernt sie etwas daraus, sie begießt die Erde noch immer
weiter mit Blut, Schweiß und Tränen. (117)
In Schweden
hoffte man im ersten Kriegsjahr auf ein baldiges Ende des Krieges. Niemand
rechnete damit, dass er sechs Jahre anhalten würde. Der Alltag der Schweden
ging weiter, aber der Krieg, der außerhalb von ihnen weltweit tobte, prägte
trotzdem den Alltag der Schweden. Das Leben aber musste weitergehen, und es
ging weiter. Lars, Lindgrens Sohn, stand 1942 kurz vor seiner Konfirmation.
Schweden feiert Christi Himmelfahrt. In Gedanken an ihren Sohn schreibt die
verzweifelte Lindgren:
Übermorgen an Christi Himmelfahrt werden Lars und
Göran konfirmiert. Kann, kann, kann denn dieser Krieg nicht bald ein Ende
haben? Was für eine Zukunft erwarteten Jungen, die bald in die Welt hinaus
wollen. Eine blutige, schreckliche, verwüstete, vergaste und in jeder Hinsicht
elendige Welt zu erben, das ist hart. (182)
Wieder ein
Kriegsjahr vergangen, und an der Lage habe sich noch immer nichts verändert.
Astrid Lindgren hofft ganz verzweifelt als stille Beobachterin weiterhin auf
ein baldiges Ende. Sie beschäftigt sich mit französischer Kriegsliteratur,
geschrieben von Jacques Agabits. Der Autor beschreibt die Situationen
französischer Kriegsgefangener, die in einem deutschen Lazarett behandelt
werden:
Das ganze Buch ist voller Blut und Eiter, und ich bin
so fed up, was Kriege betrifft, dass es keine Worte dafür gibt. Und wie mag es
erst in den Ländern sein, wo sie all diese Schrecken täglich vor Augen haben. (241)
Sie liest
Remarque, Im Westen nichts Neues, und
leidet mit ihm mit. Dabei denkt sie an Lars, an ihren Sohn, welches Glück sie
hat, dass ihr Sohn nicht eingezogen wurde.
Als ich es las, bin ich abends unter die Bettdecke
gekrochen und habe vor Verzweiflung geweint (…) Und ich erinnere mich, dass ich
dachte, wenn es noch einmal einen Krieg geben und Schweden daran teilnehmen
würde, ich auf Knien zur Regierung rutschen und sie beschwören würde, die Hölle
nicht losbrechen zu lassen. Lars würde ich selber erschießen, dachte ich, lieber
das, als ihn in den Krieg ziehen zu lassen. Wie müssen sie leiden, die armen
Mütter auf diesem wahnsinnigen Erdball. Als ich an die Besatzung der
>>Ulven<< dachte und als ich Agapits Buch las, versuchte ich mir
vorzustellen, Lars sei in dem gesunkenen U-Boot (…) Oder mit Fieber und
Eiterwunden in einem Lazarett, und allein die Vorstellung reichte, um eine
unerträgliche Seelenqual in mir hervorzurufen. Wie mag es erst für jene sein, für
die es nicht nur eine Vorstellung, sondern grausame Wirklichkeit ist? Wie ist
es möglich, dass die Menschheit solche Qualen durchleiden muss, und warum gibt
es Krieg? Bedarf es wirklich nur weniger Menschen wie Hitler und Mussolini, um
eine ganze Welt in Untergang und Chaos zu stürzen? Möge, möge, möge es jetzt
bald ein Ende haben, jedenfalls mit dem Blutvergießen;
Astrid
Lindgren leidet enorm unter diesen Kriegsqualen, obwohl sie ihnen nicht
ausgesetzt ist. Tagtäglich setzt sie sich mit dem Krieg auseinander. Liest
viel, hört Nachrichten, und verfolgt die Reden verschiedener Politiker, soweit
die Sender dies zulassen: der Krieg beeinflusst weiterhin den Alltag:
Dann kommt ja noch all das andere Elend, das auf einen
Krieg folgt. Großmutter ist in diesen Tagen so gesund und munter und
optimistisch. Sie glaubt, dass wieder Fried´ und Freud´ herrscht, wenn der
Krieg nur vorbei ist. Sie glaubt vermutlich, die Menschheit wird glücklich,
sobald es nur wieder Kaffee gibt und die Rationierungen aufgehoben sind, hier
wie im Ausland, aber die unaussprechlich entsetzlichen Wunden, die der Krieg
geschlagen hat, werden nicht mit ein bisschen Kaffee geheilt. Der Frieden kann
den Müttern nicht ihre Söhne zurückgeben, Kindern nicht ihre Eltern, den
kleinen Hamburger und Warschauer Kindern nicht das Leben. Der Hass ist nicht zu
Ende an jenem Tag, an dem der Frieden kommt, jene, deren Angehörige in
deutschen Konzentrationslagern zu Tode gequält wurden, vergessen nichts, nur weil
Frieden ist, und die Erinnerung an Tausende von verhungerten Kindern in
Griechenland wohnt immer noch in den Herzen ihrer Mütter, falls die Mütter
selbst überlebt haben. Alle Invaliden werden weiter herumhumpeln, auf einem
Bein oder mit einem Arm, alle, die ihr Augenlicht verloren haben, sind noch
genauso blind, und jene, deren Nervensystem durch die unmenschlichen
Panzerschlachten zerstört wurde, werden auch nicht wieder gesund, nur weil
Frieden ist. Trotzdem, trotzdem - möge bald Frieden werden, damit die Menschen
allmählich wieder zur Vernunft kommen. (242)
Das Ende des
Krieges, wie soll man sich das Ende vorstellen? Oder der Frieden? Astrid
Lindgren stellt sich viele Fragen und findet nicht so leicht eine Antwort.
Und dennoch - wie soll der Frieden aussehen, was aus
dem armen Finnland werden? Und wird der Bolschewismus mit allem, was er an
Terror und Unterdrückung beinhaltet, freien Spielraum in Europa bekommen? Die,
die ihr Leben bereits im Krieg verloren haben, sind womöglich die Glücklicheren.
(243)
Sie schreibt
über eine Rede von Goebbels:
>>Wir glauben an den Sieg, weil wir den Führer
haben! Wenn mir heute auf den Führer schauen, so sehen wir gerade in ihm die
Garantie dieses kommenden Endsieges. Wir wissen ganz genau, dass die weltentscheidende
Auseinandersetzung dieses Krieges zwischen dem nationalsozialistischen Reich und
der bolschewistischen Sowjetunion fallen wird.(…) So wollen wir in dieser dramatischen Stunde
unseres Gigantenkampfes gegen unsere alten Feinde nur die eine Bitte an den
Allmächtigen richten: uns den Führer gesund und voll von Kraft und
Entschlussdeutlichkeit zu erhalten! Wir wissen, dass wir dann alle Gefahren
überwinden und am Ende Sieg und Frieden erringen werden. So rufe ich denn dem
Führer im Namen des ganzen deutschen Volkes für den schwersten Kampf um unsere
äußere Freiheit unsere alte Parole als Bestätigung unserer zu allem
entschlossenen Bereitschaft zu: Führer, befiel, wir folgen! (315)
Mein Fazit zu dem Buch?
Der
Titel Die Menschheit hat den Verstand
verloren hat es voll getroffen. Es kann niemals der gesunde Menschenverstand sein, der Kriege befürwortet ...
Wenn ich die Politik heute mit der von damals vergleiche, dann bekomme ich schon ein wenig Gänsehaut, dass sich so eine Lage wiederholen könnte. Früher schrie die Mehrheit der Menschen, Deutschland müsse judenfrei werden, heute schreit sie, Deutschland müsse islamfrei werden. Viele haben gar nicht verstanden, dass es nicht der Islam ist, der die Probleme unter den Menschen verursacht, sondern die Fundamentalisten, die sogar ihre eigenen Landsleute in Lebensgefahr bringen, wenn sie nicht deren religiösen Ideologien befolgen. Ist der Mensch in Deutschland auch heute nicht in der Lage, zu differenzieren? Das hoffe ich nicht. Aber wenn ich nach Österreich schaue, und heute sogar nach Holland, in dem ein neuer Ministerpräsident gewählt wurde, dann haben sich die meisten NiederländerInnen doch gegen den Rechtspopulisten Geert Wilders und für den rechtsliberalen Mark Ruppe entschieden. Das macht mir Hoffnung. Auch in Österreich gewann 2016 völlig unerwartet Alexander Van der Bellen die Bundespräsidentenwahl ...
Ich stellte mir wiederholt beim Lesen die Frage, welche Auswirkungen es in Deutschland und in Europa gehabt hätte, wenn Hitler als Sieger aus den Kriegen geschieden wäre? Ich werde niemals eine Antwort darauf finden, aber ich kann hoffen, dass es nie wieder einen Weltkrieg geben wird, und dass es in allen Ländern, in denen gerade Bürgerkriege herrschen, diese dort bald ihr Ende finden werden.
Astrid
Lindgren war zu dieser Zeit, als sie ihr Kriegstagebuch geschrieben hat, noch
keine Schriftstellerin, wobei die Figur Pippi
Langstrumpf durch die Tochter Karin in hohem Fieber schon geboren wurde.
Dass Astrid Lindgren begabt ist zu schreiben, zeigt schon dieses Tagebuch, das neben ihrem Intellekt auch zusätzlich mit so viel Seele gefüllt ist.
Ich vergebe
diesem Buch zehn von zehn Punkten.
Und hier geht es zu Annes Buchbesprechung.
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Liebe für
alle.
Hass für keinen.
(www.ahmadiyya.de)
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